Nachts um fünf ist der Tiefpunkt erreicht. Die Beine sind eingefroren, die Zehen taub und der Rücken verspannt. Seit acht Stunden liegen wir bereits in unseren Schlaf- und Biwaksäcken. Noch zwei Stunden bis Sonnenaufgang. Verdammt, das haben wir uns anders vorgestellt.

Alle Jahre wieder

Mittlerweile ist es eine feste Tradition: Einmal im Jahr unternehmen Julian, der im Marketing bei SCOTT arbeitet, und ich einen gemeinsamen Biketrip. Nie etwas Gewöhnliches, immer fernab des Mainstream. Gestartet haben wir vor vier Jahren mit einer Reise nach Polen und Tschechien, wo wir im Trailcenter Pod Smrkem den Singletrail-Heaven entdeckten. Im Jahr danach ging es zu einem E-Mountainbike-Quicky in die Stubaier Alpen, gefolgt von einem Bike-Sightseeing-Trip nach Rom. Diesmal verschlug es uns nach Trentino, genauer gesagt an den Monte Calisio, wo wir zusammen mit unserem gemeinsamen Kumpel Felix ein Biwak-Abenteuer unternahmen. Klingt nach #BrokebackMountain, doch kuschelig wurde es nicht.

Bikepacking 2.0

Für einen erfolgreichen Bikepacking-Trip sind einige Faktoren essenziell, unter anderem die richtige Ausstattung, Erfahrung und nicht zuletzt die passende Jahreszeit. Drei Faktoren, die bei uns Dreien leider nur zum Teil stimmen. Anfang Januar ist sicherlich nicht die beste Jahreszeit für einen solchen Trip. Erstens ist es auch im Süden kalt, vor allem nachts, und zweitens ist es lange dunkel, wodurch Fakt eins noch mal an Bedeutung gewinnt. Bei der Packliste liegt der Fokus daher auf warmen Schlafsäcken, guten Isomatten und ein wenig trockenem Holz, um auf alle Fälle ein Feuer in Gang zu bekommen. Spezielle Rahmentaschen besitzen wir keine, also wird der Schlafsack kurzerhand nur mit Straps an den Lenker gezurrt. Weil wir Gewicht sparen und nicht jedes Teil doppelt mitschleppen wollen, ist es meine Aufgabe, mich um die Kochutensilien zu kümmern. Um das Packmaß gering zu halten, entscheide ich mich für eine Mini-Gaskartusche. „Zu klein“, meint Julian am gemeinsamen Treffpunkt. Um auf Nummer sicher zu gehen, stürmen wir kurzerhand noch eine Tankstelle und nach erfolgloser Suche nach dem passenden Modell auch einen Decathlon – ebenfalls ohne Erfolg. Unglaublich, aber wahr: Bei Gaskartuschen gibt es scheinbar noch mehr unterschiedliche „Standards“ als in der Bike-Industrie.Doch wir haben für den Trip auch ein echtes Ass im Ärmel. Denn statt auf klassischen Bikepacking-Bikes mit Dropbar-Lenker und Starrgabel sitzen wir auf kraftvollen SCOTT-E-Mountainbikes, die den Spaß sowohl bergauf als auch bergab deutlich erhöhen sollten.

  Im Sommer kann’s ja jeder!

Bergauf geht es auf den Spuren der Geschichte

Unser Ziel, der Monte Calisio, wird bei den Locals auch „Argentario“ genannt. Dieser Name beruht auf der Tatsache, dass an dem Berg bis ins 15. Jahrhundert in Minen Silber abgebaut wurde (italienisch „argento“: Silber). Die Spuren des Bergbaus sind noch heute sichtbar. Bergauf passieren wir immer wieder die Eingänge von verschütteten Stollen und auch die Forststraße selbst existiert wohl nur aufgrund der hart schuftenden Arbeiter von damals.

Wie man sich bettet, so liegt man

Nach gut einer Stunde entspanntem Pedalieren im Eco- und phasenweise im Trail-Mode erreichen wir den Gipfel. Ein großes Plateau mit vielen Senken, Bäumen und zum Teil grandiosen Aussichten. Jetzt heißt es Schlafplatz wählen. Wir finden einen windstillen Fleck mit schöner Aussicht Richtung Osten und hoffen, am nächsten Morgen von warmen Sonnenstrahlen geweckt zu werden.

