„Unsere Trails sind einzigartig scheußlich“ – resümiert Diana ihren Homespot. So scheußlich , dass die lokale Szene einen eigenen Begriff für die flowigen Abschnitte am östlichen Teil des Comer Sees (oder auch “Lario”, wie ihn die Römer nannten) erfunden hat. „Lario-Flow bedeutet nicht wirklich Flow, sondern nur, dass es nicht ganz so schlimm ist…“ Dianas Bericht über ihre Heimat ist wohl der ungeschminkteste, der unsere Redaktion je erreicht hat. Und genau das hat uns fasziniert! Statt lokalpatriotische Lobreden zu schwingen, schildert sie uns das wahre Wesen ihrer Local Trails und gibt Insider-Tips für alle Freunde technisch steiler und verblockter Abfahrten mit viel Geröll und mediterranem Flair:

Local Heroes
Local Heroes

Die Locals

Andi und Diana sind zwei Deutsche, die es vor vier bzw. zehn Jahren an den östlichen Comer See verschlagen hat. Zusammen mit Sergio, Alberto, Mauro, Simone und Nicolo bilden sie die MTB-Szene vor Ort. Zusammengefunden haben sie trotz unterschiedlicher Fahrstile. Andi mag es “enduromäßig schnell”, die alteingesessenne Italiener haben sich der Topographie da schon eher angepasst: „Schell ist ok, aber am liebsten technisch steil und wenn es geht ein bisschen vertig“ – die Lariobiker sind echte Bergradler.
Auf ihren ausgedehnten Wochenendtouren ist italienische Dolce Vita angesagt, es geht entspannt zu. Auf weniger versierte Fahrer wird gewartet und ein Picknick ist essentieller Bestandteil eines jeden Ausfluges. Lautstark palavernd aber dennoch flott radelt man auf den kleinen Bergsträßchen bergauf, das Bike wird auch mal geschultert, um zum anvisierten Startpunkt zu gelangen.

"Blümchenradlerin" Diana in den Gassen ihrer Heimat am östlichen Lago di Como
“Blümchenradlerin” Diana in den Gassen ihrer Heimat am östlichen Lago di Como

Diana bezeichnet sich selbst als „Blümchenradlerin“, was angesichts der örtlichen Topografie allerdings eine beispiellose Untertreibung sein muss. Denn nach Blümchenradeln klingen die Lario Trails ganz und gar nicht. “Im schlimmsten Fall kann man aber auch einfach absteigen und Schieben und sich dabei über herrliche Flora mit vielen seltenen Orchideenarten freuen”, versichert Diana – so kann man Blümchenradeln natürlich auch verstehen.

Was macht eure Trails einzigartig?

„Sie sind einzigartig verblockt, steil, ruppig, ungepflegt – eben SEHR naturbelassen und auch selten markiert. Nach den nicht unüblichen Regengüssen zudem meist auch noch fies ausgewaschen. Immer wieder poltern große und kleine Wacker aus dem Karstgebirge auf die Wege. Im Herbst wird’s richtig spannend, wenn sich die Überraschungen unter tiefen glitschig-nassen Laubschichten verbergen. Im feucht-nassen Zustand verwandeln sich die Kalkstein-Trails in steile schmierseifenartige Rutschbahnen. Nach Föhnstürmen liegen oft – und lange – Bäume quer. Im Sommer ist es meist unerträglich heiß – im Herbst und Frühjahr zu nass – und im Winter zu kalt. Die Wege sind so steil, dass man sie so gut wie nie bergauf fahren kann. Wenn man es doch versucht, ist es eine echte Qual.

