Die Enduro Saison ist da, der Blick in den Kalender zeigt: in den nächsten sechs Monaten findet fast jedes Wochenende irgendwo ein fantastisches Rennen statt. Vor etwa zwei Wochen versammelten sich die besten Fahrer der Welt zur Eröffnungsrunde der EWS in Neuseeland, und es war ein unvergessliches Ereignis. Der Endurosport ist mittlerweile ein ausgewachsener Wirtschaftszweig, und für eine Handvoll Glücklicher ergeben sich daraus erfolgreiche Karrieren. Einfach ist es aber ganz sicher nicht, einen der begehrten Verträge bei den großen Teams zu bekommen. Was braucht man, um Profi zu werden? Welche Opfer müssen die Fahrer bringen, um sich von der Masse abzuheben, und einen der raren Deals zu ergattern und mit Unterstützung eines Herstellers zu racen?

Das wollen wir herausfinden. Dieses Jahr begleiten wir einen von ihnen, James Shirley, durch die komplette European Enduro Series (EES). Den Championtitel hat er dabei fest im Blick. Wir folgen James durch die Höhen und Tiefen des internationalen Racerdaseins und zeigen euch die Vorbereitungen, die in jede einzelne Runde miteinfließt – aber fangen wir erst einmal damit an, wie alles begann:

Es erfordert ziemlich viel Arbeit, in ein Werksteam aufgenommen zu werden. Jim fährt jetzt für Radon.
Es erfordert ziemlich viel Arbeit, in ein Werksteam aufgenommen zu werden. James fährt jetzt für Radon.

Aufgewachsen ist James auf einem Croft (einem Bauernhof) in einem kleinen Ort in der Nähe von Fort Williams in den schottischen Highlands. Seine erste große Leidenschaft war Lego, er sah aber bald ein, dass dies keine allzu guten Karrierechancen bot. Als er größer (und koordinierter) wurde, verschoben sich seine Pläne weg vom Hardcore-Legobauen und -zerstören in Richtung Mountainbiken. Der erbitterte Wettkampf mit seinem Bruder Gavin trieb ihn an, und der Altersunterschied von dreieinhalb Jahren führte dazu, dass James nur die Wahl hatte, sich richtig reinzuhängen oder es gleich sein zu lassen. Er wuchs in einem sportlichen Haushalt auf (sein Vater fuhr Rallyes und war auch ein passionierter Radfahrer) und begann im Alter von 11 Jahren an nationalen Cross Country Events teilzunehmen. Aber wie die meisten Kids wollte er eigentlich nur hoch, um danach wieder runterfahren zu können.

Was braucht man, um in ein Werksteam zu kommen?
Was braucht man, um in ein Werksteam zu kommen?

Etwa zu dieser Zeit gewann die Downhillszene ziemlich an Fahrt, aber James durfte kein DH-Bike haben, weil sie ‚zu teuer‘ waren und der Sport ‚zu gefährlich‘. Aber dank intensiver Überzeugungsarbeit und einer ziemlichen offenen Mum bekam er mit 15 einen großzügigen Nachlass auf ein Specialized Bighit (damals standardmäßig mit 26-Zoll-Vorderrad und 24-Zoll-Hinterrad – wie sich die Zeiten doch ändern) von Foz, dem Geschäftsführer des Bike Shops im Ort, in dem er nebenher jobbte. Hier beginnt die Geschichte. James fuhr Runden mit dem Skilift, und mit seinen Freunden Joe und Richard, die damals bereits Teil der Szene waren, ging er zu den Rennen der Scottish Downhill Association (SDA).

James ist der geborene Abenteurer. Hier beim Betrachten seines neuen Königreiches in Finale Ligure.
James ist der geborene Abenteurer. Hier beim Betrachten seines neuen Königreiches in Finale Ligure.

