Nachdem es um fünf aus dem Schlaf gerissen worden war, begann mein Hirn langsam wieder zu funktionieren. Ich stand in der ersten Reihe einer Menge von Radfahrern und spürte die Nervosität der 2.000 Fahrer hinter mir. Nein, das hier war nicht die Megavalanche – sie konnte es nicht sein, denn ich hatte Sachen an, die aussahen wie Unterwäsche, trug Disco-Slipper an den Füßen, meine Beine fühlten sich glatt und seidenweich an und der Schild an meinem Helm war weg. War ich zur dunklen Seite der Macht übergelaufen und Rennradfahrer geworden?

Wurde ich von allen guten Geistern verlassen ?
Wurde ich von allen guten Geistern verlassen?

In der Sekunde, in der der Plan formuliert wurde, dass ich das 120 km lange Tesco Bank Tour o’the Borders Gran Fondo fahren würde, war eine Frage in aller Munde: „Rasierst du dir dann die Beine?“ Erst dachte ich: „Niemals!“ Doch dann recherchierte ich das genauer. Eine Studie kam zu dem Ergebnis, dass einem rasierte Beine im Schnitt 70 s auf 40 km sparen können und da ich 120 km fahren würde, bedeutete die Entfernung meines guten alten Beinhaars, dass ich 210 s weniger hart arbeiten müssen würde, das sind dreieinhalb geschenkte Minuten! „Naja, wer A sagt, muss auch B sagen“, dachte ich mir. Dieselbe Studie ergab, dass die Entfernung von Gesichtsbehaarung keinen signifikanten Einfluss habe. Puh … der Bart konnte bleiben. Nach einer halben Stunde sehr femininen Verhaltens waren meine Beine seidenglatt und ich machte mich auf die Suche nach dem stärksten Whisky, den ich finden konnte, um mir ins Gedächtnis zu rufen, dass ich noch immer ein echter Kerl war.

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Für 210 geschenkte Sekunden rasiert man sich doch (gerne) die Beine...
Für 210 geschenkte Sekunden rasiert man sich doch (gerne) die Beine…

Das nächste Problem war die Distanz. Es war ein recht stressiges Jahr gewesen und ich hatte nicht trainiert – es würde sogar meine erste Tour auf der Straße sein! 120 km klangen lang, eigentlich sogar sehr, sehr lang. Wie auch immer, mein Name stand auf der Liste, da würde ich jetzt nicht mehr rauskommen. Zu meinen aerodynamischen Beinen brauchte ich auch passende eng anliegende Klamotten. Nun war ich noch nie ein richtiger Lycra-Typ und habe auch schon viel zu viele MAMILs (middle-aged men in lycra) gesehen, die ihre üppigen Körper in eine komplette Team-Sky-Montur quetschen – schön anzusehen ist das nicht! Es musste doch coolere Alternativen geben? Glücklicherweise fielen mir da die neuen Glengoyne-Whisky-Klamotten von Endura ins Auge. Ich liebe Whisky und Whisky ist männlich, also her damit! Ich würde außerdem ein sexy Whyte Stowe Ultegra Vollcarbon-Rennrad fahren. Als Mountainbiker kam mir vieles daran bekannt vor: Die hydraulischen Scheibenbremsen, der 11fach-Antrieb, der Vollcarbon-Rahmen und die Vollcarbon-Laufräder waren mir direkt vertraut. Das unglaubliche Gewicht dagegen, das war was anderes. Nun sah ich aus wie ein Roadie – es war Zeit, raus auf die Straße zu gehen.

Nun ist es Zeit, auf die Straße zu gehen.
Nun ist es Zeit, auf die Straße zu gehen.

