Bei ambitionierten Trailfahrern sind leichte Fullface-Helme oder solche mit abnehmbarem Kinnschutz begehrter als das neue iPhone X. Wir haben sechs der besten Modelle getestet, um herauszufinden, ob sie es in Sachen Belüftung mit einem Trailhelm aufnehmen können und dabei auch noch dasselbe Level an Schutz bieten wie ein Fullface.

Wir leben in einer Zeit, in der wir von sämtlichen Dingen erwarten, dass sie mehr können als nur eine Sache. Nehmt unsere Smartphones als Beispiel: Wusstet ihr, dass telefonieren nur die sechstbeliebteste Funktion ist? Genauso ist es auch bei Helmen. Wir erwarten nicht nur Schutz, sondern fordern auch gute Belüftung, eine leichte Konstruktion und jetzt wollen wir auch noch einen abnehmbaren Kinnschutz. Die neueste Generation an Helmen mit abnehmbarer Kinnpartie behauptet, dasselbe Maß an Schutz zu erreichen wie ein Fullface-Helm, in Kombination mit einer dramatisch verbesserten Ventilation für mehr Komfort auf Anstiegen. Es ist also Zeit für die Frage, welches das beste Modell auf dem Markt ist.

Wer kauft sich einen Fullface mit abnehmbarem Kinnschutz?

Unsere Bikes sind schneller als je zuvor, unsere persönlichen Bestzeiten purzeln wie Dominosteine bei jeder Tour und die Trails, die wir fahren, werden immer anspruchsvoller. Gleichzeitig sind wir uns aber auch bewusster über die Auswirkungen, die wiederholte Gehirnerschütterungen haben können, und Sicherheit ist oberstes Gebot. Jeder weiß natürlich, dass den höchsten Schutz ein DH-zertifizierter Fullface-Helm bietet, aber niemand hat Spaß daran, einen auf einem 1.000-m-Anstieg zu tragen. Das Leben besteht aus Kompromissen und deshalb wünschen sich viele Trailfahrer leichtere Helme mit Kinnschutz. Die Industrie hat zugehört und man kann mittlerweile Fullface-Helme kaufen, die nur etwas über 700 g wiegen. Diese „New School“-Helme verfügen über einen breiteren Gesichtsausschnitt und größere Belüftungsöffnungen, um verbesserte Ventilation zu erreichen. Manche haben sogar einen abnehmbaren Kinnschutz, der für die Anstiege entfernt und bergab für maximalen Schutz wieder angebracht werden kann. Von den Startlinien der EWS bis zu Anfängern, die sich mehr Sicherheit und Selbstvertrauen wünschen, sind diese Helme heiß begehrt – doch welcher ist der beste?

Die Helme im Test

Wir besorgten uns sechs der beliebtesten New-School-Fullface-Helme, um herauszufinden, welcher den besten Kompromiss zwischen Belüftung und Schutz bietet. Obwohl alle Helme größere Belüftungsöffnungen, einen größeren Gesichtsausschnitt und ein allgemein geringeres Gewicht haben als DH-Fullface-Helme, sind ihre Konzepte sehr unterschiedlich. Der Fox Proframe und der MET Parachute verfügen beide über einen schlanken, permanenten Kinnschutz. Der Bell Super 3R MIPS, der Giro Switchblade MIPS und der Uvex Jakkyl Hde haben dagegen alle einen Kinnschutz, der ohne Werkzeug abgenommen werden kann. Der Lazer Revolution FF MIPS liegt in der Mitte – um seinen Kinnschutz zu entfernen, braucht man Werkzeug. Wir haben dieses Testfeld auf dem Trail auf Herz und Nieren geprüft, an kalten und heißen Tagen, auf kurzen und langen Ausfahrten. Dabei haben wir die Helme nach Komfort, Gewicht, Sicht, Benutzerfreundlichkeit und Belüftung bewertet und außerdem Brillen und Goggles benutzt, um eventuelle Kompatibilitätsprobleme zu entdecken. Aktion „Härtetest“: Ab und zu (und aus Versehen) haben wir auch einen Abflug Richtung Boden gemacht.

Helm Preis Gewicht*
Gesamt/Trail Modus
Abnehmbarer Kinnbügel
Fox Proframe 270 € 850 g Nein
MET Parachute 220 € 774 g Nein
Giro Switchblade MIPS 299 € 1.126 g 809 g Ja
BELL Super 3R MIPS 249 € 777 g 445 g Ja
Lazer Revolution FF MIPS 265 € 746 g 485 g Ja
Uvex Jakkyl Hde 199 € 708 g 438 g Ja

* Größe L/XL

Helm-Standards schützen euch nicht!

Kaum sagt man etwas über abnehmbare Kinnbügel, schon wird einem das verwirrende Thema „Standards“ um die Ohren gehauen. Doch eigentlich sind beim Thema Fullface-Helme mit abnehmbarem Kinnbügel nur die folgenden zwei Standards relevant.