Ein klassisches Beispiel für den Zustand, in dem sich unsere Trails leider oft befinden. Glücklicherweise organisieren die Locals zunehmend Aufräumaktionen.
Ein klassisches Beispiel für den Zustand, in dem sich die Trails leider oft befinden. Glücklicherweise organisieren die Locals zunehmend Aufräumaktionen.
Blick vom Monte Legnone ins Valtellina
Blick vom Monte Legnone ins Valtellina

Fazit: die Trails sind eigentlich einzigartig scheußlich!“ – so Diana über ihre Hometrails. Das Konzept des Lario-Flow, das die Bikeszene vor Ort zusammenhält, wird nach dieser Schilderung nachvollziehbar. Aber ist es wirklich so schlimm? „Das mediterrane Flair und das Panorama sind natürlich ebenso einzigartig.“ ergänzt Diana. “Die Trails sind weder gebaut oder geshaped, noch gepflegt und auch nicht fürs Radfahren gemacht. Wer es aber gern steil, steinig, stufig und technisch mag, kommt hier auf seine Kosten” Außerdem finden sich die Locals immer öfter zu Aufräumaktionen zusammen. Danach machen die Trails dann eine zeitlang wieder Spaß – zumindest bis zum nächsten Regen oder Sturm …

Welches Bike ist am besten geeignet?

“Ein Fully mit mindestens 150mm Federweg – ideal ist ein leichtes Endurobike.”

Was unternimmt man nach der Tour?

“Die Italiener zieht es nach der Tour meist schnell nach Hause, denn die heimische Pasta ruft – und die ist bekanntlich immer die Beste! Für Besucher ist dagegen im Sommer ein Sprung in den See ein absolutes Muss und perfekt um den Schweiß abzuwaschen und die ausgezehrten Muskeln zu entspannen. Gut geeignet dafür ist der Strand in ABBADIA LARIANA beim CAMPING SPIAGGIA. Dort gibt es lange Sonne, eine Bar mit Allem, was man für das Aprés-Bike so braucht und natürlich 1A-Pizza.
Außerdem kann man dort bei der “EXTREME-FACTORY” auch diverse Alternativ-Erholungsmöglichkeiten ausprobieren, wie z.B.
Surfen, Stand-Up-Paddeln oder Wakeboarden. Hier werden auch Bike-Shuttles angeboten – sehr zu empfehlen, um sich die Quälerei bergauf auch mal zu schenken. Abends ist die Bar-Terrasse mit Blick auf den See und seine Berge ein beliebter Treffpunkt, oft untermalt Live-Musik das herrliche Panorama.

Außerdem locken Lecco, Varenna und Colico mit ihren pittoresken Altstädten zum Bummeln, Shoppen und Gelato essen.”

Die Trails

Andis Hometrail

“Andis Hometrail befindet sich im Süden des Larios und führt von ABBADIA LARIANA rauf nach RESINELLI. Ein idealer Einstieg für neu Angereiste, da hier gleich deutlich wird, was einen in der Region erwartet. Es geht steil bergauf und noch steiler und rumpelig wieder runter. Bergauf wie bergab bewegt man sich abseits vom Verkehr auf etwas Asphalt, Schotter und vielen vergessenen Trails und Maultierpfaden.”

Ausgangspunkt ist ein kleiner Parkplatz am Ende der Via del Castello. Dem Wanderschild Richtung CAMPELLI / RESINELLI folgend beginnt die Tour gleich mit dem Anstieg: mal steil, dann sehr steil – und immer wieder f***ing-bad-steil: Hut ab vor allen, die das Ding komplett hoch treten! An den steilsten Stellen ist die Rampe gnädigerweise asphaltiert. Die 30% Steigung sind aber immer noch Herausforderung genug!

Oben in RESINELLI: Am besten in eine der Bars einkehren, um den Uphill zu verdauen und Kraftreserven aufzufüllen: Die braucht man nämlich für die Abfahrt!

Der Einsteig befindet sich links hinter der Kirche in RESINELLI: am Anfang muss man noch einer Asphaltsraße folgen, die in eine holprige Forst-Straße übergeht. Diese führt zum Schluss durch einen Bach. Direkt danach lässt man das letzte Haus links liegen. Jetzt beginnt der Spaß! Los geht’s mit einem Hohlweg voller loser Steine, auf die eine steile, verblockte, halbverfallene, ausgewaschene, rumpelige “Mulatiera” folgt. Nach einem besonders fiesen steinigen Stück erreicht man eine Kreuzung: nehmt hier den Weg Nr. 12 nach MANDELLO, dieser zweigt nach rechts ab und führt leicht aufwärts. Hier gibt es zwischendurch richtig schönen “Lario-Flow”. An der nächsten Kreuzung – wieder nach einer deutlich ruppigeren Stelle – links halten (bergab). Man erreicht schließlich eine Wiese oberhalb des Ortsteils MAGGIANA. Hier links halten und durch den kleinen Ort cruisen, bis ihr auf die Strasse nach ABBADIA/CREBBIO kommt. Folgt dieser nur kurz, schon am Friedhof zweigt rechts ein schöner Pfad ab. Nach der Brücke über die Autobahn wieder rechts abbiegen. An der Kirche beginnt links der SENTIERO DEL VIANDANTE, der euch zurück zum Parkplatz nach ABBADIA bringt.

