Die neuen Laufradgrößen haben in den letzten Jahren einiges durcheinandergebracht: Unsere schöne kleine heile Welt, die Lagerbestände der Händler, die Entscheidungskraft der Entwickler und natürlich Euch, die Fahrer!

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Zuvor war alles einfacher. Eine Laufradgröße, keine Qual der Wahl – und wenn, dann nur das Problem, dass der Autoventil-Ersatzschlauch nicht in eine Standardfelge passte. In dieser Zeit florierte in den Medien das Erfinden neuer Bike-Kategorien, Disziplinen und Einsatzgebiete. Stramm nach Federweg wurde in Klassen eingeteilt. Statt auf das „Innere“ zu schauen, wurde streng nach äußeren Kriterien diskriminiert: 140mm Federweg war Allmountain, 150mm hieß Allmountain Plus, 160mm war Enduro und 170mm stand für Super-Enduro. Dazwischen und darüber gab es noch Freeride-Light, Freeride, Tour, die Super-Tourer und noch weitere kreative Kreationen für Bikes, mit denen man auf Trails Spaß haben sollte und hatte.

Über Sinn und Unsinn dieser Einteilungen kann man streiten. Fakt ist, heutzutage ist aufgrund der Laufradgrößen eine solche Kategorisierung schwierig und vor allem eines – überflüssig! Blicken wir nach Großbritannien. Dort sagt man einfach „Trailbike“, und das ist genau das, wofür Enduro steht. Wie unterschiedlich die Interpretation von „Enduro“ ausfallen kann und weshalb die Marktschreierei von Vor- und Nachteilen der Laufradgrößen und eine Einteilung sinn- und zwecklos ist, das durften wir in Andorra bei Commencal erfahren.

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Ein Presscamp wie es sein sollte. Wenig blabla, viel Fahren auf richtigen Trails, an denen wir die Bikes (und uns!) ans Limit bringen konnten. Anstatt sich auf eine Laufradgröße einzufahren, bietet Commencal ihr Modell Meta in allen drei Größen an. Dies ist aber nicht aufgrund fehlender Entscheidungsfreudigkeit der Fall, sondern die Philosophie, für das jeweilige Einsatzgebiet das passende Bike mit den passenden Eigenschaften anzubieten.

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In den folgenden zwei Tagen sollten wir alle drei Bikes mit den verschiedenen Laufradgrößen testen können – im Bikepark, auf der Helikopter-Freeride-Tour von Berggipfeln und auf ausgedehnten Touren mit Bergauf- und Bergab-Passagen.

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Commencal Meta SX

„Ein Enduro mit Downhill-Spirit“ – Commencals Definition des Meta SX macht deutlich: Dieses Bike möchte bergab, mit vielen Reserven und bereit für die verrücktesten Linien. An dem etwas verschlafenen Morgen des ersten Tages war ich mir sicher, dass das SX das richtige Bike für die ersten Abfahrten sein würde.

Gesagt, getan. Nach kurzem Setup mit den Fox-Spezialisten ging es in den Bikepark Vallnord. Zügig waren wir mit der Gondel an der Mittelstation, von wo aus wir einige Höhenmeter per Pedalpower erklommen. Trotz super flachem Lenkwinkel von 65° geht das SX gut bergauf – nicht zuletzt dank des 73° Sitzwinkels, der eine effiziente Sitzposition erlaubt; es kostet lediglich ein wenig Kraft, die Spur exakt zu halten.

Den Hinterbau kann man via Remote-Hebel vom Lenker aus bequem ruhigstellen (Climb-Mode des CTD-Systems). Mit 13,7 Kilogramm (ohne Pedale) und 1×10-Antrieb sollte man aber keine Bergziege für lange Anstiege erwarten. Denn dieses Bike möchte, wie gesagt, primär bergab. Und wir auch!

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Erfahrungsreichtum ist gut, aber mündet auch immer in Voreingenommenheit. Und so war es auch hier: Ich erwartete ein super quirliges, verspieltes und aktives Bike – nicht zuletzt wegen der 26-Zoll-Laufrädern. Doch fand ich es tatsächlich?
Ruppige High-Speed-Passagen mit Sprüngen bestimmten die ersten Abfahrtsmeter. Das breite Cockpit (780mm-Lenker, 50mm-Vorbau) und das satte 160mm-Fahrwerk sorgten für maximale Kontrolle und Sicherheit. Besonders der Hinterbau schien förmlich am Boden zu kleben und Schläge feinfühlig zu absorbieren. Als wir dann auf einen schmaleren und steilen Singletrail abbogen, fühlte ich mich ein bisschen behäbig. Aktiv abzuspringen war aufgrund der linearen Hinterbaukennlinie kaum möglich. Ich hatte kein klares Feedback, wie der Untergrund war und wo ich mich im Federweg befand. Das einzige Gefühl: Das Hinterrad klebte am Boden und bot massig Traktion.

Im (wirklich!) Steilen fühlte ich mich aufgrund des kurzen Oberrohrs in Kombination mit der tiefen Front, dem breiten Cockpit und dem 26-Zoll-Laufrad etwas „überschlagsgefährdet“, ergo hieß die Devise: Front entlasten und nach hinten lehnen.
In engeren Trailpassagen führte der breite Lenker zu knappen Situationen, als wir millimetergenau an Bäumen vorbeischossen! Alles in allem gibt sich das Meta SX wie ein Minidownhiller: Sehr absorptionsfreudig und spurstabil – einen wendig aktiven Charakter findet man nur mit viel Kraftaufwand. Das SX ist im Bikepark und auf bergab-lastigen Strecken zu Hause – oder auf anspruchsvollen Enduro-Rennstrecken.

