Sichtcarbon, so weit das Auge reicht: Das neue Antidote Carbonjack 29” macht keinen Hehl aus seinem Rahmenmaterial. Ist der kleinen Bike-Schmiede aus Polen neben einem extravaganten Look auch ein Bike mit ordentlicher Fahrperformance auf dem Trail gelungen? So viel vorweg: Das Antidote Carbonjack ist alles andere als langweilig!

Antidote Carbonjack Custom | 160/150 mm (v/h) | 14,66 kg in Größe L | 8.009 €
Hersteller-Website

Bei kleinen Boutique-Herstellern, die all ihre Rahmen in liebevoller Handarbeit in Europa herstellen, denken die meisten vermutlich an Schweißkunst aus Norddeutschland, an britische Finesse im Umgang mit Stahl oder an abgefahrene CNC-gefräste Bikes aus Finnland. Die polnische Schmiede Antidote setzt für ihr neuestes 29”-Enduro Carbonjack nicht auf Metalle als Werkstoff, sondern auf ausgefallene Rahmenformen und Carbonfasern als Ausgangsmaterial. Das eigens entwickelte FDS-Hinterbausystem beruht auf dem Twin-Link-Prinzip mit virtuellem Drehpunkt und generiert 150 mm Federweg. Charakteristisch ist die Positionierung des schwimmend gelagerten Dämpfers zwischen Hinterrad und Sattelrohr, wodurch die Kettenstreben naturgemäß relativ lang sind und im Hauptrahmen auch bei kleinen Rahmengrößen viel Platz für eine große Flasche bleibt. Auch durch das überall am hochwertigen Rahmen präsente Sichtcarbon und die Aussparungen an Unter- und Sitzrohr fällt das Carbonjack bereits im Stand sofort auf.

Das Carbonjack wird als Rahmenset ab 3.499 € angeboten. Gegen Aufpreis könnt ihr zwischen einem EXT STORIA V3 oder dem Öhlins TTX 2-Stahlfederdämpfer wählen. Auch ein FOX FLOAT X2-Luftfederdämpfer ist möglich. Antidote hat außerdem ein Komplett-Bike in der Limited Edition mit FOX- (7.199 €) oder Öhlins-Fahrwerk (7.799 €) im Angebot. Auf Nachfrage realisiert Antidote mit euch auch Komplett-Bikes mit eurer individuellen Wunschausstattung und -lackierung. Für uns hat das Team von Antidote ein 8.099 € teures Komplett-Bike nach seinen eigenen Ideen und Vorlieben zusammengestellt. Herzstück unseres 14,66 kg schweren Builds (Größe L) bildet der Rahmen mit Öhlins TTX 22 M-Dämpfer und RXF36 M.2-Federgabel mit 160 mm. Die robusten und bewusst gewählten DT Swiss E 1700-Laufräder aus Aluminium lassen ebenso wenig Raum für Kritik wie die Shimano XTR- Schaltung und die Vierkolbenbremse aus dem gleichen Haus mit 200-mm-Scheiben vorne wie hinten. Einzig die aufgezogenen MAXXIS MINION DHF/DHR II-Reifen liefern in der EXO+ Karkasse manchen Fahrern zu wenig Pannenschutz für das Potenzial des Carbonjack. Auch das Cockpit mit dem ultrabreiten und -steifen Candy Ray-Carbonlenker (810 mm) würden wir so nicht verbauen und stattdessen eher auf einen 780 mm breiten Lenker mit mehr Compliance setzen.

Die Kettenstrebe ist extra tief gezogen – dadurch reicht ein minimalistischer Schutz, um Kettenschlagen effektiv zu verhindern. Das Carbonjack ist bergab super leise!
Im Antidote haben auch große Trinkflaschen problemlos Platz. Top!
Der Fender aus Carbon ist ein Hauch von nichts und dennoch steif genug, um nicht zu klappern. Er schützt den Dämpfer effektiv vor Matsch und Steinen.

Antidote Carbonjack Custom

8.099 €

Specifications

Fork Öhlins RXF36 M.2 160 mm
Rear Shock Öhlins TTX 22 M Custom 150 mm
Seatpost OneUp V2 180 mm
Brakes Shimano XTR 4-Kolben 200/200 mm
Drivetrain Shimano XTR 34/10-51
Stem OneUp Stem 50 mm
Handlebar Antidote Candy Ray 810 mm
Wheelset DT Swiss EX 1700
Tires MAXXIS Minion DHF/DHR II EXO+ 2,5"/2,4"

Technical Data

Size S M L XL
Weight 14,66 kg
Wheelsize 29"

Specific Features

Frameset mit Custom-Ausstattung


Bei unserem Custom-Build hat sich Antidote bewusst für robuste DT Swiss Alu-Laufräder entscheiden. Mit den EXO+ Reifen sind Pannen bei aggressiver Fahrweise dennoch vorprogrammiert.
Der zwischen zwei Schwingen gelagerte Öhlins TTX 22 Custom ist eine Spezialanfertigung und passt gerade so ins Heck des Antidote.
Der 810 mm breite Candy Ray-Carbonlenker stammt ebenfalls von den Antidote-Machern. Er ist aber viel zu breit und zu steif: Gekürzt wird er noch weniger Compliance bieten.

