Polarisieren, verstören oder gefallen. Sehen oder übersehen werden? Moderne Mountainbikes strotzen nur so vor neuer Technik und Innovation, und doch sehen sich viele ähnlich oder sind auf den ersten Blick kaum voneinander zu unterscheiden. Dabei spielt das Design in vielerlei Hinsicht eine entscheidende Rolle. Was steckt dahinter?

„Looks like a Session“, Einheitsbrei oder Copy-Cat haben wir alle schon mal in den Kommentarspalten gelesen, wenn wieder ein neues Bike auf dem Markt vorgestellt wird. Natürlich sind diese Comments und Jokes in den Foren nicht ganz unbegründet, denn auf den ersten Blick sehen sich viele moderne Bikes fast zum Verwechseln ähnlich, sowohl im eigenen Portfolio als auch im Vergleich zu anderen Marken. Aber warum ist das so? Warum sehen unsere Bikes so aus, wie sie aussehen? Und warum erkennt man ein Santa Cruz-Bike schon von Weitem und weshalb hat bei der Farbe „Turquoise“ jeder direkt eine bestimmte Rad-Marke im Kopf?

Warum das Bike-Design so wichtig ist

Bei der schieren Masse an Fahrrädern und über 100 unterschiedlichen Marken fällt es schwer, herauszustechen und vor allem in den Köpfen der Leute zu bleiben. Ein starkes Design entscheidet über gesehen oder übersehen werden, löst Emotionen aus, sorgt für einen hohen Wiedererkennungswert und fördert die Verkaufschancen. Egal ob ein Design dabei polarisiert, verstört oder einfach nur gefällt.

Im besten Fall erhöht der Look eines Bikes nicht nur die Bekanntheit einer Marke, sondern spiegelt die Werte eines Unternehmens direkt wider und prägt so das Gesamtbild einer Marke, teils ganz unterbewusst. Die spanische Bike-Marke UNNO, die mit ihren Bikes in den letzten Jahren für ordentlich Furore und große Augen gesorgt hat, zeigt deutlich, dass sie mit ihrem futuristischen und markanten Look großen Wert auf modernes und polarisierendes Design legt. Die Entwickler von SCOTT verstecken Stück für Stück ihre Dämpfer und Leitungen im Bike und lassen es so aussehen, als wäre das ganze Bike aus einem Guss. Integration steht bei den Schweizern ganz oben auf der Liste. Im Gegensatz dazu legen Bikes wie ein RAAW Madonna den vollen Fokus auf Funktion und Handhabung, mit einem schlichten und simplen Look und ohne Bling-Bling oder Schnickschnack. Nur um drei Beispiele moderner Bike-Firmen zu nennen, die ihr Credo in die Designsprache ihrer Bikes übertragen haben.

Ob, mit welchen Mitteln und wie stark eine Marke auf ihr Design achtet und welche Ziele sie damit erreichen will, hängt selbstverständlich von ihrer Philosophie und ihren Mitteln ab, denn es gibt auch eine Menge andere Möglichkeiten, das Bild einer Marke zu prägen. Bikes von CUBE oder Canyon sind z.B. für ihren niedrigen Preis oder ihr Verkaufskonzept bekannt und haben es so geschafft, in unseren Köpfen zu bleiben.

Warum sehen sich viele Bikes so ähnlich?

Im Gegensatz zu vielen anderen Produkten sind Fahrradrahmen nicht nur super funktionell und das Skelett eines jeden Bikes, sondern auch deren Design-Oberfläche. Das bedeutet zwar Herausforderungen, aber auch Möglichkeiten für die Bike-Firmen, da die Technik viel stärker und offensichtlicher in den Fokus gerückt werden kann. Wohingegen man z.B. bei einem Auto ein Design um eine technische Basis legen kann, die nicht unbedingt vom Rahmen abhängig ist.

