Jérôme Clementz ist die Verkörperung des Enduro-Profis. Er war der erste Enduro World Champion und ist das weltweit bekannte lächelnde Gesicht des Sports. Doch nun hat uns der Buschfunk zugetragen, dass er plant, seine EWS-Karriere an den Nagel zu hängen. Es war also höchste Zeit, ihn zu treffen und herauszufinden, was bei ihm so los ist.

Jérôme hat in den ersten Jahren seiner Karriere gemeinsam mit seinem Sponsor Mavic dafür gesorgt, dass Enduro-Racing untrennbar mit der Farbe Gelb verbunden ist. Und er hat auf diversen Podien vermutlich sein Eigengewicht in Champagner getrunken. Immer ein Kandidat für den Sieg, immer schnell; es gibt keinen Fahrer, der auf dem Trail leichter zu erkennen wäre als Jérôme. Auch sein besonderer Fahrstil ist zu einem Erkennungszeichen der EWS geworden, Jérômes Mechaniker hat ihm den Spitznamen „die Schildkröte“ gegeben: Kopf nach unten, Körper nach vorne und so geschmeidig, als wäre er auf einem ganz anderen Trail unterwegs als alle anderen. Obendrein ziert Jérôme mehr Magazincover als die Kardashians.

Die Enduro-Community war überrascht, von deinem Rückzug aus dem Vollzeit-Racing zu hören. Hängst du den Rennsport an den Nagel oder werden wir dich weiterhin an der Startlinie sehen?

Also zuerst mal möchte ich anmerken, dass ich nie das Wort „Rückzug“ verwendet habe. Ich sagte, dass 2018 mein Hauptaugenmerk nicht mehr auf Racing liegen wird. Mein Plan ist es, intensiver mit meinen Partnern in verschiedenen Bereichen des Sports zusammenzuarbeiten und mehr Zeit damit zu verbringen, einfach aus Spaß zu fahren. Ich werde immer noch auf dem Bike unterwegs sein und auch ein paar Rennen fahren, aber ich werde dem Ganzen weniger Zeit widmen als bisher. Allerdings werde ich an keinen EWS-Rennen teilnehmen, denn ich bin überzeugt, dass man für Racing auf dem Niveau zu 100 % fokussiert sein muss, wenn man performen und Spaß haben will.

  „Der Anspruch im Racing steigt immer weiter. Ich kenne meine Stärken und Schwächen, und um weiterhin schneller zu werden, hätte ich Risiken eingehen müssen, zu denen ich nicht bereit war.“

Du warst vom ersten Tag an der Spitze der EWS mit dabei und letztes Jahr hast du im Overall-Ranking Platz 5 belegt. Was hat dazu geführt, dass du jetzt einen anderen Schwerpunkt setzt?

Die Entscheidung beruht auf mehreren Faktoren. In erster Linie tue ich immer Dinge, die mich motivieren, und mich beschlich das Gefühl, dass am Mountainbiken für mich noch mehr dran ist als nur Racing. Mir hat es viele Jahre lang Freude gemacht, mich ganz auf die Performance zu konzentrieren, besonders angesichts der neuen Herausforderungen, mit denen uns die EWS immer wieder konfrontierte. Doch um mit den Besten mitzuhalten und an der Spitze bleiben zu können, darf man an nichts anderes denken als an Racing. Mir macht es aber auch Spaß, zu reisen, Roadtrips zu unternehmen, neue Orte zu entdecken, Fahrern dabei zu helfen, sich weiterzuentwickeln, meine Leidenschaft mit anderen Fahrern, Händlern und Distributoren zu teilen. Ich hatte das Gefühl, dass ich in all diesen Bereichen was verpasse, und das wollte ich nicht mehr. Außerdem steigt der Anspruch im Racing immer weiter. Ich kenne meine Stärken und Schwächen, und um weiterhin schneller zu werden, hätte ich Risiken eingehen müssen, zu denen ich nicht bereit war. Da kamen zu viele Dinge auf, die nicht in mein Bild von Mountainbiken passen: mehr Routine, mehr Training im Fitnessstudio, mehr Shuttle-Fahrten. Anstatt das also alles zu machen, weil es halt mein Job ist, möchte ich lieber aufhören und einen schönen Übergang von Fulltime-Racing zum Botschafter des Sports versuchen, oder eine Position in der Bike-Branche finden und ein Projekt, hinter dem ich voll und ganz stehe.

Als einer der frühen Pioniere des Endurosports warst du von Anfang an ganz vorne dabei. Hat sich der Sport in die Richtung entwickelt, die du dir erhofft hast?

Als das alles anfing, dachte ich nicht, dass der Sport so schnell wachsen oder so groß werden würde. Wenn sich Dinge verändern, muss man sich anpassen. Ich denke, das Gute an der Entwicklung ist, dass der Sport auch heute noch von Leuten bestimmt wird, die mit Leidenschaft dabei sind, und dass die Qualität ihr Hauptfokus und ihre Motivation ist. Andererseits gibt es aber auch Dinge, die mir weniger gefallen, aber das gehört eben dazu, wenn der Sport wächst. Das Ganze wird ernster, manche Veranstalter erhöhen die Preise, wenn der Sport im Trend liegt, weil sie ein größeres Stück vom Kuchen wollen.

