Welche Gründe gibt es, einen Porsche zu hassen? Weil er teuer ist? Weil er uns gefährlich schnell macht? Weil er mit seiner aufwendigen Technik unsere Fahrdynamik verbessert?

Menschen hatten schon immer das Bestreben, sich Maschinen zu bauen, die sie schneller, besser und sicherer machen – egal ob durch Gewichtstuning, Innovationen oder clevere Detaillösungen. Und genau einen solchen Meilenstein hat die Mountainbike-Industrie gerade erreicht: Die Rede ist von Plus-Reifen.

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Neue Dimensionen, neue Maßstäbe und Empörung

Das SCOTT Genius Plus 2016 läutet eine neue Ära von Trailbikes ein. Natürlich ist es verständlich, dass viele Biker, Händler und vielleicht auch der eine oder andere Hersteller verärgert, verwirrt oder empört sind. Die Bike-Industrie ist schnelllebig und kommt andauernd mit neuen Trends und Innovationsträgern um die Ecke. Kaum hatte sich der Laufradgrößen-Markt wieder sortiert, schon kamen die Gerüchte und frühe Samples von neuen Reifenbreiten auf.

Und wer einen schwarzen Peter sucht, der wird ihn in diesem Artikel finden: SCOTT war eine der maßgeblich treibenden Kräfte hinter dem Plus-Trend. Man könnte jetzt verärgert sein, aber die meisten Mountainbiker sollten SCOTT vielmehr danken. Aber dazu später mehr. ENDURO-Gründer Robin Schmitt war mit den Weltcup-Profis Brendan Fairclough, Remy Absalon und Thomas Frischknecht sowie SCOTT-Ingenieuren in Massa Vecchia, Italien, um die neuen Plus-Bikes zu testen. Aber seht selbst:

Das SCOTT Genius gehört zu den beliebtesten Modellen des global aufgestellten Schweizer Unternehmens. Mit dem Genius Plus ist SCOTT einer der ersten Hersteller, der Plus-Reifen an einem langhubigen Fully serienmäßig verbaut. Doch nicht nur das: Für die Modellpalette 2016 wird es insgesamt 11 unterschiedliche Plus-Bikes geben. Dies zeigt, dass der in über 80 Märkten aktive Global Player diesen Trend nicht nur ernst nimmt, sondern auch ein großes Potenzial sieht, wie auch Rene Krattinger, Product Manager bei SCOTT, bestätigt: „Plus-Bikes bieten aufgrund ihrer unglaublichen Traktion und Sicherheit ein riesiges Potenzial für alle Mountainbiker. Die aktuellen Modelle sind der Anfang eines großen Trends, der bleiben wird – wir sind davon voll und ganz überzeugt.”

Zeitliche Punktlandung –  serienreife Plus-Reifen und Felgen sind aktuell noch Mangelware, entsprechend gering ist die Langzeiterfahrung.
Zeitliche Punktlandung – serienreife Plus-Reifen und Felgen sind aktuell noch Mangelware, entsprechend gering ist die Langzeiterfahrung.

Glauben und Wirklichkeit

Bitte glaubt keinem – egal ob Hersteller oder Medien – der behauptet, er habe bereits langjährige Erfahrung und ausgiebige Testprozeduren in die Entwicklung dieser Bikes einfließen lassen.
Fakt ist: Aktuell gibt es nur eine sehr geringe Anzahl an Plus-kompatiblen Laufrädern, Federelementen, Rahmen und Plus-Reifen, weshalb die meisten Hersteller im Moment gerade erst beginnen, Erfahrungswerte in der Praxis zu sammeln. Da dieser Trend mit unterschiedlichen Reifenbreiten, Reifen-Laufrad-Kombinationen, dem neuen Boost-Standard, neuen Rahmengeometrien und veränderten Anforderungen an das Fahrwerk eine Vielzahl an Parametern bietet, die berücksichtigt und optimiert werden müssen, wird es einige Zeit brauchen, bis die tatsächlichen Ausmaße dieser Entwicklung eine klare Gestalt annehmen. Und genau aus diesem Grund fällt dieser Testbericht anders aus als erwartet.

