Hans Reys „Wheels 4 Life“ Projekt unterstützt Menschen in der dritten Welt, indem ihnen Fahrräder als Transportmittel zur Verfügung gestellt werden. Jetzt sind Hans Rey, Tom Oehler und Stefan Voitl nach Guatemala gereist um die Trails im Hochland zu erkunden und Kinder zu treffen, die von Hans’ Projekt profitiert haben.

Ein junger Mann, der 18-jährige Kevin, steht an einer staubigen Straßenecke in einem Vorort von Antigua, Guatemala. Er wartet auf uns. Kevin springt auf unseren Pick-up und zeigt uns den Weg zu seinem bescheidenen Zuhause, wo er mit seiner Mutter lebt. Es ist ein einfaches Steingebäude mit Metalltür ohne Zugang zu fließendem Wasser. Kevins Zimmer ist winzig und neben seinem Bett lagern seine wenigen Besitztümer. Hauptsächlich sind es Kleidung und Schulutensilien und dann noch seine kostbarsten Güter – seine Fußballtrophäen und sein geliebtes Fahrrad.

Hans Rey und Tom Oehler in Guatemala.
Hans Rey und Tom Oehler in Guatemala.

Dieses Fahrrad hat Kevin vor zwei Jahren von der Organisation “Wheels 4 Life” bekommen und es ermöglicht ihm seitdem einen regelmäßigen Schulbesuch. Die 1 Quetzal (13 Cents) für den Schulbus konnte sich seine Familie nicht leisten und mit dem Fahrrad kann er den Schulweg von zehn Kilometern nun um einiges schneller zurücklegen als zu Fuß. Kevin belegt mittlerweile sogar einen Kurs an der Uni und schafft sich mit seiner Ausbildung eine Basis für eine bessere Zukunft in einem Land, das zu einem der ärmsten in Mittelamerika zählt.

Guatemala City ist aufregend und schön.
Guatemala City ist aufregend und schön.

Eine Woche zuvor – wir treffen Hans Rey und unseren lokalen Guide Matt in Guatemala City. Wir alle sind nach Guatemala gekommen, um mit Mountainbike und Fotokamera einen Teil des Hochlandes zu erkunden und haben neben dem Abenteuer- und Spaßfaktor aber noch ein wesentlich wichtigeres Ziel. Zurück in Österreich soll es eine Fotovernissage mit den besten Bildern unserer Reise geben, deren Erlös Hans Reys Charityorganisation “Wheels 4 Life” zugute kommen wird. Außerdem wollen wir ein Schulprojekt in Guatemala besuchen, das “Wheels 4 Life” bereits vor zwei Jahren mit Rädern ausgestattet hat und dem wir bei unserem Besuch weitere Räder übergeben werden.

Es zieht uns aber schnell weiter.
Es zieht uns aber schnell weiter.

Guatemala City ist deshalb nur ein kurzer Zwischenstopp. Es zieht uns gleich weiter ins nahe Antigua, einer Kleinstadt im zentralen Hochland Guatemalas, bekannt für ihre barocke Kolonialarchitektur, Weltkulturerbe und lange Zeit Hauptstadt des einstigen Königreiches. Der erste Eindruck hier ist überwältigend. Wir haben freien Blick auf drei Vulkane – den Agua, den Acatenango und den noch aktiven Fuego, der während unserer Zeit in der Stadt immer wieder Rauch ausspuckt. Ein beeindruckendes, aber bedrohliches Naturschauspiel! Weil es in der Stadt einige internationale Spanisch-Schulen gibt, trifft man hier ausgesprochen viele US-Amerikaner sowie zahlreiche erstklassige Hotels, Restaurants, Bars und Pubs. Für zwei von uns ist es die erste Reise nach Mittelamerika und wir wissen deshalb nicht wirklich, was uns eigentlich erwartet. Ist das wirklich schon das richtige Guatemala?

Um Antigua findet man flowige Trails.
Um Antigua findet man flowige Trails.

Die ersten zwei Tage verbringen wir noch in Antigua und erkunden mit dem Mountainbike die Umgebung der Stadt. Die Trails sind sehr flowig zu fahren und machen Spaß. Es ist gerade Trockenzeit hier und deshalb sehr staubig. Viele Wege zeigen deutliche Spuren von Erosion durch die kurzen, aber teils heftigen Niederschläge in der Regenzeit. Man merkt, dass das Wegenetz eifrig genutzt wird, von Farmern, die sich um ihre Kaffeeplantagen kümmern oder einfach nur von einem Dorf zum nächsten wollen. Statt auf 100 Pferdestärken treffen wir hier häufig auf eine, weshalb man auf den Trails auch öfters mal geschickt einem Überbleibsel von Esel oder Muli ausweichen muss.