Zurück zur Startlinie: Ich begann über meine Strategie nachzudenken, ich wusste, dass mein Treibstoff knapp war und so wiederholte ich in meinem Kopf gebetsmühlenartig: „Kräfte einteilen, Kräfte einteilen, Kräfte einteilen!“ Doch weit gefehlt! In der Sekunde, in der das Band sich hob, löste sich mein Vorsatz in Luft auf. Kräfte einteilen? Scheiß doch drauf, tritt rein, so schnell du kannst! Aus irgendeinem Grund startete ich wie von der Tarantel gestochen, fuhr mit der Führungsgruppe an der Spitze. Ich fand mich in der Mitte des Peloton wieder. Es war eine Kreatur mit einem Eigenleben, es passierten eine Menge Dinge, Geschwindigkeitschecks, Signale, Anweisungen und ich verstand nichts davon. Ich war ein Tourist, aber es war toll! Der Typ vor mir wedelte mit der Hand hinter seinem Arsch hin und her und ich war nah dran, ihn darauf hinzuweisen dass er bitte woanders pupsen solle, da wurde mir klar, dass er Schlaglöcher anzeigte, aha! Das Tempo zog wieder an und ich versuchte nicht länger, das Ganze zu verstehen, sondern konzentrierte mich ganz darauf, nicht der Auslöser einer Massenkarambolage mit 20 Rädern zu werden.

Anfänglich noch etwas verwirrt im Peloton, startete ich bald durch !
Anfänglich noch etwas verwirrt im Peloton, startete ich bald durch!

Während wir als Gruppe durch die wunderbare Landschaft des schottischen Grenzgebiets zogen, wurde immer deutlicher, dass ich meine „Kräfte einteilen“-Taktik nun endgültig über Bord geworfen hatte. Einmal fand ich mich an der Spitze einer großen Gruppe wieder und wir flogen nur so dahin. Meine Beine rotierten und ich raste mit 45 km/h in der Ebene, mit 60 km noch vor mir, was zur Hölle tat ich da? Der berüchtigte Wall of Talla-Anstieg baute sich vor uns auf, wir erreichten ihn gemeinsam, schalteten uns nach unten durch die Gänge. Ich erinnere mich, wie überrascht ich war, als sie abrupt aufhörten – anscheinend gibt es an Rennrädern keine esstellergroßen 44er-Kettenblätter. Die 20-prozentige Steigung war brutal und ich hätte fast die Lager meiner Pedale vor lauter Power zerstört. Ich überlegte zwischendurch, ob sich Whyte vielleicht einen grausamen Spaß mit mir erlaubt und die bequemen Gänge entfernt hatte, aber es stellte sich heraus, dass es sich hier um die ganz normale Semi-Compact-Schaltung des Rads handelte – Rennradfahrer sind wohl aus härterem Holz geschnitzt.

Rennradfahrer sind anscheinend aus härterem Holz geschnitzt !
Rennradfahrer sind anscheinend aus härterem Holz geschnitzt!

Als wir auf Gegenwind trafen, wurde mir die erste Regel des Straßenrennfahrens so richtig bewusst: Windschattenfahren ist alles! Wenn man direkt an jemandem dranklebt – und damit meine ich: Millimeter von seinem Hinterrad entfernt – dann fühlt sich das an, als ob einen eine unsichtbare Kraft nach vorne zieht. Du bekommst eine Freifahrt geschenkt, ermöglicht durch den Fahrer, der sich vor dir quält. Die Kameradschaft verlangt, dass alle gleich viel Zeit vorne verbringen, bevor sie sich hinten im Schutz der Gruppe erholen dürfen. Der Wettkampf dagegen verlangt, dass man versucht, so wenig wie möglich zu machen. Ich war nun seit über 70 km in der Spitzengruppe dabei und leistete gelegentlich auch meinen Beitrag, und die Gruppe begann sich auszudünnen. Nun befand ich mich in ihrem hinteren Teil und tat mich zunehmend schwerer, das Tempo zu halten. Ich spürte den beginnenden Hungerast – noch so ein Begriff aus dem Straßenrennsport, genauso unschön, wie es sich anhört. In diesen Momenten ist der Abstand zwischen dir und dem Fahrer vor dir alles. Wenn du auch nur einen Meter zurückfällst, schnappt dich der Wind mit seinen starken Fingern und zieht dich mir nichts, dir nichts aus der Gruppe, und dann musst du alleine kämpfen. Alarmiert stellte ich fest, dass genau das mit mir passierte. Quälend langsam wurde ich aus der Sicherheit der Gruppe gesogen. Ich gab alles, aber es fühlte sich an, als würde ich in Zeitlupe treten. Ich war zu weit abgetrieben und das Peloton hatte mich ausgespuckt. Nun konnte ich nur noch zusehen, wie es davonraste.

