Neuseeland ist in der Mountainbikewelt wohl das, was man als ein Mekka, ein Zentrum oder einen Hotspot bezeichnet. Bei einem Land, dessen Liebe zum Outdoor-Lifestyle so groß ist, verwundert es nicht, dass man hier einige höchst talentierte Fahrer trifft. Eine Stadt aber scheint besonders gut darin zu sein, hervorragende Enduro-Fahrerinnen hervorzubringen – gleich drei, die im Stande sind, eine Top-Ten-Platzierung in der EWS zu erreichen, kommen von hier! Ich habe eine ganze Weile darüber nachgedacht, aber mir fällt weltweit kein anderer Ort ein, aus dem drei zeitgleich aktive Fahrer mit Top-Ten-Ansprüchen stammen, und schon gar nicht weibliche Fahrer. Und das, obwohl wir hier von einer Stadt mit gerade mal 60.000 Einwohnern sprechen, die auf einer Insel liegt, auf der insgesamt nur 680.000 Menschen leben!

One city in New Zealand it seems is producing some of the top enduro female riders (photo by Matt Wood)
Es gibt eine Stadt in Neuseeland, aus der gleich mehrere der besten Enduro-Fahrerinnen kommen.

Diese Stadt heißt Nelson, sie liegt im Norden der Südinsel und verfügt über einige der besten und technischsten Trails, die man sich vorstellen kann. Wurzeln und Felsen, Serpentinen und steilen Abfahrten, Sprints für die Lungen und Uphills für die Beine, hier findet man alles. Bei solchen Trails als Trainingsgelände ist es kein Wunder, dass die drei Fahrerinnen um die es hier geht, hart und schnell shredden und zu den fittesten Ladies gehören, die ich je getroffen habe. Drei Frauen, drei unterschiedliche Geschichten, aber ein gemeinsames Ziel – eine erfolgreiche Enduro World Series 2015!

Despite an immense amount of bike maintenance Rae came 14th in Whistler, a race recognised as one of the toughest of the series (photo by Matt Wood)
Trotz zeitraubender Reparaturen kam Rae in Whistler, einem Rennen, das als eines der schwierigsten der EWS gilt, als 14te ins Ziel (Foto: Matt Wood)

Die erste, die ich hier vorstellen möchte, ist Raewyn Morrison. Die 25jährige Physiotherapeutin ist die einzige der Drei, die in Neuseeland geboren und aufgewachsen ist. Raewyn, ihre Freunden nennen sie Rae, wuchs auf der Nordinsel an der Kapiti-Küste in der Nähe von Wellington auf. Ihre Wurzeln liegen im Downhill-Bereich, wo sie schon als Kind viel von ihrem Vater lernte. Als sie zum Studium nach Auckland zog und feststellen musste, dass dort ein gewisser Mangel an Abfahrten herrscht, tauschte sie ihr Downhill-Bike gegen eine XC-Maschine ein. Sie erwies sich als gleichermaßen talentiert im Cross-Country und schon nach kurzer Zeit nahm sie regelmäßig an Elite-XC-Rennen auf nationaler Ebene teil. 2012 wurde Neuseeland vom Super-D-Fieber gepackt, einem Vorläufer der heutigen Enduro-Rennen. Es gibt nur eine Stage, eine lange Abfahrt, die einmal gefahren wird und wer am schnellsten unten ist, hat gewonnen. Raewyn fuhr diese Rennen auf ihrem XC-Hardtail und gewann im selben Jahr direkt die Oceania Championship (ein Wettkampf mit Fahrern aus Neuseeland, Australien und den pazifischen Inseln). Als es in Neuseeland mit Enduro-Rennen losging, wusste sie sofort, dass sie dabei sein wollte. Leider wurde ihre Enduro-Karriere im Februar 2013 jäh unterbrochen, als sie sich bei einem schweren Sturz an einem eigentlich harmlosen Sprung die Hüfte brach. Rae konnte sechs Monate nicht fahren, aber hartnäckig wie sie ist, nahm sie bereits im siebten Monat wieder an Rennen teil … und gewann!