„Als ich das erste Mal auf einem Mountainbike saß, wusste ich, das wird eine verdammt wichtige Rolle in meinem Leben spielen. Ich entschied mich, zwischen Schule und Uni ein Jahr Auszeit zu nehmen. So kam es, dass ich mit gerade mal 17 Jahren zusammen mit Joe zu einem Abenteuer aufbrach: die New Zealand National Downhill Series. Wir kauften uns einen schrottigen alten Toyota Hi Ace Van, der fast so viel Öl schluckte wie Diesel, und tourten kreuz und quer über die Nord- und Südinsel. Es war eine ungeheure Erfahrung, aber eh wir uns versahen, waren wir schon wieder zurück in Großbritannien, und man musste sich dem sogenannten Ernst des Lebens widmen. Ich schrieb mich an der Strathclyde-Uni in Glasgow für einen Master in Maschinenbau ein. Ich trainierte weiterhin den Winter über und fuhr im Sommer Cross Country und Downhill-Rennen, wobei ich den größten Ehrgeiz bei ausdauerorientierten Downhill-Events entwickelte.

Die lokalen Rennen von No Fuss Events standen immer auf meiner Agenda, aber das wirkliche große Ding für mich war das Megavalanche. Das perfekte Rennen: eine tolle Kombination aus Können und Fitness, und darüber hinaus die aufregende Erfahrung eines Massenstartrennens und von Geschwindigkeiten von bis zu 100kmh auf dem Gletscher! Ich erinnere mich genau an mein erstes Mega-Experience. Ich fuhr mit Tom Lamb hin, keiner von uns beiden wusste so richtig, was uns erwarten würde. Schließlich fanden wir uns auf dem Gipfel des kalten, dunklen Gletschers wieder, um sieben Uhr morgens, und mussten noch ein paar Stunden warten, bis die Startaufstellung sich formiert hatte. Eine fatale Kombination aus nervlicher Anspannung, Koffein und der Höhe führte zu einem der schlimmsten Vor-dem-Rennen-Toiletten-Erlebnisse aller Zeiten.

Aus dem nichts kam plötzlich die neue Disziplin, Enduro, daher, und dann war alles anders. Das Jahr nach meinem Studienabschluss war das erste Jahr der Enduro World Series (EWS). Es war großartig, dass es plötzlich eine große Rennserie gab, die zu meiner Art zu fahren so gut passte. In diesem Jahr gab ich so ziemlich mein gesamtes Geld dafür aus, in Europa so viele Rennen wie möglich zu fahren, wobei ich in meinem Van wohnte und mit einem verdammt knappen Budget auskommen musste. Zwischen den Rennen versuchte ich, es ein wenig aufzubessern, indem ich jeden Job machte, der sich so anbot: Trailbau, Rasenmähen, ich arbeitete im Bikeladen und als Guide bzw. Coach. Ich flog sogar mal zwischen zwei Rennen für zwei Wochen nach China zum Trailbauen, um ein bisschen was zu verdienen.

Trail
Trail Building in China – eine kulturelle Erfahrung.

Ich fuhr in diesem Jahr einige gute Ergebnisse ein, und ich fand viele neue Freunde, darunter die neuseeländische Legende Jamie Nicholl. Jamies finanzielle Lage war auch eher bescheiden, und er konnte nicht mal auf den Komfort eines eigenen Fahrzeugs zurückgreifen. Er benutzte öffentliche Verkehrsmittel oder suchte sich Mitfahrgelegenheiten zu den Rennen, und er schlief im Zelt. Diese zusätzlichen Erschwernisse hielten ihn jedoch von nichts ab. Jamie hat einfach Persönlichkeit. Eines der Dinge, die ich am meisten an ihm mag, ist dass er ehrlich sagt, was er denkt, und tut, was er will. Das mag Leute bisweilen vor den Kopf stoßen, aber Ehrlichkeit ist eine tolle Eigenschaft. Jamie ist ein Freigeist, aber er konnte es sich nicht leisten, noch länger für umsonst zu racen – und ich konnte es auch nicht.

Wir taten uns also zusammen und machten uns in meinem Bus auf zur Eurobike, auf der Suche nach einer Lösung. Jamie hatte den Sommer über ziemlich viele Kontakte geknüpft und stellte mich diversen Firmen vor, auch dem deutschen Hersteller Radon. Der Manager ihres Enduro-Teams war der sehr motivierte Oliver Fuhrmann. Ich musste einige Verhandlungen führen und hatte mehrere Angebote zur Auswahl. Canyon wollte, dass ich ihre Bikes fuhr, damit die Dudes of Hazzard geschlossen bei der Marke waren. Das wäre schon cool gewesen, aber mir wurde klar, dass ich lieber dafür unterstützt werden möchte, wer ich bin, als Fahrer, und nicht einfach von denselben Leuten wie meine Freunde. Deshalb wurde es am Ende der Radon-Deal.

