Wie schlägt sich die Shapeshifter-Technologie in der Praxis? Ist das Strive CF ein reinrassiges Racebike oder kann es mehr?
Wie schlägt sich die Shapeshifter-Technologie in der Praxis? Ist das Strive CF ein reinrassiges Racebike oder kann es mehr? Foto: Jérémy Reullier.

Nachdem wir euch bereits das brandneue Canyon Strive CF mit der cleveren Shapeshifter-Technologie vorgestellt hatten, stellte sich nur eine Frage: Kann Canyon das selbstbewusste Versprechen mit dem Strive CF ein Bike geschaffen zu haben, das klettert wie ein XC-Bike und bergab fährt wie ein DH-Bike, tatsächlich halten? Um das herauszufinden fuhren wir ins Elsass, um das 4.299 Euro teure Strive CF 9.0 Race auf den Hometrails von Enduro-Größen wie Jerome Clementz oder Nico Lau einem ersten Härtetest zu unterziehen.

Wir hatten bereits die exklusive Gelegenheit, das Strive CF während des Pressecamps im Elsass ausgiebig zu testen.
Die Testbikes – ready to rumble! Foto: Jérémy Reullier.

Bevor es auf die Trails gehen konnte, vollzogen wir ein erstes Setup, bei dem es ein paar Besonderheiten zu beachten gilt. Da die Shapeshifter-Technologie Dämpfer-unabhängig funktioniert, muss man sich vor Einstellen des SAGs die Frage stellen, auf welchen Modus man das Hinterbau-Setup optimieren will. Stellt man den SAG im DH-Modus mit circa 25-30% ein, so ergibt sich aufgrund des veränderten Übersetzungsverhältnisses beim Switch in den XC-Modus ein SAG von circa 15%. Wir entschieden uns natürlich für die Optimierung der Hinterbauabstimmung auf den DH-Modus.

Der Shapeshifter im DH-Modus.
Der Shapeshifter im DH-Modus.

Denn sowohl für Enduro-Racing wie für normales “Trailgeballer” wünscht man sich die richtigen Reserven bzw. optimale Performance im DH-Modus, wobei ein eher strafferer XC-Modus für kurze steile Anstiege ebenso sinnvoll ist. Lediglich für lange Touren (z.B. in den Alpen), die kaum durch technisches Gelände führen oder überwiegend bergauf führen, könnte man in Erwägung ziehen, die SAG-Einstellung im XC-Modus durchzuführen, wenn einem für diese Art der Touren die 130 mm an Federweg genügen.

SAG-Einstellung des Hinterbaus im DH-Modus.
SAG-Einstellung des Hinterbaus im DH-Modus vollendet: 225 PSI bei rund 80 Kilogramm Fahrergewicht im RockShox Monarch Plus DebonAir.
Im Shapeshifter befinden sich rund 250 PSI. Über die Variation des Luftdrucks kann man hier einstellen, ob das System leichter in den XC-Modus oder den DH-Modus wechselt. Bei mehr Luftdruck kommt man besser vom DH-Modus in den XC-Modus.
Über die Variation des Luftdrucks im Shapeshifter kann man hier einstellen, ob das System leichter in den XC-Modus oder den DH-Modus wechselt. Bei mehr Luftdruck kommt man besser vom DH-Modus in den XC-Modus.

Nachdem wir das Setup vollendet hatten, gab es noch eine kurze Erklärung zum Wechsel von XC- und DH-Modus, da es hierfür eines aktiven Körpereinsatzes des Fahrers bedarf. Denn beim Betätigen des Lenkerhebels wird lediglich das System geöffnet und der Modus-Wechsel möglich. Der tatsächliche Modus-Wechsel muss durch aktive Gewichtsverlagerung des Fahrers bewirkt werden. Es folgt die Erklärung durch Canyon:

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Die Bewegungsabläufe des Modus-Shift.