COMMENCAL META SX FACTORY Laufradgröße: 26" | Federweg: 160 mm | Gewicht: 13,7 kg | Preis: 5.499 EUR
COMMENCAL META SX FACTORY
Laufradgröße: 26″ | Federweg: 160 mm | Gewicht: 13,7 kg | Preis: 5.499 EUR

Commencal Meta AM 29

Als krasser Kontrast zum 26-Zoll-SX schwang ich mich anschließend auf das Meta AM 29. Der Unterschied hätte nicht größer sein können: Größere Laufräder, höherer Overstand und höhere Lenkzentrale, weniger Federweg (130mm) und sehr lange Kettenstreben (458mm) waren die Eckdaten. Wie es sich auf dem Trail fahren würde? Erstaunlich gut. Bergauf geht es mit enorm viel Traktion dank der 29-Zoll-Laufräder, dank der langen Kettenstreben klebt die Front am Boden. Ein steigendes Vorderrad? Fehlanzeige! Zudem bleibt das Fahrwerk sehr wipp-neutral.

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Seinen starken Vorwärtsdrang kann das AM 29 auch bergab nicht leugnen. Trotz weniger Federweg bietet das Commencal sehr viel Sicherheit und Spurstabilität. Insgesamt fährt es viel ruhiger und kontrollierter als das SX. Warum? Die großen Laufräder überrollen kleine und große Hindernisse besser. Diese besseren Überrolleigenschaften in Kombination mit der hohen Front sorgen für enorm viel Sicherheit in steilen Hängen. Überschlagsgefühl? Fehlanzeige!

Die Wendigkeit geht trotz der langen Kettenstreben in Ordnung – der Beweis, dass dieses Maß alleine ein Indiz, aber kein Garant für ein entsprechend träges oder wendiges Handling ist. Es kommt auf die gesamte Geometrie und das Zusammenspiel aus Reach, Lenkwinkel, Achsversatz und Tretlagerhöhe an. Im Falle des Meta AM 29 ist das Tretlager mit -33mm relativ zu den Ausfallenden enorm tief. Im Groben agiert das 130mm-Fahrwerk ein wenig unlebendig, wenig schluckfreudig und liegt klar auf der straffen Seite – die großen Laufräder übernehmen hingegen den Part für Traktion und Fahrstabilität. Besonders beim Fahren auf Sicht, wenn die Ideallinie nicht immer getroffen werden kann, spielt das AM 29 seine Trümpfe aus. Es verzeiht eher Fahrfehler und nimmt mehr Schwung über unruhigen Untergründen mit. Das straffe Fahrwerk bietet viel Feedback und lässt im Vergleich zum SX – aufgrund des Fahrwerks – ein aktiveres Fahren zu. Wow!

COMMENCAL META AM 29 Laufradgröße: 29" | Federweg: 130 mm | Gewicht: 14,0 kg | Preis: 3.999 EUR
COMMENCAL META AM 29
Laufradgröße: 29″ | Federweg: 130 mm | Gewicht: 14,0 kg | Preis: 3.999 EUR

Commencal Meta AM 650B

Nach diesen zwei „Extremen“ war die goldene Mitte an der Reihe, das Meta AM 650B. 150mm Federweg, 27,5 Zoll und ein flacher 66,5°-Lenkwinkel versprachen Spaß. Commencal versprach uns das ultimative Enduro-Bike „to race or just shred“. Also, ab auf die Trails. Um es kurz zu machen: Aufsitzen und wohlfühlen! Das AM 650B bietet einen hervorragenden Mix aus Fahrstabilität und Wendigkeit, Überroll- und Bremseigenschaften kombiniert mit einem schluckfreudigen Fahrwerk, das dennoch Feedback gibt und eine aktive Fahrweise zulässt. Die goldene Mitte quasi!

COMMENCAL META AM 650B Laufradgröße: 27.5" | Federweg: 150 mm | Gewicht: 13,6 kg | Preis: 5.499 EUR
COMMENCAL META AM 650B
Laufradgröße: 27.5″ | Federweg: 150 mm | Gewicht: 13,6 kg | Preis: 2.999 EUR[Update]

Fakt ist, es gibt die 3 Laufradgrößen und wird sie weiterhin geben. 27,5“ (auch bekannt als 650B) wird zum Industriestandard, denn nicht nur die großen Hersteller, sondern auch die Zulieferer / Komponentenhersteller fokussieren ihre Entwicklung auf den Bereich der größeren Laufräder. Zudem erfordern unterschiedliche Märkte unterschiedliche Lösungen.

Im rasant wachsenden Markt in Asien sind aufgrund der durchschnittlichen Körpergröße 27,5“ und 26“ gefragter als 29er. In den USA finden wir das Gegenteil. Entsprechend ist es für die global agierenden Hersteller nicht immer einfach, das passende Bike zu kreieren. Vor allem auch deshalb, weil jeder Fahrer seine eigenen Vorlieben und andere Hometrails hat. Commencal kommt aus Andorra. Dass diese Bikes für das dortige anspruchsvolle Terrain konzipiert wurden, sieht man ihnen nicht nur an, sondern man spürt es auch. Kein wahnsinniger Leichtbau, sondern Robustheit und Langlebigkeit sind laut Max Commencal Maxime und Firmenphilosophie bei der Entwicklung – für lang anhaltenden Spaß in härtestem Gelände.

Laufradgrößen hin oder her. Letztenendes geht es um den Spaß am Biken undmit den Kumpels. Und den hatten wir!
Laufradgrößen hin oder her.
Letztenendes geht es um den Spaß am Biken und mit den Kumpels.
Und den hatten wir!

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Text: Robin Schmitt | Fotos: Samuel Decout


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