Dank der vier angebotenen Größen soll es für alle Fahrer von 1,62 m bis 1,98 m ein passendes Carbonjack geben. Trotz der modernen Geometrie und der kleinen dynamischen Firma hinter dem Bike ist Upsizing beim Carbonjack keine Option. Dafür sind die Sitzrohre in allen Größen einen Tick zu lang (470 mm in L), wodurch ihr das Bike nur bedingt anhand seiner Länge – dem gewünschten Reach – auswählen könnt. Davon abgesehen haben sich aber alle unsere Tester, die zwischen 180 und 186 cm groß sind, auf dem L-Bike sehr wohl gefühlt. Denn mit 480 mm Reach trifft das Carbonjack genau den Geschmack unserer Testfahrer und kombiniert das lange Front-Center mit einer hohen Front (634 mm Stack). Verbindet man das mit einem tiefen Tretlager (32 mm BB-Drop) und relativ langen Kettenstreben (450 mm), macht die Geometrie des Carbonjack bereits auf dem Papier einen sehr ausgewogenen Eindruck.

Größe S M L XL
Sattelrohr 420 mm 440 mm 470 mm 500 mm
Oberrohr 591 mm 611 mm 641 mm 672 mm
Steuerrohr 100 mm 100 mm 115 mm 130 mm
Lenkwinkel 65,0° 65,0° 65,0° 65,0°
Sitzwinkel 74,9° 74,4° 74,4° 74,5°
Kettenstreben 450 mm 450 mm 450 mm 450 mm
BB Drop 32 mm 32 mm 32 mm 32 mm
Radstand 1.203 mm 1.223 mm 1.259 mm 1.293 mm
Reach 430 mm 450 mm 480 mm 510 mm
Stack 621 mm 621 mm 634 mm 648 mm
Helm Giro Tyrant MIPS | Goggle Oakley Airbrake | Jacke VOID Rain Jacket
Hose VOID Range Pants | Schuhe Ride Concepts Transition – Clipless

Nicht nur die Länge des Sitzrohrs, sondern auch der ausgeprägte Knick geben Anlass zur Kritik am Carbonjack. Schließlich flacht durch ihn der tatsächliche Sitzwinkel mit zunehmendem Sattelauszug stark ab. Kleinere Fahrer sitzen noch zentral im Bike und klettern mit ausreichend Druck an der Front ohne Probleme jeden Anstieg hoch. Größere Fahrer positioniert das Carbonjack aber zu weit über dem Hinterrad, weshalb das Heck an steilen Rampen tiefer einsinkt und man aktiv nach vorne arbeiten muss, um ein Steigen des Vorderrads zu unterdrücken. Es empfiehlt sich hier auf jeden Fall, den Sattel weit nach vorne zu schieben. Passt die Sitzposition, klettert das Antidote sehr solide und ohne Aufregung aus dem Fahrwerk bergauf.

Im Downhill zeigt sich das Carbonjack charakterstark, denn nicht nur der einzigartige und sehr steife Rahmen, sondern auch das Öhlins-Fahrwerk sorgen für ein ganz besonderes Fahrverhalten. Sowohl die RXF36 M.2 Air-Federgabel als auch der speziell für den Rahmen angefertigte TTX 22 M-Stahlfederdämpfer mit leicht verändertem Piggyback stehen relativ tief im Federweg, liefern dafür aber sehr viel Dämpfung. So spricht das Carbonjack sehr sensibel bereits auf kleinere Unebenheiten an, generiert massig Traktion und verwaltet den Federweg auf natürlichen Trails effektiv. Trotz Stahlfederdämpfer sind auch größere Drops ins Flat für das Carbonjack kein Problem. Ob in richtig steilen Passagen oder in flachen offenen Kurven, das Antidote positioniert seinen Fahrer immer zentral zwischen den 29”-Laufrädern, sodass die Gewichtsverteilung sehr ausgewogen ist. Hinzu kommt die quasi nicht vorhandene Geräuschkulisse: Züge und Kette sind absolut leise, wodurch das Selbstvertrauen an Bord des Carbonjack sehr hoch ist. Das benötigt man in engen, verwinkelten Sektionen aber auch, das lange Bike erfordert nämlich beherzten Nachdruck und aktive Fahrmanöver, um sich durch spitze Kehren zu zirkeln. Obwohl es ausreichend Pop und Gegenhalt liefert, langweilt es sich auf Flowtrails und langsamen Strecken. Das laufruhige und satte Carbonjack brilliert vor allem bei Highspeed und auf harten, verblockten Strecken.

Tuning-Tipps: das Bike mit pannensicheren Reifen (Super Gravity/Double Down etc.) aufbauen

Fazit

Das Antidote Carbonjack 29 ist einzigartig: Sowohl optisch als auch im Fahrverhalten hat es einen ganz eigenen Charakter und blüht erst bei Highspeed bergab so richtig auf. Die Verarbeitungsqualität und die Details rund um den in Polen gefertigten Carbonrahmen zeugen von absoluter Detailverliebtheit und dem Perfektionismus der kleinen Marke. Wer ein einzigartiges Bike sucht, das auf dem Trail richtig viel wegstecken kann, wird hier fündig. Der erste Kratzer im wunderschönen Rahmen wird aber sicher fürchtlich schmerzen.

Tops

  • schicker und hochwertiger Rahmen
  • massig Reserven für Highspeed
  • ausgewogenes Handling
  • absolut leise

Flops

  • langes Sitzrohr mit prägnanten Knick
  • pannenanfällige Reifen

Mehr Informationen findet ihr unter antidotebikes.com


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Text: Fotos: Finlay Anderson