“Allgemeinhin wird die Tatsache, dass ein einspuriges Fahrzeug einen relativ hohen Schwerpunkt im Verhältnis zum Radstand hat eher als nachteilig gesehen.
Beim Mountainbike ist dieses Verhältnis extrem, da der Fahrer die Hauptmasse bildet und oben auf sitzt. Kleine Bewegungen des Bikers führen dadurch direkt zu Veränderungen der Radaufstandskräfte. Dieser vermeintliche Nachteil wird beim Shapeshifter System als Vorteil genutzt!”

Shift in den DH-Modus

Der Fahrer hält den Remote gedrückt. Durch eine Gleichgewichtsverlagerung nach hinten und einen leichten Impuls, bewegt der Fahrer das System in eine Abfahrtsposition. Das Bike verwandelt sich förmlich in ein Mini DH Bike.

Shift in den XC-Modus

Die im System somit gespeicherte Energie wird wieder frei, sobald der Fahrer wieder den Remote betätigt während er sein Gewicht leicht nach vorne verlagert. Das System hilft dem Fahrer wieder eine höhere Position einzunehmen und Bike ist sofort bereit für Sprinteinlagen, welliges und ansteigendes Gelände.

Foto: Jérémy Reullier.
Foto: Jérémy Reullier.

Mit diesem Wissen ausgestattet und nach ein paar “Trockenübungen” auf dem Parkplatz konnte es endlich auf die Trails gehen. Fakt ist, auf dem Parkplatz bedurfte es mehreren Anläufen, um den Shift von DH- zu XC-Modus zu vollziehen. Deshalb erhöhten wir den Druck in der Gasfeder, damit diese beim Wechsel von DH- in den XC-Modus besser unterstützt.

Die Fahreigenschaften

Ein Blick auf die Geometrie-Tabelle bestätigt den Eindruck in der Realität: Das Strive CF 9.0 Race fällt in Größe M ungewöhnlich groß aus (Körpergröße des Testfahrers 185 cm). Das 629 mm lange Oberrohr und der 1188 mm lange Radstand lassen Downhill-Bike-Gefühle aufkommen – race ready eben! Die Sitzposition fällt sehr zentral aus, sodass man sich gut im Rad integriert fühlt.

Im Uphill begeistert das mit Pedalen etwas über 13 Kilogramm leichte Carbon-Bike mit einer Vortriebs-starken Sitzposition. Selbst steile Anstiege meistert das Bike ohne, dass das Vorderrad steigt oder kippelig wird. Dies ist unter anderem auf den 67,5° steilen Lenkwinkel, sowie den 75° steilen Sitzwinkel zurückzuführen. Lässt man die Druckstufeneinstellung des RockShox Monarch Plus DebonAir offen, so klettert das Strive mit minimalem Wippen – für uns absolut akzeptabel. Nur auf langen Forststraßen oder wirklich steilen Anstiegen sollte man den 3-stufigen Druckstufen-Hebel am Dämpfer in die mittlere Position legen.

Foto: Markus Greber.
Foto: Markus Greber.

Am Traileinstieg angekommen, heißt es: Teleskopsattelstütze versenken, Gänge am SRAM X01-Antrieb hochschalten und schließlich den Shapeshifter drücken und das Gewicht nach hinten verlagern – der DH-Modus ist nun aktiviert.

Bergab gibt sich das Strive CF mit seinem langen Radstand sehr stabil und spurtreu. Auf schnellen harten oder steilen Strecken vermittelt es dank der hohen Front in Kombination mit dem 40 mm kurzen Vorbau sehr viel Sicherheit. In wirklich engen Sektionen bedarf es etwas Nachdruck, um das lange Bike um enge Kurven zu drücken. Nichtsdestotrotz lässt das Canyon eine sehr aktive und aggressive Fahrweise zu. So geht es nicht zuletzt aufgrund der 423 mm kurzen Kettenstreben auch willig aufs Hinterrad und behält sich eine gute Agilität. Die Gewichtsverteilung auf dem Bike ist sehr ausgeglichen, das Fahrverhalten stets berechenbar. Der 66° flache Lenkwinkel bringt eine ruhige Front, ohne dass er in langsamen oder weniger steilen Trailsektionen zu extrem wäre.

