Du Drecksschwein!“, denke ich mir verbittert. Ich spanne jeden einzelnen meiner Muskeln an, beiße die Zähne zusammen und ziehe am Lenker. Und was passiert? Nichts!
Während mein Kumpel mit einer höhnischen Leichtigkeit den Berg hinaufschießt, quäle ich mich ab. Das Rattern meiner Kette, mein Keuchen – all das kann ich hören, während ich stoßweise feuchten Atem ausstoße im Rhythmus jeder Kurbelumdrehung.

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Es ist ein vernichtendes, unschönes Gefühl, einfach so degradiert zu werden.

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Kampfplatz – pardon – Schauplatz dieser Episode ist die verschlafene Ortschaft Oberammergau. Hohe Berge, geile Aussicht und lange, gerne auch steile Abfahrten. Ich hatte mich mit meinem Kumpel verabredet, einem dieser urbanen Hipster, ein Early-Adopter mit iPhone, iMac ─ und jetzt auch noch mit iBike? Durchgestylt bis auf die Socken kommt er da an. Würde Apple Bikes bauen, er hätte definitiv ein Exemplar der Kalifornier. Tatsächlich jedoch stammt sein gelbes Techno-Mountainbike vom Schweinfurter Branchenprimus Haibike und hört auf den Namen XDURO NDURO Pro. Pro? Dass ich nicht lache, ich bin hier der Pro! Und dann noch diese moderne Schreibweise, bei welcher der Vokal des Begriffs Enduro fehlt, treibt mich gerade schon wieder zur Weißglut.

Ich habe nichts gegen Technologie. Aber ich hasse es, wenn jeder meint, er müsse alle fünf Minuten auf dem Trail anhalten, ein Selfie schießen und seine Freunde auf Instagram und Facebook darüber “updaten”, was für einen tollen Tag er gerade genießt. Und dabei gänzlich vergisst, den Tag tatsächlich zu genießen, weil er ständig damit beschäftigt ist, die digitalen Likes zu checken!

Wie sollte es dann bitte mit dem E-Mountainbike werden? Werden nun unfitte Menschen dorthin gebracht, wo sie nicht hingehören? Außerdem ist mein Kumpel weder unfit, noch hat er einen anderen rationalen Grund, E-Mountainbike fahren zu müssen. Warum zur Hölle tut er es dann?!

Egal, hier bin ich also mit ihm auf unseren Hometrails. Er mit seinem E-Mountainbike, ich mit meinem „normalem“. Mit Strava wollen wir den freundschaftlichen Kampf austragen: Mann gegen Mann, Muskelkraft gegen E-Power. Ich gebe zu, mein Focus SAM ist auch bis ins letzte Detail getunet, aber dennoch vertraue ich allein auf meine Muskelkraft. Wird mein Kumpel meine Strava-Zeiten killen und mich so deklassieren? Mich, der hier beinahe jeden KOM besitzt?

Mann gegen E-Maschine - der Strava-Vergleich soll den Sieger bestimmen
Mann gegen E-Maschine – der Strava-Vergleich soll den Sieger bestimmen

Am Ende der Ausfahrt bin ich beruhigt und beunruhigt zugleich. Strava hat gezeigt: Meine Fitness ist nicht wegzuleugnen. Bergauf habe ich dennoch gnadenlos einstecken müssen. Die zusätzlichen 250 Watt sind einfach unmöglich wettzumachen und einen 25-km/h-Schnitt bergauf schaffe ich nicht mal ansatzweise.

Bergab ist es dann allerdings gemischt. In sehr tretintensiven Sektionen muss ich mich geschlagen geben, in steilen schnellen Passagen liegen wir ungefähr gleich auf – da wir konstant über 25 km/h fahren, hat der Antrieb keinen Einfluss auf die Geschwindigkeit, sondern lediglich das Gewicht. Und hier bringt das hohe Eigengewicht mit dem tiefen Schwerpunkt ein sehr sattes Fahrgefühl. Auf verwinkelten Kursen kann ich mit meinem knapp 10 kg leichteren Bike leichtfüßiger und schneller agieren – was mir letzten Endes ja auch meine KOMs gesichert hat.

