Die Flitterwochen – unterwegs auf dem Pole

Viele von euch wird hauptsächlich eine Frage interessieren: Ist es schnell? Geduldet euch noch kurz, denn diese Frage jetzt schon zu beantworten würde auch bedeuten, die wichtigsten Vorteile der neuen Geometrie hinten runterfallen zu lassen: den unglaublich steilen Sitzwinkel. Nein, ich bin kein XC-Recke, habe auch keine Ahnung, wo mein FTP liegt und genieße dafür mein abendliches Bier viel zu sehr. Ich dachte auch nicht, dass meine 14,5 kg schwere Geometrieaffäre wirklich auf Anstiegen glänzen würde – und täuschte mich damit gewaltig. Während der 510 mm lange Reach alle völlig verrückt werden ließ und sie offensichtlich dazu nötigte, mir zu prophezeien, dass ich lang ausgestreckt wie ein Yoga-Guru auf meinem Bike hängen würde, sagten mir meine Mathe-Skills der zehnten Klasse, dass die steilen 77,5° Sitzwinkel den Sattel runde 40 mm näher zum Lenker bringen als bei einem Bike mit 75° Sitzwinkel. Das ist nicht so weit ab von der Norm, bedeutete aber auch 40 mm in Relation zum Tretlager!

Hier kann der lange Radstand besonders glänzen: bei Blindflügen auf unbekanntem, felsigem Terrain

Das Gewicht wandert merklich über dem Tretlager nach vorne, sodass meine Hübsche ziemlich fix bergauf kletterte. Dem Papier nach sollte das nicht funktionieren, in der echten Welt frisst sie aber gierig Höhenmeter mit einem Grip und einer Effizienz, die den Blick zum vermeintlichen Motor wandern lässt. Schuld daran ist die bessere biomechanische Position. „Explosiv“ kann man das Pole trotzdem nicht nennen, dafür ist es zu massig, und auch Sprints im Stehen sind nicht seine Paradedisziplin. Sobald man im Sattel sitzt, gibt es aber nichts mehr, was dieses Bike nicht erklimmen kann. Steile technische Anstiegen fühlen sich an, als wäre man am Boden festgeklebt, die langen Kettenstreben halten das Vorderrad unten und vor allem ruhig. Es ist eins der kletterfreudigsten Bikes, die ich je gefahren bin und erlaubte mir, Mitfahrer mit leichteren Bikes nicht nur zu begleiten, sondern oft auch zu überholen. Als ich zu einem Bike mit einem flacheren Sitzwinkel zurück wechselte, fühlte es sich an, als hätte jemand die Handbremse gezogen. Die Position war einfach nicht richtig. Hier sollte die Industrie aufhorchen: Steile Sitzwinkel sind gut! Und warum haben nicht alle Bikes solche Sitzwinkel? Nun, diese vorgezogene Position ist nur in Verbindung mit einem längeren Reach möglich – um die Vorzüge eines steileren Sitzrohrs zu genießen, muss man so ziemlich alles ändern.

Mit #TheGeometryAffair fand ich neuen Schwung. Wie bei einem Sportwagen will man einfach nur noch Gas geben, sobald sich die Strecke öffnet.

Aber ist die neue Geometrie jetzt schnell oder nicht?

Kommen wir also zum spaßigen Teil, nämlich dem Speed! In aller Kürze: Er ist überragend! Unser kleines Techtelmechtel wurde ziemlich hitzig und der Bodenkontakt brachialer. Die neue Geometrie bedurfte einiger Anpassungen, unter anderem bei der Lenkerhöhe (die jetzt bei 109 cm liegt): zu hoch und man hat das Gefühl, die Front will einem entwischen, zu tief und das Heck fühlt sich in Kurven schwammig an wie ein Auto mit kaputtem Fahrwerk. Auch die eigene Position muss etwas korrigiert werden. Ist man zu weit hinten, fühlt es sich zu gestreckt an, als wollte man zuvor erwähntes Auto vom Rücksitz aus fahren, was besonders für ungeübte Fahrer schwierig werden dürfte. Sobald man das Gewicht jedoch nach vorne verlagert und sich mittig platziert, schießt das Grip-Level in die Höhe. Die langen Kettenstreben und der zentrale Schwerpunkt erlauben euch, die 64,5° steile Front mit Wucht und tränentreibendem Speed durch die Kurven zu pressen. Es ist, wie das erste Mal ein schnelles Auto zu fahren: Man wartet auf jede Gelegenheit, Gas zu geben, und ich muss gestehen, dass #TheGeometryAffair meinem Fahrstil einen wahren Nachbrenner bescherte.

