„Ich weiß nicht genau, wie ich hier gelandet bin – auf einem Feld in Schottland, an einem verschneiten Novembertag, mit nicht mehr am Leib als einer Lycra-Short und einem Jersey, das enger anliegt als eine Lackschicht. Meine Herzfrequenz liegt gefühlt bei mindestens einer Millionen und während ich meine Kurven durch den zähen Matsch ziehe wie ein Besoffener am Freitagabend, wird mir bewusst: Das Bike, das ich fahre, sieht schon sehr so aus, als wäre es für den Asphalt gebaut.
Wir konnten uns der Verlockung nicht widersetzen und so meldete sich unser UK-Redakteur Trev freiwillig für den Einsatz in der mysteriösen und exzentrischen Welt des schottischen Cyclocross-Racings. Herzlich willkommen also bei unserer neuen vierteiligen Serie, in der wir für euch herausfinden, worum es sich bei Cyclocross überhaupt handelt, was man dafür braucht und wie man das Maximum aus der Wintersaison rausholt.
Was zur Hölle ist Cyclocross?
Cyclocross ist vermutlich der beliebteste Sport, von dem ihr noch nie was gehört habt. Auf einer matschigen, von Zuschauern gesäumten Offroad-Strecke rumfahren, mit einem aufgepumpten Rennrad mit Stollenreifen, das klingt vielleicht verrückt … nein, es ist verrückt, völlig wahnsinnig sogar – aber es ist auch extrem populär. Cyclocross gehört in Europa und den USA zu den am schnellsten wachsenden Sportarten und hat von allen Wettkampf-Disziplinen die höchsten Teilnehmerzahlen. Der Sport explodiert gerade weltweit, sowohl auf Grassroots- wie auch auf internationaler Ebene. Es handelt sich dabei um eine eigenwillige Mischung aus Mountainbiken und Rennradfahren, und um eine ideale Winteraktivität für alle, die Bock auf Spaß haben und dabei sowohl ihr fahrerisches Können verbessern als auch ein super Cardiotraining absolvieren möchten.
Wo finde ich Cyclocross-Rennen?
Es gibt mittlerweile Tausende von Cyclocross-Events weltweit, von kleinen Clubrennen bis zu Weltcup-Events, die ein gigantisches Publikum anziehen. Traditionell wird ein Cyclocross in einem Park oder auf einem Spielfeld abgehalten, wodurch es für die Zuschauer leichter ist, die Action im Auge zu behalten. In der Tat ist man den Zuschauern so nah, dass einem das ganze Rennen lang jemand ins Ohr brüllt. Die Rennen dauern zwischen 40 min und 1 h, je nach eurer Kategorie. Euer Puls wird innerhalb kürzester Zeit von „nervös“ auf „tobsüchtig“ ansteigen und dort für die Dauer des Rennens bleiben, während ihr übrigens immer wieder munter vom Bike ab- und wieder aufspringen werdet. Nach einem ellenbogenlastigen Massenstartsprint ist das Tempo furios und bleibt es, bis der letzte Fahrer das Ziel erreicht hat. Die kurzen Rennstrecken sind mit Hindernissen ausgestattet, die euch dazu zwingen werden, vom Rad zu springen und zu rennen – steile Treppen, Hürden, Tore, alles ist möglich – und sie sind darauf ausgelegt, das Geschehen für die Zuschauer so wild und aufregend wie möglich zu gestalten. Die Rundenzahl ist egal, man fährt einfach so viele, wie man kann, bis die Stunde um ist. Und weil man ja Runden auf dem Kurs fährt, sind immer andere Fahrer da zum Racen, zum Crashen oder zum Lachen.
Woher kommt Cyclocross?
Cyclocross ist schon ein etwas schrulliger Sport, aber er entstand aus einem ganz bestimmten Grund: dem schlichten Verlangen, auch im Winter Rad zu fahren. Die ersten Rennen gab es in Europa um die Jahrhundertwende, als Leute zwecks Zeitvertreib und Unterhaltung im Winter begannen, um die Wette ins Nachbardorf zu fahren – über jede mögliche Strecke, durch Gräben, durch den Wald und über Feldwege, es gab keine Regeln! Absteigen und Laufen war erwünscht, das half auch, das Blut zurück in die kalten Zehen zu treiben. Oft war der Kirchturm der einzig sichtbare Orientierungspunkt und damit die Ziellinie. Nach und nach gewann der Sport an Zulauf und die Fahrer begannen, ihre Bikes umzubauen, mit mehr Reifenfreiheit und breiteren, aggressiveren Reifen. Das Cyclocross war geboren.
Wo ist Cyclocross populär?
Seit den Anfängen hat sich einiges geändert und die Bikes haben eine lange Entwicklung hinter sich, doch die Events verströmen noch immer denselben einladenden Spirit. Der Sport hat mittlerweile eine Menge Anhänger weltweit, auf regionaler, nationaler und internationaler Ebene, und es gibt Events, die bis zu 60.000 Zuschauer anlocken. Am größten ist Cyclocross in Belgien. Dort kennt jedes Kind die Namen der Champions und sie werden gefeiert wie Fußballer, Filmstars und andere Berühmtheiten. Es ist traditionell ein Sport für den Winter: Die Saison ist Oktober bis Januar, doch je beliebter die Events werden, desto länger wird sie … Aber so oder so, der richtige Zeitpunkt, es mal auszuprobieren, ist jetzt! Unter den wettkampforientierten Formen des Radsports gehört Cyclocross zu denen, die Neulinge am herzlichsten aufnehmen und trotz der Verbindungen zum Rennradfahren, die in den Lycra-Klamotten und den Lenkern zum Ausdruck kommen, bietet diese Disziplin auch für Mountainbiker immer Gelegenheit für einen super Tag im Freien. Sie fördert sowohl Fitness als auch technisches Können und macht obendrein auch noch riesig Spaß. Und weil die Startgebühren nur einen Bruchteil von denen eines Enduro-Rennens kosten, ist Cyclocross die perfekte Möglichkeit, sich den Winter über fit zu halten.
Was brauche ich?
Was die Klamotten angeht, reicht normales MTB-Zeug. Ihr werdet erstaunt sein, wie viel Hitze ihr generiert, wenn ihr eine Stunde ununterbrochen richtig hart arbeitet – wenn euch also an der Startlinie warm ist, werdet ihr euch, sobald es richtig zur Sache geht, fühlen wie der Reis im Kochbeutel. Ein Paar warme Neoprenhandschuhe wirken Wunder, wenn es kalt ist, und Beinlinge helfen euch, warm zu bleiben, während ihr auf den Start wartet. Ein Rad braucht ihr natürlich auch, aber wenn ihr mit Lokalrennen anfangt, reicht euer Mountainbike völlig aus. Wenn ihr dann mal angefixt seid (und das wird passieren), bietet euch der Markt eine große Auswahl an Cyclocross-Bikes für jeden Geldbeutel.
Seid auch beim nächsten Mal dabei, wenn Trev herausfindet, was ein gutes Cyclocross-Bike ausmacht und sich mit seinem knallgrünen Vitus Energie Pro auseinandersetzt. Wenn ihr den Gedanken an Cyclocross – oder überhaupt an jede Art von Spaß hinter einem Rennlenker – aufregend findet, dann checkt unbedingt das neue GRAN FONDO Magazine, das sehr bald erscheint!
Text & Bilder: Trev Worsey
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