Wann verkam Mountainbiken eigentlich zu einer Modenschau? Als das Marin Wolf Ridge vorgestellt wurde, stürzten sich die Foren-Kardashians wild geworden darauf und forderten seine Auslöschung, statt sich über Kinematik oder Performance zu unterhalten. Ja, es sieht etwas speziell aus, aber wenn der R3ACT-Hinterbau funktioniert, sollte uns das doch erst mal reichen, oder?

Marin Wolf Ridge 9 | 160/160 mm (v/h) | 14,13 kg | 6.999 €

Bei der derzeitigen Auswahl an Bikes gibt es oft nur geringe Unterschiede, was das Design angeht. Einigkeit ist die neue Vielfalt, die Designer versuchen, sich durch ein Grad hier und ein paar Millimeter dort abzuheben, unterscheiden sich aber letztlich nur durchs Marketing. Die Innovation lässt nach – anders als bei den E-MTBs übrigens. Aber manchmal stolpern wir über ein Bike, das so anders ist, dass es schwerfällt, sich darüber eine Meinung zu bilden. In einer Welt der schönen Bikes ist es eher das hässlichen Entlein, aber vielleicht fährt es sich ja wie ein wunderschöner Schwan? Ästhetik ist etwas Subjektives, Performance nicht. Wenn der innovative R3ACT-Hinterbau wirklich funktioniert, können wir sicher über das eigensinnige Design hinwegsehen. Die harten Zahlen des Marin Wolf Ridge stimmen schon mal, 160 mm Federweg an dem 14,13 kg schweren 29er klingen nach einer Spaßmaschine. Aber was genau ist es? Marin lässt verlauten, dass das Wolf Ridge das ultimative Allround-Mountainbike ist, aber ist es eher ein federwegstarker Bolide, eine agile Trailrakete – oder doch einfach nur ein Design-Gag?

Das Marin Wolf Ridge 9 im Detail

Das Marin Wolf Ridge 9 sieht live auf jeden Fall um Welten besser aus als auf Fotos, die Lackierung mit grün-blauem Farbverlauf gibt dem Bike einen futuristischen Look und die Verarbeitung ist hervorragend. Wie ein Vokuhila ist die Front, ganz typisch für Marin, sehr seriös und mit Designelementen der „Attack Trail“-Linie gespickt. Am Heck steigt dann die richtige Party. Der auffällige R3ACT-Hinterbau dominiert die Optik mit seiner großen Strebe. Im Inneren findet sich eine große Gleitzylinder, das den vorderen und hinteren Rahmenteil verbindet und so die Kinematik über den Federweg hinweg verändert. Designer Darrell Voss scheint von der Funktion des Systems überzeugt zu sein, vermeidet bei der Vorstellung übertriebene Nerd-Begriffe und plädiert dafür, das Bike aufgrund seiner Performance selbst zu beurteilen.


Federgabel RockShox Lyrik RCT3 160 mm
Dämpfer RockShox Monarch R DebonAir 160 mm
Schaltung SRAM X01 Eagle
Bremsen SRAM Guide RS
Lenker Deity Blacklabel 800 mm
Vorbau Deity Copperhead 35 mm
Sattelstütze KS Lev Sio
Reifen WTB Vigilante / WTB Breakout
Laufräder Stan´s Notubes Flow MK3 Wheelsset


Achtung, Tieflader
Wer sein Kettenblatt häufig durch Steine und Wurzeln treibt, sollte beim R3ACT-Hinterbau ab sofort erhöhte Vorsicht walten lassen!
Sagt nein zu flachen Sitzwinkeln
Unser Testbike war mit einer geraden Teleskopstütze ausgestattet, in Serie wird hier eine Offset-Stütze zum Einsatz kommen, die den ohnehin flachen Sitzwinkel noch flacher werden lässt.
Ein Zeichen der Zukunft
Auch wenn es nicht perfekt ist, ist das Marin Wolf Ridge eine der spannendsten Innovationen der letzten Jahre. Ergötzt euch daran!
Effizienz auf dem nächsten Level
Der Marin Wolf Ridge R3ACT-Hinterbau ist der beste Kletterer, den wir kennen. Der Mono-Stay-Hinterbau ist leise und unter Krafteinwirkung stabil.

