Ein Bunny Hop wäre die Lösung gewesen. Leider kam diese Idee eine halbe Sekunde zu spät. Jetzt ist sie tot.

War das Wetter bei der Quali noch durchwachsen, präsentierte sich das Lenzerheider Rothorn am Sonntag von seiner besten Seite.
War das Wetter bei der Quali noch durchwachsen, präsentierte sich das Lenzerheider Rothorn am Sonntag von seiner besten Seite.

(Hier gehts zu Teil 1 – Training und Teil 2 – Qualifikation von Tobis Renntagebuch zur Bike Attack)

Sechs Stunden früher stehen mein Teamkollege Aaron und ich an der Tankstelle in Lenzerheide und versuchen mit dem dortigen Kompressor ein weiteres Mal Luft in meine Tubelessreifen zu bekommen. Gestern hatten wir beide viel Zeit durch Platten verloren, das soll uns nicht noch einmal passieren. Und da ich nachher beim Massenstart ganz hinten stehe, werde ich zum Überholen auch nicht immer die sanftesten Linien fahren können, Schlauch raus ist also Pflicht.

Die Kunst beim Tubeless montieren ist, den Mantel mit einem harten Luftstoß an die Felgenflanken zu pressen, so dass er von alleine abdichtet. Aber egal was wir probieren, er springt einfach nicht richtig in die Felge. Nachdem die halbe Tankstelle mit Abdichtmilch versaut ist, wir den Kompressor für größeren Luftdurchsatz auseinandergebaut haben und der Reifen immer noch mehr Luft rauslässt als wir reinblasen können, versuchen wir eine letzte Idee. Wir montieren den Reifen mit Schlauch, drücken mit diesem die Reifenflanken in die Felge, lassen die Luft wieder raus und öffnen den Mantel ganz vorsichtig auf nur einer Seite. Das Tubelessventil einzuschrauben ist so zwar etwas kniffelig, aber nachdem wir den Mantel wieder feinfühlig über die Flanke gehoben haben, hören wir beim nächsten Aufpumpversuch tatsächlich das erlösende PLOPP. Schnell ist der Reifen auf Druck gebracht und wir müssen etwas Hektik aufkommen lassen um noch rechtzeitig am Startplatz zu sein. Andere Fahrer waren da klüger und haben noch vor dem Frühstück ihre Bikes auf den Berg gebracht, um sich in ihren zugewiesenen Blöcken die vorderen Startplätze sichern zu können.

Morgensonne auf der Bergflanke, auf der in ein paar Stunden viel Schweiß fließen wird
Morgensonne auf der Bergflanke, auf der in ein paar Stunden viel Schweiß fließen wird

Auf dem Gipfelplateau angekommen werden wir direkt von der großartigen Atmosphäre umgehauen. Vor uns liegen hunderte Bikes zum Massenstart aufgereiht in den Startblöcken, stellenweise wird noch eilig geschraubt und überall versuchen die Fahrer, sich in der auf 2900hm doch recht kühlen Luft warm zu halten. Nach einiger Zeit kommt ein Hubschrauber dazu, der für Luftaufnahmen seine Kreise über unseren Köpfen zieht.

Das Feld der Damen wird sich eine halbe Stunde vor den Herren auf den Weg machen
Das Feld der Damen wird sich eine halbe Stunde vor den Herren auf den Weg machen

Vor uns liegen 18 km, 2000 Tiefen- und 140 Höhenmeter mit groben Geröllabfahrten, schnellen Wiesenstücken, technisch anspruchsvollen Singletrails und eine toll gebaute Bikeparkstrecke mit vielen Anliegern und Sprüngen.

Da ich, wegen meiner miserablen Zeit im Qualilauf gestern, ca. 600 Starter vor mir habe, beschließe ich schon direkt beim Start auf 100% zu gehen und jede Möglichkeit zu nutzen mich im Feld nach vorne zu schieben. Hat sich die riesige Gruppe erst einmal auseinandergezogen, dann wird man auf den schmalen Trails weiter unten immer nur einzelne Fahrer überholen können und selbst das auch nur an geeigneten Stellen.

