Das knackende Geräusch werde ich wohl nie vergessen! Es war der Moment, als mein Unterarm in zwei Teile brach, nachdem ich bei Tempo 30 unfreiwillig über den Lenker gegangen war. Nach einer längeren Krankenhaus-Odyssee und drei Monaten ohne Gespür und Beweglichkeit in meinen Fingern hatte ich mir geschworen, diesen verdammten Trail nie wieder zu fahren. Gestern, am fünften Jahrestag des Horrorcrashs, habe ich meine Meinung geändert und war zum ersten Mal wieder am Ort des Geschehens.

Der 27. 06. 2010 wird mir mein Leben lang in Erinnerung bleiben. Es war der schwärzeste Tag meines bisherigen Biker-Lebens, an dem die Verkettung einzelner, unglücklicher Umstände beinahe mein gesamtes Leben auf den Kopf gestellt hätte.

Von dieser Hütte aus startete ich vor fünf Jahren die verhängnisvolle Abfahrt.
Von dieser Hütte aus startete ich vor fünf Jahren die verhängnisvolle Abfahrt.

Doch einmal ganz von vorne. Im Jahr 2010 startete ich voll motiviert in meine dritte Bikesaison und während ich in den beiden Jahren zuvor eine enorme Faszination für das alpine Mountainbiken entwickelt hatte, wollte ich in diesem Jahr nur eines: mein erstes Endurorennen fahren! Das Knacken technischer Schlüsselstellen und „Vertriden“ geriet in den Hintergrund, was jetzt zählte, war die schnellste Linie mit maximalem Speed zu fahren. In Kombination mit einer noch eher durchschnittlichen Fahrtechnik war das, wie sich wenig später herausstellte, eine eher dumme Idee.

never say never (238 von 7)

Ich startete also an diesem schönen Nachmittag im Juni wie schon etliche Male zuvor meine „kurze“ Afterworkrunde, die mit einem knackigen, 750 Höhenmeter langen Uphill begann und dann ebenso lang auf einem technisch anspruchsvollen Trail zurück ins Tal führte. Wie es der Zufall so will, besaß ich zu diesem Zeitpunkt leider kein Handy, da ich aufgrund einer Vertragsumstellung keine SIM-Karte hatte – ein verhängnisvoller Umstand, wie ich später herausfinden sollte. Nach gut einer Stunde erreichte ich auf einer Hochebene die einsam gelegene Berghütte, an der ich, nachdem ich noch einen Schlug Wasser aus dem Brunnen getrunken hatte, meine Knieschoner anlegte und mich auf die Abfahrt vorbereitete. Hier traf ich die ersten verhängnisvollen Fehlentscheidungen. Erstens nahm ich mir vor, den gesamten, ca. 15 min langen Trail am Stück durchzufahren und zweitens, das Ganze mit Musik auf den Ohren zu tun, um mich selbst noch mehr zu pushen.

never say never (237 von 7)

Nach gut der Hälfte der Abfahrt überholte ich völlig gepusht durch die Beats eines amerikanischen HipHop-Stars auf den Kopfhörern einen Wanderer. Keine zwanzig Meter später war da dann in einer Linkskurve dieser eine Stein hinter einer kleinen Stufe. Meine Arme waren mittlerweile völlig erschöpft, ich konnte den Lenker kaum mehr halten, hatte Armpump auf Level 5.000, aber ich wollte es an dem Tag einfach durchziehen. Ein Fehler! Mein Vorderrad verkantete, ich verlor innerhalb eines Sekundenbruchteils die Kontrolle und wurde von rund 30 km/h auf 0 abgebremst. Ich ging über den Lenker, streckte die Arme, um meinen Sturz abzufedern, und hörte beim Aufprall schon dieses knackende Geräusch, bevor ich den kleinen Abhang neben dem Weg hinabpurzelte. „Fuck, was ist denn jetzt passiert?“, schoss es mir durch den Kopf, als ich zurück auf den Trail kletterte. Oben angekommen erblickte ich das erste Mal meinen linken Arm. „Holy Shit – sieht das übel aus!“ Der Arm war komplett gebrochen und machte zwischen Handgelenk und Ellenbogen einen gut 30°-Knick.

Das Ergebnis des Abflugs: Elle und Speiche komplett gebrochen.
Das Ergebnis des Abflugs: Elle und Speiche komplett gebrochen.

