Enduro-Racing ist in den letzten beiden Jahren exponenziell gewachsen. Für unsere Ausgabe #016 waren wir bei der ersten Runde der EWS 2015 in Rotorua vor Ort, um herauszufinden, wie es den Profis in dieser neuen Disziplin ergeht.

Die Aufregung hing genauso schwer in der Luft wie der Gestank des vulkanischen Schwefels. Auf dem Sprungbrett in eine neue Saison war es beeindruckend zu sehen, wie sich der Endurosport entwickelt hat. In nur zwei kurzen Jahren war die Enduro World Series von einer Idee, einem Traum, zu einem globalen Event herangewachsen, das jetzt Racer aus der ganzen Welt dazu bewegt hatte, auf die Südhalbkugel zu reisen und ihre Fähigkeiten im anspruchsvollen Giant Toa Enduro in Rotorua zu testen. Die EWS war am Beginn der dritten Saison, aber noch immer beruhte sie auf Spaß und Partizipation. Oder hatte sich daran etwas geändert?

It’s amazing to see just how far the world of enduro racing has come in such a short period of time.
Es ist beeindruckend zu sehen, auf welches Niveau sich der Endurosport in einer kurzen Zeit entwickelt hat.
“The EWS was kicking off its third full season – but was it still based on fun and participation, or had something changed?”
Die EWS stand am Anfang ihrer dritten Saison, aber noch immer beruhte sie auf Spaß und Antizipation – oder hatte sich daran etwas geändert?

In den letzten Jahren hat die EWS nicht nur die Art und Weise, wie wir Rennen fahren bestimmt, sondern auch Einfluss auf die Bikes, die wir fahren, genommen. Zum ersten Mal hatten die Räder, mit denen wir alle so viel Spaß haben, eine internationale Serie. Hersteller konkurrierten nun mit anderen Herstellen und kämpften dabei immer auch gegen die Uhr, die Gehälter der Top-Fahrer sind mittlerweile beachtlich. Früher basierte unsere Kaufentscheidung häufig darauf, welches Bike am leichtesten oder steifsten war. Heute wollen wir wissen, welches das schnellste ist! Früher sah man auf den Werbeanzeigen in Magazinen flowige Trails, auf denen es nur darum ging, Spaß zu haben. Heute sehen wir „länger, flacher, schneller“-Slogans unter Bildern von Fahrern, die mit Vollgas in Anlieger knallen.

In diesem Jahr gab es mehr Profiteams als je zuvor, es waren lauter talentierte junge Fahrer am Start und die Fernsehteams und Onlinemedien waren zuhauf gekommen. Enduro Racing ist längst ein ernsthaftes Business, hier werden Karrieren gemacht und es fließen ordentlich Gelder. Racer legen tausende von Kilometern zurück, um nach Neuseeland zu reisen, sie kommen von weit her, etwa aus Hawaii, Irland oder den USA. Viele sind zum ersten Mal auf der Insel. Einige, weil sie Ambitionen auf den Sieg haben, die meisten aber einfach nur, um ein Teil der Geschichte zu sein.

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Da standen wir also in der Morgendämmerung, ein Maorikrieger blies ein Taonga Pūoro-Horn, der durchdringende Ton erschallte über das Gebrodel des eruptierenden Pohutu-Geysirs hinweg und die ersten Racer rollten die Startrampe hinunter: Die EWS-Saison 2015 hatte begonnen. Dieses erste Rennen war sehr wichtig – bald würden wir wissen, wer über den Winter am härtesten trainiert und wer nachgelassen hatte. Es ist eine lange Saison, aber es ist immer die erste Runde, die den Ton angibt, in der neue Talente zum Vorschein kommen und neue Kämpfe entstehen. Der eigentliche Star der Show aber war Neuseeland selbst, der dichte Regenwald und die exotischen Farne leuchteten in 50 Shades of Green, riesige Mammutbäume brachen durch das dichte Laubdach und ließen Sonnenstrahlen nach unten durch, wo das Rennen auf sieben actionreichen Stages stattfand.