EN 1078

Die Norm, der alle Helme genügen müssen. Die Helme müssen zahlreiche Stürze auf die Helmoberseite aushalten, aber der Test PRÜFT NICHT den Schutz, den der Kinnbügel bietet.

ASTM F1952 DH

Testet die Helme mit größeren Kräften als die Norm EN 1078. Wenn der Helm einen Kinnschutz wird dieser auch getestet.

Von den hier getesteten Helmen erfüllen nur der Fox Proframe, der Giro Switchblade, der Lazer Revolution FF MIPS und der MET Parachute die strengere ASTM-F1952-DH-Norm, also die Norm, nach der auch die Helme der DH-Weltcup-Szene zertifiziert sind. Sind diese Helme also sicherer? Jein. Es stimmt, dass die EN 1078 (die Norm, die alle Helme erfüllen müssen) den Kinnschutz der zertifizierten Helme nicht direkt testet, doch man kann nicht deutlich genug sagen, dass Helmnormen ohnehin völlig veraltet sind und überholt werden müssen – sie schützen euch nicht ausreichend! Nehmt zum Beispiel den EN-1078-Standard:
Er basiert auf Versuchen, die mittlerweile 20 Jahre her sind. Schon unser Helm-Gruppentest 2017 hatte ergeben, dass alle getesteten Helme weit über den niedrigen Sicherheitswerten lagen, die von der Norm verlangt werden. Wir können diese Daten nur nicht veröffentlichen, weil das am Test beteiligte Labor sein Einverständnis verweigert. Die Helme in unserem Test übertrafen die Standardwerte sogar mit so großem Abstand, dass diese nicht länger als Prüfstein für die Sicherheit von Helmen gelten sollten. Um Fahrer besser zu schützen, müssen die Normen auf den aktuellen Stand gebracht werden – es ist Zeit, dass die Branche die Spielregeln ändert.

Helm ASTM-1952-DH EN 1078:2012 Belüftung Kinnbügel Montage*
Fox Proframe JA JA ●●●○○
MET Parachute Ja Ja ●●●●○
Giro Switchblade MIPS Ja Ja ●●○○○ ●●●●○
BELL Super 3R MIPS Nein Ja ●●●●○ ●●●○○
Lazer Revolution FF MIPS Ja Ja ●●●●○ ●○○○○
Uvex Jakkyl Hde Nein Ja ●●●●○ ●●○○○

*Einfachheit der Montage/Demontage des Kinnbügels.

Bis zum Tode

Natürlich konnten wir unsere Helme einem gründlichen Test auf den Trails unterziehen, aber wir wollten noch weiter gehen. Wir wussten, dass die Helmschale aller Helme in unserem Testfeld die Standards erfüllen würde, aber wirwollten noch einen Schritt ins Unbekannte machen und die Frage beantworten: Können die abnehmbaren Kinnbügel Schläge von derselben Kraft überleben wie ein „richtiger“ Fullface-Helm? Sobald wir erwähnten, dass wir auch die Stabilität der abnehmbaren Kinnbügel testen wollten, wollte uns keines der zertifizierten Testlabore mehr helfen. Manche wären einverstanden gewesen, sie mit den minimalen Krafteinwirkungen zu testen, die die Normen verlangen, doch sobald wir sagten, wir wollten sie „bis zur Zerstörung“ testen, hörten wir Ausreden und schon war die Leitung tot. Also haben wir es einfach selbst gemacht. Als Allererstes aber ein Disclaimer: Unser Test war in keinster Weise so streng kontrolliert wie in einem Testlabor, wir hatten keinen Zugang zu teuren Beschleunigungsmessern oder zu „Dummyköpfen“, die mit wissenschaftlichen Instrumenten gefüllt waren. Und wir haben jeweils nur einen Helm pro Hersteller getestet. Unsere Resultate können also nur als Beobachtungen gewertet werden, nicht als Fakten.

Es ist kein Geheimnis, dass Stürze in der echten Welt keine wissenschaftlichen Experimente sind und wir wollten wissen, ob ein abnehmbarer Kinnschutz bei einem schweren Sturz versagen würde. Um das herauszufinden, konstruierten wir einen Prüfstand mit Fallgewicht, der ein Gewicht von 15 kg aus 70 cm Höhe mit einer Geschwindigkeit von 3,7 m/s fallen lassen würde (das übertrifft die ASTM-Werte von 5 kg bei 2,8 m/s weit). Dabei sollten 102 Joule Energie direkt auf die Mittes des Kinnschutzes treffen – kurz gesagt: ein sehr starker Aufprall. Highspeed-Kameras wurden verwendet, um die Verformung und den Bruchzeitpunkt aufzuzeichnen. Die Energie erwies sich als ausreichend, um bei DH-zertifizierten Helmen signifikanten Schaden anzurichten, den Kinnschutz aber binnen 2 bis 3 Einschlägen nicht vollständig zu zerstören. Die Einschläge wurden wiederholt, bis die Kinnbügel nachgaben und ihre Funktion verloren – bis zum Tode!

