Es ist schwer, seine Meinung zu ändern, die man gepflegt hat wie seine Lieblingspflanze. E-Mountainbikes? Für mich waren sie die SUVs des Walds: groß, laut, völlig überflüssig. Doch dann kam ein Test-Bike und drei Monate später war alles … anders.



Freunde ohne E
Die erste Überraschung: Was sich mit dem E-MTB am schnellsten ändert, sind die Reichweiten. Moment, Stopp – Revision der inflationären Aussage: Es sind – aufgepasst – die Freundschaften. Mountainbiken war für mich immer ein Gemeinschaftsritual. Zusammen lachen, genießen, fluchen, schwitzen – und auf dem Uphill ordentlich kurbeln. Oben angekommen, teilten wir das Gefühl, es aus eigener Kraft geschafft zu haben. Es vereinte uns.
Dann kam das Test-E-MTB von MERIDA. Und schon ziemlich schnell fuhr ich allein. E-Mountainbiken fühlt sich an wie eine andere Sportart. Zwar mit demselben Ziel, aber die Welten vermischen sich nur schwer. Neue Routen, anderes Tempo, mehr Kilometer – und weniger gemeinsame Momente. Meine analogen Freunde blieben zurück, nicht weil sie es wollten, sondern weil sie es mussten. Der Motor meines E-Bikes spannte eine unsichtbare Grenze zwischen uns.


Natürlich bekam ich dafür Gegenwind aus der eigenen Crew, ich hatte nichts anderes erwartet. Memes und Sprüche wie „Kommt Team Akku auch?“ oder Kommentare wie „Julian, schon ein Bäuchlein bekommen?“ flogen mir um die Ohren und fluteten die DMs. Fair enough.
Ohne wirklich aktiv zu suchen, aber durch den natürlichen Lauf der Dinge, landete ich schon bald in einer neuen Gruppe von Bike-Buddys. Gleichgesinnte, die mit mir das – neue – Tempo und die Routen teilen würden, gibt es schließlich genug. Aber es fühlte sich seltsam an. Als hätte ich meine Freunde eingetauscht. Wenn auch nicht aus Überzeugung, sondern aus Notwendigkeit. Natürliche Selektion, elektrisch aufgeladen.



9 statt 4
„Mehr“ – ein Wort, das wir angeblich als Kinder meist als Erstes lernen. Und genau das bietet ein E-Bike: mehr von allem. Meine erste Ausfahrt mit dem MERIDA eONE-SIXTY führte mich ins Trail-Paradies Sintra bei Lissabon. Normalerweise kosten die Uphills hier eine Menge Körner und 45 Minuten meiner kostbaren Zeit. An diesem Tag schaffte ich statt vier Up- und Downhills neun! Mehr als doppelt so viel – das war kein Bike, das war ein Magic Carpet! Ich flog wie Aladin von Trail zu Trail.
Rationale Gedanken zum Thema E-Mountainbikes? An diesem Tag unmöglich. Das E-Bike verwandelte die Hügel hinter meinem Haus in einen Bikepark mit eigenem Lift – ohne Wartezeit. Innerhalb von drei Monaten sammelte ich so viele Trail-Kilometer wie sonst in einem Jahr. Selbst nach durchzechten Nächten oder Tagen, an denen die Beine schwer waren, gab es keine Ausreden mehr. Und das Ergebnis? Ich wurde schneller, besser, und ich war öfter draußen in der Natur. Klingt perfekt, oder?
Fast. Denn irgendwann fragte ich mich: Wozu das alles? Mehr Trails, mehr Geschwindigkeit, mehr Kilometer – aber fühlte ich auch mehr? Es war, als würde ich mein Lieblingslied hören, aber auf doppelter Geschwindigkeit. Alles rauschte vorbei, ohne dass die Melodie hängen blieb. Oder anders: Ich hatte das Gefühl, durch die Natur zu hetzen wie durch ein Duty-Free-Geschäft. Nur dass es nicht zum Gate, sondern zum nächsten Trail ging!