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Das Bike

Was sind die Unterschiede zum aktuellen Genius? Auch wenn das Genius für 2016 optisch weitestgehend gleich geblieben ist, weist das Plus-Modell einige große Unterschiede auf.

Das Genius Plus verwendet den gleichen Hauptrahmen aus HMX-Carbon wie das bisherige Genius, lediglich der Lenkwinkel wurde mithilfe eines Angelsets auf 67,5° abgeflacht.
Das Genius Plus verwendet den gleichen Hauptrahmen aus HMX-Carbon wie das bisherige Genius, lediglich der Lenkwinkel wurde mithilfe eines Anglesets auf 67,5° abgeflacht. Statt 150-mm-Fahrwerk kommt das Genius Plus mit 140 mm an der Front und 130 mm am Heck.
Am Heck kommt ein vollkommen neuer Aluminium-Hinterbau zum Einsatz, der auf den Boost-Standard ausgelegt ist.
Am Heck kommt ein vollkommen neuer Aluminium-Hinterbau zum Einsatz, der auf den Boost-Standard ausgelegt ist.
Boost

Boost ist ein neuer Naben- und Antriebsstandard, der einerseits für mehr Steifigkeit und andererseits für mehr Reifenfreiheit sorgen soll. Technisch bedeutet dies, dass die Vorderrad-Nabe um 10 mm breiter wird und nun 110 mm misst. Die Hinterradnabenbreite wächst auf 148 mm an, wobei die Nabenflansche um jeweils 3 mm nach außen rücken und so den Speichenwinkel und die damit einhergehende Laufradsteifigkeit positiv beeinflussen. Zudem verschiebt sich die Kettenlinie 3 mm weiter nach außen, wobei der Q-Faktor gleich bleibt.

