Nachdem ich bei der Europameisterschaft in Kirchberg stolz neben Jerome Clementz und Remy Absalon auf dem Podium gestanden hatte, rief ich meinen Manager Joost an, um ihm die erfreuliche Neuigkeit mitzuteilen. Seine Antwort: „Dann kannst du also doch Fahrrad fahren!?“ Wir machen uns oft übereinander lustig, was wohl ein Zeichen für unsere gesunde Beziehung ist – ein wiederkehrendes Thema: Er ist nicht in der Lage, steile Abfahrten zu fahren und ich kriege keine Sprünge hin.

Jedenfalls sagte er es so, dass ich wusste, er ist stolz auf mich und glaubt an mich. Er hat mich schon oft durch Kurven schießen und krasse Gaps mit links nehmen sehen, deshalb weiß er, dass ich zu Großem in der Lage bin. Aber die bis heute unbeantworteten Fragen bleiben – warum schaffe ich das nicht immer? Und was war das Besondere an genau DIESEM Rennen? Zu dem Zeitpunkt kam ich nicht wirklich dazu, die Situation zu analysieren. Ich war etwas euphorisiert und hatte einen ziemlich vollen Terminplan für die darauffolgende Zeit. Jetzt, am Ende einer vierwöchigen Rennpause, habe ich drei Wochen richtig trainiert und ruhe mich gerade eine Woche aus vor der TRANS-SAVOIE. Wenn ich auf die letzten zwei Monate zurückblicke, denke ich: Vielleicht habe ich ein bisschen zu viel gemacht.

Looking back at the last two months it seems as though I may have done a little bit too much. This is what has happened in the life of Jamesy Boy
Wenn ich auf die letzten zwei Monate zurückblicke, denke ich, vielleicht habe ich ein bisschen zu viel gemacht. Folgendes ist geschehen im Leben von Jamesy Boy…

Folgendes ist geschehen im Leben von Jamesy-Boy: Zwei Wochen nach dem Rennen in Kirchberg fand das nächste Rennen der European Enduro Series in Sölden statt. Miles und ich wurden gefragt, ob wir ein Promo-Video für die Gegend drehen wollten, was wir cool fanden. Deswegen fuhren wir direkt nach dem Europameisterschaftsrennen hin, um uns an die Arbeit zu machen. Wir waren für ein paar Nächte in einem sehr netten Hotel untergebracht und meine gute Freundin Ines Thoma war auch dabei. Sölden ist ein toller Ort zum Mountainbiken und hat eine vielversprechende Zukunft. Gerüchten zufolge ist ein riesiges Budget dafür vorgesehen, die Gegend zur nächsten großen Mountainbike-Destination zu machen. Wie man in dem Video hoffentlich sehen kann, hatten wir dort eine Menge Spaß.

Sölden from Miles Mallinson on Vimeo.

The weather was also extremely hot. Scotsmen are not built for these kinds of temperatures!
Außerdem war es extrem heiß. Schotten sind für solche Temperaturen einfach nicht gemacht!

Obwohl ich die Gegend ja bereits kennengelernt hatte, war das Rennen in Sölden nicht meine beste Performance. Ich versuchte, an den Tagen vor dem Rennen sowohl ein bisschen Training als auch unser Video-Projekt unterzubringen, daher war ich vielleicht ein wenig erschöpft. Außerdem war es extrem heiß, Schotten sind für solche Temperaturen einfach nicht gemacht! Ich versuchte, meine Probleme mit Ermüdung und Überhitzung mit großen Mengen an Kaffee und Eis zu beheben, aber selbst diese Maßnahmen zeigten keine richtige Wirkung. Ein weiterer klitzekleiner Stressfaktor war, dass ich es irgendwie geschafft hatte, während des Trainings am Samstag hinten zwei Bremsleitungen zu beschädigen – nicht ideal, wenn man in steilem alpinem Gelände unterwegs ist. Mit all diesen kleinen Problemen im Hinterkopf fuhr ich beim Rennen am Sonntag nicht sehr gut. Ich war nicht ganz bei mir und hatte einen schweren Sturz, bei dem ich die Gesichtsbremse einsetzte, und meinen Helm nutzte, um zu verzögern – eine Taktik, die ich nicht empfehlen kann, auch nicht in Notsituationen. In Anbetracht dieser kleineren Hürden war ich eigentlich recht zufrieden, als ich das Rennen mit einem respektablen siebten Platz abschloss.

EES Round 2 Sölden – Radon Factory Racing from Miles Mallinson on Vimeo.

I was riding very fast, I was a little bit tired, I tried to hop a drainage ditch, I came a bit short, the ground was very rocky... my tyre didn’t like it.
Ich fuhr ziemlich schnell, ich war ein wenig müde, ich versuchte, über einen Entwässerungsgraben zu springen, kam etwas zu kurz. Leider war der Boden sehr steinig, was meinem Reifen gar nicht gefiel.
Maybe one year lady luck will come my way! I think the lottery aspect of the Megavalanche is the addictive thing which keeps people coming back year after year
Ich denke, dieser lotterieartige Charakter des Megavalanche ist etwas, das die Leute süchtig macht, das dazu führt, dass sie Jahr für Jahr wiederkommen.