Man trifft öfter auf Pferde als auf Autos.
Man trifft öfter auf Pferde als auf Autos.

Ein Shuttle bringt uns am zweiten Tag nach “El Zur”. Rund eine Stunde dauert die Fahrt dorthin. Die gesamte “Stadt” ist das Immobilienprojekt eines US-Amerikaners, der dort in den Tourismus investiert und Häuser, einen Golfplatz und eine Mountainbikestrecke realisiert hat – den 18 Kilometer langen “Flow Trail”, der vor zwei Jahren komplett künstlich angelegt wurde. In den nächsten Monaten sollen hier für den Bau einer Downhillstrecke sogar die Trailbauer der Whistler-MTB-Parks eingeflogen werden – das erzählt uns eine Gruppe von fünf Locals, die regelmäßig auf der Strecke unterwegs sind.

Wir wollen weg von den angelegten Strecken, rein ins Hochland.
Wir wollen weg von den angelegten Strecken, rein ins Hochland.

Aufbruchstimmung an Tag drei. Mit dem Pick-up geht es los in Richtung Highlands. Unser Ziel sind die “Cuchumatanes”, ein Gebirgszug im Nordwesten des Landes. Dort werden wir uns auf eine dreitägige Tour durch das abgelegene Hochland begeben – von Laguna Magdalena und Chortiz nach Acul Quiche, das ist der Plan. Nach 250 Kilometern, für die wir sechs Stunden brauchen, erreichen wir ein kleines Bergdorf in der Nähe von “Todos Santos”. Von hier aus wollen wir los in die Berge. Es ist bereits Abend und wir werden erst morgen früh starten können. Deshalb übernachten wir in einer der landesüblichen “Cabins”, das sind einfache, minimalistische Unterkünfte, die speziell für den wachsenden Wandertourismus gebaut werden. Ein großer Raum mit einfachen Betten und Decken, Platz für bis zu zwanzig Personen, keine Heizung, nur selten fließendes Wasser und teilweise ohne vorhandene Elektrizität – 5 Euro für eine Übernachtung mit “Halbpension”.

Die Hütten sind minimalistisch und kalt.
Die Hütten sind minimalistisch und kalt.

Am frühen Morgen geht es dann endlich los. Unsere Rucksäcke sind für die nächsten drei Tage mit Bekleidung, Wasser und Verpflegung gepackt. Das Fotoequipment müssen wir auf ein Minimum reduzieren. Keine Blitze, kein Stativ, nur eine Kamera und drei Objektive dürfen mit auf den Weg. An diesem Tag legen wir 30 Kilometer zurück. Teilweise pedalieren wir einfach nur Schotterstraßen entlang, dann folgen wieder Abfahrten auf ausgewaschenen, breiten Trails. Die Landschaft hier ist traumhaft und erinnert uns ein bisschen an Schottland. Wir bewegen uns immer auf rund 3000 Metern über Meereshöhe, mit 3200 als höchsten Punkt. Interessanterweise wachsen hier oben noch Bäume. Wird Guatemala in der Landessprache der Maya vielleicht auch deshalb “Land der Bäume” genannt? Wir kommen vereinzelt an abgeschiedenen, kleinen Farmen vorbei und treffen wandernde Schafhirten auf unserem Weg. Selten sind wir ganz alleine, aber immer weit abseits der Zivilisation. Unsere letzte Abfahrt des Tages ist sehr lang, auch sehr technisch und für Guatemala untypisch matschig – erschöpft und ziemlich dreckig erreichen wir die Cabin für die heutige Nacht, die sehr idyllisch an einem kleinen See liegt.

Die Menschen haben einen sehr niedrigen Lebensstandard.
Die Menschen haben einen sehr niedrigen Lebensstandard.