Die Kettenstreben des Genius 700 Plus sind mit 445 mm Länge sogar 3 mm kürzer als die des aktuellen Twentyniners Genius 900.
Die Kettenstreben des Genius 700 Plus sind mit 445 mm Länge sogar 3 mm kürzer als die des aktuellen Twentyniners Genius 900.
Die Brücke an den Sitzstreben wurde so konzipiert, dass der möglichst kompakte Hinterbau maximale Reifenfreiheit garantiert. 3.0" breite Plus-Reifen sollen kein Problem sein. Das Genius Plus wird jedoch serienmäßig mit 2.8" breiten Reifen ausgeliefert. Die gute Nachricht: Das Genius 700 Plus lässt sich auch problemlos mit 29"-Laufrädern fahren.
Die Brücke an den Sitzstreben wurde so konzipiert, dass der möglichst kompakte Hinterbau maximale Reifenfreiheit garantiert. 3.0″ breite Plus-Reifen sollen kein Problem sein. Das Genius Plus wird jedoch serienmäßig mit 2.8″ breiten Reifen ausgeliefert. Die gute Nachricht: Das Genius 700 Plus lässt sich auch problemlos mit 29″-Laufrädern fahren.
Statt 150-mm-Fahrwerk kommt das Genius Plus mit 140 mm an der Front und 130 mm am Heck.
Beim Fahrwerk setzt SCOTT auf FOX-Federelemente und die hauseigene 3-stufige Twinloc-Technologie, welche für 2016 noch einmal überarbeitet wurde.
Durch Betätigen des neuen Remote-Hebels, der an der Position des linken Schalthebels angebracht werden kann, lässt sich das gesamte Fahrwerk synchron regulieren: Descend (voller Federweg und offene Dämpfung), Traction-Control (an der Front: voller Federweg, aber höhere Dämpfung; am Heck: von 130 mm auf 90 mm reduzierter Federweg, steilerer Winkel in der Geometrie und höhere Dämpfung) und Lockout.
Durch Betätigen des neuen Remote-Hebels, der an der Position des linken Schalthebels angebracht werden kann, lässt sich das gesamte Fahrwerk synchron regulieren: Descend (voller Federweg und offene Dämpfung), Traction-Control (an der Front: voller Federweg, aber höhere Dämpfung; am Heck: von 130 mm auf 90 mm reduzierter Federweg, steilerer Winkel in der Geometrie und höhere Dämpfung) und Lockout.
Das Fahrwerk des Genius Plus ist für 1x11-Antriebe optimiert, kann jedoch auch mit zwei Kettenblättern in der Front gefahren werden.
Das Fahrwerk des Genius Plus ist für 1×11-Antriebe optimiert, kann jedoch auch mit zwei Kettenblättern in der Front gefahren werden.
SCOTT setzt beim Genius Plus auf Syncros TR1.5 Plus-Felgen mit 28 Speichen und einer Felgeninnebreite von 40 mm. Diese Kombination soll für ein geringes Walgverhalten sorgen.
SCOTT setzt beim Genius Plus auf Syncros TR1.5 Plus-Felgen mit 28 Speichen und einer Felgeninnebreite von 40 mm. Diese Kombination soll für ein geringes Walkverhalten sorgen.
Bei der Entwicklung des Bikes hat SCOTT eng mit Schwalbe und DT Swiss zusammengearbeitet und sich auf eine optimale Reifenbreite von 2.8" geeinigt.
Bei der Entwicklung des Bikes hat SCOTT eng mit Schwalbe und DT Swiss zusammengearbeitet und sich auf eine optimale Reifenbreite von 2.8″ geeinigt.
Laut Schwalbe hat der Nobby Nic in 2.8" bei einem Luftdruck von 1,0 bar im Vergleich zu einem Nobby Nic in 2.35" mit einem Luftdruck von 1,7 bar eine 21 % größere Kontaktfläche zum Boden und weist dabei einen lediglich um 1 % höheren Rollwiderstand auf. Zudem verfügt er über eine um 8 % bessere Durschlagssicherheit, aber auch ein um 11 % höheres Walgverhalten.
Laut Schwalbe hat der Nobby Nic in 2.8″ bei einem Luftdruck von 1,0 bar im Vergleich zu einem Nobby Nic in 2.35″ mit einem Luftdruck von 1,7 bar eine 21 % größere Kontaktfläche zum Boden und weist dabei einen lediglich um 1 % höheren Rollwiderstand auf. Zudem verfügt er über eine um 8 % bessere Durschlagssicherheit, aber auch ein um 11 % höheres Walkverhalten.

Das Einzelgewicht eines Schwalbe Nobby Nic in 2.8″ (Pacestar-Mischung) liegt bei 814 g, wobei hier anzumerken ist, dass die Reifen – um ein geringes Gewicht zu erreichen – recht dünnwandig konzipiert sind.

Mit einem Gewicht von 12,3 kg in Größe Medium ist das SCOTT Genius 700 Tuned Plus rund 1,5 kg schwerer als das bisherige Genius 700 Tuned.
Mit einem Gewicht von 12,3 kg in Größe Medium ist das SCOTT Genius 700 Tuned Plus rund 1,5 kg schwerer als das bisherige Genius 700 Tuned.

Die Geometrie

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Die Ausstattungsvarianten

Das Scott Genius Plus kommt in drei Ausstattungsvarianten und vier Größen. Die Preise für diese stehen noch nicht fest.

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Die Fahrperformance

Soweit die Theorie und die technischen Eckdaten. Doch was kann das Bike auf dem Trail? Wer Angst vor Veränderung hat, dem sei gesagt: Beim Aufsitzen fühlt sich das Bike gar nicht groß anders an, als ein bisheriges Genius – auch wenn die Dimensionen von Gabel, Laufrädern und Reifen vollkommen neue sind. Die großen Unterschiede zeigen sich erst im Gelände.

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Auf den abwechslungsreichen Trails von Massa Vecchia mit verwinkelten, steilen und flachen Sektionen, Hardpack-Anliegern sowie Highspeed-Passagen stellte sich schnell heraus: Das Genius Plus ist verdammt schnell!

