Oktoberfest: Der Morgen danach
Mit zerkratzten Händen, Muskelkater in den Beinen und dröhnendem Kopf wache ich am Morgen auf. Völlig desorientiert greife ich nach dem Handy und lese: „Krass, wie Du abgegangen bist! Die Fotos werde ich mir noch eine Weile anschauen!“ Was um Himmels willen ist gestern nur geschehen? Wir wollten uns doch nur zum Austausch unserer Dauertest-Erfahrungen treffen und ganz gemütlich die Saison ausklingen lassen! Doch Gemütlichkeit ist nun mal echt nicht unser Ding…
Das Ende einer langen Saison ist häufig wie das Aufwachen nach einer durchzechten Nacht: Die Erinnerungen an das, was war, sind nur noch schemenhaft vorhanden. Zu viel ist passiert, zu viel wurde erlebt und zu viel wurde konsumiert. Während es sich nachts dabei hauptsächlich um gute Musik und das eine oder andere Bier handelt, waren es in unserer diesjährigen Dauertest-Saison tausende Trail-Kilometer auf der ganzen Welt – das Gefühl des Rauschs währenddessen und der Kater danach ähneln sich aber dann doch erstaunlich.
Jeder von uns hat in dieser Saison seine ganz eigenen Geschichten erlebt: US-Redakteur Daniel in Colorado, Vollblut-Racer Jim in England und das deutsche Team auf Trails in ganz Europa. Doch so individuell diese Geschichten auch sind, sie alle sind geprägt von unvergesslichen Stunden im Sattel mit ekstatischen Hochgefühlen, dem ein oder anderen Tief- und Einschlag, dem kurzen Moment des Blackouts nach einem Sturz oder dem abgehobenen Rausch auf den Trails, wenn gerade alles perfekt läuft und man sich ganz dem Moment hingeben kann. Jeder von uns hatte eine grandiose Saison. Und um dieser noch gemeinsam einen krönenden Abschluss zu verpassen, trafen wir uns an einem sonnigen Oktobertag in gemütlicher Runde, um Erlebtes zu erzählen, Neues zu planen und ganz wichtig: um noch einmal ordentlich Gas zu geben!
Während unsere Bikes bereits etliche Kampfspuren zu verzeichnen hatten, waren die Wege, auf denen wir uns bewegten, größtenteils ganz neu in den Boden gezogen. Anlieger und Absprünge waren frisch geshaped und selbst Locals kannten noch nicht alle Linien. Im Blindflug pflügten wir durch frisches Erdreich und spürten massiven Flow, während wir dicht hintereinander über den Trail fegten. Ein wahres Fest! Der vorderste Fahrer gab das Tempo vor, alle anderen versuchten dranzubleiben und der Devise “Nur nicht abreißen lassen!” treu zu bleiben. Mit Vollgas heizten wir durch den Wald und wurden nur dadurch gebremst, dass es irgendwann den ersten Luftverlust zu beklagen gab (da hatte wohl einer das Wippen am Sprung übertrieben!).
Natürlich war jeder zu faul gewesen, auf diese Ausfahrt eine richtige Pumpe mitzunehmen. Und entsprechend wurde die Aufgabe, dem Tubeless montierten Reifen wieder Luft einzuhauchen, zur wahren Herausforderung. Währenddessen philosophierten die anderen über ihre Lieblingstrails, das beste Rennerlebnis oder das persönliche Saisonhighlight. Klar, dass das Gespräch irgendwann auch auf potenzielle Vorteile und Highlights der Offseason kam. Und deshalb beschlossen wir auch, müde und erschöpft von der Saison, einem dieser Highlights gleich mal eine Chance zu geben: dem Oktoberfest!
Also nichts wie raus aus den verschwitzen Bikeklamotten und den Dresscode um 180 Grad geschwenkt. Die Abendgarderobe war klar: Wir gehen in Tracht! Von der U-Bahn-Station aus marschierten wir, alle ordentlich in Schale geworfen, Richtung Wiesn-Gelände. Der Kontrast zu den freien Trails des Nachmittags hätte größer nicht sein können, als wir uns dichtgedrängt durch die Gassen voller Menschen entlang der Zuckerwatte-Buden und Fahrgeschäfte in Richtung Festzelt-Eingang schoben.
Das ganze Zelt war bereits extrem voll und nur mit Glück ergatterten wir einen Tisch neben einigen Wiesenschönheiten im Dirndl.
Ein halbes Hähnchen und eine Maß Bier später war auch der letzte in Party-Laune und sah ein, dass die Offseason zumindest abends unschlagbare Vorteile bietet: Keinen hielt es hier mehr auf dem Platz, alle tanzten auf den Bänken und ich als Wahl-Bayer machte meiner neuen Heimat nicht nur alle Ehre, was die Tracht anging … Mit jedem „Prosit, der Gemütlichkeit“ steigerte sich dieses berauschende Gefühl der Glückseligkeit als Abschluss einer überragenden Saison. Auf das Team, auf die Freundschaft und auf neue Abenteuer und Erlebnisse in der nächsten Saison!
Text und Photos: Christoph Bayer
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