Ich glaube, das ist bisher für alle Beteiligten gut gelaufen. Allerdings war die Saison 2014 etwas stressiger, als ich gehofft hatte. Es gab ziemlich viel Verzögerung bei den Verträgen und den Bikes, und mein Terminplan war recht voll (19 Rennen insgesamt, das habe ich mir aber teilweise selber zuzuschreiben), darunter viele an neuen Orten. Trotz des stärkeren Drucks habe ich aber tolle Erfahrungen sammeln können, und ich bin sehr zufrieden mit meiner Gesamtplatzierung als Dritter in der European Enduro Series.

Das Leben im Bus – ein Teil des Daseins als Pro.
Das Leben im Bus – ein Teil des Daseins als Pro.

Konnte ich nun, da ich also ein Profi-Fahrer war, endlich auf großem Fuß leben? Es ist schon interessant, es fühlt sich nicht so an, als ob sich zwischen der Saison 2013 und der 2014 so wahnsinnig viel verändert hätte. Ich lebte immer noch als Vagabund in meinem Van. Eigentlich war ich noch weniger sesshaft als vorher – das lag einfach daran, dass ich so viele Rennen zu fahren hatte, dass sich die Reise zurück nach Hause zwischendurch nicht lohnte.

Auf dem Weg zum nächsten Rennen – Passstraßen sind das täglich Brot eines vagabundierenden Rackers.
Auf dem Weg zum nächsten Rennen – Passstraßen sind das täglich Brot eines vagabundierenden Rackers.

Einen bedeutenden Unterschied gab es aber schon: ich bekam keine Panik mehr, wenn der Van Sprit brauchte, und ich gönnte ich mir immer mal wieder eine Pizza oder einen Kaffee irgendwo, was einfach nett ist. Es ist toll, sich nicht gar so viele Gedanken um Geld machen zu müssen, aber ich weiß natürlich, dass ich bedeutend mehr verdienen würde, wenn ich einen dieser Jobs hätte, zu denen mich mein Studienabschluss qualifiziert. Das ist ein Konflikt, der mir immer wieder durch den Kopf geht. Ich denke, den haben mir die älteren und ‚reiferen‘ Menschen eingeflüstert, die mich immer wieder fragten, wann ich mir denn dann mal einen ‚richtigen‘ Job suchen würde. In einem Punkt haben sie wohl recht: es wäre schon sehr schön, wenn ich eines Tages was Eigenes zum Wohnen hätte, und das wäre als Ingenieur sehr viel realistischer.

Andererseits, ich würde nicht wirklich viel Zeit haben, es zu genießen, denn ich weiß genau, wenn ich in der ‚richtigen Welt‘ leben würde, dann würde ich trotzdem abhauen und Rennen fahren wollen. Lange spürte ich auch diesen inneren Zwang, mich irgendwie ‚nützlich‘ fühlen zu müssen. Auch das, denke ich, verdanke ich dem Einfluss der erwähnten Leute. Wenn ich auf die Frage, was ich an einem bestimmten Tag gemacht habe, nichts antworten konnte außer „ich war biken“, dann fühlte ich mich irgendwie schuldig. Andererseits, die Welt hat so viele Probleme. Mittlerweile denke ich, selbst wenn ich einen ‚richtigen Job‘ in der ‚richtigen Welt‘ hätte, dann würde ich doch wahrscheinlich mehr Schaden anrichten als Nutzen stiften.

Die schnellen Trails von Finale Ligure bieten ein perfektes Trainingsgelände.
Die schnellen Trails von Finale Ligure bieten ein perfektes Trainingsgelände.

Das Business wird vom Geld angetrieben, nicht davon, was richtig und was falsch ist. Man kann wohl sagen, dass das auf mich auch zutrifft, denn auch ich bin im Moment wohl eine Art Business. Falls mir eines Tages ein genialer Plan einfällt, wie man die Welt verbessern könnte, dann werde ich den sofort umsetzen – aber bis dahin bin ich glücklich mit dem was ich gerade tue. Meine persönlichen Erfolge machen mich sehr zufrieden, aber mir gefällt auch die Vorstellung, dass ich vielleicht Leute inspirieren kann und sie dazu anregen, fitter, gesünder und glücklicher zu werden. Dann, würde ich sagen, war ich erfolgreich.