Raus aus dem Peloton, rein in die Qual...
Raus aus dem Peloton, rein in die Qual…

Nach dem Wahnsinn in der Gruppe, noch 50 km vom Ziel entfernt, fiel meine Geschwindigkeit dramatisch ab und ich begann, mehr von der Landschaft wahrzunehmen. Das Tweed Valley ist einfach ein fantastischer Ort. Die gesamten 120 km wurden auf gesperrten Straßen gefahren, sodass man in den Genuss kam, in nicht einsehbaren Kurven die Ideallinie zu nehmen, ohne Angst, als irgendjemandes Kühlerfigur zu enden. Gran Fondos sind im Straßenrennsport das Äquivalent zu Enduro-Rennen, auch wenn sie technisch gesehen keine Rennen sind. Sie sind offen für alle, aber sie bieten genug Konkurrenz an der Spitze, um auch für gute Fahrer interessant zu sein. Ich sauste an Lochs vorbei, die so klar waren wie Gin, das Rad surrte sanft über den glatten Asphalt, und ich begann, mich ins Rennradfahren zu verlieben – es ist einfach eine großartige Möglichkeit, die Gegend zu entdecken. Andere Fahrer kamen und gingen, wir quatschten kurz und dann ging die Reise weiter, es machte sehr viel Spaß. Meine albernen High-Speed-Ambitionen in den ersten Stunden führten dazu, dass ich die letzte Stunde in einem Fegefeuer der Krämpfe verbringen musste, aber ich war überglücklich, als ich nach knapp unter vier Stunden über die Ziellinie rollte – noch nie hat das Bier danach so gut geschmeckt!

Sobald ich begann, die Landschaft zu genießen, verliebte ich mich neu !
Sobald ich begann, die Landschaft zu genießen, verliebte ich mich neu!

Mein Beinhaar wächst wieder und ich blicke zurück auf meinen Ausflug in den Straßenrennsport. Ich würde immer noch nicht in Lycra-Klamotten einen Pub betreten und diese Schuhe zwingen einen wirklich, zu watscheln wie ein Pinguin, aber es hat viel mehr Spaß gemacht, als ich gedacht hätte. Wenn irgendwo bei euch in der Nähe ein Gran Fondo stattfindet, meldet euch an! Go full roadie und wer weiß, vielleicht gefällt es euch sogar.

Ausrüstung

Bei Gran Fondos geht es vor allem um Spaß und ihr müsst bei eurem ersten Event nicht gleich mit Profi-Equipment an den Start gehen. Um aber maximalen Spaß zu haben und es wirklich zu genießen, braucht ihr schon die richtige Ausrüstung.

Das Bike

Trev entschied sich für ein Whyte Stowe Ultegra.
Trev entschied sich für ein Whyte Stowe Ultegra.

Moderne Straßenräder haben technisch einiges gemeinsam mit Mountainbikes. Carbonrahmen und -Laufräder sowie hydraulische Scheibenbremsen sind mittlerweile weit verbreitet und der Fahrkomfort hat sich immens verbessert. Wenn ihr mit einem Rennrad auf dem glatten Asphalt so richtig abgeht, werdet ihr euch fühlen wie ein Geschwindigkeitsgott.

Trev hat sich für ein Vollcarbon Whyte Stowe mit Carbon-Laufrädern und einer Ultegra-Antriebsgruppe entschieden. Preis: ca. 4.499 €. Mehr Infos auf deren Website.

