105 Kilometer und 4.800 Höhenmeter, 9 Stages an einem Tag – zwei davon im Dunkeln – und das alles ohne Shuttle. Dank dieser Eckdaten trägt das Event den Namen Epic Enduro vollkommen zurecht! Eine Herausforderung für Mensch und Material und genau damit der ideale Saisonauftakt für mich und meine Dauertestbike. Perfekt, um zu sehen, was mir mein Wintertraining gebracht hat. Entsprechend gespannt war ich, als ich mich auf den Weg nach Frankreich machte – würde ich den Tag überstehen? Lest hier, wie es mir ergangen ist.

Erster Eindruck

Erster Eindruck...

Hochmotiviert komme ich am Freitagmorgen im kleinen, weit abgelegenen Städtchen Olargues in Frankreich an. Noch ist nichts von dem Event, an dem 700 Starter teilnehmen werden, zu sehen, also entscheide ich mich, aufs Rennrad zu steigen, um mit einer kleinen Runde die Gegend zu erkunden. Schon hier wird mir klar, dass es keine entspannten Höhenmeter werden, die mir beim Rennen am Sonntag bevorstehen. Nahezu jede asphaltierte Straße, die auf einen Berg führt, mündet in ein nicht nur mit dem Rennrad unbefahrbares Meer aus losen Steinen.

Erste Zweifel

The first Doubts

Samstagmittag stehen dann Start- und Zielbereich bereit und der Veranstalter ruft zur Startnummernausgabe. Als ich meinen Namen gefunden habe, kommt mir erneut die
eine Frage in den Kopf:
Daniel Schlicke – Nummer 142 – erste Startgruppe – Startzeit 4.00 Uhr –
„4.00 Uhr am Morgen? Warum tue ich mir das an?“
Irgendwie steckt die Motivation der 700 anderen Starter aber an und ich gehe etwas angespannt, aber gut gelaunt zurück zu meinem Bus, den ich provisorisch in einen Camper umgebaut habe. „Nudeln kochen, Fahrrad und Rucksack richten und dann möglichst früh schlafen gehen“, nehme ich mir vor.

Race Day

SEE2015 start

Schneller als mir lieb ist, klingelt mein Wecker. Nervös suche ich mir ein kleines Frühstück zusammen und mache mich auf den Weg zum Startbereich. Wie ich es auch schon von der Megavalanche kenne, verbreiten die Franzosen und Spanier, aus denen das Fahrerfeld hauptsächlich besteht, vor dem Start unabhängig von Bedingungen und Tageszeit eine gute Stimmung und so legt sich auch meine Anspannung etwas.
Endlich ertönt das Startsignal und mit mir machen sich 350 Fahrer auf den Weg zur ersten Stage. Allerdings ist das Tempo, dass die anderen vorgeben, alles andere als entspannt. Niemand will auf einer Stage überholen müssen und so versucht man, langsamere Fahrer bereits auf den Uphills abzuhängen, um später keine Zeit zu verlieren.

SEE2015 stage1

Am Start der ersten Stage angekommen versuche ich, einen günstigen Moment abzupassen und mich hinter einen Fahrer mit möglichst vielen Sponsoren auf dem Trikot einzureihen in der Hoffnung, dass er auch eine entsprechende Geschwindigkeit vorlegen wird. Mein Transponder wird abgescannt – die Zeit läuft, die letzte Müdigkeit weicht dem Adrenalin und es geht los!
Bereits nach den ersten zwei Kurven folgt ein steiles Steinfeld, Zeit zum Aufwachen bleibt also nicht. Auf Sicht gefahren und nur durch meine Helmlampe ausgeleuchtet sind hier blitzschnelle Entscheidungen über die Linienwahl gefragt. Bereits jetzt bin ich froh, trotz der zu bewältigenden Höhenmetern mit meinem 160-mm-Enduro gestartet zu sein. Einige der groben Fehler hätte mir ein kurzhubiges Trailbike hier wohl nicht verziehen.
Insgesamt ist der Trail verdammt schnell (oder fühlt sich zumindest im Dunkeln so an!) und ziemlich technisch. Die wenigen flowigen Passagen führen eng zwischen Bäumen hindurch, sodass auch hier höchste Konzentration gefordert ist, bevor es nach wenigen Metern direkt in das nächste, steile Steinfeld geht. Zusammen mit dem tatsächlich schnellen Profi vor mir kann ich bis ins Ziel noch einige Fahrer überholen, die zuverlässig von ihm aus dem Weg gebrüllt werden. Wohlwissend, das mein Englisch hier wenig effektiv gewesen wäre, bedanke ich mich und gemeinsam machen wir uns auf den Weg zur zweiten Stage.

