Testbericht | Das neue Orange High Five RS
Kaum ein Bike schaffte es bei seiner Vorstellung derart zu polarisieren wie das Orange Five. Die Reaktionen reichten von Bewunderung bis Abscheu und besonders missbilligende Vertreter der schreibenden Zunft verglichen das Bike gerne einmal mit einem Gartengerät oder einem Aktenschrank. Dabei lässt es sich mit dem Five durchaus gut fahren, weshalb es nun schon im zehnten Jahr nahezu unverändert auf den Markt kommt. Auch am aktuellen Modell hat man an dem markanten Äußeren festgehalten und lediglich die Geometrie etwas abgeflacht, um dem aktuellen Trend Rechnung zu tragen.
Das Five ist nun mit einem 10 mm längeren Oberrohr ausgestattet, wodurch es besser mit dem kurzen Vorbau harmoniert und der um 0,5° abgeflachte Lenkwinkel (66°) sorgt für Spurstabilität und Laufruhe auf anspruchsvollen Trails. Der Rahmen des Orange wird weiterhin in England von Hand geschweißt und wenn man sich die Preisexplosion der letzten Jahre vor Augen hält, so liest sich der Einstiegspreis von 2.600 GBP (4.000 GBP werden für das Topmodell fällig) schon fast wie ein Schnäppchen. Da es sich bei der Hinterbaukonstruktion nach wie vor um einen Eingelenker mit nur zwei Kugellagern handelt, dürften auch die Folge- und Wartungskosten überschaubar bleiben.
Drei Modelle stehen dem Käufer zur Auswahl: das Five S, das Five Pro und schließlich das Five RS, das von uns getestet wurde. Dazu bietet der Hersteller umfangreiche Möglichkeiten der Individualisierung. So kann man bereits bei der Bestellung zwischen verschiedenen Laufrädern, Bremsen und zwölf verschiedenen Rahmenfarben wählen. Für unseren Test orderten wir ein Five RS in der Farbe Fizzy Orange, das für 4.000 GBP zu haben ist. Wer damit das Limit seiner Kreditkarte noch nicht ausgereizt hat, kann die Upgradeoption auf einen ENVE M60 Forty-Laufradsatz wählen.
Der Rahmen besteht aus einem profiliertem Reynolds 6061-T6 Aluminium-Rohrsatz, der zur besseren Steifigkeit mit einer 142×12-Steckachse versehen wurde. Die Verarbeitung des Rahmens wirkt sehr wertig und bei Orange wird man nicht müde, zu betonen, dass die Rücklaufquote in den letzten zehn Jahren bei lediglich 0,47 % lag. Auch über die Verbesserung der Steifigkeit wurde nachgedacht und so erwartet man sich von der überarbeiteten Schwinge, den neuen Ausfallenden und einem zusätzlichen Profil im Oberrohr ein Plus von 15 %. Die interne Kabelführung wirkt sehr aufgeräumt und bietet nun auch Platz für die Leitung einer Remotesattelstütze. Schaltzug und Bremsleitung werden elegant durch den Schwingenarm nach hinten geführt. Durch eine überarbeitete Dämpferaufnahme wird zusätzlich Gewicht gespart und die Krafteinleitung ins Unterrohr optimiert. Auffälligste optische Neuerung aber ist das neue, gerade Oberrohr, das dem Bike zu einer klaren und deutlich aggressiveren Optik verhilft.
Da ein Eingelenker ohne ein komplexes System von Umlenkhebeln und Lagern auskommen muss, ist seine Performance umso stärker von den Qualitäten des Dämpfers abhängig. Unsere Bedenken waren diesbezüglich schnell zerstreut, als wir den RockShox Monarch Plus RC3 im Heck sahen, der die 140 mm Federweg kontrolliert. Als Gegenpart arbeitet vorne eine RockShox PIKE 27.5 150 mm RCT3 mit 150 mm Federweg, deren Performance schon an manch anderer Stelle ausreichend gerühmt wurde. Auch beim Antrieb wird nichts dem Zufall überlassen. Hier kommt eine komplette X1-Gruppe zum Einsatz, deren Einfachheit gepaart mit herausragender Funktionalität perfekt zum Charakter des neuen Five passt. Die konstruktionsbedingt sehr lange Kette wird von einer MRP 1fach-Führung wirkungsvoll auf dem Kettenblatt fixiert.
Als bodenständige Firma kennt man die Gegebenheiten auf der britischen Insel genau und so überrascht es nicht, am neuen Five nur die zuverlässigsten Komponenten vorzufinden. Die Hope Pro II Evo beispielsweise sind gewiss nicht die leichtesten Naben auf dem Markt, aber sie sind stabil, zuverlässig und wartungsarm. Zudem erspart der Freilauf jegliche Form eines akustischen Signalgebers, da durch das weithin hörbare Geräusch jeder Wanderer bereits frühzeitig gewarnt wird. Die verbauten Mavic EN323-Felgen in 27.5″ gelten ebenfalls als äußerst zuverlässig. Die serienmäßig montierten Continental Trail King in der Dimension 2.2 funktionieren auf dem Trail an sich gut. Dennoch hätten wir uns etwas breitere Reifen gewünscht, die den Ansprüchen des Five besser gerecht werden.