Da stand ich nun, mit einem zerstörten linken Arm, der innerhalb kürzester Zeit massiv anschwoll, ohne Handy und gut 300 Höhenmeter von der Zivilisation entfernt. Mein Hirn schaltete in Panik-Mode: „Ich muss so schnell es geht zurück ins Tal, bevor der Schmerz einsetzt“, dachte ich mir. Also packte ich das Rad mit der rechten Hand und rannte den Berg hinauf, ich brüllte mir die Seele aus dem Leib. Der Wanderer, den ich gerade erst überholt hatte, besaß zu meinem Schock ebenfalls kein Handy. Ich rannte weiter, erreichte eine Forststraße, von der ich wusste, dass sie Richtung Tal führt, setzte mich auf den Sattel, legte den Arm auf dem linken Oberschenkel ab, rollte um Hilfe rufend bergab. Gott sei Dank traf ich nach gut 3 Minuten ein weiteres Pärchen, mit Handy! Den Notruf setzte ich noch selbst ab, dann atmete ich tief durch, legte ich mich auf den Boden und wartete auf die Bergwacht. Als der Jeep nur wenig später bei mir eintraf, war aufgrund der starken Schmerzen ans Aufstehen nicht mehr zu denken und so wurde zu meinem Abtransport ein Rettungshubschrauber hinzugezogen. Nachdem einiges an Morphin durch meine Venen geflossen war, ging es mit der Seilwinde hinauf in den Heli und mit ihm in die nahegelegene Unfallklinik.

Das Bergidyll wird ganz schnell zum Horrorszenario wenn man feststellt wie weit es noch in Richtung Tal ist.
Das Bergidyll wird ganz schnell zum Horrorszenario wenn man feststellt wie weit es noch in Richtung Tal ist.

Ich war schon immer gut im Dinge Verdrängen. Doch was ich nach dem Crash für mehr als einen Monat effektiv verdrängte, waren die schwerwiegenden Folgen, die der Sturz hätte haben können. Immerhin war ich wochenlang nicht im Stande, meine Finger zu bewegen. Die starke Schwellung hatte nach dem Bruch auf einen Nerv gedrückt, dieser quittierte daraufhin den Dienst und ich konnte meine Hand nicht mehr öffnen. Täglich betraten Ärzte mit besorgten Blicken mein Zimmer und erklärten mir, dass sie nicht wüssten, ob und wann der Nerv sich wieder erholen würde. Ich lag in meinem Bett, sah sie an, nahm das Gesprochene aber nicht wahr. Auch bei den unterschiedlichen Therapien, die ich absolvierte, sah ich das Problem, nicht jedoch die Konsequenzen. Mehr als drei Monate und zwei OPs später nahm ich bei einer meiner Übungen ein leichtes Zucken in den Fingern wahr – der vermutlich beste Moment meines Lebens! Dann ging alles ganz schnell und keine fünf Tage später konnte ich die Finger wieder in vollem Umfang bewegen. Mit dem Gefühl und der Bewegung kam auch die Erkenntnis, welchen Einfluss die fehlende Funktion der Finger auf meinen Alltag hätte haben können und ich schwor mir deshalb, diesen Unglückstrail nie wieder zu fahren!

Zwei dicke Naben und etliche Klammern im Unterarm später verließ ich wieder das Krankenhaus.
Zwei dicke Narben und etliche Klammern im Unterarm später verließ ich wieder das Krankenhaus.

Fünf Jahre sind seit dem Unfall mittlerweile vergangen und wenn ich jetzt zurückblicke, hat mich dieser Crash einiges gelehrt: Ganz klar, fahr niemals ohne Handy, ein Wanderweg ist keine Rennstrecke und überschätz dich nicht selbst und einige weitere dieser schlauen Weisheiten. Er hat mir aber auch bewiesen, wie wichtig, die Freundin, Eltern und gute Freunde sind, und dass man die Hoffnung niemals aufgeben sollte. Vor allem zeigt sich aber heute, nachdem ich den Trail unversehrt gefahren bin und dabei mächtig viel Spaß hatte: Sag niemals nie!

Jetzt fünf Jahre später fuhr ich den Trail mit einem dicken Grinsen im Gesicht!
Jetzt fünf Jahre später fuhr ich den Trail mit einem dicken Grinsen im Gesicht!

Text:

Christoph Bayer | Bilder: Andreas Hofmann/Christoph Bayer


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