Biken im Ruhrpott: Zwischen Industrie und Pommesbude

Fußball, Kohle, Bier und Pommesbuden – kaum eine Region in Deutschland ist von so vielen Klischees umgeben wie der Ruhrpott. Natürlich kommen einige dieser Klischees nicht von ungefähr. Fußball regiert den Samstagnachmittag, lokal gebrautes Bier wird nicht nur nach der Schicht getrunken und ja, man findet auch viele moralisch bedenkliche Ecken. Doch der historisch tief verankerte Industriemoloch ist Geschichte.

Heute verdrängen der strukturelle Wandel und neue, kreative Nutzungsmöglichkeiten die alten Bergbaustätten. Das klingt jetzt nicht so nach Bikerparadies? Falsch: „Tief im Westen, wo die Sonne verstaubt, ist es besser, viel besser, als man glaubt“ – Herbert Grönemeyer besingt Bochum, den Ausgangspunkt unserer Tour, als „Blume im Revier“, meint damit aber weder die Stadtschönheiten noch das Grubengold, sondern vielmehr die ungeschminkte, ehrliche Art der Bewohner. Denn die Menschen im Ruhrgebiet tragen das Herz auf der Zunge und reden vor allem eins: Klartext! Und genau aus diesem Grund ist es an der Zeit, dass auch wir endlich Klartext reden: Wer mit seinen Kumpels ein geiles Partywochenende mit fetten Trails, Bier und Pommes feiern will, fährt nicht in die Alpen, sondern in den Ruhrpott!

Nachdem Joe Breeze und Gary Fisher in den 70er-Jahren die Berge Kaliforniens auf ihren Stahlbikes unsicher gemacht haben, hat sich auch im Ruhrpott früh eine Mountainbike-Szene entwickelt. Man munkelt, die Großeltern hätten in weiser Vorausschau für ihre Mountainbike fahrenden Enkel kleine, schwarze Berge gebaut … Halden! Auf diesen gut einhundert Meter hohen Ruhrpotterhebungen aus dem Abraum der Kohlebergwerke haben sich im Laufe der Jahrzehnte unzählige Trails durch die Wälder des Ruhrtals gebohrt und sind zu einem riesigen und vielseitigen Spielplatz für Trailbiker zusammengewachsen.

Doch bevor es auf die Trails geht, fahren wir noch kurz bei Freunden vorbei. Im Ruhrpott leben über fünf Millionen, zum Teil schräge und völlig verschiedene Menschen auf einem Haufen. Dementsprechend gibt es eine Menge Meinungsverschiedenheiten, aber eben auch einen einzigartigen und ehrlichen regionalen Zusammenhalt. Der harte Überlebenskampf der Bergarbeiter in der Geschichte des Ruhrpotts prägt nach wie vor das Miteinander der Menschen in dieser Region. Poser haben es schwer, denn den Pelz – so sagt ein regionales Sprichwort – trägt man hier nach innen.

Okay, es gibt natürlich immer Ausnahmen. In manchen Milieus gehört so ein Pelzmantel einfach zum guten Ton. Und wenn es um das Organisieren von Partys, schnellen Autos oder einer fetten Location geht, ist eine gute Vernetzung wichtig. Kurz gesagt: Der Abend steht!

#Trailparty – Entlang der Ruhr gelangen wir von Bochum nach Witten. Bereits Ende der 90er-Jahre waren die Halden von Witten der Austragungsort vieler illegaler Downhill-Rennen und haben sich mittlerweile zu einem wahren Trailparadies entwickelt. Allein die Namen der Trails wie Moonwalk, Pauls Welt oder Grüner Grat zeigen, dass hier nicht nur Fußball, sondern auch Mountainbiken mit Herz und Leidenschaft gelebt wird. Hier fährt man nicht minutenlang durch atemberaubendes Alpenpanorama, sondern ballert mit einem fetten Grinsen unterschiedlichste und frische Trails entlang. Es geht um das Wesentliche: Leidenschaft, Fahrspaß und eine gute Zeit mit den Kumpels! Und wer den Transfer abkürzen will, überquert die Ruhr kurzerhand gegen einen freiwilligen Euro mit der Fähre und gönnt sich an der Uferkneipe ein schnelles Bier.