Am Wochenende danach war das Megavalanche in Alp d’Huez, eins meiner Lieblingsrennen. Unglücklicherweise hatte ich im Qualifikationslauf einen Platten am Hinterrad. Das war vermutlich der erste Plattfuß, den ich mit meinen Continental Apex Protection-Reifen je hatte, und ich muss zugeben, dass es voll und ganz meine Schuld war. Ich fuhr ziemlich schnell, war ein wenig müde, versuchte, über einen Entwässerungsgraben zu springen, und kam etwas zu kurz. Der Boden war sehr steinig und meinem Reifen gefiel das gar nicht. Glücklicherweise war die Rennorganisation so nett und ließ mich beim Hauptrennen am Sonntagmorgen in der vierten Reihe starten. Ich schaffte es, dem Gemetzel im Schnee zu entgehen, aber leider schlug das Desaster erneut zu und ich hatte wieder ein mechanisches Problem auf halber Strecke nach unten. Vielleicht ist die Schicksalgöttin hier ja irgendwann in der Zukunft mal auf meiner Seite. Ich denke, dieser lotterieartige Charakter des Megavalanche ist etwas, das die Leute süchtig macht, das dazu führt, dass sie Jahr für Jahr wiederkommen.

Vor dem Mega hatte aber noch ein anderes Rennen in Frankreich stattgefunden: die EWS-Runde in Samoens. Unter der Woche war kein Training im Bereich der Rennstrecke erlaubt und ich verbrachte die meiste Zeit damit, mit Miles zu abzuhängen und zu chillen, um meinem Körper nach all dem Racen und Reisen die Möglichkeit zur Regeneration zu geben. Das Rennen war körperlich und technisch eine Herausforderung. Außerdem hatte ich ein paar neue Komponenten an meinem Bike und hatte zu kämpfen, ein passendes Setup zu finden und mich wohlzufühlen.

Samoëns Enduro World Series Round 4 – Radon Factory Enduro from Miles Mallinson on Vimeo.

Von hier fuhren wir dann weiter nach Österreich, zur European Enduro Series-Runde am Reschenpass. Das ist eine bescheidene, ruhige Gegend mit einem schönen See und inspirierendem Terrain. Auf den Trails, die mir vom letzten Jahr vertraut waren, nahm ich ein paar Anpassungen an meinem Federungssetup vor und fühlte mich bald wieder heimisch auf meinem Bike. Das würde ein gutes Rennen werden! Ich machte wie immer ein paar Fehler, aber insgesamt hatte ich ein gutes Gefühl und landete am Schluss wieder als Vierter auf dem Podium.

It is interesting because you can’t teach confidence but you can try to control the things around you.
Man kann sich nicht einfach so mehr Selbstbewusstsein beibringen, aber man kann die Dinge um einen herum kontrollieren.

Es ist schon lustig, denn wie Joost ja treffend angemerkt hat – ich kann Rad fahren. Eigentlich ist das nämlich ziemlich easy. Weniger einfach ist es, diese letzten paar Prozent abzurufen: in der Lage zu sein, konsistent schnell zu fahren, und so nah am Limit wie möglich. Die Schwierigkeit besteht für mich darin, alles in der richtigen Reihenfolge zusammenzusetzen, damit es das gewünschte Endprodukt ergibt. Ich muss ruhig, entspannt und konzentriert sein. Die wenigen Stressfaktoren, die es in meinem Leben gibt, müssen reduziert werden. Ich muss die richtige Balance zwischen Training und Erholung finden. Und am wichtigsten von allem: Ich muss mich selbstsicher fühlen und Selbstsicherheit kommt von ganz allein, wenn man glücklich ist. Das Problem ist, dass das Leben einen manchmal wirklich herausfordert. Und egal, wie gut du deiner Meinung nach vorbereitet bist, kann die Stimmung drastisch abfallen, wenn etwas nicht gut läuft und wenn die Erschöpfung einsetzt. Deshalb habe ich festgestellt, dass der Zugang zu den folgenden Dingen entscheidend ist, um meinen Glückspegel hoch zu halten:

  • Freunde – oft ist weniger wichtig, was man tut, als mit wem man es tut.
  • Essen – möglichst viel essen (vor allem von den leckeren Sachen).
  • Gas – braucht man zum Kochen
  • Wasser – gut zum Trinken
  • Waschmöglichkeit – idealerweise ein See oder Fluss an einem sonnigen Tag
  • Bikewaschmöglichkeit – das Rad muss sauber sein. Je sauberer es ist, desto sauberer bleibt es
  • Brüste – sind super. Selbst wenn keine verfügbar sind, ist es ein guter Ersatz einfach, an Brüste zu denken. (WARNUNG – kann sehr stark ablenken. Während des Fahrens zu unterlassen)
  • Schlaf – Minimum 8 Stunden pro Nacht
  • Wärme – falls nötig, Heizdecke benutzen