Von der Auswahl der Bremsen waren wir sofort angetan, konnten wir doch mit den Shimano XT-Stoppern schon viele positive Eindrücke sammeln. Auch die restliche Ausstattung entspricht dem aktuellen Trend. Orange setzt beim Cockpit auf einen 50-mm-Vorbau von KORE und einen 800 mm breiten Torsion-Lenker mit 20 mm Rise aus gleichem Haus. Dieser kann selbstverständlich auf das passende Maß gekürzt werden und so fällt eine Anpassung an persönliche Vorlieben relativ leicht. In Anbetracht der Tatsache, dass immer noch zu viele Hersteller ihre Bikes mit zu schmalen Lenkern oder zu langen Vorbauten versehen, geht Orange hier mit gutem Beispiel voran.
Bergauf
Die Klettereigenschaften des alten Five waren nicht die besten, aber dennoch hat es sich bergauf stets wacker geschlagen. Bei einem XC-Rennen wird man auf einem Five vermutlich nicht als Sieger durchs Ziel fahren, aber dafür ist es schließlich auch nicht gemacht. Es richtet sich vielmehr an die Baggyhosen-Fraktion auf der Suche nach einer gehörigen Portion Abfahrtsspaß. Am neuen Five sorgt die RC3-Plattform für Ruhe im Hinterbau. Damit lange Anstiege auf Forststraßen nicht zur Härteprüfung werden, sollte sie bergauf stets zugeschaltet sein. Zudem ist ein runder Tritt von Vorteil. Geht man beim Pedalieren etwas ungestüm zu Werke oder beim Fahren in den Wiegetritt, beginnt der Hinterbau, stark zu wippen.
Die Sitzposition ist aufrecht und kompakt und der 74° steile Sitzwinkel sorgt für eine ausgewogene Gewichtsverteilung. Dazu bietet der breite Lenker viel Kontrolle auf steilen und technischen Abschnitten und der lange Radstand hält das Vorderrad lange am Boden. Die Rahmengrößen fallen bei Orange übrigens etwas großzügiger aus, sodass unsere Tester auf einem Rahmen in Gr. M mehr als ausreichend Platz fanden.
Abfahrt
Trotz deutlichem Längenzuwachs merkt man bereits beim Aufsitzen, dass man auf einem echten Five Platz nimmt. Anstatt ausgeklügelte Drehpunkte und Hebelverhältnisse zu berechnen, scheint man sich bei Orange seit jeher dem Credo „Speed = Spaß“ verschrieben zu haben. Was nicht heißt, dass das Bike nicht durchdacht wäre, ganz im Gegenteil. Hier hat man aus einer einfachen und zuverlässigen Konstruktion das Optimum herausgeholt und so ist ein Bike entstanden, das funktioniert, zuverlässig ist und stets berechenbar bleibt.
Gut, in manchen Situationen mangelt es dem Orange an Traktion, und zieht man etwas zu panisch an der Bremse, so tendiert der Hinterbau zum Stempeln. Aber es gibt Leute, die genau dieses rohe und ungehobelte Verhalten sehr zu schätzen wissen. Hat man sich an den Umgang mit diesem charakterstarken Bike gewöhnt, so ruft es jede Menge Fahrspaß ab und macht Lust auf mehr. Im Gegensatz zu vielen Sorglos-Enduros, die nahezu jeden Fehler verzeihen, muss man sich auf das Five schon einlassen, denn es will aktiv gefahren werden. Aber wenn einmal der Funke übergesprungen ist, kann man es mit dem Orange bergab so richtig krachen lassen.
Die längere Front hat das Kurvenhandling des Bikes deutlich verbessert. Dazu passt auch die aggressiv ausgerichtete PIKE, die klar die Richtung vorgibt, während das Hinterrad, gerne auch im Drift, aber stets kontrolliert, bereitwillig folgt. Nervosität oder Zimperlichkeit sind auf dem Orange fehl am Platz. Das Five ist ungestüm und energetisch, wie ein Wildpferd, das man stets hart an die Kandare nehmen sollte.
Fazit
Mit der neuesten Version des Five ist man bei Orange den aktuellen Trends gefolgt, ohne den Ursprungscharakter des Bikes zu verleugnen. Sicher gibt es anderswo mehr Grip, ein ausgeklügelteres Hinterbaukonzept oder mehr Federweg. Aber nur wenige Bikes verfügen über diese unkomplizierte Frische und dieses sympathische Raubeinimage, die das neue Five ganz unverhohlen zur Schau trägt. Und mal ehrlich, bei welchem Hersteller kann man bei einem Modell zwischen zwölf verschiedenen Farben wählen? Orange hat mit dem Five ein Kultbike geschaffen. Es ist ein unangepasstes Bike, das sich gegen den Mainstream richtet und das sich trotzdem oder gerade deshalb gut verkauft. Die Ingenieure der britischen Rahmenschmiede haben wieder einmal bewiesen, dass weniger oft mehr ist. Daher werden nicht nur eingefleischte Fans das neue Five lieben.
Mehr Informationen gibt es auf orangebikes.co.uk.
Text: Trev Worsey and James Knowles Bilder: Trev Worsey
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