Aus dem Magazin | Schottland: Live und Unplugged
Leben wir eigentlich noch in der Gegenwart? Während um uns herum die großartigsten Dinge passieren, schauen wir durch Kameralinsen oder auf Displays und posten alle coolen Stunts und guten Jokes umgehend auf Facebook. Wir messen Coolness und Wichtigkeit in Likes und Kommentaren, brechen unser Leben herunter auf einen Satz lange Status-Updates. Haben wir im Zeitalter des Social Networking die Fähigkeit verloren, einfach nur den Moment zu genießen?
Manchmal müssen wir uns wohl einfach von der digitalen Welt trennen, um uns mit der wirklichen verbunden zu fühlen. Schließlich gibt es immer noch diese abgelegene Orte, an die WiFi und 3G uns nicht verfolgen können – aber wie weit müssen wir reisen, um endlich einmal den Stecker ziehen zu können und loszulassen? Manchmal kann man diese Frage ganz pragmatisch beantworten. Denn für uns waren es genau fünf Stunden.
Als wir uns langsam die A9 in Schottland hocharbeiteten, war unser Van vollgepackt mit Bikes und unser Ziel war klar: Torridon – eine Stadt, deren Name Eingeweihte sofort an schroffe Granit-Schönheit denken lässt. Mit seiner Lage an der Westküste der schottischen Highlands ist Torridon ein Synonym geworden für raue Bike-Abenteuer, ein Initiationsritus für alle, die abgelegene Landstriche erforschen und erleben wollen.
Die letzte Etappe unserer Anreise führte uns durch beeindruckende Bergpässe und schon bald gab das Radio langsam flackernd den Geist auf. Dann verabschiedeten sich, eines nach dem anderen, unsere Handys, müde von der vergeblichen Suche nach einem Funksignal, das nicht mehr länger verfügbar war. 3G und Internetsuchen wurden ersetzt durch Unterhaltungen und eine angenehme Angespanntheit und Wachsamkeit. Eine Ahnung von Abenteuer lag in der Luft und wir waren bereit. Wir hatten eine Stecknadel in die Landkarte gepinnt, eine Crew geformt, wir hatten einen Plan gemacht und selbst das Wetter schien mitzuspielen.
Wir wollten eine der klassischen Highlandrouten entlangfahren und freuten uns wie kleine Kinder. Nach einem ganzen Sommer voller steiler Enduro-Trails in unserer Umgebung wurde es endlich Zeit, sich in die Berge aufzumachen und der Herausforderung schottischer Felsen zu stellen. Als wir den Van ausluden, wurden wir gleich von einer ganzen Armee von Mücken umzingelt. Aber schon schnell saßen wir lachend und Witze reißend auf dem Bike und konnten diesem dunklen, surrenden Geheimnis Schottlands einfach davonfahren. Wir machten uns von Achnashellach aus auf den Weg und die Trails wurden schon schnell immer schroffer und zerklüfteter. Manchmal kamen wir mit einer guten Mischung aus Kraft und Glück voran, manchmal mussten wir die Bikes aber auch ein Stück schultern. Währenddessen brauten sich am Himmel dunkle Wolken zusammen, die nichts Gutes verhießen. Aber schon ein kurzer Blick auf unsere vollgepackten Rucksäcke reichte, um uns zu beruhigen: Selbst wenn das schottische Wetter uns eine eindrucksvolle Show liefern wollte – wir waren für alles gewappnet.
Durch den Wetterumschwung mussten wir uns bald den Weg bahnen durch eine schier endlose Menge kleiner Ströme, Bäche und Wassergräben und waren gezwungen, von Stein zu Stein springen, ständig auf der Hut davor, die Reifen zu beschädigen. Aber als wir in der Ferne unsere Schutzhütte Coulags Bothy sahen, nahm die Zuversicht wieder zu und das spiegelte sich auch in unserem Tempo wider. Nun hat Hast in den Bergen aber immer ihren Preis und zwei von uns kamen mit kaputten Reifen an, mit gerissenen Stollen und Flickzeug, das im Regen völlig aufgeweicht war.
Die Schutzhütte kam also keinen Moment zu früh: Endlich konnten wir ein wenig auftanken und die nötigen Reparaturen an den Bikes vornehmen. Nach dem üblichen Kampf mit den Minipumpen waren die Reifen wieder, wo sie sein sollten und wir konnten uns endlich Zeit nehmen, unseren Zufluchtsort mit ein wenig Single Malt zu genießen. An den Wänden der Hütte zeichnete sich der Ruß des Ofens ab, in der Luft lag der muffige Geruch von feuchtem Holz und wir fühlten uns wohl an diesem Ort, der schon so vielen vor uns Schutz gegen die harten Winter und das raue Klima des Landes gespendet hatte. Bald riss auch die Wolkendecke wieder ein Stück auf und wir konnten uns wieder nach draußen wagen.
