Was fällt euch ein, wenn ihr “MTB-Destinationen in Europa” hört? Der Hotspot liegt sicherlich in den Alpen; die Klassiker wie Morzine und Verbier. Dann gibt es trendy Reiseziele wie Finale Ligure und Madeira, die durch den Rennsport und geschicktes Marketing berühmt geworden sind. Aber was ist eigentlich mit Kroatien?

Wenn man fragt, wie es in Kroatien mit Mountainbiken aussieht, fällt den meisten nicht allzu viel ein. Dubrovnik und der Süden locken den Großteil der Touristen an, aber mit Tausenden anderen den fiktiven Drachen und dem Gemetzel von Game of Thrones hinterher zu reisen entspricht zumindest nicht unserer Vorstellung von Spaß. Wenn es um Mountainbike-Ziele geht, wird Kroatien gern übersehen. Viele stellen es sich zu felsig vor, und ja, es gibt eine Menge Steine (und Trails wie aus einer anderen Welt!) an der Küste, aber Kroatien bietet noch viel mehr, als auf den ersten Blick zu erkennen ist.

Zum Beispiel die istrische Küste, im Norden des Landes, eine Gegend mit einer reichen römischen, venezianischen und österreichisch-ungarischen Vergangenheit. Wir geben zu, wir waren noch nicht ganz überzeugt, als wir unser erstes Ziel in Grožnjan erreichten, doch nachdem wir ein paar Schilder entdeckt hatten, die noch von der kürzlich stattgefundenen SloEnduro Series übrig waren, konnten wir uns der Faszination nicht länger entziehen. Als wir die engen, gepflasterten Straßen hinunterrumpelten, unter uralten Torbögen und zwischen sich auftürmenden Häusern hindurch, die kaum eine Lenkerbreite auseinander standen, fühlte es sich an wie PacMan spielen. Am Ende des Labyrinths aus Dorfsträßchen erreichten wir einen staubigen Singletrail, der sich ins dichte Unterholz davonschlängelte. Zeit sich ins Abenteuer zu stürzen!

Unser Guide Danijel fuhr vorweg und zeigte uns begleitet von einer riesigen Staubwolke eine echte Hochgeschwindigkeits-Achterbahn von Wellen und Kurven. Als der Trail uns unten wieder ausspuckte, waren meine Gelüste eigentlich nicht befriedigt, sondern erst richtig angeheizt.
Schnell ging es wieder nach oben zur nächsten Runde. Es gibt einen guten Grund, warum hier ein Enduro-Rennen abgehalten wurde; eine recht schnelle und direkte Auffahrt erschließt ein ganzes Netzwerk an Trails, auf denen wir uns so lange vergnügten, bis die sinkende Sonne uns in unser Nachtlager im mittelalterlichen, auf einer Hügelkuppe gelegenen Dorf Motovun rief. Die Trails hatten wir den ganzen Tag für uns allein. Ein üppiges Mahl im Hof des Hotels rundete unsere erstes MTB-Erfahrung in Kroatien perfekt ab. Die Meßlatte für die nächsten Tage hing hoch.

Von Grün nach Blau

Am nächsten Morgen ging es los Richtung Süden, zur Insel Krk, von wo aus es nur ein Katzensprung nach Lošinj ist, wo auch ein DH-Weltcup 2018 ausgerichtet wird. Wenn man im Dunkeln an einem Ort ankommt, wo man noch nie war, wirft das eine Menge Fragen auf, die erst der Blick aus dem Fenster bei Sonnenaufgang beantworten kann. Dabei konnten wir zu unserer Freude ein paar recht beeindruckende Berge sich aus der Adria erheben sehen. Statt dem Grün der hügeligen Landschaft von Grožnjan leuchtete hier das Blau des Meeres; zwei sehr gegensätzliche Landschaften, nur durch eine kurze Autofahrt getrennt. Würden die Trails genauso kontrastreich sein?

Als wir über einen Erdwall stiegen waren alle Bäume weg und es schien, als seien wir auf der Mondoberfläche gelandet.

