San José – Costa Rica, 4 Uhr morgens. Ich liege hellwach im Barcelo-Hotel und kann kein Auge mehr zumachen. Gestern Nacht bin ich nach mehr als 20 Stunden mit einiger Verspätung in Costa Rica angekommen. In zwei Tagen werde ich bereits im tiefsten Dschungel sein und ein Enduro Stage Race fahren. Da kann man sich schon mal die Frage stellen: Warum?

Bis auf Ludo May kenne ich von den Fahrern bisher niemanden persönlich und es ist ein klein wenig wie der erste Schultag in einer komplett neuen Stadt: Bei der Fahrerbesprechung im Hotel merke ich recht schnell, dass die anderen hauptsächlich aus Kanada und den USA kommen und Grüppchen bilden – viele kennen sich wohl schon von anderen Rennen. Europäer sind recht wenige am Start, klar, die Reise ist auch deutlich teurer, länger und aufwendiger.

Einen Tag später sind wir auch schon im Dschungel und am Nachmittag steht die erste Stage an. Spätestens hier stelle ich mir wieder die Frage: Warum? Fremdes Land, ich bin noch keinen Meter Trail gefahren, Jetlag, dünne Höhenluft und das nächste Krankenhaus ist mindestens 3 Stunden entfernt. Ob das hier eine gute Idee war, sei mal dahingestellt. Viel Zeit zum Sinnieren bleibt nicht: cinco, cuatro, tres, dos, uno und los! Die erste Kurve kommt recht plötzlich und ich erwische nicht gerade die Ideallinie, aber egal, das gehört zum Blind Racing eben dazu. Drei Minuten später habe ich es geschafft und die erste Stage von Trans CR liegt hinter mir.

Zurück im Camp genieße ich erst mal eine eiskalte Dusche. Schon vorm Abendessen haben sich wieder die üblichen Verdächtigen feinsäuberlich auf die entsprechenden Grüppchen aufgeteilt und ich komme mir, ehrlich gesagt, etwas verloren vor. Immerhin renntechnisch lief es gut: Wenig später werden die Ergebnisse der ersten Stage vorgelesen, und nicht nur zu meiner Überraschung bin ich mit Ludo zeitgleich auf dem zweiten Platz gelandet. Ich versuche, mich bis 22 Uhr wachzuhalten, um gegen den Jetlag anzukämpfen. Um 5 Uhr bin ich aber wieder hellwach, die Sonne geht erst um 7 auf und die 8 Grad Außentemperatur tun ihr Übriges.

Heute bin ich schon etwas weniger aufgeregt, da ich gestern gut mit dem Gelände zurechtgekommen bin. Entsprechend motiviert gehe ich in die zweite Stage – die läuft allerdings nicht ganz nach Plan, denn wenig später nehme ich eine Bodenprobe. Ergebnis: trocken, staubig und feinkörnig. Den restlichen Tag nehme ich mich wieder etwas zurück und fahre sicherer, ohne Sturz. Meine miese Stage hat aber richtig viel Zeit gekostet und ich finde mich auf Platz 9 wieder. Ich hatte mir zwar vorgenommen, in erster Linie Spaß in Costa Rica zu haben, aber so ganz lässt mich mein Rennfahrer-Ehrgeiz doch nicht los.
Für die nächsten beiden Tage sind die längsten Stages angekündigt. Die sollen zwischen 8 und 12 min liegen. Nicht gerade mein Spezialgebiet, die Strecken in meiner Heimatstadt Stuttgart sind halt leider nur so max. 2 min lang. Costa Rica ist auch sonst ungefähr das genaue Gegenteil meiner Hometrails: megasteil, staubig und extrem eng. Das Blind Racing liegt mir aber, daher stelle ich mir die Frage nach dem Warum kaum mehr.

Ergebnis der Bodenprobe: trocken, staubig und feinkörnig

Am vorletzten Tag komme ich morgens kaum aus meinem Schlafsack raus, anscheinend war der Sturz doch heftiger und ich habe mir die Wirbelsäule und den Brustkorb geprellt. Aufgeben ist aber keine Option. Während der Stages bin ich so konzentriert und voller Adrenalin, dass ich von meinen Prellungen kaum was spüre. Mittlerweile habe ich mich auch richtig auf das Gelände eingeschossen, komme immer besser zurecht und liege auf Platz 7. Auch die anderen Fahrer sind mittlerweile etwas aufgeschlossener und es hängen nicht mehr die üblichen Verdächtigen zusammen. Die Stimmung ist gut und die Gemeinschaft fast schon eingeschworen.

Der letzte Renntag verlangt mit seinen zwei 12-Minuten-Stages noch mal alles von uns ab.

Aber jetzt locker aus der ganzen Chose rausrollen? Fehlanzeige! Der letzte Renntag verlangt mit seinen zwei 12-Minuten-Stages noch mal alles von uns ab. Wir fahren zwei Mal die gleiche Stage und beim ersten Mal fallen mir nach 6 min schon fast die Hände ab. Ich sehne mich nach einem kurzen Zwischenanstieg, um den Oberkörper zu entlasten, aber der kommt nicht. Hätte ich mal ein paar Liegestützen mehr im Winter gemacht! Im Ziel bin ich fix und fertig und langsam kriecht in mir wieder die Frage hoch: Warum? Doch auch jetzt gibt es keine Zeit zum Nachdenken, denn weil es gerade so wahnsinnig schön war: dasselbe gleich noch mal! Noch mal 12 min Schmerz! Immerhin kann ich es mir diesmal besser einteilen und mir fallen die Hände erst nach 8 min fast ab. Fortschritt. Im Ziel bin ich wieder fix und fertig. Es gibt aber eine Menge High-Fives mit Ludo, Kongo, Paul, den Helfern und vielen mehr. Das Glücksgefühl, wenn das Rennen geschafft ist und man an seinem Limit war oder darüber hinausgeschossen hat, kann man eben mit keinem Geld der Welt kaufen! Zusätzlicher Bonus: Ich habe es doch noch geschafft, mich auf den fünften Platz vorzukämpfen.

Am letzten Abend im Camp sitzen alle ein letztes Mal beim Essen zusammen und es bleibt naturgemäß nicht bei einem Bier. Die Stimmung ist ausgelassen und spätestens jetzt kann man die Frage nach dem Warum auch endgültig beantworten: wegen neuer Freunde und Bekanntschaften, Abenteuern, Ergebnissen, Erfahrungen und kurzum einfach einer mega guten Zeit, an die man sich auch in vielen Jahren noch gerne erinnert. Aufgeben? Keine Chance!


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Text & Fotos: Fabian Scholz