(Anmerkung – diese Liste an Zutaten für ein gutes Leben folgt keiner bestimmten Rangfolge)

It’s funny because as Joost pointed out, I actually can ride bikes. In fact, riding bikes is quite easy. What is not so easy is to find the final few percentages
Es ist schon lustig, denn wie Joost ja treffend angemerkt hat – ich kann Rad fahren. Eigentlich ist das nämlich ziemlich easy. Weniger einfach ist es, diese letzten paar Prozent abzurufen.

Wenn aus irgendeinem Grund nicht alle diese Dinge verfügbar sind, dann ist hier meine neueste Theorie, wie ich mich mittels Selbstüberlistung dazu zu bringe, gut zu fahren. Sie hat mit der Körperhaltung zu tun. Wenn ich mich nicht selbstsicher fühle, dann fahre ich mit meinem Körpergewicht zu weit entfernt vom Vorderrad. Meine Schultern sind nach vorne gebeugt und mein Kopf ist zu niedrig. Ich werde bewusst daran arbeiten, mir beizubringen, stolz und mit erhobenem Haupt und geraden Rücken auf dem Bike zu stehen. Wenn diese Haltung sich irgendwann natürlich anfühlt, klappt der Transfer hoffentlich und das Ganze wird automatischer Teil meines Fahrstils.

The glamorous life on the road
Das luxuriöse Leben “on the Road”

Diese Ideen schwirrten mir in der Woche nach dem Rennen am Reschenpass im Kopf herum und da passte es perfekt, dass ich zu den Rookies Training Days in Serfaus/Fiss/Ladis eingeladen wurde, zu einem einwöchigen Downhill-Coaching mit den zukünftigen Fahrern unseres Sports. Mit den Kids machte es sehr viel Spaß und sie fuhren jetzt schon auf einem ganz schön ernstzunehmenden Level. Wir gingen aber nicht nur grundlegende Fähigkeiten und Trainingskonzepte durch, sondern ich versuchte auch, etwas von meiner Weisheit weiterzugeben. Ich hoffe, es hat funktioniert. Auf jeden Fall hatte ich eine tolle Zeit und freue mich, die Rookie Training Days nächstes Jahr wieder zu machen.

Interessant ist, dass man Selbstsicherheit nicht vermitteln oder von sich selbst abfordern kann, aber man kann versuchen, die Dinge zu kontrollieren, die um einen herum sind. Als ich auf diesem Podium in Kirchberg stand, war ich überglücklich, weil ich das Gefühl hatte, alles getan zu haben, um meine bestmögliche Leistung zu bringen. Ich hatte hart trainiert und mich dann vor dem Event gut ausgeruht. Ich war im Jahr zuvor ein Rennen am selben Ort gefahren, kannte daher die Trails, wusste, wo es Essen zu kaufen gab, wo ich mein Rad waschen konnte und wo die besten Parkplätze waren. Das Wetter war fürchterlich, aber ich hatte das Gefühl, gut auf die Situation vorbereitet zu sein – mit Regenreifen, wasserdichten Klamotten und einem guten Vorrat an Goggles, Taschentüchern, Schuhen, Handschuhen, Shorts, Jerseys usw.

It is the little things that make the biggest difference. I know I already live a pretty good life as it is so with this in mind, let’s let the good times keep on getting better!
Es sind diese kleinen Dinge, die am meisten ausmachen. Ich weiß auch, dass ich schon jetzt ein ziemlich tolles Leben habe. Mit diesem Wissen im Hinterkopf, lassen wir doch einfach die guten Zeiten noch besser werden!

Ich komme aus Schottland, ich bin so ein Wetter gewohnt. Und wir hatten sogar eine Wohnung mit Heizung, Dusche, einem Kühlschrank und einem Backofen! Außerdem war auch großartig, die Gesellschaft guter Freunde genießen zu können, als ich z. B. am Abend vor dem Rennen ein großes Essen kochte für uns (Miles, Raphaela und mich) und unsere Gäste Joe Nation und James Hampton. Das Leben war einfach schön. Ich fühlte mich legendär. Vorbereitung und Achtsamkeit sich selbst gegenüber ist etwas, woran jeder arbeiten kann. Es sind diese kleinen Dinge, die am meisten ausmachen. Ich weiß auch, dass ich schon jetzt ein ziemlich tolles Leben habe. Mit diesem Wissen im Hinterkopf lassen wir doch einfach die guten Zeiten noch besser werden!

Hier gehts zu den bisherigen Teilen der Serie:

Words: James Shirley


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