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Warum sich manche Innovationen gut anfühlen während andere nicht ganz überzeugen können – Gedanken eines Designers.

Die Entwicklung erster Mountainbikes startete in den frühen 90ern. Bikes waren noch Bikes und die Hersteller arbeiteten hart daran, Geometrien, Materialien und Komponenten zu verbessern. Seitdem wurden die Innovationen, Trends und Hypes immer größer. Es hat 15 Jahre gedauert, bis zum Beispiel Scheibenbremsen, Antriebe und Fahrwerke so gut wurden, wie wir es heute gewohnt sind.

Canyons Shapeshifter system - a true innovation?
Canyons Shapeshifter System – eine echte Innovation?

Die Bikebranche wuchs und viele der Bikehersteller profitierten, indem sie sich in den Windschatten einiger weniger Referenzunternehmen hängten. Es war recht einfach, mit den Großen mitzuhalten und ein gutes Geschäft zu machen – die Umsätze wuchsen so schnell wie die damals neue Sportart Mountainbiken. Doch dann kam der Moment, wo eigene Innovationen notwendig wurden, um am Markt zu überleben und die Firmen steckten immer mehr Gelder in Forschung und Entwicklung. Kleine Hersteller wurden groß und mussten innovieren, um mithalten zu können. Eigene, innovative Entwicklungen wurden ein immer wichtigerer Bestandteil in den Strategien vieler Hersteller.

Yeti Switch Infinity System - is this innovation driven by profit or idealism?
Yeti Switch Infinity System – technisch notwendig oder nur gut vermarktbar?

Innovationen, die ausschließlich mit dem finanziellen Gewinn im Auge gemacht wurden, unterscheiden sich grundlegend von denen, die aus Idealismus entstanden. Zwischen diesen beiden Arten braucht es immer eine ausgeglichene Verteilung. Nur gewinnorientierte Beweggründe funktionieren auf lange Sicht genauso wenig wie ausschließlich idealistische. In den letzten zehn Jahren, hat die Industrie neue Entwicklungen so schnell vorangetrieben, wie nie zuvor. Forschung und Entwicklung sind teuer, und das experimentieren mit neuen Technologien ist immer auch ein Risiko für die Firmen. In den letzten zehn Jahren wurden wir Zeugen einiger großer Entwicklungsschritte, allerdings denke ich, dass in letzter Zeit immer öfter übertrieben wurde und einige der Innovationen schlichtweg unnötig sind. Die Hersteller unterscheiden sich in der Rolle, die Idealismus noch für ihre Entwicklungen spielt – und dieser ist wichtig, damit am Ende Produkte entstehen, die einen echten Nutzen haben und den Sport weiterbringen.

E:i shock automatic suspension in the Lapierre
E:i Shock-Automatikfahrwerk von Lapierre

Die schiere Menge an neuen, innovativen Produkten in den letzten Jahren ist riesig und vielseitig, doch nicht alle dieser Innovationen werden lange überleben, das steht fest. Es ist an der Zeit darüber nachzudenken, wie man bestehende Produkte weiter verbessern kann, statt das Rad ständig neu erfinden zu wollen. Wenn Bike-Ingenieure, Designer und die Entscheider mehr in diese Richtung denken würden, wären Produkte haltbarer, zeitloser und würden besser funktionieren als sie es jetzt tun. Qualität und Nachhaltigkeit statt ständig das neue “next big thing”, das angeblich jeder braucht. Manche Innovationen fühlen sich eben gut an, andere falsch und unnötig.

Shimano XTR Di2 electronic shifting
Shimano XTR Di2 elektronische Schaltung

Bevor Computer und iPods erfunden wurden, entwarfen Designer analoge Produkte. Das bedeutet, dass ausschließlich die Form des Produkts seine Funktion bestimmte. Selbst ein Zeitreisender aus der Vergangenheit könnte ein analoges Produkt verstehen wenn er es sieht und hat zumindest eine grobe Idee, welchen Nutzen es erfüllt. Zum Beispiel ein Stuhl, eine Zahnbürste oder ein Hammer. In den vergangenen Jahrzehnten begannen digitale Produkte die Welt zu erobern, die gänzlich anders funktionieren. Unser Zeitreisender hätte keine Chance, zu erkennen was ein CD-Player macht und wozu ein iPhone dient. Der Unterschied zwischen digitalen und analogen Produkten scheint klar, doch nicht immer lassen sie sich klar voneinander trennen. Bei einem analogen Produkt können Details digital gelöst sein und umgekehrt. Ob ein Produkt digital oder analog ist, sagt etwas über sein Kern, seine Wurzeln und damit seinen Nutzen aus.

Displays, buttons and joysticks instead of switches, cables and cnc-parts - digital vs analog
Displays, buttons and joysticks instead of switches, cables and cnc-parts – digital vs analog

Vor 100 Jahren waren Fahrräder analoge Produkte. Transportmittel, die aus eigener Kraft bewegt wurden. Heute werden sie viel vielfältiger genutzt: Transport, Sport, Rennen, Lifestyle – Fahrrad ist nicht mehr gleich Fahrrad. Neue Entwicklungen müssen zum jeweiligen Einsatzzweck passen: ein Racebike sollte durch sie schneller werden, ein Bike zum Pendeln effizienter und komfortabler. Auch alle neuen Bike-Innovationen können entweder analog oder digital sein. Je nach dem gewünschten Nutzen und Einsatzbereich muss sich der Entwickler überlegen, was besser geeignet ist – analog oder digital? Analoge Innovationen sind zum Beispiel Dinge wie SRAMs XX1-Antrieb, DW-Link-Fahrwerke oder die hydraulischen Elemtente in Fahrwerks-Komponenten. Neuheiten wie elektronisch geregelte Fahrwerke und Antriebe oder auch der Motor eines E-Mountainbikes sind dagegen digital. Bei analog gegen digital geht es nicht um “einfach gegen kompliziert” oder um “traditionell gegen nerdig”. Vielmehr geht es darum zu berücksichtigen, was zu Einsatzzweck, Wurzeln, Funktion und Design des Bikes am besten passt oder sich am besten anfühlt.

Text: Ruben Torenbeek | Fotos: Christoph Bayer


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Über den Autor

Aaron Steinke

Aaron war der erste Mitarbeiter unseres Unternehmens, hat es tatkräftig mit aufgebaut und dabei den Auftritt und die Ausrichtung unserer Magazine maßgeblich mitgeprägt. Seit Mitte 2020 verfolgt er eigene Projekte, berät und unterstützt uns aber weiterhin bei Marketing- und Technik-Themen. Viele Jahre lang konnte man Aaron vor allem auf spaßorientierten Enduro-Rennen finden, in letzter Zeit auch vermehrt auf dem Rennrad – es lebe die Freiheit auf zwei Rädern!