Dennoch ist schnell klar: Das Strive CF 9.0 Race lechzt nach anspruchsvollem Gelände mit Highspeed-Passagen, die es unglaublich souverän meistert.

Foto: Markus Greber.
Foto: Markus Greber.

Die feinfühligen 160 mm Federweg des DH-Modus liegen sehr satt auf dem Trail und geben sich sehr absorptionsfreudig. Eine effektive aber sanfte Endprogression sorgt dafür, dass man den vollen Federweg ausnutzt und sich das Fahrwerk in rauem Gelände sehr potent anfühlt. Die gute Nachricht für Racer: im mittleren Federwegsbereich ist der Hinterbau sehr definiert, sackt so gut wie nicht weg, was einerseits gutes Feedback vom Untergrund liefert, andererseits bei aktiver Fahrweise oder bei Absprüngen für hohe Präzision und Berechenbarkeit sorgt. Mit dem Strive CF erlebt man keine Überraschungen!

Die Ausstattung ist sehr durchdacht und gibt keinen Grund für Beanstandungen. Lediglich wäre eine Teleskopsatteltstütze mit 150 mm für mehr Bewegungsfreiheit wünschenswert, leider ist die RockShox Reverb Stealth im 30,9-Maß nicht als 150 mm Version verfügbar.

Für Racer lautet die spannende Frage, wie das Shapeshifter-System on-the-fly auf dem Trail bzw. in einer Stage funktioniert. Generell lässt sich sagen, dass man den Switch durch ein merkliches Klicken spürt, sobald der Modus gewechselt wurde. Die Modi-Wechsel gelingen gut, bedürfen jedoch etwas Eingewöhnungszeit, bis man den Bewegungsablauf tatsächlich verinnerlicht hat. Schließlich muss man den perfekten Moment erwischen, wenn die Gasfeder ausgefahren bzw. komprimiert ist.

Das Strive CF 9.0 mit Race-Geometrie. Die Regular-Geometrie wird für normale Touren vollkommen ausreichen.
Das Strive CF 9.0 mit Race-Geometrie. Die Regular-Geometrie wird für normale Touren vollkommen ausreichen. Foto: Markus Greber.

Fazit: Mit dem Strive CF 9.9 Race bringt Canyon ein extrem interessantes wie (preis-)aggressives Bike auf den Markt, das mit exzellenter Performance, geringem Gewicht und großer Variabilität punktet. Die Shapeshifter-Technologie als Dämpfer-unabhängiges System bietet einige klare Vorteile gegenüber anderen Fahrwerks- oder Geometrieverstellungs-Technologien, da auf einen Klick die gesamte Bike-Charakteristik verändert werden kann. Auch wenn das sehr komplexe System auf maximale Benutzerfreundlichkeit hin optimiert wurde, bedarf es dennoch guter Körperkoordination und einer gewissen Eingewöhnungszeit, bis man den Bewegungsablauf verinnerlicht hat.

Ist man nicht auf Sekundenjagd oder nicht allzu häufig in extremem Gelände unterwegs sollte man definitiv die “Regular” Geometrie des Strive CF ausprobieren! Mehr Informationen unter www.canyon.com

Text & Fotos: Robin Schmitt


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Über den Autor

Robin Schmitt

Robin ist einer der zwei Verlagsgründer und Visionär mit Macher-Genen. Während er jetzt – im strammen Arbeitsalltag – jede freie Sekunde auf dem Bike genießt, war er früher bei Enduro-Rennen und ein paar Downhill-Weltcups erfolgreich auf Sekundenjagd. Nebenbei praktiziert er Kung-Fu und Zen-Meditation, spielt Cello oder mit seinem Hund (der eigentlich seiner Freundin gehört!), bereist fremde Länder und testet noch immer zahlreiche Bikes selbst. Progressive Ideen, neue Projekte und große Herausforderungen – Robin liebt es, Potenziale zu entdecken und Trends auf den Grund zu gehen.