In Zeiten von GPS und STRAVA vergisst man leicht einmal die Freude, die es macht, einfach nur der gepunkteten Linie auf der Landkarte zu folgen – ganz ohne zu wissen, was einen hinter der nächsten Kurve erwartet und auch ohne immer wieder von den Signallauten eingehender Meldungen abgelenkt zu werden. Als wir von Bealach nach Corrie aufstiegen, kamen wir an einigen völlig unberührten Seen mit glasklarem Wasser vorbei und jede Kurve lieferte einen völlig neuen, atemberaubenden Ausblick, der jeden einzelnen von uns gefangennahm. Die Handys in unseren Rucksäcken waren lange vergessen, wir waren von der Welt abgeschnitten und um uns herum herrschte völlige Stille, nur unterbrochen von unseren eigenen Stimmen und den Geräuschen unserer Bikes.
<img class="size-medium wp-image-71983" src="https://enduro-mtb.com/wp-content/uploads/2014/12/scottland-unplugged-enduro-issue-012-15-780×519.jpg" alt="What is this funny, paper GPS device?" width="780" height="519" /Wer durch Schottland reist, kommt am Thema Whiskey nicht vorbei und so drehte sich auch unser Gespräch bald um diese flüssigen Quintessenz Schottlands, die bei jedem Schluck an den Ursprung des Landes erinnert, an das Torfmoor, die sonnigen Seen, den prasselnden Regen und den Salznebel: ein Getränk, dessen Aroma so komplex ist wie das Land, aus dem es kommt.
Als wir durch die zerklüftete Landschaft fuhren, erkannten wir langsam, warum dieser sagenumwobene Drink von nirgendwo anders herkommen kann als hier, wo überall Wildnis und Ursprünglichkeit den Boden durchtränken und die Luft erfüllen. Bei unserem Gespräch kam mir auch der Gedanke, dass große Abenteuer und guter Whiskey einige Parallelen aufwiesen: Beide haben ihren Ursprung in der Umgebung rauer Gebirge und beide kristallisierten sich nur aus den besten Zutaten heraus – in unserem Fall Freunde, Spaß und eine verdammt gute Zeit. Beide reifen mit der Zeit, beide werden reichhaltiger und tiefer und bleiben durch die Geschichten, die sich um sie ranken, über Jahre hinweg ein wahrer Genuss.
Diese Überlegungen musste ich aber bald wieder unterbrechen: Es war erneut Zeit, die Bikes zu schultern und einen weiteren imposanten Granitblock hinaufzuklettern. Dieses Mal ragten währenddessen die massiven Sandstein-Stützpfeiler der Monolithen Sgorr Ruadh und Beinn Liath Mhor über uns auf. Oben angekommen schauten wir auf den Weg herab, der uns den Berg wieder hinunterführen sollte, dieses gewundene Band granitbestreuter Trails. Keiner verspürte auch nur eine Sekunde lang das Bedürfnis, Selfies zu machen oder Fotos bei Instagram hochzuladen. In diesem Moment waren wir einfach nur Biker und wir waren hierher gekommen, um zu biken. Wir befanden uns an einem wilden, ursprünglichen Ort, an abgelegenen Trails, die jeden Fehler rücksichtslos bestrafen würden. Aber unsere Bikes waren das Beste vom Besten und wir waren bereit.
Der Abstieg wurde der pure Geschwindigkeitsrausch, Technologie im Kampf gegen schroffe Felsen und loses Geröll, das die Reifen zur Seite drückte. Wir fühlten uns wie die Könige des Trails, es war ein höllischer Spaß. Den Aufstieg hatten wir als Team gemeistert, aber jetzt war für kurze Zeit jeder ganz versunken in seinen eigenen Rausch, hochkonzentriert auf jede Biegung, jede Unebenheit im Gelände.
Einer nach dem anderen trafen wir unten ein mit durchgeschmorten Bremsen, ordentlich Armpump und extrem guter Laune und wir tasteten uns langsam in die Realität zurück, erzählten uns gegenseitig die Highlights der Abfahrt und tauschten wahnsinnige Geschichten aus über krasse Corners, fette Slides und mehr als einen Überschlag. Als alle High-Fives verteilt und die besten Stories erzählt waren, beluden wir den Truck wieder mitten in der uns mittlerweile schon vertrauten Armada von Mücken und fuhren los.
Auf dem Weg nach Süden meldeten sich unsere Handys wieder zurück, eins nach dem anderen bekam Signal und verband uns wieder mit der Welt von Updates, Textnachrichten und Voicemails. Keine Frage würden wir die besten Anekdoten und Eindrücke unserer Reise posten. Aber im Stillen wusste doch jeder von uns, dass es Momente gibt, in denen man die Welt um sich herum dann doch besser ganz ohne technische Hilfsmittel erlebt – eben live und unplugged.
Text & Fotos: Trev Worsey
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