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Hallo zusammen! Mein Name ist Victor, und seit etwa einem Jahr führe ich ein Leben als “Bike-Vagabund”. Meinen Bürojob in Santiago, Chile habe ich gekündigt und mir von meinem Ersparten ein Ibis Mojo HD gekauft. Ich bin zurückgekehrt in meine Heimatstadt Cusco in Peru, um mit dem Bike all die großartigen Orte zu erkunden, von denen ich seit meiner Kindheit träume.

Victor returned to his hometown of Cusco after taking time off from the "real" world in Santiago, Chile.
Victor hat sich eine Auszeit von der “echten Welt” genommen und ist aus Santiago (Chile) in seine Heimatstadt Cusco zurückgekehrt

Cusco ist zwar ein populäres touristisches Reiseziel, aber von seinem unglaublichen Mountainbike-Potential hat der Rest der Welt noch nicht viel mitbekommen. ENDURO beschrieb es in Ausgabe 11 als Südamerikas bestgehütetes Geheimnis, doch ging es in dem Artikel nur um einen einzelnen Singletrack, die “Via Lactea” (Milchstraße), oder auch “El Brujo” (der Zauberer) genannt. Ein Großteil des Bike-Potentials der Gegend basiert auf der großartigen Geographie und dem ungeheuren Netzwerk an Pfaden, das die Inkas vor über 600 Jahren anlegten und das in der Region Cusco etwa 10.000 Kilometer Singletrails bietet. Auf den meisten Trails – zumindest auf denen, die richtig Spaß machen – fährt man auf einem engen, steilen Pfad an einem Steilhang entlang. Es gibt lange Abschnitte mit ungleichmäßigen Felstreppen (Erfahrung mit Steinfeldern ist hier Pflicht) und flowige Parts, die einen mit plötzlich auftauchenden engen Kurven überraschen können. Aufgrund der Beschaffenehit der Trails und der Stufen fahren wir hier eher downhill-orientiert – und ihr müsst euch auch auf längere Abfahrten einstellen. Für die meisten Trails hier brauchen erfahrene Downhiller zwischen 20 und 60 Minuten.

Die beste Zeit um die Trails kennenzulernen ist April bis November. Manche Trails sind zeitweise recht rutschig, aber insgesamt bleibt das Gelände berechenbar. In der Zeit von Dezember bis April regnet es ziemlich viel, aber wenn man nicht gerade ein Schönwetter-Fahrer ist, sollte das kein Problem sein. Daher würde ich sagen, dass die Trails ganzjährig befahrbar sind. Man muss sich aber auch die Höhenunterschiede vor Augen führen – Trails fangen auf 4600 Metern über dem Meeresspiegel an und enden auf 2800. Mit etwas Regen sollte man immer rechnen, und die Temperatur kann sich ganz schnell von kalt (0-10 °C) nach warm (25°C) ändern. Es ist immer gut, eine Wind- und Regenjacke dabei zu haben.

Weather can be unpredictable, so bring fair protection.
Das Wetter kann unberechenbar sein, also unbedingt vernünftige Kleidung mitbringen

Die Trails sind leicht zu übersehen, obwohl sie sich in der Nähe von Straßen befinden (viele Autostraßen wurden auf den alten Inkapfaden gebaut) oder sogar durch Dörfer führen. Es ist daher sinnvoll, mit jemandem unterwegs zu sein, der sich vor Ort auskennt. Auch gibt es manchmal unfahrbare Stellen, deshalb kann es schon passieren, dass man sein Bike ein paar Stunden tragen muss, anstatt 30 Minuten Abfahrt zu genießen. Die Nähe zur Straße macht es möglich, zu den bekannteren Trails mit dem Auto zu shutteln (eine Stunde mit dem Auto entspricht etwa 3 Stunden mit dem Bike). Denkt dran, dass man für lange Abfahrten auch ganz schön lange hochfahren muss). Die weiter entfernten Trails, sind auch bei den Locals weniger bekannt und nur per Bike erreichbar – das macht die Abfahrt aber einfach noch ein bisschen besser. Ich muss sagen, dass die besten Trails, die ich gefahren bin, die waren, die sich nicht mit dem Auto erreichen lassen – und ich weiß, wovon ich rede.

Empfohlenes Bike

Wenn ihr den Weg hoch mit dem Bike zurücklegen wollt, würde ich ein All-Mountain/Enduro mit 160 mm Federweg und einem 2×10-Antrieb empfehlen (alle mit 1×11 Antrieb tragen ihr Bike am Ende doch die meiste Zeit). Mit so einem Bike werdet ihr bei den Abfahrten eine Menge Spaß haben, könnt aber auch pedalieren, wann immer es nötig ist. Wenn man jederzeit auf ein Auto zurückgreifen kann, ist ein Downhill-Bike sicher cool, aber bedenkt, dass es auch auf Abfahrten längere Tretpassagen geben kann (und wahrscheinlich auch ein paar kleinere Anstiege).