Ist ein abnehmbarer Kinnschutz so gut wie ein richtiger Fullface-Helm?

Bevor wir zu den Ergebnissen unseres destruktiven Tests kommen, ist es wichtig, den Sinn und Zweck eines Kinnschutzes zu klären. Ein Kinnschutz ist (wie auch der Rest des Helms) nicht dafür gemacht, einwirkende Kräfte abzuleiten, sondern dafür, so viel wie möglich von der Energie zu absorbieren, ohne dass seine Struktur komplett zerstört wird oder er das Gesicht des Fahrers verletzt – denkt an die Knautschzone beim Auto. Angesichts unserer begrenzten Stichprobe wäre es unverantwortlich, absolute Schlussfolgerungen aus diesem Test zu ziehen oder auch nur die Highspeed-Videos zu veröffentlichen, die ohne Kontext irreführend sein könnten. Aber wir können von unseren Beobachtungen berichten: Wir konnten feststellen, dass ALLE Helme einen sehr starken Aufprall ohne Funktionsverlust aushielten. Sowohl der Lazer Revolution FF MIPS als auch der Uvex Jakkyl Hde absorbierten den ersten Schlag, doch ihre Kinnbügel waren zu mitgenommen, als dass man sie weiter hätte testen können. Die biegsame Kinnpartie des Bell Super 3R MIPS bot guten Schutz über drei Einschläge, konnte aber in Sachen Schlagfestigkeit dem schwereren Giro Switchblade MIPS nicht das Wasser reichen. Herausragende Performance zeigten der Fox Proframe und der MET Parachute, die beide vier massive Schläge mit ein paar Rissen, aber ohne größere Schäden in ihrer Struktur überstanden. Zusammengefasst: In unserem Basistest haben ALLE Kinnbügel den Fahrer erfolgreich vor einer Krafteinwirkung geschützt, die einem sehr heftigen Sturz auf dem Trail entspricht. Die robustesten waren aber der Giro Switchblade MIPS, der Fox Proframe und der MET Parachute.

Tops

Cooler Style
Das harmonische Design des Fox Proframe ließ uns alle gierig werden – auf jeden Fall der attraktivste Helm im Test!
Neuer Ansatz
Der neue Giro Switchblade MIPS verfolgt einen radikal neuen Ansatz in Sachen Helmdesign und bietet maximalen Schutz, auch ohne angebauten Kinnschutz.
Schneller Wechsel
Der Bell Super 3R MIPS kann in wenigen Sekunden vom Fullface- zum Trailhelm umgewandelt werden. Der Rekord liegt bei 2,28 s – seid ihr schneller?

Flops

Einen Satz heiße Ohren
Der Giro Switchblade MIPS ist zwar Klassenbester in Sachen Kopfabdeckung, doch die minimalen Belüftungsöffnungen sorgen dafür, dass es selbst ohne den Kinnschutz eine heiße Erfahrung wird.
Verwirrende Ausführung
Der Lazer Revolution FF MIPS hinterließ verwunderte Gesichter. Wozu ein abnehmbarer Kinnschutz, den man nur mit Werkzeug demontieren kann?
Stressiges Gewirr
Die losen Gurte und der Boa-Verschluss des Uvex Jakkyl Hde verheddern sich auf frustrierende Weise beim Aufziehen des Helms.

Und welcher ist nun der Beste?

Die Schlussfolgerung aus diesem Test ist nicht einfach. Der ideale Helm ist der, der am besten passtam besten passt – und das ist bei Helmen genauso individuell wie bei Sätteln und Schuhen. Von der Passform mal abgesehen, bringen alle hier getesteten Helme mit montiertem Kinnschutz mehr Schutz als ein Standard-Trailhelm. Für Trailfahrer, die den Helm vor allem ohne Kinnschutz und nur gelegentlich als Fullface nutzen möchten, ist der exzellente Bell Super 3R MIPS unsere erste Wahl. Für die meisten Fahrer bietet er den besten Kompromiss aus Schutz und Vielseitigkeit – zwei Helme in einem. Weil er außerdem erschwinglich, komfortabel und sehr gut individualisierbar ist, beeindruckte der Bell Super 3R MIPS genug, um sich den Testsieg zu sichern.

Für alle, die gerne Rennen fahren, KOMs jagen und den stärkeren Schutz eines Fullface wollen, empfehlen wir entweder den ASTM-zertifizierten Fox Proframe oder den MET Parachute MIPS. Wenn er gut passt, werden stylebewusste Fahrer zweifelsohne den hervorragenden Fox Proframe wählen, der bei uns im Team einer der großen Favoriten war. Doch dank seines geringeren Gewichts, der komfortablen Trailhelm-Innenschale und seines sehr erschwinglichen Preises erhält der MET Parachute den Kauftipp.