Die flache Front und der lange Radstand machen Jumps und Drops zum wahren Vergnügen, auch bei verpatzten Linien zieht einen das Bike zurück auf Kurs.

Manche Leute unterhalten sich über Lenkwinkel, als ginge es um Prophezeiungen: „Flach“ bedeutet sofort „gut für die Abfahrt“, auch wenn es nur eine Nummer von vielen ist, die das Fahrverhalten eines Bikes definieren. Richtig, ein flacher Lenkwinkel macht das Bike in Highspeedkurven ruhiger, man braucht aber auch lange Kettenstreben, um das Gewicht auszutarieren und für Grip am Vorderrad zu sorgen. Die 64,5° am Pole sind schon eine Nummer, aber es sind die 456 mm langen Kettenstreben, die das Vorderrad am Boden halten: Man kann fahren wie der letzte Mensch und kommt trotzdem damit davon. Die lange Front erlaubt es, einen 40-mm-Vorbau zu fahren, ohne dass das Bike nervös wird oder bei gewagten Fahrmanövern abtaucht. Derzeit fahre ich eine Gabel mit 51 mm Offset, was mich in naher Zukunft vermutlich „Oldschool“ wirken lässt, trotzdem scheint das Rad resistent gegen Linienfehler zu sein. Ich bin mit einigen echt miesen Lines davongekommen, die mich auf anderen Bikes sicherlich Kopf und Kragen gekostet hätten.

„Aber damit kommt man doch gar nicht um die Kurve!“

Wie oft habe ich das schon gehört? Es stimmt zwar: Wenn man eine 180-Grad-Kurve hat, die Art, in der man sein Bike um die Ecke „litevillen“ muss, dann wird dieses lange Bike zur Anstrengung. Wenn eure Hometrails auf Namen wie „Spitzkehrenpfad“, „Rechtwinkliger Tod“ oder „So eng, dass es schmerzt“ hören, ist #TheGeometryAffair vielleicht nicht ganz das Richtige. Ich fahre selten solche Trails, da ich eher auf Pfaden unterwegs bin, die mir Spaß machen. Ich war auf Kurven mit engem und weitem Radius unterwegs, habe mich durch Baum-Slaloms und Spitzkehren geschlängelt, ohne irgendwo einzuschlagen oder mein langes Bike zu verfluchen. Unsere Beziehung verlief also völlig harmonisch.

Kurven so elegant nehmen wie ein Lachs flußaufwärts schwimmt – die Front hat so viel Grip, dass man der Physik ins Gesicht lachen kann.

Überraschenderweise sind enge Kurven gerade eine Stärke des Pole. Der flache Rahmen und die stabile Front erlauben es, das Bike mit massig Grip und voller Wucht in die Kurve zu treiben, das Heck driften zu lassen und auf den Grip zu warten, der euch wie bestellt wieder auf die Gerade zieht. Doch die Magie passiert dort, wo der Trail sich öffnet. Schnelle und hängende Kurven spielen dem langen Radstand und dem entspannten Handling in die Karten und sorgen für aberwitzige Geschwindigkeiten. Das macht echt süchtig und ich stellte bei jedem Lauf neue persönliche Bestzeiten auf, kämpfte mich durch die Nahrungskette meiner Hometrails nach oben. Ich versägte Reifen und alle Mitfahrer, die sonst schneller waren. #TheGeometryAffair hat mich persönlich schneller gemacht. Punkt.