Wide open trails and natural wildlife are part of every ride.
Auf offenen Trails bekommt ihr spektakuläre Landschaften und auch die heimische Tierwelt zu sehen.

Die Trails erzählen einem manchmal uralte Geschichten. Richtig bewusst wurde mir die faszinierende Historie die Inka-Trails erst, als ich von zuhause wegzog. Natürlich wusste ich schon vorher über ihre Entstehung Bescheid, aber so richtig schätzen gelernt habe das erst in der weit weg von zu Hause. Und genau deshalb bin ich auch zurück gekommen: um diese Geschichte kennenzulernen.. Viele Trails hier wurden zufällig auf Erkundungstouren entdeckt. alten Dorfbewohnern zuhörte, die auf Quechua, der lokalen Sprache, ihre Geschichten erzählten. Außerdem recherchierte man in Geschichtsbüchern über die Inka und die Zeit der spanische Erobererung, wo die Handelsnetze, Rituale, Zeremonien, religiösen Pilgerfahrten etc. der Inka analysiert wurden. Zusammen mit der faszinierenden Landschaft (hier lasse ich einfach die Bilder sprechen) macht das Cusco für mich zu einem großen, ‚wilden‘ Bikepark. In der Stadt hat man alle Annehmlichkeiten, aber sobald man mal draußen ist, wird es ein echtes Abenteuer. Oder, wenn’s schiefläuft, auch mal eine Odyssee.

Nach dem Biken

Es gibt in und um Cusco sehr viele Möglichkeiten zum Biken, und selbst die bekanntesten und beliebtesten Trails bieten so viele Variationsmöglichkeiten, dass sie selbst nach mehrmaligem Fahren nicht langweilig werden. Es ist eher unwahrscheinlich, dass man am Ende des Tages noch Energie übrig hat. Selbst wir Locals trinken nach der Fahrt erstmal ein Bier (Cusqueña) und machen im Auto ein Nickerchen, bevor wir uns müde und und ausgezehrt auf den Weg zurück in die Stadt machen. . Falls man aber doch noch Kraft übrig hat, sollte man sich diese für die Nacht aufheben.

Leider darf man Teile der Innenstadt von Cusco nicht befahren und hat so zu vielen Orten keinen Zugang mit dem Bike. Richtig lustig wird es hier erst am späteren Abend, was einem schnell mal die morgendliche Fahrt am nächsten Tag versauen kann. Aber wer sich ein bisschen im Griff hat, kann hier jede Menge Spaß haben. In der Nähe des zentralen Platzes gibt es diverse Restaurants, Pubs, Bars und Clubs, wo man vor allem in der Touristensaison jede Menge Ausländer in Feierlaune trifft. Wenn ihr mit Freunden da seid, ist der beste Plan für den Abend ein schönes Essen, ein paar Drinks und dann Tanzen gehen in einem der Clubs.

Cusco bietet aber noch einiges mehr als wilde Parties, zum Beispiel die archäologischen Fundstätten, Museen oder auch die Möglichkeit, anderen Sportarten nachzugehen, wie etwa Trekking, Kajakfahren, Rafting, Reiten oder Klettern. Ihr könnt euch auch Motorräder ausleihen – dafür müsst ihr keine Experten sein, es gibt sowohl Anfängertouren als auch anspruchsvollere. Das gleiche gilt natürlich auch fürs Mountainbiken.

Cliffs on the side of the trail drop in steep ravines to rivers below.
Die Steilhänge entlang der Trails fallen in tiefen Schluchten bis zu den Flüssen am Grund ab

Trail Verzeichnis

Patacancha Valley (51km, von 4400m auf 2800m).

In diesem Tal gibt es drei oder vier Trails, die man alle an einem Tag fahren kann – in einem langen, abgefahrenen Höllenritt allerdings. Es ist schon eine Herausforderung und man muss ziemlich fit sein, um sie zu bewältigen. Alternativ könnt ihr auch nur Teile davon fahren, um das Ganze an euer jeweiliges Level anzupassen – es soll ja Spaß machen. Die komplette Route ist extrem abwechslungsreich: es gibt verschiedene Linien-Optionen, Anstiege auf Schotterpisten, Singletrack-Abschnitte, alte Dorfstraßen, Schotterabfahrten mit den oder anderen Shortcuts, Brücken über Bäche, Flussquerungen, enge Anstiege, Tragepassagen, unglaublich steile Abfahrten, Steinfelder, noch mehr Anstiege und noch mehr Abfahrten. Immer wieder kommt man an weniger bekannten, aber nicht minder beeindruckenden Ausgrabungsstätten vorbei, bis man schließlich die Stadt Ollantaytambo erreicht.