Es wird definitiv enger an der Spitze, früher sah man auf dem Podium immer dieselben Gesichter, doch nun wirkt es, als wären die Top Ten permanent in Bewegung. Was denkst du darüber?

Ja, es ist auf jeden Fall so. Die Abstände sind kleiner geworden, und nun muss man von der ersten bis zur letzten Stage 100 % geben. Es macht die Rennen intensiver und interessanter, das Risiko ist aber auch höher, denn es kommt auf jede Sekunde an. Mittlerweile sind mehr Fahrer in richtigen Teams und können effektiv trainieren, deshalb gibt es nun wohl um die 30 Fahrer, die in der Lage sind, eine Top-10-Platzierung zu erreichen. Ich glaube, dass das gut für den Sport und für die Show ist. Für uns Fahrer ist es eine stärkere Motivation.

  „Unser Vorteil gegenüber den Youngstern ist nicht mehr so groß, und noch dazu haben die keine Angst und sind sehr ambitioniert, sich einen Platz an der Spitze zu sichern.“

Anfangs war Enduro ein Spiel, das man durch Erfahrung gewann, aber schau dir heute die Junioren an! Fahrer wie Adrien Dailly klettern so schnell durch die Ränge – was glaubst du, hat sich da verändert?

In den Anfangszeiten der EWS waren die älteren Fahrer erfahrener und konnten das als Vorteil einsetzen, doch nun haben die meisten 5 Jahre Enduro- und EWS-Erfahrung. Unser Vorteil gegenüber den Youngstern ist nicht mehr so groß, und noch dazu haben die keine Angst und sind sehr ambitioniert, sich einen Platz an der Spitze zu sichern. Mir gefällt, dass die Kids heute nicht mehr aus dem Downhill oder XC zu Enduro wechseln, sondern dass Enduro das ist, was sie von Anfang an machen wollen.

Du kannst auf eine ziemlich beeindruckende Karriere zurückblicken. Was ist dein Highlight in Sachen Racing?

Natürlich ist es etwas ganz Besonderes, der erste EWS-Champion zu sein, und das wird immer zu den Dingen gehören, die mir am wichtigsten sind. Aber alles in allem bin ich wirklich stolz darauf, dass ich es über einen Zeitraum von mehr als 10 Jahren – von meinem Sieg bei der Megavalanche bis heute – geschafft habe, mich anzupassen, dranzubleiben und immer noch eine der Hauptfiguren im Racing-Zirkus zu sein. Ich habe Megavalanches gewonnen, Trans-Rennen, Rennen mit kurzen und langen Stages, bei trockenem und nassem Wetter, auf verschiedenen Kontinenten und auf allen möglichen Arten von Strecken. Daran erinnere ich mich, wenn ich an meine Karriere denke.

Was ist dein Lieblingsrennen? Gab es ein bestimmtes Event, das dir am meisten Spaß gemacht hat?

Meine erste Trans-Provence wird auch in Zukunft eine meiner liebsten Erinnerungen sein, glaube ich. In einer unbekannten Gegend zu fahren, von einem Punkt zum nächsten, eine ganze Woche lang auf immer wieder anderem Terrain gefordert zu werden, und dieses Abenteuer dann auch noch mit 70 anderen Fahrern zu teilen – da sind schon wundervolle Erinnerungen entstanden. Ich denke deshalb an das erste Jahr, weil der Vibe super entspannt war, da war nicht wirklich dieses Racing-Gefühl, und es war für alle etwas Neues.

Ich habe immer sehr gerne bei euch in den Pits vorbeigeschaut, um mit deinem Mechaniker Matteo zu quatschen, der übrigens auch den besten Kaffee macht. Wirst du mit ihm auch in Zukunft zusammenarbeiten?

Matteo ist weiterhin der Mechaniker des Cannondale-Teams und wird mit Marco arbeiten. Wahrscheinlich werde ich ihn hin und wieder bitten, sich mein Bike anzuschauen, und mit ihm abhängen, aber er wird nicht mehr offiziell mein Mechaniker sein.

Freust du dich darauf, den Winter zu genießen ohne den Stress der nahenden Saison im Hinterkopf?

Ja, auf jeden Fall. Jetzt nach der langen Saison brauche ich eine Pause und es ist wirklich schön, dass ich mich nicht stressen muss, wieder mit dem Training anzufangen Ich kann meine Batterien aufladen und ein bisschen Urlaub machen. Allerdings bin ich auch mit ein paar Projekten beschäftigt, ich bin gerade aus Nepal zurückgekommen und als nächstes geht’s nach Chile. Dass ich mich nicht voll und ganz auf ein Fitnessprogramm konzentrieren muss, erlaubt es mir, ein paar mehr solcher Abenteuer zu erleben. Aber auch wenn ich Urlaub mache, möchte ich natürlich fit bleiben. Ich werde mich also schon zu einem Trainingsprogramm zwingen, damit ich konkurrenzfähig bleibe (lacht).