Richtet man seinen Blick auf das Design eines Bikes, hat vor allem das Hinterbau-Konzept einen riesigen Einfluss. Sprich: die Umlenkung, Kinematik und Position des Dämpfers. Die Auswahlmöglichkeit – zumindest auf den ersten Blick – ist weitaus geringer als die Anzahl an Bikes da draußen. Klar also, dass ihr Eingelenker, Horst-Links oder Twin-Links an vielen verschiedenen Bikes von unterschiedlichen Marken zu sehen bekommt. Dann wäre da natürlich noch das Rahmenmaterial, was einen maßgeblichen Einfluss auf die Formen und eben den Look des Rahmens hat. Auch hier sind die Möglichkeiten beschränkt, und die meisten Bikes, auf denen wir heutzutage unterwegs sind, sind entweder aus Alu oder Carbon gefertigt.

Klar, gibt es sowohl beim Hinterbau-Konzept wie auch in der Wahl oder Verarbeitung des Rahmenmaterials Möglichkeiten, sich von der Masse abzuheben oder Konzepte zu wählen, an die sich noch niemand ran getraut hat. Doch viel spannender ist, dass Hersteller meist nicht nur den Look eines einzigen Bikes, sondern eben der ganzen Produktpalette wählen und dabei natürlich auch auf ihre jahrelange Expertise setzen und gleichzeitig Kosten einsparen. Also muss eine Technologie nicht nur für ein Modell, sondern gleich für eine ganze Reihe funktionieren, sonst wäre der Wiedererkennungswert einer Marke wesentlich geringer. Mit diesem modellübergreifenden Design-Aspekt haben die Hersteller aber auch die Möglichkeit, sich wirklich von der Masse abzuheben. So finden sich Proportionen und Formen von z. B. dem Steuerkopf oder der Sitzstrebe an der gesamten Produktpalette wieder und verleihen einer Modellreihe in Kombination mit dem Hinterbau-Konzept und der Wahl des Rahmenmaterials seinen eigentlichen Wiedererkennungswert. Diese Einheitlichkeit hat dann den praktischen Nebeneffekt für die Hersteller: Da alle oder zumindest ein Großteil der Bikes einer Marke auf ähnliche Weise entwickelt und hergestellt werden, lassen sich Kosten im Design und der Anschaffung einsparen. Und auch für den Endkunden wird so die Ersatzteilbeschaffung vereinfacht, da Gleiches für technische Lösungen gilt, wie z. B. die Kabelklemmung, der Rahmenschutz oder die Wahl der Lager.

Bike-Design und Marken im Wandel der Zeit

Bike-Designs müssen zwangsweise mit der Zeit gehen und durchleben damit Veränderung. Denn es ist wichtig, technologisch nicht abgehängt zu werden, Verbesserungen zu implementieren und das aktuelle Markenbild zu prägen. Durch neue Design-Aspekte können aktuelle Modelle sich von ihren Vorgängern abheben, um so weitere Kaufkriterien zu schaffen.

Eines der wohl prägnantesten Beispiele ist hier SCOTT. Mit einer schrittweisen Entwicklung wurde die Dämpferposition des Spark von der Vertikalen in die Horizontale verlegt, um dann den Dämpfer vollständig im Rahmen zu integrieren. Ein Jahr nach der Vorstellung des neuen versteckten Rahmendesigns am Spark, wurde dieses auch am Trail-Bike Genius ST der Schweizer übernommen und es ist zu erwarten, dass bald auch das Enduro-Bike Ransom eine solche Anpassung bekommt, um weiterhin ins Line-up von SCOTT zu passen und den Wiedererkennungswert der Marke zu stärken.

Gleiches gilt für die Bikes von Santa Cruz, bei denen selbst wir als Experten Schwierigkeiten haben, sie auseinanderzuhalten. Stück für Stück wurde das gesamte Portfolio an den markanten VPP-Hinterbau mit tiefliegendem Dämpfer angepasst. 2017 war das Nomad 4 das erste Bike mit diesem Look, inspiriert vom Hinterbau des V10-Downhill-Bikes, und nur 6 Jahre später setzen ganze 9 von 11 Fullsuspension-MTB`s im Line-up auf dieses Design und sind beinahe nicht voneinander zu unterscheiden.