After a massive crash in 2013, Rae was left with a broken hip. She is now back shredding
Bei einem schweren Sturz brach sich Rae 2013 die Hüfte. Sie ist längst zurück und shreddet wieder.

2014 nahm Rae zwei EWS-Runden in Angriff, in den USA und Canada. Diese fanden statt, als sich die Sommersaison in Neuseeland gerade dem Ende zuneigte und so starteten Rae und ihr Freund Mark Dunlop (auch ein Top-50-EWS-Fahrer) als Privateers auf Rädern, die bereits eine harte Saison hinter sich gebracht hatten. Trotz zeitraubender Reparaturen kam Rae in Whistler, einem Rennen, das als eines der schwierigsten der EWS gilt, als Vierzehnte ins Ziel. In Crested Butte wurde sie aufgrund eines unglücklichen Sturzes Neunzehnte. Mark und Rae lernten sehr viel aus diesen Erlebnissen. Rae hat seither intensiv trainiert und auch mit Hilfe von mentalem Training hart daran gearbeitet, taktischer zu fahren und sich so besser gegen Stürze zu schützen. Teil ihres Trainings ist es, gegen Konkurrentinnen zu racen, sowohl Downhill als auch Enduro. Eine von ihnen ist Meg (siehe unten), die dieselben Ziele für diese Saison hat wie Rae, so dass zwischen den beiden ein gesundes Maß an Rivalität besteht. Sie sind aber trotzdem gute Freundinnen und gehen regelmäßig zusammen biken.

Raewyn und Mark haben sich Giant New Zealand als Sponsor gesichert und treten nun als deren Markenbotschafter auf – sie sind nicht zu übersehen, wenn sie auf ihren identischen orangenen Giant Reign vorbeiflitzen. Raewyns Saison hat bereits begonnen, sie hat schon an lokalen und nationalen Events teilgenommen. Ihr nächstes Rennen wird das Trans New Zealand sein, ein großartiges Multi-Stage Enduro-Rennen, das über fünf Tage geht und in der Umgebung von sowohl Christchurch als auch Queenstown stattfindet. Danach geht sie bei allen EWS-Runden an den Start und wird zweifelsohne zwischendurch noch ein paar andere Rennen mitnehmen. Die Top-Ten-Platzierung bei der diesjährigen EWS hat sie fest im Blick. Bei der Weltklassebesetzung des Starterfelds wäre das sicher keine geringe Errungenschaft, aber nachdem ich Raewyn als eine überaus erfolgshungrige junge Frau kennengelernt und ihre Entschlossenheit und Fokussierung beim Racen mit eigenen Augen gesehen habe, freue mich über ihre hervorragenden Aussichten und bin sicher, dass sie ihre Ziele erreichen wird!

Another rapid rider is Meg Blanchard, taking 7th in Tweedlove and Valloire and 8th in Whister EWS rounds (photo by Matt Wood)
Eine andere verdammt schnelle Fahrerin ist Meg Bichard, die beim Tweedlove EWS-Rennen siebte und in Whistler achte wurde (Foto: Matt Wood)

Eine weitere hart shreddende Fahrerin aus Nelson ist Meg Bichard. Meg stammt aus Großbritannien, kam aber mit 25 nach dem Studium nach Neuseeland, um als Tierärztin zu arbeiten. Ursprünglich war Klettern ihre Passion, aber dieses Hobby gab sie zugunsten des Mountainbikens auf. Nur kurze Zeit nach ihrem Einstieg trat Meg, über beide Ohren verliebt in den Sport, beim Megavalanche 2010 an – und wurde Dritte! Der Erfolg kam auch für sie selbst überraschend, aber nun wurde sie sich ihres Talents bewusst und startete so richtig durch. 2011 führte eine Verletzung dazu, dass sie ihre Pläne vorübergehend auf Eis legen musste, aber 2012 und 2013 war Meg wieder voll dabei, feierte Erfolge und sammelte zusammen mit ihrem Partner Ed wertvolle Erfahrung in der Welt des Enduro-Racing. In dieser Zeit schloss sie auch einen Sponsorenvertrag mit Specialized New Zealand ab und fährt nun als Markenbotschafterin ein Enduro 29er. Weitere Sponsoren, die Meg unterstützt haben, sind lokale Firmen aus Nelson: Sports Therapy und die chiropraktische Loveday Clinic. Chris Mildon von Coppins Bike Shop half ihr bei ihren MTB-Skills.