Lass uns kurz über die Leute reden, die in deine Fußstapfen treten wollen. Viele aufstrebende Racer haben ja Schwierigkeiten, eine komplette Saison zu finanzieren. Kann die Industrie mehr Profi-Fahrer unterstützen?

Ich glaube, die Fans und die Marken in der MTB-Welt haben ein Interesse an Ergebnissen, aber auch an Persönlichkeiten. Als Sportler glaube ich, dass man seine eigene öffentliche Persönlichkeit erschaffen und mit der Welt teilen muss. Damit meine ich nicht, dass man so tut, als wäre man jemand anderes – man sollte den Leuten einfach sagen, wer man ist, und ihnen einen Einblick ermöglichen. Das ist entscheidend. Natürlich gibt es ein Publikum für Fahrer mit guten Ergebnissen, natürlich gibt es da ein öffentliches Interesse und natürlich wollen die Hersteller ihr Geld in diese Fahrer investieren, um zu zeigen, was ihre Bikes können. Aber im Vergleich zu anderen Disziplinen hat Enduro eine sehr starke Grassroots-Kultur. Fahrer und Fans wollen Spaß haben, deshalb sind Ergebnisse nicht alles, es ist mehr gefragt als nur Racing. Es ist immer schwer, finanzielle Unterstützung zu bekommen, und als Fahrer muss man sich überlegen, weshalb einem ein Hersteller Geld geben sollte, was man ihm bieten kann und was das eigene Projekt ist.

Okay, lass uns zu einem aktuellen Thema kommen. Glaubst du als Fahrer, der Enduro in- und auswendig kennengelernt hat, dass die EWS Dopingkontrollen braucht?

Wenn man sich andere Sportarten anschaut, sieht man, dass man Leuten nicht trauen kann, sobald Geld im Spiel ist, sobald es um Ruhm, Ehre und Titel geht. Dopingkontrollen würden klare Verhältnisse schaffen und Zweifel beseitigen, das würde nicht schaden. Ich allerdings glaube nicht, dass im Enduro gedopt wird. Aber wissen ist besser als glauben.

Was glaubst du, wie sollte sich der Enduro-Sport weiterentwickeln, um nicht an Fahrt zu verlieren? Mehr feste Strukturen, mehr nationale Rennserien?

Frankreich ist ein super Beispiel dafür, in welche Richtung es gehen sollte. Es gibt einen nationalen Enduro-Cup, der vom französischen Radsportverband anerkannt ist, und einen Haufen entspanntere regionale Rennen. Es gibt Rennen für unterschiedliche Zielgruppen, ernsthafte und spaßorientierte. Auf internationaler Ebene wäre es für das Wachstum des Sports hilfreich, wenn die UCI sich beteiligen würde. Ich denke nicht, dass die UCI Events veranstalten sollte, denn das EWS-Team macht seine Arbeit hervorragend, aber die UCI könnte dem Sport einen offizielleren Status verleihen und es würde helfen, was die Durchsetzung von Regeln und die Berichterstattung im Fernsehen angeht. Außerdem könnte die UCI den Fahrern einen offiziellen Profi-Status geben – dann würden sie z. B. im Studium eher Stipendien oder generell mehr Unterstützung bekommen. Wenn die EWS weiter wachsen soll, muss man sich überlegen, wo man in fünf Jahren stehen will, welche Vision dahinter steht, auch im Bezug auf das Training, Streckenbegehungen, Massenevents, die Größe des Fahrerlagers usw. Stabilität und eine klare Vision würden Fahrern, Bike-Herstellern und Veranstaltern dabei helfen, sich einzubringen und eine klare Vorstellung von der Situation und den Zielen zu erhalten.

Wir werden dich definitiv bei den Rennen vermissen! Was steht für dich als Nächstes an, was sind deine Pläne für 2018?

Ich arbeite noch an der Planung, aber ich werde mit meinen Partnern zusammenarbeiten und sie bei Events unterstützen, die sie organisiert haben, z. B. Messen und Händlermeetings. Ich werde auf meinen Reisen und Erlebnissen weiterhin Video- und Bildmaterial produzieren und natürlich bei ein paar Rennen starten, z. B. bei Trans-Rennen oder ein paar schönen eintägigen Enduro-Events. Eigentlich werde ich einfach weiterhin ganz schön viel zu tun haben (lacht).

Vielen Dank Jérôme, und alles Gute für die Zukunft!

Dieser Artikel ist aus ENDURO Ausgabe #031

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Text: Fotos: Travor Worsey, Christoph Bayer Übersetzung: Cathrin Rieger