Kleidung

Das Whisky-Jersey hat einfach Stil...
Das Whisky-Jersey hat einfach Stil…

Natürlich könnt ihr auch Baggy Shorts tragen, aber falls ihr in die Verlegenheit kommt, alleine im Gegenwind zu kämpfen, dann werdet ihr den flatternden Stoff, der euch bremst, verfluchen. Auf der Straße regiert Lycra – ihr werdet euch zwar am Anfang fühlen, als ob ihr in Unterwäsche fahrt, aber dann werdet ihr das geschmeidige, aerodynamische Gefühl lieben lernen.

Da er zu der Sorte Fahrer gehört, die eine Tour gerne mit einem Pint abschließen, war es Trev eine Freude, das brandneue Glengoyne Whisky Jersey für 69,99 € zu tragen sowie die superbequemen FS260-Pro Bibshorts II für 139,99 €, die FS260-Pro Aerogel Mitts für 34,99 € und die Shark-Brille für 44,99 €. Mehr Infos auf der Seite von Endura.

GPS

Trev hat sein eigenes altgedientes Garmin Edge 500 genutzt.
Trev hat sein eigenes altgedientes Garmin Edge 500 genutzt.

Egal ob es euch um eure Wattleistung oder um die Trittfrequenz geht, ihr ganz nerdig eure Herzfrequenz beobachten wollt oder auch einfach herausfinden, wie weit es noch zum nächsten Versorgungsposten ist – ein GPS hält euch während des Gran Fondo mit allen wichtigen Infos auf dem Laufenden.

Der Helm

Aerodynamik und Belüftung sollten im Vordergrund stehen.
Aerodynamik und Belüftung sollten im Vordergrund stehen.

In der Mountainbikewelt werdet ihr ausgelacht, wenn ihr ohne Schild auf dem Helm unterwegs seid, aber auf der Straße hindert es euch bloß. Hier seid ihr gut beraten, auf etwas Stromlinienförmigeres mit maximaler Belüftung zu setzen, damit ihr es bei langen Anstiegen einigermaßen kühl habt.

Trev hat einen Endura Airshell für 129,99 € getragen. Mehr Infos bei ENDURA.

Pedale

Mit dedizierten Rennrad-Klicks hat man am meisten Spaß.
Mit dedizierten Rennrad Pedalen hat man am meisten Spaß.

Bei einem Gran Fondo könnt ihr ganz normale SPD- oder Plattformpedale verwenden, aber wenn ihr das Maximum an Spaß und Leistung aus eurem Bike rausholen wollt, braucht ihr richtige Rennradpedale mit größeren Cleats. Damit habt ihr eine festere Verbindung zum Rad, leider sie sind nicht kompatibel mit Mountainbikeschuhen.

Trev hat sich für robuste und leichte Shimano 105-Pedale für 109,99 € entschieden. Mehr Infos auf der Shimano-Webseite.

Rasierer

Trev ist aufs Ganze gegangen und hat einen Rasierer der Marke Wilkinson damit betraut, den Luftstrom um seine Beine zu optimieren.
Trev ist aufs Ganze gegangen und hat einen Rasierer der Marke Wilkinson damit betraut, den Luftstrom um seine Beine zu optimieren.

Rasieren oder Nichtrasieren, das ist hier die Frage. Es ist erwiesen, dass die Rasur der Beine einen kleinen aerodynamischen Vorteil bringt. Aber sie ist nicht allgegenwärtig bei Gran Fondos, jedenfalls nicht bei den Männern. In der Sache ist das letzte Wort noch nicht gesprochen, wir finden jedenfalls: Lycra und haarige Beine gehen gar nicht zusammen!

Rennradschuhe

Steife Sohle und starke Optik.
Steife Sohle und starke Optik.

Rennradschuhe haben viel steifere Sohlen als Mountainbikeschuhe und helfen dadurch, jedes Watt von euren Beinen auf die Pedale zu bringen. Sobald ihr absteigt, geht ihr wie ein Pinguin, aber die Power ist phänomenal.

Trev hat wegen ihrer auffallenden Optik, maximalen Leistung und ihrem Komfort Shimano R171-Schuhe gewählt, Preis: 199,95 €. Mehr Infos auf der Shimano-Webseite.

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Text & Bilder: Trevor Worsey


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