All dies war auch Vorbereitung im Hinblick auf ihre Pläne für die Saison 2014. Meg startete während des neuseeländischen Sommers bei lokalen Rennen und als im Rest der Welt die Rennsaison begann, war sie fit und top vorbereitet. Sie fuhr drei EWS-Rennen (beim Tweedlove und in Valloire wurde sie Siebte, in Whistler erreichte sie den achten Platz), außerdem nahm sie an einem Stopp der European Enduro Series teil, wurde dort Dritte und bei der Schlammparty Megavalanche erreichte sie einen äußerst respektablen zweiten Platz noch vor Manon Carpenter. Beim SRAM Specialized Enduro in Kirchberg ging sie ebenfalls an den Start, wurde hier Zweite nach Anneke Beerten und schließlich gewann sie noch einen Stopp der BC-Enduro.

Meg’s main focus will be on the EWS, where she is looking for a consistent top ten finish throughout the year
Megs Hauptaugenmerk liegt auf der EWS, wo sie dieses Jahr eine durchgängige Top-Ten-Platzierung anstrebt.

Kürzlich sicherte sich Meg auch den Support von Alistair Jamieson von der Bikeguide-Firma trailAddiction, sowie seiner Freundin Serena Hobson, die ihr als Personal Trainer dabei half, ihre Kraft und Flexibilität weiter auszubauen. Meg wird also in der Saison 2015 das Logo von trailAddiction auf ihrem Trikot tragen. Sie wird wieder als Privateer auf ihrem Specialized Enduro 29 starten. Ihr Rennprogramm beginnt im März mit der ersten Runde der Enduro World Series in Roturoa, Neuseeland. Im Anschluss wird sie der EWS um die Welt folgen und das ein oder andere weitere Rennen bestreiten, wie zum Beispiel das Enduro2, ein Zweierteamrennen, das Trans-Savoie und natürlich auch wieder das Megavalanche.

Megs Hauptaugenmerk liegt aber auf der EWS, wo sie eine durchgängige Top-Ten-Platzierung anstrebt. Meg hat ein ruhiges, selbstbewusstes aber dabei bescheidenes Auftreten und sie ist gut gerüstet, um sich dieses Jahr in der Enduro-Welt zu weiter zu profilieren. Ich fiebere mit ihr und freue mich darauf, ihr an der Ziellinie zuzujubeln!

Anka Martin is a legend on the travel and racing circuit (photo by Sven Martin)
Eine Legende auf Rennstrecken und auf Reisen: Anka Martin (Foto: Sven Martin)

Die letzte Fahrerin auf unserer Dreierliste ist Anka Martin. Anka wurde in Südafrika geboren und lebte in Kalifornien, bevor sie sich 2010 mit ihrem Mann, dem Fotografen Sven Martin, in Nelson niederließ. Die Entscheidung, diesen Ort zu ihrem Zuhause zu machen, traf sie, nachdem die Locals sie zum Biken mitgenommen hatten, und sie von der Szene und ihren Zusammenhalt begeistert war. Angefixt vom Mountainbiken wurde Anka in Kalifornien, wo sie begann Trails zu erkunden, immer mit einer großen Neugier auf das, was hinter der nächsten Kurve kommt. Sie hat viele Jahre Downhill-Erfahrung und hat auch an mehrtägigen Marathonevents teilgenommen – alles eine gute Schule, um in der Enduro-Szene vorne dabei zu sein. Sie erzählt, wie sie damals das Megavalanche auf einem Bike mit drei Kettenblättern fuhr und alle paar Minuten anhalten musste, um die abgesprungene Kette wieder aufzulegen.