Natur im Zeitraffer oder Anwenderfehler?
Der Wald war für mich immer ein Zufluchtsort. Die Atmosphäre, frische Luft und die Ruhe – eine Welt zum Eintauchen. Doch das alles verpuffte im leisen Surren des Motors. Vogelgezwitscher, das Rascheln der Blätter, das Knirschen des Bodens unter den Reifen – mein persönlicher Soundtrack, übertönt von Wind und Technik. Auf dem E-MTB rauschte ich wie ein Schnellzug durch die Landschaft. Die Natur wurde zur Kulisse. Nett, aber nebensächlich.
Fast schon routinemäßig zog ich dann zwischen zwei Trails das Handy aus der Tasche – um Sprachnachrichten aufzunehmen, Insta-Posts zu checken oder ein paar Messages zu schreiben. Freihändig, bergauf. Praktisch? Ja. Notwendig? Absolut nicht.
Man könnte sich dann zwingen, bewusst anzuhalten, durchzuatmen, den Moment zu genießen. Aber wer macht das wirklich, wenn der Turbo lockt? Wer wählt schon Economy, wenn First Class Turbo verfügbar ist?



Die schnelle Nummer aka Quickies
Ich gebe es zu: Ich liebe sie. Schnelle Runden zwischen Feierabend und Sonnenuntergang. Während ich das hier schreibe, klebt noch der Matsch an meinen Schienbeinen. Mit meinem analogen Bike hätte ich mir zweimal überlegt, ob ich nach Feierabend noch losfahre. Aber mit dem eONE-SIXTY? Es gab nicht mal eine Diskussionsgrundlage. Ab in den Wald!
Auch Traildog Bonnie kommt jetzt doppelt so oft raus. Und ganz ehrlich? Es macht Spaß zu sehen, wie viel Bock er drauf hat. Ihn interessiert es nicht, ob analog oder E. Er wundert sich nicht mal über das Tempo. Gemeinsam in der Natur, gemeinsam glücklich. Hop hop hop!



Bock auf Uphill
Dieses Gefühl muss man erlebt haben, um es zu verstehen. Sich mit Freunden im Turbo-Modus durch einen steilen Trail berghoch zu duellieren, technische Passagen zu meistern und – oben angekommen – noch Energie zum Lachen und die nächste Abfahrt zu haben. Es fühlt sich zwar manchmal wie Schummeln an, aber es fühlt sich auch ziemlich gut an.


Unter Strom
Wie ich früher nach einer Tour nach Hause kam? Ausgepowert, zufrieden, entspannt. Gekrönt durch Snacks, Sofa, Feierabend – das perfekte Ende eines langen Tages. Heute fehlt diese Entladung. Das E-MTB lässt mich durch Zeit und Raum rasen, aber oft bleibt das Gefühl, den Alltag nicht wirklich verarbeitet zu haben. Alles geht zu schnell. Physische Anstrengung? Fehlanzeige. Mentale Ruhe? Selten. Und irgendwann ist der Akku leer, aber eben nur der vom Bike und nicht meiner.


Die dunkle Seite der Macht
Einmal E, immer E? Es fühlt sich fast so an. Der Uphill-Flow, die Menge an Trails, die Möglichkeiten – all das macht süchtig. Aber dann sehe ich andere Biker, die sich den Berg aus eigener Kraft hochkämpfen. Und plötzlich fühle ich mich ertappt. „Ist nur geliehen“, sage ich dann oft. „Eigentlich bin ich einer von euch.“ Aber bin ich das wirklich noch?
Ein E-MTB fordert seinen Tribut. Akkuladung, Reichweite, technische Tücken – all das diktiert deinen Tag. Es gab Momente, in denen ich mich fragte: Wer entscheidet hier eigentlich? Das Bike oder ich?


Soll ich’s wirklich machen, oder lass ich’s lieber sein?
Jein! Das E-Bike hat mir gezeigt, was möglich ist: mehr Trails, mehr Geschwindigkeit, mehr Abenteuer. Es ist ein Assistent, der dir neue Freiheit schenkt, dich technischer macht und schneller werden lässt. Aber es fordert auch Kompromisse: weniger Stolz auf die eigene Leistung, weniger Ruhe, weniger Fokus auf die Natur. Und ich bin, ehrlich gesagt, am Ende meiner E-MTB-Testzeit nicht viel schlauer. Die Lösung zur oben gestellten Frage scheint irgendwo in der Mitte metertief vergraben. Den Kontakt zu Freunden beider Lager pflege ich auf jeden Fall weiter. Es bleibt die Frage: Welche Welt auf zwei Rädern passt besser zu dir? Die analoge, die dich erdet, oder die elektrische, die dich abheben lässt?

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Text: Julian Lemme Fotos: Julian Lemme