ALPE DI ESINO:

“Gemäßigt bergauf – in zwei unterschiedlich fiesen Varianten runter.

Ausgangspunkt: ist der kleine Ort VARENNA. Hinter dem Dorfbach geht es rechts auf einer asphaltierten Straße nach ESINO. In ESINO links Richtung ORTANELLA abbiegen und gleich nach der Kreuzung wieder links in einen alten, fordernd steilen Maultierpfad einbiegen. Dieser führt bis bis zur Alpe, einer Einkehrmöglichkeit, bei der sich ein Picknick empfiehlt.

Abwärts: zu Beginn ist es etwas rumpelig, ein toller Blick über den See inklusive. An der Kreuzung muss man sich entscheiden:

A) Wanderweg Nr.71 oder “BRENTALONE-VERT”: nur für versierte Fahrer mit Sinn für “Steil ist Geil” zu empfehlen. Wenn Ihr unten auf der Uferstrasse ankommt, geht es links wieder zurück nach VARENNA.

B) Dem Pfad weiter im Auf-und-Ab Richtung ORTANELLA folgen, links auf eine Schotterstrasse abbiegen und an hinter einer Picknickbank rechts den SENTIERO DEL VIANDANTE runter nach VARENNA nehmen: Hier gibt es zu Beginn einen ziemlich ausgewaschenen Geröllheimerweg, dann eine gehörige Portion Lario-Flow mit nur wenigen fiesen Schlüsselstellen,
zum Schluss abgerundet durch einen schrecklich verblockten Hohlweg voll mit Geröll. Dafür wird man zwischendurch mit einigen der wirklich besten Ausblicke auf den Lario belohnt.”

Variante B, oberhalb von Varenna. Hier unbedingt die Kurve kriegen, sonst gibt es einen mordsmäßigen Abflug
Variante B, oberhalb von Varenna. Hier unbedingt die Kurve kriegen, sonst gibt es einen mordsmäßigen Abflug

BOCCHETTA DEL PRADA

“Ein alpiner, langer und anstrengender Bike-Ausflug ins GRINGE-MASSIV:

Aufwärts geht es wieder ab VARENNA über ESINO, gemäßigt steil und lange auf Asphalt. Ab ESINO weiter der Straße bis hinter das RIFUGIO CAINALLO folgen, bis zu einem Wanderparkplatz. Nehmt den Wanderweg zur BOCCHETTA DEL PRADA, hier ist allerdings für ca. 30 Minuten erstmal Schieben und Bike-Schultern angesagt. Danach kann man immer mal wieder fahren bis rechts ein steiler Stich hoch zum Sattel “BOCCHETTA DEL PRADA” führt, der nur zu Fuß zu bewältigen ist. Oben sollte man unbedingt ein Picknick einplanen!

Runter ist alles dabei: Der Einstieg ist zwar nicht markiert aber leicht zu finden.
Es geht eine ziemlich steile Wiese im Zickzack runter, dann geht’s ab in den Wald: es folgt ein sehr steiler, verblockter, teilweise flowiger Trail. An einigen Stellen ist besondere Vorsicht geboten – Absturzgefahr!
Ihr folgt immer dem Weg Nr.17. An einer Wiese, bzw. Alpe im Wald rechts bergauf halten.
Bei der kleinen Kirche Santa-Maria hoch über MANDELLO ist es fast geschafft. Am Wochenende gibt es dort Kaffee, kalte Getränke und andere Stärkungen. Doch Vorsicht mit dem Grappa: Das Schlimmste ist zwar hinter euch, aber wirklich einfach wird es trotzdem nicht. Der Weg rumpelt sich an den Passionskreuzen vorbei weiter Richtung MANDELLO. Am Ortseingang rechts bleiben und dem Weg folgen, bis ihr zum SENTIERO DEL VIANDANTE kommt. Dieser bringt euch oberhalb der Uferstrasse nach LIERNA und von dort über die Straße zurück nach VARENNA.”