Während der fünf Monate im Jahr, in denen in Europa Sommer ist, sind Anka und Sven immer unterwegs. Anka fährt für Juliana Bicycles und SRAM und geht bei der EWS sowie beim Megavalanche und bei der Trans-Provence an den Start. Den Rest des Jahres sind die beiden zu Hause in Neuseeland und Anka ist damit beschäftigt, ihre Kräfte zu sammeln, aber auch Pressecamps und -launches zu veranstalten, um die Trails hier in der Welt bekannt zu machen. Anka sagt, dass die Trails in Nelson so gut und so technisch sind, dass nichts auf der Welt so beängstigend sein kann wie ihre Heimrunde – das, zusammen mit der Bandbreite des Geländes und der Verfügbarkeit der Trails trägt sicherlich zum Erfolg aller drei Fahrerinnen bei. Das neuseeländische Department of Conservation engagiert sich sehr dafür, dass die Biker die Möglichkeiten der Gegend so gut wie möglich nutzen können.

Anka works hard, trains hard and embodies the spirit of Juliana Bicycles by going out there and having an awesome time whatever is thrown at her
Anka arbeitet und trainiert hart und verkörpert den Spirit von Juliana Bicycles: Rausgehen und Spaß haben, ganz egal was kommt.

Letztes Jahr hat Anka zu ihrer Liste sehr erfolgreicher Starts bei EWS-Rennen und der Trans-Provence (wo sie jeden Tag auf dem Podium stand) noch einige weitere hinzufügen können. Sie arbeitet und trainiert hart und verkörpert den Spirit von Juliana Bicycles: Rausgehen und Spaß haben, ganz egal was kommt. Man wird sie übrigens nicht nur bei den EWS-Stopps antreffen können – wenn sie gerade keine Rennen fährt, bietet sie noch Mountainbike Touren in der Provence an. Außerdem plant sie für 2015 ein paar Abenteuertrips, einfach nur, um zu entdecken, zu genießen und schöne Erinnerungen zu sammeln. Bescheiden wie sie ist, sagt Anka, dass sie die Rennsaison einfach heil überstehen möchte, aber ich habe keinen Zweifel daran, dass ihr weit mehr als das gelingen wird. Wie die beiden anderen Mädels auch hat sie die Top-Ten-Platzierung in der EWS fest im Blick. Sie wird außerdem wieder am Trans-Provence teilnehmen und je nach dem was ihr Budget als Privateer hergibt, auch am Megavalanche. Es macht mir jedes Jahr Freude, Ankas Entwicklung zu verfolgen, und das wird auch dieses Jahr so sein!

Anka ist überzeugt davon, dass Neuseeland Nachwuchsracern großartige Trainingsmöglichkeiten bietet. Sie sagt, dass es hier unzählige Möglichkeiten gibt, für Rennen zu üben und die eigenen Fähigkeiten zu verfeinern. Egal wo man lebt, man muss schon sehr engagiert sein, um in Übersee Rennen zu fahren und das ist in Neuseeland nicht anders. Anka, Meg und Raewyn wissen alle drei, dass es mitunter jahrelanges Durchaltevermögen in der Weltklasse erfordert, bis man die Unterstützung bekommt und die Ergebnisse erzielt, die man sich wünscht. Genau das aber ist etwas, das diese drei Frauen ohne jedes Zögern durchziehen: jeden Rückschritt oder Rückschlag nehmen sie als Anstoß, daraus zu lernen, in dem Wissen, dass es mit der Zeit besser und einfacher wird. Lasst uns den dreien also viel Glück und Erfolg für die bald beginnende EWS-Saison wünschen! Auf ihren jeweiligen Blogs und Facebookprofilen könnt ihr verfolgen, was bei ihnen passiert und wie sie vorankommen.

Text: Rachael Gurney

Fotos: Sven Martin und Matt Wood


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