Die vorderen Blöcke auf der schmaler werdenden Startgeraden
Die vorderen Blöcke auf der schmaler werdenden Startgeraden
Noch herrscht Ruhe im Startbereich...
Noch herrscht Ruhe im Startbereich…
...und ich ahne noch nichts von den kommenden Qualen
…und ich ahne noch nichts von den kommenden Qualen
Kurz vor dem Start
Kurz vor dem Start

Kurz vor dem Startsignal werden die Absperrungen zwischen den Blöcken entfernt und ich kann mich direkt einige Reihen nach vorne schieben. Ein paar Sekunden später schießen die ersten Fahrer durch den Startbogen und ich – bleibe erst einmal stehen. Der Geröllweg vor uns wirkt wie ein Flaschenhals, an dem sich das breite Fahrerfeld staut.

Los geht's! Während die ersten Fahrer schon durch den Startbogen schießen, tut sich im hinteren Feld erstmal noch gar nix
Los geht’s! Während die ersten Fahrer schon durch den Startbogen schießen, tut sich im hinteren Feld erstmal noch gar nix

Als endlich etwas Bewegung in die Fahrer um mich herum kommt, hebe ich mein Bike den steilen Schotterhang rechts von mir hoch und kann zu Fuß durch grobes Geröll stolpernd etliche Plätze gewinnen. Nach der ersten Kurve löst sich die Gruppe schon etwas auf und ich trete wie doof in die Pedale um möglichst schnell an den Fahrern vor mir vorbeiziehen zu können. Etwas weiter unten teilt sich der Trail auf einem breiten Schotterfeld in einige schmale Varianten auf, und verschwindet kurz danach in einem engen Tunnel. Gestern sah das Geröll zwischen den Wegen aus den Augenwinkeln einigermaßen fahrbar aus, und so versuche ich mein Glück und rutsche fast ungebremst durch die losen Steinplatten. Mit mehr Glück als Verstand treffe ich keinen der großen Felsbrocken und kann so viele der Fahrer, die sich auf den schmalen Wegen stauen, bis zum Tunneleingang hinter mir lassen.

Die Falllinie durch diese Steinplatten kann schnell zur Sturzlinie werden.
Die Falllinie durch diese Steinplatten kann schnell zur Sturzlinie werden.
Kurze Gegenanstiege sorgen für Abwechslung
Kurze Gegenanstiege sorgen für Abwechslung

Ab hier sind die Fahrer vor mir schon deutlich schneller und es entwickeln sich immer wieder höllisch anstrengende Kopf-an-Kopf-Rennen. Um mich herum haben sich inzwischen einige Fahrer gesammelt, die in der Quali wohl auch technische Probleme hatten (oder sie erst gar nicht mitgefahren sind) und sich zusammen mit mir nach vorne zu kämpfen versuchen. Die schmalen Trails wechseln sich mit breiten Wiesenstücken ab, auf denen wir jedes Mal auf wenig ausgefahrenen Außenlinien mit viel Tempo einige Fahrer überholen können. Ab und zu blitzt der kurze Gedanke in meinem Kopf auf, was passieren wird, wenn ich bei dieser Geschwindigkeit neben dem Trail eine Wasserrinne oder groben Stein übersehe. Einmal schaffe ich es dann auch wirklich nur sehr knapp vor einer tiefen Senke wieder auf den Trail zu ziehen, aber ansonsten scheinen die Absperrteams die Strecke mit viel Bedacht begrenzt zu haben.