Das E-Bike: Im Uphill der eindeutige Sieger, bergab sieht es ab 25 km/h anders aus
Das E-Bike: Im Uphill der eindeutige Sieger, bergab sieht es ab 25 km/h anders aus

Nach der Tour: ein kurzes High-Five! Ich glaube, er war happy, weil er mir gezeigt hat, dass die Performance von E-Mountainbikes mittlerweile auch bergab echt überzeugt und man gut mit normalen Bikes mithalten kann. Und ich wiederum war happy, weil ich wusste, dass sich meine Fitness und mein puristisches Bike bewährt haben und in manchen Sektionen auch weiterhin unschlagbar sind.

Nach Hause fahre ich mit dem Auto. Die zähen zwanzig Minuten Flachland-Treterei möchte ich mir nicht antun. Mein Kumpel schon, aber der hat ja auch ein E-Mountainbike. Als ich gerade mein Vorderrad ausbaue und mein Bike im Auto zu verstauen versuche, summe ich, zufrieden über die erfrischende Ausfahrt, die Radio-Melodie mit.
Und dann kommt mir ein ziemlich unangenehmer Gedanke. Wie ein Ohrwurm frisst sich „Video killed the radio star“ in mein Hirn ─ eine musikalische Metapher für den technischen Wandel und dessen perfide Schnelligkeit. Und so frage ich mich, während ich an einer roten Ampel stehen bleiben muss, ob mich dieser Song gerade im Hier und Jetzt verhöhnt?

That new technology came and replaced old technology.“ trällert es aus den Lautsprechern.

Ist die Ratio des Mountainbikens in Gefahr? Sind E-Mountainbikes eine wahre Bedrohung für den Sport? Werde ich bald genau so zu den “Verlierern” gehören wie die Studenten, die sich weigern, Ritalin zu schlucken und deshalb nicht mehr beim Arbeitspensum ihrer Kommilitonen mithalten können?

In my mind and in my car, we can’t rewind we’ve gone to far.

Geht das zu weit? Wo ist mit der Technik Schluss? Ich gebe ja zu, mein Bike ist bis auf das Leichteste und Teuerste getunet mit dem einzigen Ziel, schneller und besser als alle anderen zu sein. Aber ein E-Antrieb? Ist das nicht zu viel? Oder soll das etwa die nächste Evolutionsstufe sein – als Ausdruck des Menschen, seine eigenen Grenzen durch Technik immer wieder aufs Neue zu überwinden?

Und da schließt sich gleich schon die nächste Frage an: Playback oder richtige Beats?

Fahren wir bald nur noch auf Playback, sprich: motorunterstützten Mountainbikes, die sich zwar auch schön anfühlen, aber eben doch nicht wirklich echt sind? Müssen wir alles mitmachen, was technisch möglich ist? Und hängt das nicht mit einer viel tiefergehenden Frage zusammen, nämlich: Um was geht es uns eigentlich? Die tiefgründige Substanz, die Quälerei am Berg oder den Spaß an der Sache bergab?

Haibike XDURO NDURO Pro
Haibike XDURO NDURO Pro

Ich rekapituliere. E-Mountainbikes sind Realität geworden. Mein Hipster-Kumpel scheint wie besessen davon. Er zieht mich bergauf gnadenlos ab und ist auch bergab kaum langsamer. Als ob das nicht bereits genug wäre, hat er permanent dieses hämische Grinsen auf dem Gesicht, während ich mich abquäle. Also nicht, dass ich es nicht wollte, aber … naja bergab fahren ist schon geiler — wie dem auch sei … Vielleicht mache ich mir auch einfach zu viele Gedanken! Ich sollte mich viel eher fragen, warum ich so lange “Video killed the Radio Star” — wohlgemerkt im Radio — angehört habe! Der Song hallt noch immer in meinen Ohren, als ich meinen iPod ans Radio anschließe und die “Hells Bells” von AC/DC auflege. Rock’n’Roll geht immer — egal ob Radio oder iPod.

Text: Robin Schmitt Fotos: Christoph Bayer


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Über den Autor

Robin Schmitt

Robin ist einer der zwei Verlagsgründer und Visionär mit Macher-Genen. Während er jetzt – im strammen Arbeitsalltag – jede freie Sekunde auf dem Bike genießt, war er früher bei Enduro-Rennen und ein paar Downhill-Weltcups erfolgreich auf Sekundenjagd. Nebenbei praktiziert er Kung-Fu und Zen-Meditation, spielt Cello oder mit seinem Hund (der eigentlich seiner Freundin gehört!), bereist fremde Länder und testet noch immer zahlreiche Bikes selbst. Progressive Ideen, neue Projekte und große Herausforderungen – Robin liebt es, Potenziale zu entdecken und Trends auf den Grund zu gehen.