Wenn ich Leute inspirieren kann und sie dazu anregen, fitter, gesünder und glücklicher zu werden, dann war ich erfolgreich.
Wenn ich Leute inspirieren kann und sie dazu anregen, fitter, gesünder und glücklicher zu werden, dann war ich erfolgreich.

Um in der Offseason was für meinen Kopf zu tun, möchte ich eine neue Sprache lernen, und da mich zu Hause keine Verpflichtungen hielten, entschied ich mich, dem nassen, wilden, winterlichen Schottland zu entfliehen und nach Finale Ligure in Italien zu ziehen – es ist einfach ein wunderbarer Ort. An alle die noch nicht dort waren: dieses alte Städtchen an der Mittelmeerküste, mit seinen Palmen und weißen Sandstränden, muss unbedingt auf eure Liste der places-to-see-before-you-die. Die 12000-Einwohner-Stadt selbst bietet Schlösser, Kathedralen, Kopfsteinpflaster, Pizzerias, Cafés, Gelaterias und noch viel mehr wunderbare italienische Sachen.

Die Berghänge bestehen aus terrassenförmig angelegten Nutzflächen, die in den höheren Lagen zum größten Teil nicht mehr bewirtschaftet werden. Die alten Pfade und Sträßchen werden von Kletterern als Zugang zu den zahlreichen Kalksteinwänden genutzt. In jüngeren Jahren haben auch die Mountainbiker angefangen, diese Trails zu benutzen, und mittlerweile ist Mountainbiken hier zu einem boomenden Wirtschaftszweig herangewachsen. Leute von überall auf der Welt kommen her und genießen Abfahrten über 1000 Höhenmetern und mehr, die weit oben in alten Buchenwäldern beginnen und einen durch dicht bewachsene, Indiana-Jones-mäßig verwilderte Weinreben über die Terrassen bis runter ans Meer führen.

Wir werden James durch die European Enduro Series hindurch begleiten.
Wir werden James durch die European Enduro Series hindurch begleiten.

2015 war ein gutes Jahr bisher – ich bleibe im Radon-Team, das noch größer und besser geworden ist. Mein neuer Teammanager ist Joost Wichmann, und ich werde zusammen mit Petrik Brückner und der talentierten jungen Raphaela Richter fahren. Das Team nimmt Form an, und ich freue mich auf eine erfolgreiche Saison. Ich habe diesmal Rahmen in L anstatt M bestellt, mit einem 20mm längeren Oberrohr. Das sollte mehr Stabilität bei den schnelleren alpinen Stages bieten. Außerdem haben wir eine Menge neuer Sponsoren bei den Komponenten, und ich kann es kaum erwarten, sie auszuprobieren. Mein Hauptziel ist es, die European Enduro Series zu gewinnen, und ich hätte gern ein paar gute Top-30-Ergebnisse bei den EWS-Runden, die ich fahren werde.“

Lest auch den nächsten Teil unserer Serie und erfahrt, wie die Vorbereitung und das Rennen in Punta Ala, die Eröffnungsrunde der European Enduro Series ablaufen.

Text: James Shirley and Trevor Worsey

James wird von den folgenden Firmen unterstützt: Radon Bikes; Manitou Suspension; BBB Cycling; Winterberg Holiday Resort; Magura Brakes; SRAM Drivetrain; DT Swiss Wheels; Continental Tires; Thirty7even Clothing; IXS Protection; Answer Components; Carbocage; Across; Fizik; RSP; Phidra Accountants.

Außerdem von seinen persönlichen Sponsoren: Ride100% Goggles, Ergon Bike Ergonomics Backpacks und Bawbags Underwear. Bawbags hat zwar nicht direkt mit Mountainbiken zu tun, aber ihre Boxershorts sind ultrabequem, besonders die ‘Cool de Sacs’-Modelle. Außerdem spenden sie einen beachtlichen Teil ihres Gewinns an die Krebsforschung, deshalb promote ich sie gerne.


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