Die Geometrie des Marin Wolf Ridge 9

Größe S M L XL
Sattelrohr 390 mm 420 mm 465 mm 525 mm
Oberrohr 575 mm 595 mm 620 mm 638 mm
Steuerrohr 90 mm 90 mm 100 mm 125 mm
Lenkwinkel 66,5° 66,5° 66,5° 66,5°
Sitzwinkel 73,5° 73,5° 73,5° 73,5°
Kettenstrebe 435 mm 435 mm 435 mm 435 mm
BB Drop 37 mm 37 mm 37 mm 37 mm
Radstand 1155 mm 1175 mm 1206 mm 1229 mm
Reach 415 mm 435 mm 462 mm 476 mm
Stack 627 mm 627 mm 636 mm 659 mm

Das Marin Wolf Ridge 9 auf dem Trail

Und funktioniert es? Okay, wir nehmen es vorweg: Der R3ACT-Hinterbau funktioniert wie nichts anderes, was wir bisher gefahren sind. Es ist schwierig zu beschreiben, aber das Fahrwerk fühlt sich seltsam definiert und gleichzeitig losgelöst an. Der Hinterbau klebt am Boden und reagiert sehr präzise auf Schläge, wodurch stete Traktion und Vortrieb gewährleistet sind. Bei der Antriebseffizienz ist das Marin Wolfe Ridge 9 trotz eines einfachen RockShox Monarch DebonAir statt des sonst montierten FOX X2 eine absolute Nummer. Glaubt dem Hype also, das ist das effizienteste 160-mm-Bike auf dem Markt!

Auch ohne eine aktivierte Plattform bleibt das Marin ganz ruhig, wenn man bergauf heftig in die Pedale tritt: kein Wippen, keine Verwindung des breiten Mono-Hinterbaus, nur Grip und brutaler Vortrieb. Leider fühlt sich aber der flache 73,5°-Sitzwinkel an, als würde man mit angezogener Handbremse fahren, obwohl der 462,2 mm lange Reach sonst angenehm ist. Gerade für Fahrer mit langen Beinen war das anstrengend. Unser Testbike war mit einer geraden Teleskopstütze ausgestattet, in Serie wird eine Offset-Stütze Verwendung finden. Das macht das Ganze leider noch schlimmer – keine Katastrophe, aber ein Hindernis für den R3ACT-Hinterbau, sein volles Potenzial auszuschöpfen.

Helm Fox Flux | Jersey iXS Vibe 6.2 BC Freeride 3/4 Jersey | Shorts Troy Lee Designs Skyline Race Shorts

Effizientes Klettern ist nur ein Teil des Deals, ein gutes Fahrwerk muss in eine gute Geometrie gekleidet sein, um bei Abfahrten zu glänzen, besonders mit 160 mm Federweg. Und hier wird die imposante Performance am Heck des Wolf Ridge zu seiner Achillesferse. Sie ist so gut, dass man mehr will. Das Handling des Wolf Ridge 9 ist unglaublich präzise, es springt von Linie zu Linie und vollbringt Richtungsänderungen schneller als ein englischer Politiker. Auch hängende Kurven können mit rasiermesserscharfer Präzision gefahren werden und enge Kurven durchschneidet das Marin wie ein Chirurg. Diese geometrischen und kinematischen Vorteile führen dazu, dass man bei Vollgas über ruppige Trails absolut konzentriert sein muss und die Konstitution eines Racers braucht, um das Marin zu bändigen.

Als aggressives Trailbike hat es ohne Frage fast endloses Potenzial, als Bike für wirklich alle Situationen kann es nicht ganz überzeugen.

Das Wolf Ridge fühlt sich an wie ein 180-mm-Bike, das im Körper eines 140-mm-Bikes steckt. Auch wenn 66,5° nicht steil sind – ein Lenkwinkel, der um ein Grad flacher wäre, hätte das Handling des Marin etwas beruhigt und besser zum starken Hinterbau gepasst. Wir kennen die RockShox Lyrik RCT3 160 mm als gute Gabel, deswegen wunderten wir uns, dass sie sich diesmal limitiert anfühlte. Wir hätten gerne gesehen, wie der R3ACT-Hinterbau sich in einem noch stimmigeren Gesamtpaket angefühlt hätte. Wer oft auf steinigen Trails unterwegs ist, sollte die Finger vom Marin lassen, da der Rahmen ziemlich weit nach vorne unten ragt und wir schon in den ersten Runs tiefe Lackplatzer im Carbon hatten. Zum Thema Haltbarkeit kann nur die Zeit zeigen, wie zuverlässig der R3ACT-Hinterbau wirklich ist.

Fazit

Das Marin Wolf Ridge 9 brachte uns in ein Dilemma. In vieler Hinsicht ist es eine Offenbarung und um Klassen besser als die Konkurrenz. Es ist so effizient, dass man damit einen XC-World-Cup fahren könnte. Als Trailbike ist es verdammt schnell und bietet bei jeder Geschwindigkeit messerscharfe Präzision und perfektes Handling. Ob es das zum perfekten Bike macht, hängt zum Großteil davon ab, wo ihr lebt und fahrt. Um das Allround-Mountainbike zu sein, als das es beworben wird, braucht es einen versierten Fahrer. Der R3ACT-Hinterbau hat Marin auf das nächste Level gehoben. Um sein volles Potenzial auszuschöpfen, muss nun auch die Geometrie nachziehen.


Stärken

– klassenbeste Effizienz
– unfassbar gute Kurvenlage

Schwächen

– zu flacher Sitzwinkel
– tiefhängender Rahmen


Mehr Infos findet ihr unter: marinbikes.com


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