Da sich das Fahrerfeld inzwischen etwas verteilt hat, wird endlich auch das Tempo bergauf entspannter und der Weg zu Stage 2 trotz 570 Höhenmetern deutlich angenehmer. Einige mit großen, losen Steinen bedeckten Abschnitte verhindern allerdings einen runden Tritt und kosten viel Kraft. Obwohl eigentlich nur die erste Stage im Dunkeln geplant war, gibt es auch am Start von Stage 2 noch genauso wenig Tageslicht. Da ich auch diesen Trail nicht kenne, lautet mein Plan: Tempo rausnehmen, am Vordermann dranbleiben, langsamere Fahrer sicher überholen und sturzfrei durchkommen. Zunächst funktioniert das auch gut, , doch dann geht die Stage in Spitzkehren über – und die scheinen meinem Vordermann gar nicht zu liegen. Ich entscheide mich, auch ihn zu überholen und kann einige Meter gutmachen, muss dann allerdings feststellen, dass man mit Englisch und freundlichem Bitten bei den Franzosen nicht weit kommt, wenn man überholen möchte.
Der Trail wird technischer, der Armpump spürbarer (fast 15 Minuten Abfahrtzeit!) und meine Überholmanöver gezwungenermaßen immer riskanter. Es lief super, bis ich mir einen Platten am Hinterrad einfange, als ich zum Überholen die direkte Linie über einen Felsen wähle.
Glücklicherweise kann ich in einigen Metern Entfernung bereits einen Haufen Helmlampen erkennen – offensichtlich das Ziel der Stage – und so lege ich die letzten 200 m sprintend zurück.

Im immer noch Dunkeln ein Loch im Tubeless aufgebauten Mantel auszumachen, es provisorisch zu flicken und einen Schlauch einzusetzen, gestaltet sich schnell als nächste Herausforderung, die vor allem viel Zeit kostet. So überholen mich bereits die ersten Fahrer der zweiten Startgruppe, als auch ich mich endlich auf den Weg zur dritten Stage machen kann.
Immerhin kann ich oben angekommen erleichtert die Helmlampe in den Rucksack packen. Die Sonne ist inzwischen hinter den Bergen hervorgekommen und bietet uns einen atemberaubenden, motivierenden Ausblick auf die Umgebung.
Zeit zum Genießen gibt es allerdings wenig, also versuche ich mich wieder zu fokussieren und auf die bevorstehende Abfahrt zu konzentrieren.

SEE2015 tretstück

Wieder ist der Trail eng, technisch und mit Steinen versetzt. Dieses Mal endet er allerdings nach nur ca. 2 min in einen gefühlt ewig andauernden Gegenanstieg.
Trotz größter Bemühungen schaffe ich es nicht, den Anstieg durchgehend im Wiegetritt zu bewältigen und muss auf die Funktion meiner Vario-Sattelstütze zurückgreifen.
Aber als dieser Gegenanstieg erst einmal geschafft ist, folgt der flowigste und vor allem spaßigste Trail des gesamten Events. Blitzschnell muss man sein Fahrrad zwischen Bäumen hindurchmanövrieren. Kleine Anlieger bieten dafür genügend Halt. Blutige Flecken an den Handschuhen einiger Fahrer (inklusive meiner) zeigen, wie eng der Trail gesteckt ist. Aber auch das kann die Euphorie nicht mindern. Schließlich bedeutete das rechtzeitige Beenden der dritten Stage, dass das erste Drittel des Rennens geschafft und einem der Titel „EPIC DE BRONZE GARANTI” sicher ist.

Wem dieser Titel genügt, der hat die Möglichkeit, das Rennen hier zu beenden. Immerhin hat jeder Starter jetzt schon 32 km und rund 1.550 Höhenmeter in den Beinen.
Für alle anderen geht es zur Verpflegungstation und dann weiter zu Stage 4.

SEE2015 tragen

Der Transfer dorthin soll mit 873 größtenteils unfahrbaren Höhenmetern der härteste des Rennens werden. Schilder mit der Aufschrift „zu Stage 4 und 5″ machen deutlich, dass es diesen Anstieg zweimal zu bewältigen gilt. Heftiger Gegenwind erschwert das Vorankommen zusätzlich. Die meisten Fahrer schultern ihr Bike und tragen es bis zum Gipfel. Ich entscheide mich fürs Schieben, weil ich das für die kraftsparendere Variante halte, verliere dadurch aber auch wertvolle Zeit.