Beim Thema Getränkepause muss man sich ohnehin mit einem wichtigen Kulturgut des Ruhrpotts befassen. Was für einen Großteil der Menschen nur als Kiosk bekannt ist, firmiert im Pott unter der Bezeichnung „Bude“. Häufig sind sie nur zwei Quadratmeter groß, bieten aber alles, was man für die Trailrunde oder sonst im Leben braucht. Und zwar an jeder Ecke! Kühle Getränke, frischen Kaffee, belegte Brötchen, Zeitschriften, Kosmetikartikel, bunte Tüten mit Süßigkeiten und oftmals auch alles für den Grillabend. Also Getränkevorrat auffüllen und weiter geht’s …

Über die Jahre wurden viele industriekulturelle Sehenswürdigkeiten durch Radwege auf alten Bahntrassen miteinander vernetzt. Wer also Bock hat, an seiner historischen Bildung zu arbeiten, macht am besten einen kurzen Abstecher zu einem UNESCO-Welterbe: dem Zeche Zollverein in Essen. Das gesamte Industriegelände lässt sich mit dem Mountainbike erkunden und mit ein bisschen Kreativität kann man Industriekultur und sportlichen Anspruch hervorragend kombinieren.

Snackpause während unserer Entdeckungstour durchs Ruhrgebiet. Dabei treffen wir zwangsläufig auf ein weiteres Kulturgut, die Pommesbude. Denn während in den meisten deutschen Städten ein veganes Biorestaurant nach dem anderen eröffnet, isst man im Pott seit Generationen vor allem eins: Currywurst mit Pommes! Herbert Grönemeyer widmet diesem kulinarischen Highlight einen ganzen Song und singt: „Biste richtig down, brauchste wat zu kaun, ´ne Currywurst!“ Und genau nach diesem Motto wird die Currywurst hier auch vernichtet. Egal ob morgens, mittags, während der Trailrunde oder nachts, Pommes mit Currywurst gibt’s immer und das geht immer. „Lasset Dir schmecken!“

Die Tour neigt sich dem Ende. Pünktlich zur Abenddämmerung heißt es „back to roots“: Schmutzige, schwarze, mit Händen aufgeschüttete Trails heizen und dabei den Sonnenuntergang vor einzigartiger Industrie- und Autobahnkulisse mitnehmen? Das geht nur im Ruhrpott. Da tauchen sie wieder auf, die Ruhrpotterhebungen, Halden shredden vom Allerfeinsten! Wer den Sonnenuntergang etwas romantischer und naturnaher verbringen möchte, fräst einen der vielen Trails zur Ruhr runter, ploppt ein kühles Fiege auf und lässt sich von Mücken zerstechen. Cheers!

Der Tag ist zu Ende – fast. Da war doch noch was! Wir erinnern uns kurz an unseren pelzigen Freund, die Nacht hält noch einiges für uns bereit: Pommes mit Currywurst, Bier und viele bunte Geschichten.
„Mein lieber Scholli, is dat gut hier!“

Empfehlungen:

Übernachtung: Art Hotel Tucholsky Bochum (mitten im Ausgehviertel Bochums, bestes Frühstück und hervorragender Kaffee)
Pommesbude: Bratwursthaus im Ausgehviertel Bochums (Bermuda-Dreieck), Kultbude, Vorbild für den Song „Currywurst“ von Grönemeyer und eigentlich rund um die Uhr auf. Alternativ eine der vielen schangeligen Pottbuden.
Trails: alles rund um Witten ist ein Traum!
Halden: Hoppenbruch in Herten (Ruhrpottbikepark), Halde Haniel
Bier: Fiege Pils aus Bochum (lässt sich auch gut mit einer Brauereibesichtigung kombinieren)

Text: Stefan Kudella Bilder: Paul Masukowitz

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