Das Rennen war anspruchsvoll und intensiv, den ganzen Tag lang heizten die Fahrer über die Strecken, immer begleitet vom Blitzlichtgewitter und den Verschlussgeräuschen unzähliger Kameras. Innerhalb weniger Stunden füllten die Bilder und Videos von der Action im Urwald die Medienkanäle. Der Regenwald sah großartig aus, aber er beinhaltete auch viele Herausforderungen – dieses Rennen verlangte sowohl massig Downhill-Skills als auch technisches Können. Fast jeder Fahrer hatte sich beim Training hingelegt, aber es gab auch einige schwere Stürze, man sah Verbände und auffallend große Lücken am Start.

Bei den Frauen war nur eine Frage in aller Munde: Anne Caroline Chausson oder Tracy Moseley? Denn beide verfügen über genügend Downhill-Erfahrung, um hier gut abzuschneiden, und beide hatten es auf den Titel abgesehen. Anne wollte ihn zum ersten Mal erobern, Tracy die EWS zum dritten Mal für sich entscheiden. Dann war da aber ja noch Cecile Ravanel, die versuchte, dieses Gleichgewicht durcheinanderzubringen. In einem neuen Team und mit frischer Entschlossenheit ging sie ins Rennen, hungrig danach, auf dem Podium weiter nach oben zu kommen – aber das sollte diesmal einfach nicht sein. Als Anne und Cecile an der Ziellinie standen und auf dem riesigen Schirm beobachteten, wie Tracy herunterfuhr, strichen die Sekunden vorbei und schließlich erschien ein Lächeln auf Annes Gesicht. Sie hatte diesmal genug getan, um das Rennen für sich zu entscheiden.

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Im Gegensatz dazu war das Rennen bei den Männern alles andere als vorhersehbar. Die Locals dominierten mit vier Kiwis unter den Top 10, darunter der Downhiller Wyn Masters, der nach einer beeindruckenden Performance Dritter wurde. Noch mehr bestimmten allerdings die Franzosen das Rennen mit fünf Plätzen in den Top 10. Barel wollte nichts außer gewinnen und setzte alles daran, aber auch er konnte Jerome Clementz nicht aufhalten. So begann also die EWS und der Kampf um den Titel mit Clementz als Erstem und Barel als Zweitem.

Die Intensität dieser Runde warf aber auch einige Fragen auf. Die riesigen Gaps, die steilen Trails, die rutschigen Wurzeln und der harte Wettkampf hatten viele Racer überrascht und einige Stages hatten mehr mit einem Downhill-Worldcup gemein als mit den Alltagstrails, die den Sport in seinen Anfängen ausmachten. Natürlich braucht jeder Sport Vorbilder und die EWS hat viel dazu beigetragen, dass Enduro zu dem geworden ist, was es heute ist. Aber kann sie angesichts immer anspruchsvollerer Events, die auch die fittesten Fahrer an ihre Grenzen bringen, immer noch die Verbindung zu den Wurzeln halten, aus denen sie entstanden ist?

So schwierig das Rennen in Neuseeland auch war, die Vielfältigkeit ist und bleibt das Rückgrat des Endurosports. Die nächsten beiden Runden in Irland und Schottland werden wieder einen deutlicheren Trailfokus beinhalten und dafür sorgen, dass auch ganz normale Fahrer sich noch immer mit dem Image der internationalen EWS-Rennen identifizieren können.

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Die Racer packten sorgfältig ihre Bikes ein und bereiteten sich auf die lange Reise vor. Es war an der Zeit, sich von Aotearoa, dem wunderbaren Gastgeberland dieses grandiosen Saisonstarts, zu verabschieden und sich aufzumachen zur grünen Insel.

Text & Bilder: Trevor Worsey


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