SEE2015 höhenwanderweg

Die vierte Stage ist dann vor allem eins: endlos lang! Ein mit Felsen durchsetzter Höhenwanderweg mündet in einen Trail, der ähnlich einem ausgewaschenen Flussbett durchgehend mit runden Steinen bedeckt ist. Die unzähligen Schläge auf die Hände verursachen schon nach etwa der Hälfte der knapp 17-minütigen Abfahrt Schmerzen
in Armen und Handgelenken. Ich spüre, wie meine Kräfte langsam schwinden, deshalb ist mein Ziel auf den letzten Metern nur noch, mich am Lenker festzuhalten und ohne Sturz anzukommen.

SEE2015 stage5

Als ich den Aufstieg zu Stage 5 geschafft habe – für den ich übrigens ganze 2 h 19 min gebraucht habe – spüre ich deutlich, wie erschöpft ich schon bin. Ähnlich wie die vierte Stage führt auch diese zuerst über einen Höhenwanderweg. Weil ich denke, ich könnte mit geringer Geschwindigkeit über ein etwa 2 m langes Loch springen statt hindurchzufahren, beende ich die Stage nach nur gut 1 min Fahrtzeit zunächst einmal selbst.
Aufgrund mangelnder Kraft knalle ich mit vollem Körpergewicht mit dem Hinterrad gegen die Steinkante und handele mir so den nächsten Platten ein. Als ich realisiere, dass ich mich noch immer auf gut 1.000 Höhenmetern befinde, muss mir eingestehen, dass ich den Schlauch an Ort und Stelle wechseln muss und mir so wohl das Ergebnis versauen werde. Der Wechsel ist dann aber relativ zügig vollbracht und deshalb setzt sich in mir der Gedanke durch, wenigstens etwas von der verlorenen Zeit wieder einzuholen. Diese Entscheidung bezahle ich einige Minuten später mit dem nächsten zischenden Schlauch. Am Ende habe ich nach dem zweiten Schlauchwechsel unglaubliche 1:08:21 h auf der Stage verbracht.

Enttäuscht von mir selbst mache ich mich auf den Weg zur sechsten Stage. Dieser führt deutlich angenehmer als die vorherigen über einen Feldweg, auf dem es kaum Höhenmeter zu bewältigen gibt.

SEE2015 stage6

Auch die Stage selbst ähnelt in keinster Weise den vorherigen. Auf einem nur knapp 2 min langen Kurs durch die Altstadt von Olargues müssen wir Treppenstufen und rutschige Asphaltkurven bewältigen, bevor eine Holzrampe an zahlreichen Zuschauern vorbei in den Zielbereich führt. Ein gerissener Schaltzug beendet hier mein Rennen. Insgesamt habe ich zu oft zu viel Zeit verloren, sodass für einen Wechsel und den Weg zu den letzten drei Stages keine Zeit mehr bleibt.

SEE2015 silber plate

Während sich also die restlichen Fahrer auf den Weg zur siebten Stage und zum Titel „EPIC D’OR“ machen, muss ich mich mit einem silbernen Aufkleber und teils enttäuschenden Stagezeiten zufriedengeben. Am Ende reicht es nur für Platz 379 in der Gesamtwertung, obwohl ich mich mit den Zeiten der ersten drei Stages in die Top 50 einreihen kann.

219 der 700 Starter schaffen am Ende die gesamte Runde. Am schnellsten gelang das Florian Golay (BMC Factory Trailcrew) mit einer Gesamtzeit von 01:32:17 h. Platz 2 sichert sich Alexis Chenevier (Scott), dicht gefolgt von Simon André (Orbea Shimano) auf Rang 3.

Immerhin 73 km und 2.900 Höhenmeter habe ich geschafft und konnte vor allem eine Menge Erfahrungen sammeln. Um also zurück zur eingangs gestellten Frage zu kommen: Warum sich das immer wieder antun? Warum um 4 Uhr früh aufstehen oder das Fahrrad 2 h und 1.000 Höhenmeter einen Berg hochtragen?
Weil es für mich genau diese Herausforderungen sind, die mich egal mit welchem Ergebnis zum Radfahren, Weitermachen und Besserwerden motivieren. Und weil ich am Ende jedes Mal auf jede Menge Spaß zurückblicken und mir zeigen kann, was ich geschafft habe. Also ab auf’s Rad, Gas geben und das finden, das dich motiviert!

Text: Daniel Schlicke | Bilder: Antoine Bussier


Hat dir dieser Artikel gefallen? Dann würde es uns sehr freuen, wenn auch du uns als Supporter mit einem monatlichen Beitrag unterstützt. Als ENDURO-Supporter sicherst du dem hochwertigen Bike-Journalismus eine nachhaltige Zukunft und sorgst dafür, das die Mountainbike-Welt auch weiter ein kostenloses und unabhängiges Leitmedium hat. Jetzt Supporter werden!