Wir machen uns an den Anstieg über eine alte österreichisch-ungarische Militärstraße, und die gleichförmig wie Soldaten stehenden Pinien gaben ihr Bestes, um den Teppich an Steinen zu verbergen, auf dem das Morgenlicht tanzte. Wir schauten uns verwundert um, unsere Augen brauchten einen Moment, um sich an die faszinierenden Oberflächen und Details zu gewöhnen, die Millionen Steine, die den Hügel sprenkeln, boten einen ziemlich spacigen Anblick. Oben auf dem Plateau bemühten wir uns, eventuellen UFOs und Weltraumwesen aus dem Weg zu gehen. Der Trail verengte sich zum Singletrail, fast augenblick verschwanden die Steine, und stattdessen schoss die Vegetation in die Höhe; es schien, als seien wir auf unserer Reise vom Mond im Süden Spaniens gelandet. Kroatien bot uns einen bunten Mix an unterschiedlichen Trailcharaktern, nicht nur im Abstand von ein wenigen Autostunden, sondern auch innerhalb einer einzigen Abfahrt. Das Gefälle war ziemlich gleichmäßig und eher sanft, was uns eine lange Abfahrt Richtung Mittagspause in der Küstenstadt Baška ermöglichte. Wir stärkten uns mit Pizza und Kaffee, während das türkisfarbene Meerwasser unter uns über die Kiesel am Strand hinwegrollte. Immer nur kurz, aber immer wieder sah man XC-Fahrer am Ufer entlangheizen. In einer Woche würde das 4-Islands-Rennen beginnen, und einige Teilnehmer waren schon vor Ort, um sich an das Gelände zu gewöhnen – ein weiteres Indiz für die wachsende Mountainbike Szene Kroatiens.

Permanente Aufmerksamkeit ist gefordert, denn jede Unachtsamkeit bei der Linienwahl kann zu einem Durchschlag führen, was wir leider auf die harte Tour lernen mussten!

Nachdem wir die Batterien mit einer Dosis Koffein aufgeladen hatten, begannen wir unsere Nachmittagsrunde, die teilweise über die Enduro Rennstages verlief, allerdings in etwas entspannterem Tempo. Die Steine vom Morgen waren wieder da, in rauen Mengen, und hielten uns auf Trab. Flankiert von hohen Steinwällen auf beiden Seiten fuhren wir dem Meer und der untergehenden Sonne entgegen. Bei einem selbstgebastelt aussehenden Schild, dass die “DH-Option” auswies, bogen wir vom Haupttrail ab. Unter Jubelgeschrei schossen wir durch Anlieger und über gut geshapte Double, und trafen zwei junge Einheimische, die den Trail mitgebaut hatten und nun eines ihrer neuen Features austesteten. In holprigem Englisch plauderten sie mit uns ein wenig über’s Trailbauen, zum Glück war Danijel da, um die fehlenden Wörter zu ergänzen. Bei uns hatten sie definitiv Eindruck gemacht, eine Bande junger, einheimischer Fahrer mit lachenden Gesichtern, die nicht nur Spaß auf den Trails haben, sondern auch daran arbeiten, dass der Sport in der Region wachsen kann.

So schlossen wir unseren Trip mit einem schönen Gefühl ab. Die Qualität und die unglaubliche Bandbreite der Trails lassen kaum etwas zu wünschen übrig, und zusammen mit der Landschaft, der Kultur, dem Essen und den unglaublich gastfreundlichen Locals sorgen sie für ein Mountainbike-Erlebnis, das man so schnell nicht vergisst. Kroatiens MTB-Szene ist jung, aber das ist nichts Schlechtes. Alle Zutaten sind da, und auch wenn sich die Dinge im Moment langsam entwickeln: schon nächstes Jahr wird Lošinj als Austragungsort des Weltcups die globale Bühne betreten, und das könnte unter den europäischen MTB-Destinationen für einigen Wirbel sorgen.


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Text & Fotos: Ross Bell