Im Gegensatz dazu geht Trek, als Ursprung der „Looks like a Session“-Bewegung einen ganz anderen Weg, denn ihr neues Fuel EX – welches im letzten Jahr gelauncht wurde – hat auf den ersten Blick wenig mit dem frisch vorgestellten Slash und seinem High-Pivot-Hinterbau gemeinsam. Klar finden sich wieder feine Übereinstimmungen in der Form der Streben, des Steuersatzes und anderen feinen Details, doch der Produktpaletten-übergreifende Wiedererkennungsfaktor fällt im Vergleich zu SCOTT oder Santa Cruz wesentlich schwerer.

Designs wie ein High-Pivot-Hinterbau machen allerdings auch nicht für jede Bike-Kategorie Sinn und so ist es natürlich schwer, diese auch auf z. B. ein leichtes Trail-Bike zu übertragen. Denn vermeintliche Vorteile eines Hinterbau-Konzepts – wie eben die hohe Laufruhe eines High-Pivot-Hinterbaus – mögen zwar bei einem Enduro- oder Downhill-Bike Sinn machen, aber eben nicht bei einem Cross-Country- oder Trail-Bike, bei dem andere Fahreigenschaften im Vordergrund stehen.

Inwiefern also beeinflussen die Designs eines Bikes seine Funktion und wie konsequent werden moderne Bikes noch entwickelt? Welche Konsequenzen nehmen Hersteller in Kauf, nur um einen gewissen Wiedererkennungswert zu erreichen oder um Modelle an die Produktpalette anzugleichen? Hier gibt es verschiedene Ansätze: So entwickelt z. B. Santa Cruz ihre Bikes ganz spezifisch auf eine Laufradgröße und ermöglicht keine konvertierbaren Lösungen wie andere Hersteller, was klare Vorteile im Handling und ein spezifisches Einsatzgebiet bringt. Auf der Gegenseite verwenden jedoch alle Bikes denselben VPP-Hinterbau, egal ob es ein 120-mm-XC-Bike, ein schweres E-Mountainbike oder ein 170-mm-Bikepark-Bike ist.

Wie stark der Look und das Design eines Bikes die Kaufentscheidung beeinflussen, muss dann jeder Kunde selbst wissen, denn es gibt auch viele weitere Punkte, die im Endeffekt kaufentscheidend sind, wie das allgemeine Markenbild, Service-Strukturen, Community-Projekte wie Get-togethers oder auch ganz simpel die Verfügbarkeit eines Bikes.

Wie sieht das Bike-Design der Zukunft aus?

Und wie geht es weiter? Die massiv gestiegenen Verkaufszahlen der letzten Jahre haben selbstverständlich für eine rasante Entwicklung auf dem Markt gesorgt. Die stetig steigende Nachfrage nach nachhaltigen Produkten führt zudem dazu, dass immer mehr Firmen auf recycelbare Materialien, neue Fertigungsmethoden und veränderte Produktionsverfahren setzen und damit ihre Fertigung von z. B. Asien näher an den eigentlichen Markt holen. Diese Regionalisierung und ihre zugehörigen Anpassungen hat selbstverständlich auch einen Einfluss auf das Design eines Bikes, auch wenn es meist nur schwer zu erkennen ist.

Die Verwendung von neuen Werkstoffen oder Herstellungsverfahren wie Carbon-Tubing sind nicht nur alternative Methoden, die frische Designs mit sich bringen, sondern eröffnen auch neue technische Möglichkeiten und verbessern die Wirtschaftlichkeit von Kleinserien und Prototypen-Fertigung immens. Wer hierzu mehr erfahren möchte, sollte sich unbedingt unseren separaten Artikel über alternative Fertigungsweisen anschauen.