Helmcam Video der Aufholjagd

Als ich mit schon merklich nachlassender Energie die Bikeparkstrecke ereiche, bildet sich vor und hinter mir eine Kette aus knapp zehn Fahrern. Unerwartet stellt sich ein riesen Spaßgefühl ein, als wir dicht an dicht durch die schnellen Anlieger gepresst werden und zusammen über die Sprünge und Tables fliegen. That´s racing!
Etwas weiter unten habe ich einen Fahrer vor mir, an dem ich es nur mit großer Mühe schaffe dranzubleiben und ich lasse mich von ihm über ein paar ausgewaschene Wurzelfelder ziehen. Ein paar Kurven später blockiert uns ein besonders hartnäckiger Fahrer. Immer wieder versuche ich in den Kurven innen an ihm vorbeizukommen und jedesmal muss ich hart bremsen um ihn nicht am Kurvenausgang von der Strecke zu drücken. Irgendwann rutscht ihm bei einem Fahrfehler aber das Hinterrad weg und wir können knapp an ihm vorbeifahren.

Die Abschnitte im Bikepark waren spaßig, boten jedoch wenig Gelegenheit für Überholmannöver
Die Abschnitte im Bikepark waren spaßig, boten jedoch wenig Gelegenheit für Überholmannöver

In der Talsohle angekommen läuft auf einem Waldweg plötzlich eine Maus direkt vor mein Rad. Leider versuche ich in die gleiche Richtung wie sie auszuweichen und so wird das nette Tier zum (hoffentlich) einzigen Opfer der Bike Attack. So ein Scheiß – Sorry!

Die relativ flache Strecke nach Churwalden zieht dann mit einigen Gegenanstiegen sämtliche restliche Energie aus mir. Auf einem etwas längerem Anstieg motiviert mich ein an mir vorbeiziehender Fahrer nochmal alles zu geben, was sich ein paar Sekunden später direkt als schwerer Fehler herausstellt. Blitzschnell zieht sich plötzlich mein Gesichtsfeld zusammen und ich bin nah dran in meinen Helm zu kotzen. Um nicht einfach vom Rad zu fallen muss ich deutlich Tempo rausnehmen und ich lasse mich auf den vereinzelten Bergabstücken nur noch dahinrollen. Irgendwie schaffe ich es aber trotzdem noch gerade so meine Position zu halten und kann einige Zeit später sogar noch ein paar vereinzelte Fahrer überholen, denen es anscheinend noch schlechter geht als mir. Nach ein paar weiteren schmerzhaften Minuten rolle ich endlich auf das letzte Wiesenstück vor dem Ziel, wo uns hunderte Zuschauer begeistert anfeuern. Das motiviert noch zu einem letzten quälendem Schlussprint und ich fahre als 84. über die Ziellinie. Das ist definitv mehr, als ich mir nach den zwei misslungenen Vortagen erhofft habe und so verbringe ich die nächsten 20 Minuten damit, zufrieden darauf zu warten, dass mein Kreislauf wieder so halbwegs seine Arbeit aufnimmt.

Bleich und mit durchdrehendem Kreislauf im Ziel
Bleich und mit durchdrehendem Kreislauf im Ziel

Als ich wieder so halbwegs denken kann ist auch Aaron angekommen. Er musste nach seiner gestrigen Stromkur von noch weiter hinten starten als ich und hatte deshalb mitten im Hauptfeld oft Wartezeiten auf den schmalen Singletrails. Während der toll gemachten Siegerehrung auf dem Eventgelände hinter dem Zielbogen wird uns beiden klar, was für ein abgefahren geiles Rennen das Bike Attack Team hier jedes Jahr auf die Beine stellt. Wir werden definitiv wiederkommen!

Die schnellste Frau war Alba Wunderlin, gefolgt von Birgit Braumann und Nelen Kristien
Die schnellste Frau war Alba Wunderlin, gefolgt von Birgit Braumann und Nelen Kristien
Bei den Männern konnte sich Stefan Peter durchsetzen, vor Armin Beeli und Daniel Solér
Bei den Männern konnte sich Stefan Peter durchsetzen, vor Armin Beeli und Daniel Solér

Text: Tobias Döring Fotos: Tobias Döring, Aaron Steike, Bike Attack/Sportograf


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