Robin gibt Vollgas – das Genius Plus geht leicht auf das Hinterrad und lechzt nach hartem Terrain und einer aktiven Fahrweise.
Robin gibt Vollgas – das Genius Plus geht leicht auf das Hinterrad und lechzt nach hartem Terrain und einer aktiven Fahrweise.

Die Geometrie-Veränderungen (v. a. flacherer Lenkwinkel) zum 2015er-Modell und das satte Gefühl der Reifen sorgen für ein ordentliches Plus an Selbstvertrauen. Scheinbar schwierige Linien verlieren auf einmal ihren Schrecken. Die großvolumigen Reifen verzeihen auch größere Schnitzer oder Fahrfehler und begeistern mit massivem Grip. Hat man es nicht selbst ausprobiert, kann man die Traktion der 2.8″ breiten, großvolumigen Schwalbe Nobby Nic-Reifen gar nicht glauben.

Confidence-Inspiring würden die Amis das nennen: Die großvolumigen Reifen geben Selbstvertrauen und Sicherheit.
Confidence-Inspiring würden die Amis das nennen: Die großvolumigen Reifen geben Selbstvertrauen und Sicherheit.

Entgegen unseren Befürchtungen zeigt sich das Bike keinesfalls behäbig und lässt sich willig selbst durch enge Sektionen zirkeln. Besonders in offenen oder gar hängenden Kurven spielen die Plus-Reifen ihre Vorteile aus. Dank der 45 mm breiten Felgen mit einer Innenbreite von 40 mm ist der Reifen extrem gut abgestützt. Bei 1,2 bar Luftdruck war kein störendes Walgen zu verzeichnen. Dennoch: Man fährt einen Ticken unpräziser als mit konventionellen Reifen und bleibt auch nicht 100 % auf der anvisierten Linie – das ist aber gar kein Problem. Schließlich plättet der große Pneu wahrlich jeden Weg und sorgt für mehr Komfort und Sicherheit.

Kurven gehören zum Lieblingsmetier des Genius Plus – insbesondere offene, weiche Turns.
Kurven gehören zum Lieblingsmetier des Genius Plus – insbesondere offene, weiche Turns.

Ganz ehrlich: Wir hatten in Italien leider nicht genügend Zeit, um den Grenzbereich des Bikes voll auszuloten und verschiedene Setups auszuprobieren. Das mag auch der Tatsache geschuldet sein, dass man am Anfang etwas mehr Zeit für die Abstimmung von Reifendruck und Fahrwerk benötigt. Während unserer Testphase war es schwierig, klar herauszufühlen, was das Fahrwerk genau macht und in welchem (Grenz-)Bereich sich die Reifen befinden. Hier wird in Zukunft von Herstellern und Testfahrern sicherlich noch viel Erfahrung gesammelt werden, sodass wir weitere Entwicklungs- und Performance-Sprünge erwarten dürfen. Auch die Tatsache, dass wir einen Plattfuß aufgrund einer aufgeschlitzten Karkasse des Tubeless-Reifens während des Tests hatten, zeigt, dass die Balance zwischen geringem Gewicht und Haltbarkeit bzw. Pannensicherheit für die Hersteller eine klare Herausforderung ist.

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Wie sich das SCOTT Genius 700 Tuned Plus im Vergleich zu aktuellen Bikes schlägt, werden wir in Kürze im Rahmen eines ausführlicheren Tests aufzeigen.

Abschließend lässt sich feststellen: Der erste Eindruck des SCOTT Genius 700 Tuned Plus ist überwältigend. Das Plus an Traktion, Sicherheit und Komfort ist sofort spürbar und bietet für die allermeisten Mountainbiker klare Vorteile. Gerüchte machen bereits die Runde, dass man auch auf Strava demnächst mit neuen Bestzeiten und KOMs rechnen kann.

Und um die eingangs gestellte Frage zu beantworten: Verdammt nochmal ja, ich würde liebend gern einen Porsche fahren. Weil er schnell, sexy und sicher ist. Genau wie das neue SCOTT Genius Plus eben.

Text: Robin Schmitt Bilder: Markus Greber


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