Echter "Lario-Flow" - es ist steiler als es aussieht!
Echter “Lario-Flow” – es ist steiler, als es aussieht!

Die Königstour:

“Dieses absolute Highlight wollen wir euch nicht vorenthalten: Die Königstour ist eine wirklich anstrengende Tagestour und führt fast bist auf den höchsten Gipfel am See, den MONTE LEGNONE. Stolze 2.609 m hoch, lässt er sich bis fast ganz nach oben mit dem Bike bezwingen.

Aufwärts: Zu Beginn von DERVIO aus einfach der Straße in das VAL VARRONE hoch folgen. Hinter TREMENICO zweigt links die alte MULATIERA ab, es geht lange und in unzähligen Kehren durch den Wald und schließlich über eine Wiese zur Alpe GRIERA (Einkehrmöglichkeit). Irgendwann können nur noch Trial-Meister fahren, der Rest schiebt für ca. 1,5 – 2 Stunden. Nach Erreichen seines Sattels führt der Weg unterhalb des Gipfels weiter, mehr oder weniger fahrbar – ich schiebe lieber, sicherheitshalber.
Runter wird’s ausgesetzt aber überwiegend fahrbar. Leider haben die Regenfälle dem Weg arg zugesetzt, hoffentlich wird er im nächsten Frühjahr wieder etwas her gerichtet. Je weiter runter man sich arbeitet, desto mehr “Flow” gibt’s. Von weit oben kann man schön das Zwischenziel erkennen: das RIFUGGIO LEGNONE lockt als willkommene Erfrischungsstation. Von dort geht es dem Weg Nr. 123 folgend erst richtig spaßig über die Wiese und dann wieder in den Wald. Schon ist er wieder da, der “Lario-Flow”! Mit großer Freude habe ich beim letzten Mal die “Complimenti” der Wanderer vernommen, die mich hier für meinen Mut bewundert haben. Da freut sich die Blümchen-Radlerin.
Im Wald dem Hinweis “Biker” folgen, bis der Spaß auf einer Forststrasse endet. Wenn man aufpasst, entdeckt man den Pfad, der später noch mal von dieser abzweigt. Sonst vernichtet man die restlichen Höhenmeter einfach auf der Piste bis hinunter nach DELEBIO, PIANTEDO und COLICO. Zurück zum Ausgangsort kann man sich entweder dem italiensich-chaotischen Verkehr der Uferstraße aussetzen oder die Bahn nehmen.”

Das Beste zum Schluss:

“Die Trails vom Lombardia-Enduro-Cup bei COLICO: PROVE SPECIALE 1,2 und 3.

die Trails vom Lombardia-Enduro-Cup bei COLICO: PROVE SPECIALE 1,2 und 3.
Das heißt, sie WAREN das Beste. Mittlerweile sind sie wie alle anderen Wege der Witterung zum Opfer gefallen und haben sich in die üblichen „rumpel-holter-dipolter-hoffentlich-geht-das-gut Strecken“ verwandelt.
Allerdings werden die Trails ab und zu auch wieder hergerichtet, wenn man Glück hat, ist das letzte Mal nicht allzulange her.”

HOT 5 LIST:

  • Bestes Gelato: bei einer kleine Eisdiel direkt am Hafen in Varenna, home-made und soooooooooo cremig
  • Sonnenuntergang in der Spiaggia-Bar in Abbadia Lariana
  • typisch Italienisch dinnieren im AL VERDE (Mandello del Lario). Hier gibt es Themen-Menüs, die keine Wünsche offen lassen!
  • Das Moto Guzzi Musem in Mandello del Lario – hier gibt es alte Motrräder zu bestaunen. Das Museum hat bei Fans italienischer Mopeds Kultstatus!
  • Wasserski oder Wakeboarden auf dem See: einfach genial!
  • Text: Diana Weidner / Hannah Röther Fotos: Diana Weidner


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