Halb sechs morgens, Nebel, Kälte – Traumwetter? Für Fotograf Felix Pilgram und seinen Kumpel Johannes Seehuber auf jeden Fall. Warum sich ihrer Meinung nach jegliche Schinderei für ein gutes Bild lohnt, lest ihr hier.

Tag-in-den-Bergen-4

„PEEP PEEP PEEP“ – das ist mein Lieblingsgeräusch. Ich suche wie eine blinde Kuh mein Handy: „Oh Gott, bitte, wo bist du?“, geht es mir durch den Kopf. „Ha!“, da ist es ja. Kurz sammle ich mich, es ist 5.30 Uhr, ich wurde soeben aus meinem so wohlverdienten Tiefschlaf gerissen. Es ist ein nebliger Samstagmorgen im idyllisch gelegenen Chiemgau, irgendwo am Chiemseeufer. Ich quäle mich aus dem Bett, schlurfe ab ins Bad und weiter in die Küche. Schnell noch einen Espresso gegen die Müdigkeit, eine Butterbrezel in den bereits gepackten Fotorucksack und raus! Bike packen, durch den dichten Nebel zur Straße vor und auf Johannes warten, der mich mit einem langen, leicht verzweifelten Gesicht anschaut.
„Na, biste fit?“, rufe ich ihm entgegen. Er schaut mich fragend an: „Ist nicht dein Ernst, es ist sauneblig.“ Ich lache. „Pack ma’s an, der Nebel ist perfekt!“

Tag-in-den-Bergen-5 Tag-in-den-Bergen-6

Eine Woche früher in meiner Wohnung in München: Der Schnee ist noch in weiter Ferne und ich träume von einem Sonnenaufgang über den Bergen, einem einsamen Trail, der sich durch goldene Laubbäume und zwischen grünen Tannen schlängelt. Die Sonne lässt das Tauwasser verdunsten und im Tal liegt schwer der Nebel. So etwa stellt sich wohl jeder den bayerischen Herbst vor: Je nach Einstellung natürlich mit Brezn, Bier und Weißwurst auf einer kleinen Alm mit Blick ins Tal. Dann mal auf die Suche, um den Traum Realität werden zu lassen! Ich frage meine Freunde, wer denn Interesse hätte, ein paar schöne Herbstbilder zu machen und erkläre kurz meine Idee: „Hey, wie wäre es denn, so schön mit Sonnenaufgang …?“ „Was, Sonnenaufgang? Da muss man ja um fünf Uhr aufstehen, das is nicht so cool!“ Und das war nicht nur die erste, sondern auch die häufigste Antwort, die ich erhielt. Nach ein paar „Hey, das wird super!“ und „Ach, so ein Wetter haben wir doch jeden Tag, da muss man nicht so früh aufstehen“, hatte ich endlich meinen Fahrer: Johannes. Und „oh Wunder“ – er meinte, er hätte den perfekten Trail für genau dieses Vorhaben. JACKPOT. Der Wetterbericht hatte für Samstag genau die Prognose, die ich mir erträumt hatte. JACKPOT Teil zwei. Und Johannes musste eine Vorlesung ausfallen lassen, wie tragisch – JACKPOT Teil drei.

Tag-in-den-Bergen-7 Tag-in-den-Bergen-8

„Meinst du nicht, dass der Nebel zu hoch ist und wir nicht drüber kommen?“, ist der erste Satz im Auto. Die Müdigkeit merkt man uns an und ich denke mir: „Hoffentlich hat er nicht Recht.“ Wir können keine 50 m weit sehen. Es geht vorbei am Chiemsee in Richtung Autobahn, da tut sich der Nebel ein bisschen auf und schon ist alles wie verzaubert. Die Berge vor uns sind in tiefes Blau gehüllt, dahinter ein goldgelber Schein und im Vordergrund ziehen die Nebelschwaden vorbei. Es sieht aus wie gemalt. „Da schau es dir an, wie ich gesagt habe!“, behaupte ich, als hätte ich nie nur einen Hauch von Zweifel gespürt.

Tag-in-den-Bergen-13

20 min später sind wir da: ein Parkplatz mitten in Grassau, der Nebel hat uns bereits wieder eingeholt. Wir machen unsere Bikes trotzdem startklar und los geht‘s. „Oh nein, was habe ich mir da nur angetan?“, geht es mir nach 200 Höhenmeter durch den Kopf. Den 20 kg schweren Fotorucksack noch mit extra Stativen zu beladen war nicht die schlauste Idee an diesem Tag. Aber jeder lernt ja aus seinen Fehlern. Johannes zieht kraftvoll den Berg hinauf, ich ein wenig wie eine Dampflok schnaufend hinterher. Nach ein paar Teerstraßenmetern geht es auf einem kleinen, wegen des Nebels sehr feuchten und glitschigen Waldweg weiter.

Tag-in-den-Bergen-11

Plötzlich wird es heller, der Dunst löst sich langsam auf und die ersten Sonnenstrahlen brechen durch die Nebelwand. Wir pausieren, lassen die Stimmung auf uns wirken und machen uns dann auf den Weg nach unten. Alle 5 m ändert sich das Licht, dichte Nebelschwaden ziehen an uns vorbei nach oben durch den Wald und lassen die Bäume düstere Schatten werfen. An anderer Stelle verzaubert uns eine goldene Herbstkulisse wie aus einem kitschigen Rosamunde-Pilcher-Film. Es fühlte sich an, als würde man sich gleichzeitig in „Jurassic Park“, „Herr der Ringe“ und einem prächtigen Dokumentarfilm aufhalten.

Tag-in-den-Bergen-14 Tag-in-den-Bergen-9

„Stopp!“, schreie ich immer wieder. Ich will diese einmalige Situation möglichst oft festhalten und so muss Johannes immer wieder schieben und pedalieren und wieder schieben, bis auch der letzte Lichtstrahl und der letzte Stein ihren Platz auf dem Sensor gefunden haben.

„Wenn es doch nur immer so wäre! Die Stimmung ist irre …“, sage ich. Johannes schaut mich an, nickt und grinst übers ganze Gesicht. Am Auto angekommen, welch Überraschung, hat uns der Nebel, dem wir jetzt schon zweimal entkommen sind, wieder eingeholt. Aber das ist uns jetzt egal. Wir haben, was wir wollten – die perfekten Bilder von einem perfekten Tag.

Text und Bilder: Felix Pilgram


Hat dir dieser Artikel gefallen? Dann würde es uns sehr freuen, wenn auch du uns als Supporter mit einem monatlichen Beitrag unterstützt. Als ENDURO-Supporter sicherst du dem hochwertigen Bike-Journalismus eine nachhaltige Zukunft und sorgst dafür, das die Mountainbike-Welt auch weiter ein kostenloses und unabhängiges Leitmedium hat. Jetzt Supporter werden!