Der zweite Tag im Hochland hält dann einiges an Anstrengung für uns bereit. Der Großteil dieser Route wurde noch nie mit dem Fahrrad befahren und auf einigen Abschnitten gibt es keine richtigen Wege. Die wunderschöne Landschaft entschädigt uns aber für die Anstrengung bei den beschwerlichen 1500 Höhenmetern bergauf, Höhentraining inklusive. Wir legen viele Querungen auf extrem verblockten und unzugänglichen Wegen zurück und müssen das Bike häufig schultern. Trialskills kommen einem hier zugute. Auch die Fotoaufnahmen kosten uns neben den sehr technischen Trails und einigen Reifenpannen viel Zeit. Unser Tagesziel erreichen wir deshalb erst kurz vor Sonnenuntergang. Dort lädt uns eine Familie in ihr bescheidenes Heim zum Abendessen ein. Auf einer Feuerstelle mitten im Raum bereiten die Frauen ein einfaches, aber schmackhaftes Essen aus Hühnerbrühe, Nudeln, Kartoffeln und Eiern zu. Hier in den Bergen leben die Menschen sehr einfach und ohne viel Besitz. Im Vergleich zu unserem Lebensstandard sind sie arm, doch trotzdem wirken sie um einiges glücklicher als die Menschen in unserer Zivilisation. Wir erfahren eine unglaubliche Freundlichkeit und Offenheit und nehmen diese Erfahrungen mit auf unseren weiteren Weg.

Wir begeben uns auf einen 2000hm Downhill.
Wir begeben uns auf einen 2000hm Downhill.
Für Trialer ein Paradies.
Für Trialer ein Paradies.

Ein Weg, der am dritten Tag in den Bergen dann mehr als 2.000 Höhenmeter Downhill für uns bereit hält. Anfangs sind die Trails zwar breit, aber durch den losen, groben Schotter trotzdem eine Herausforderung. Abseits dieses Hauptweges finden wir Abkürzungen, die extrem steil, technisch, anspruchsvoll und für einen Trialfahrer ein Vergnügen sind. Wir erreichen das Dorf “Acul”, unser letztes Ziel. Viel zu schnell ist die Zeit in den Bergen vergangen und eigentlich wollen wir jetzt noch nicht zurück in die Stadt.

Doch der nächste Tag ist ein wichtiger Tag, den wir mit Spannung erwarten. Guatemala hat uns bisher viele wunderschöne Seiten von sich präsentiert, doch hier zählen auch Gewalt, Kriminalität, große soziale Unterschiede und Armut zur Tagesordnung. Und davor wollen wir unsere Augen nicht verschließen. Als wir in der “Escuela Proyecto La Esperanza” ankommen, werden wir bereits von den Kindern freudig begrüßt. Die Schule wurde von der Non-Profit-Organisation “Education for the children” gegründet, um einige der ärmsten Kinder von der Straße ins Klassenzimmer zu bringen, ihnen Zugang zu Bildung und eine positive Alternative zu einem Leben als Bettler oder Kinderarbeiter zu geben. Die Kinder erhalten hier auch nahrhafte Mahlzeiten, Unterkunft und Zugang zum Gesundheitswesen, was hier nicht alltäglich ist. Und im geschützten Rahmen der Schule können sie auch endlich einmal das sein, was sie eigentlich sind – Kinder!

In den Schulen können die Kinder sich entfalten.
In den Schulen können die Kinder sich entfalten.
Dank Wheels for Life wird der Schulweg sehr viel einfacher.
Dank Wheels for Life wird der Schulweg sehr viel einfacher.

Vor zwei Jahren hatte Hans mit “Wheels 4 Life” die ersten Räder hier nach Jocotenango gebracht – für Kinder, deren Familien sich selbst die wenigen Cents für den Schulbus nicht leisten können. Und heute dürfen wir am Ende unserer Reise weitere 31 Räder übergeben. Ein wirklich bewegender Moment für uns, weil wir miterleben dürfen, wieviel Freude und positive Veränderung man mit einem Rad bewirken kann. Ein paar Schrauben müssen noch nachgezogen, die Bremsen eingestellt und die Reifen aufgepumpt werden. Das machen wir zusammen mit den Kindern, damit sie auch lernen, wie man selbst kleinere Reparaturarbeiten durchführen kann. Gemeinsam drehen wir am Ende des Tages noch eine Runde in der Gegend und müssen uns dann leider verabschieden, von den Kindern und von Guatemala, das uns in vielfacher Weise berührt hat.

Eine letzte Ausfahrt mit den Kindern, dann heißt es Abschied nehmen.
Eine letzte Ausfahrt mit den Kindern, dann heißt es Abschied nehmen.

Die Highlight-Bilder der Reise werden bei einer Charity Bilderausstellung im Rahmen des Argus Bike Festivals am Wiener Rathausplatz ausgestellt und verkauft. Der Verkaufserlös der Bilder sowie die Einnahmen aus Spendengeldern und Tombola-Losverkauf fließt in das von Hans Rey gegründete Charity-Projekt “Wheels 4 Life”.

Text: Tom Oehler und Stefan Voitl Bilder: Stefan Voitl


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