Fairway to heaven (8.4km, von 3800m auf 2800m)

Ein Mix aus geilen Downhill-Passagen, anspruchsvollem All-Mountain-Terrain und felsigen Trails. Der erste Teil ist ziemlich verblockt, dann kommen ein paar DH-Passagen und ein kurzer aber steiler Anstieg, der einen zu einem langen, ebenen, aber immer noch felsigen Trail bringt, von dem aus man (vor allem von Juni bis September) einen großartigen Blick auf die umgebende Landschaft hat. Darauf folgt nochmal eine längerere Downhill-Sektion bis zu den Ruinen von Moray, dann wieder ein Stück Schotterpiste, und wieder eine spaßiger Singletrail.. Während fast der gesamten Abfahrt befindet sich zu eurer Linken ein Abhang. Dieses letzte Stück kann eine der flowigsten Abfahrten in der Gegend sein, aber es erfordert viel Balance, um die Linie zu treffen.

Huchuy Qosqo (35km, beginnt auf 3300m, steigt an auf 4400m und fällt ab auf 2900m)

Huchuy Qosgo ist eine Ruinenstätte, die nur zu Fuß oder mit dem Mountainbike erreichbar ist. Man kommt auf verschiedenen Trails hin, aber für alle muss man fit sein. Ich kann jeden der Trails von Cusco (oder auch von Chinchero) in Richtung Calca empfehlen. Sie sind alle beeindruckend, zum einen wegen der großartigen Landschaft, und zum anderen, weil man hier die architektonischen Facetten der Inka-Pfade kennenlernt. Von Huchuy Qosgo aus kann man dann auf verschiedenen Trails nach Calca oder Lamay weiterfahren.

Ancient ruins can be found on all rides. Learn something while riding hard.
Wohin man schaut gibt es uralte Ruinen. Hier kann man beim Biken richtig was dazu lernen.

Sappatoq-Lamay (13.6 km, von 4200m auf 2900m)

Das ist vielleicht der flowigste Trail in Cusco, aber auch einer der anspruchsvollsten. Am besten macht ihr erst ein paar Trainings-Runs, bevor ihr den Gashahn voll aufdreht. Der Trail ist recht abgelegen, von Lamay zum Start des Trails braucht man mit dem Auto rund eine Stunde, mit dem Bike drei. Aber wenn man ihn mal kennt, ist der Trail einfach der Hammer. Ein scheinbar endloser, schmaler Singletrack, mit einigen Steinfeldern und Stufen, auf die man mit hoher Geschwindigkeit und wenig Kontrolle trifft. Dank der üppigen Vegetation kann das Hirn den kleinen Abhang zur Rechten ausblenden, so wird man hier nicht zu sehr abgelenkt. Das hier ist eine der Bike-tauglichsten Strecken, es wird also garantiert aufregend.

Salkantay Community (16km, beginnt bei 3400, steigt an auf 4000m und fällt dann wieder auf 3400m)

Neben der Festungsruine Sacsayhuaman, oberhalb vom Stadtzentrum Cuscos, findet ihr eine Schotterstraße, die zum Ort Salkantay führt. Von diesem Weg aus gibt es diverse Abfahrtsmöglichkeiten. Wenn man wenig Zeit hat, ist das der Trail für die kurze Runde zwischendurch, 30 Minuten reichen für Aufstieg und Abfahrt. Da wir aber gerne länger Spaß haben, schlage ich vor, dem weg noch weiter nach oben zu folgen (eine Stunde mit dem Rad), denn hier beginnt ein großartiger Track. Wie bei den anderen Trails,gibt es auch hier mehrere mögliche Einstiege, die später auf den selben Weg treffen. Gegen Ende hat man die Wahl zwischen mehreren Varianten runter nach Cusco. Man kommt nur ein paar Blocks vom Stadtzentrum entfernt raus, wo eine große Auswahl an Essen und Getränken warten.

There will be some climbing, and especially at this altitude, this can be taxing. But worth every penny.
Es geht nicht ohne klettern, und das kann anstrengend sein, vor allem in dieser Höhe. Aber es ist die Mühe wert!

Text und Fotos: Victor Espinoza


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Über den Autor

Aaron Steinke

Aaron war der erste Mitarbeiter unseres Unternehmens, hat es tatkräftig mit aufgebaut und dabei den Auftritt und die Ausrichtung unserer Magazine maßgeblich mitgeprägt. Seit Mitte 2020 verfolgt er eigene Projekte, berät und unterstützt uns aber weiterhin bei Marketing- und Technik-Themen. Viele Jahre lang konnte man Aaron vor allem auf spaßorientierten Enduro-Rennen finden, in letzter Zeit auch vermehrt auf dem Rennrad – es lebe die Freiheit auf zwei Rädern!