  Essen und Wärme – mehr zählt an diesem Abend nicht

Zurück zum Wesentlichen

WLAN gibt es in unserem Open-Air-Hotel zwar keins, es wäre aufgrund der top LTE-Verbindung selbst oben auf dem Berg eh überflüssig. Doch statt unsere Instagram-Storys zu updaten, kümmern wir uns erst mal um das Wesentliche. Dazu zählt: Feuer machen und weiteres Holz sammeln, um die eingefrorenen Füße in den Klick-Schuhen (hätten wir mal besser zu Flat-Pedals gegriffen) schnellstmöglich wieder aufzutauen und noch etwas Vorrat für die Nacht zu haben. Wir sind noch keine Stunde an unserem Nachtlager angekommen, da wird uns mit dem Untergang der Sonne um 18 Uhr bereits klar, dass diese Nacht kein Zuckerschlecken wird.

  Klickschuhe + Schnee = eingefrorene Zehen!

Die längste Nacht unseres Lebens

Statt gemütlich mit der Netflix-Jogginghose auf der Couch chillen wir ums Feuer, philosophieren über Gott und die Welt und essen Nudeln mit Pesto. Nur eins haben wir vergessen: Rotwein. DAMN! Wie konnte das passieren? Nach 3 Stunden am Feuer beschließen wir bereits gegen 21 Uhr, uns in die Schlaf- und Biwaksäcke zu verkriechen. Felix und ich haben unsere eigenen dabei, Julian hat sich auf das angeblich großartige Modell einer Bekannten verlassen – ein schwerer Fehler! Das rund 15 Jahre alte Teil hat die besten Zeiten eindeutig hinter sich und den Großteil seiner Isolationswirkung verloren. Verhängnisvoll, vor allem bei Außentemperaturen von -4°C und einer sternenklaren Nacht. Zitternd und bibbernd liegt Julian zwischen uns. Wir leihen ihm unsere Daunenjacken, eine für den Oberkörper, eine für die Beine.
Im eigenen Bett ist langes Schlafen normalerweise ja purer Luxus. Aufgrund der Kälte, der schmalen Isomatten und der fehlenden Kopfkissen sehnen wir uns aber nach 8 Stunden – mehr oder weniger schlafend – gegen fünf Uhr morgens alle nur noch nach dem Sonnenaufgang. Doch der ist noch mindestens zwei Stunden entfernt.

Kommt Sonne, kommt Wärme – oder halt auch erst mal nicht

Die erste Wärme liefern dann aber nicht die Sonnenstrahlen, sondern der erste frisch gekochte Kaffee aus der Bialetti. Nachdem das Koffein unsere Venen geflutet und unsere Synapsen aktiviert hat, stopfen wir eilig unser Equipment in die Rucksäcke und verstauen den Rest am Bike. Die angefrorenen Displays unserer Bikes sind die letzten Spuren der kalten Nacht.

Im feinsten Vertrider-Style versetzen wir unzählige Male die Hinterräder, ehe der Weg weiter unten immer schneller und zunehmend flowiger wird. Bei der höheren Geschwindigkeit springt der mit nur einem Strap verzurrte Schlafsack am Lenker zwar immer mehr von links nach rechts, die Bikes selbst bleiben aber souverän auf Kurs und so absolvieren wir innerhalb kurzer Zeit die knapp 700 Tiefenmeter.

  Endlich wieder Wärme – der Trail und die Sonne heizen uns ordentlich ein!

Zurück im Tal gönnen wir uns einen Cappuccino und plaudern über die vergangenen Stunden und die vermutlich längste Nacht unseres Lebens. Hätten wir den Overnight-Trip im Sommer gemacht, wäre er zwar deutlich entspannter gewesen, am Rande unserer Komfortzone (und außerhalb der von Julians Schlafsack) bleibt er uns aber garantiert deutlich länger in Erinnerung.

Supported by SCOTT/Outdoor Research


Dieser Artikel ist aus ENDURO Ausgabe #032

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Text & Fotos: Übersetzung: Christoph Bayer, Julian Oswald