Auf der Gegenseite sehen wir immer mehr Plattformdenken, um kosteneffizienter und schneller zu werden. Das kennt man vor allem aus dem Automobilbereich und wird in der Bike-Branche primär Marken mit großen Investoren und riesigen Produktpaletten treffen. Durch das Übertragen von vorhandenen Technologien, wie z. B. dem VPP-Hinterbau oder dem FAST-Fahrwerk von MERIDA, ist es wesentlich einfacher, schneller und kostengünstiger, neue Bikes zu entwickeln. Obendrein kommen dann Detaillösungen und Design-Aspekte, die übernommen werden können, ebenso wie Kleinteile wie Lager, die in größeren Stückzahlen bestellt und damit zu einem günstigeren Preis angeschafft werden können. Selbstverständlich bringt das aber auch Vorteile für den Kunden hinsichtlich der Ersatzteilbeschaffung und der Einsparung an Entwicklungskosten, insofern das auch an den Kunden weitergegeben wird.

Die Standardisierung, die wir in den letzten Jahren an Einbaumaßen und gewissen Komponenten wie z.B. Nabenbreiten zu sehen bekommen und uns alle gewünscht haben, wird so nun auch immer mehr bei der Entwicklung von Rahmen oder ganzen Rahmenplattformen angewendet und spart uns so in Zukunft hoffentlich eine Menge Geld, Ressourcen und Nerven. Ob damit die Bike-Designs der Zukunft langweilig und einheitlich werden? Die Frage bleibt offen. Gleichzeitig ist klar: Die Bike-Industrie steckt voller innovativer und kreativer Köpfe und die Entwicklung wird stetig weitergehen. Aber auch die Tüftler und Individualisten werden ihren Teil dazu beitragen und wer ein Bike möchte, das sich vollständig von der Masse abhebt, wird zu einem gewissen Preis auch dazu immer fündig, muss dann aber meist zu einer bestimmten und kleinen Marke greifen, dessen Design nicht über eine gesamte Produktpalette übertragen ist.

Fazit

Design kann nicht nur, sondern muss mit der Zeit gehen, denn auch die Werte und Philosophie einer Marke entwickeln sich stetig weiter. Dabei muss jeder Hersteller für sich die richtige Balance zwischen Funktionalität, Design und Wiedererkennungswert legen. Die Crux dabei ist es, Neuerungen zu integrieren und frische Looks zu verwirklichen, ohne das Markenbild in unseren Köpfen zu stark zu verändern. Am Ende zählt jedoch die Entscheidung von uns als Käufer, was uns persönlich wichtig ist und welches Gesamtpaket uns anspricht.


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Text: Peter Walker Fotos: Diverse

Über den Autor

Peter Walker

Peter ist nicht nur ein Mann der Worte, sondern auch der Taten. Mit ernsthaften Bike- und Schrauber-Skills, seiner Motocross-Historie, diversen EWS-Teilnahmen und über 150 Bikepark-Tagen in Whistler – ja, der Neid der meisten Biker auf diesem Planeten ist ihm gewiss – ist für Peter kein Bike zu kompliziert und kein Trail zu steil. Gravel und Rennrad kann er übrigens auch! Das für unsere redaktionelle Arbeit wichtige Thema Kaufberatung hat Peter in Vancouvers ältestem Bike-Shop von der Pike auf gelernt und setzt sein Know-how auch im journalistischen Alltag um. Wenn er nicht gerade die Stuttgarter Hometrails auf neuen Test-Bikes unsicher macht, genießt er das Vanlife mit seinem selbst ausgebauten VW T5. Dass er dazu noch ausgebildeter Notfallsanitäter ist, beruhigt seine Kollegen bei riskanten Fahrmanövern. Zum Glück mussten wir Peter bislang nie bei seinem Spitznamen „Sani-Peter“ rufen. Wir klopfen auf Holz, dass es dazu auch nie kommen wird!