Können aufgepumpte XC-Bikes wie das Specialized Epic EVO Expert und das Cannondale Scalpel SE 1 auf dem Trail richtig abgehen? Genau dieser Frage sind wir abseits von KOMs, Eliminator-Rennen und engen Trikots auf den Grund gegangen. Eines vorweg: Wir hatten mehr Spaß als mit so manchem Trail- oder Enduro-Bike!

Mit drei heißen Karren auf der Suche nach maximalem Fahrspaß.

Rundkurs oder Landstraße? Obwohl unser Redaktions-911er eine Startnummer trägt, sind wir mit ihm am liebsten nur zum Spaß auf den Landstraßen des Schwabenländles unterwegs. Das macht ihn zum perfekten Service-Car für unseren Battle zwischen dem 4.999 € teuren Cannondale Scalpel SE 1 und dem Specialized Epic EVO Expert für satte 6.499 €. Denn beide tragen Racing-Gene in sich und sind noch immer verdammt flink, machen aber ebenso wie der Porsche beim Driften einfach mehr Spaß als bei der Sekundenjagd auf der schnellsten Linie. Ihr seht: Racing ist nicht so unser Ding – schnelle Karren aber schon!

Von 0 auf 100 in …
… scheiß auf die Stoppuhr, wir messen in Fahrspaß!

Cross-Country, Down-Country, Trail … die Grenzen sind fließend

Sowohl das Specialized als auch das Cannondale basieren auf 100-mm-Cross-Country-Race-Bikes, sind aber mächtig aufgeblasen worden. Durch die längeren RockShox SID Select+ Federgabeln mit 120 mm flacht bei beiden der Lenkwinkel um 1° ab und dank Variostütze muss im Downhill auch nicht der Sattel permanent in der Magengegend geparkt werden. Nicht zuletzt wegen sinnvoller Bremsen, breiter Lenker und kurzer Vorbauten lesen sich ihre Ausstattungslisten wie die von so manchem Trail-Bike. Cannondale entlockt dem Hinterbau des trailorientierten Scalpel SE mit mehr Dämpferhub zusätzliche 20 mm und bockt es auf 120 mm Federweg vorne und hinten auf. Specialized verzichtet beim EVO auf das Brain-Dämpfungssystem, das den Hinterbau normalerweise beim Pedalieren effizient ruhig stellt. Deshalb mussten die US-Amerikaner einen neuen Hinterbau mit mehr Anti-Squat für das EVO entwerfen, damit es im Wiegetritt noch immer auf 911er- statt auf Käfer-Niveau vorwärts marschiert. Dabei haben sie die Kettenstreben um 5 und den Federweg um 10 mm verlängert.

Wie ein Ei dem anderen. Sowohl Specialized als auch …
… Cannondale setzen auf die RockShox SID Select+ mit 120 mm.

Porsche mit Dachbox geht gar nicht. Cross-Country mit Rucksack noch weniger! Deshalb fassen sowohl das Specialized als auch das Cannondale zwei Trinkflaschen im Rahmendreieck. Bei Specialized hängt am Flaschenhalter gleich noch ein Multitool. Einziges Problem: Der 2,5-mm-Inbus zum Einstellen des Rebounds fehlt. Hier gilt gezwungenermaßen: „Set and forget.“ Das Scalpel treibt es sogar noch einen Schritt weiter und platziert nicht nur ein Multitool unterm Flaschenhalter, sondern auch noch Dynaplugs zum Flicken von Reifenpannen daneben. An einem speziellen Strap findet entweder eine CO2-Kartusche oder eine kleine Pumpe Platz: Satteltasche, Rucksack und Hip Bag ade.

Dachaufbauten auf dem Porsche sind aus stylerechtlichen Gründen eigentlich verboten. Bei sexy Carbon-Bikes machen wir aber eine großzügige Ausnahme.

Das Specialized Epic EVO Expert im Detail

Das Epic EVO ist für den Fahrspaß und nicht für den Rundkurs designt. Das spiegelt sich auch in der Ausstattung des 6.499 € teuren Bikes wider. Eine SRAM G2 RS-Vierkolbenbremse und eine 150-mm-Variostütze findet man sonst nur an Trail-Bikes. Dennoch macht das geringe Mehrgewicht am Epic EVO voll Sinn. Für die Kraftübertragung sorgt ein SRAM Eagle-Mix aus GX- und X01-Komponenten. Leider setzt Specialized auf die deutlich schwerere GX-Kassette und lässt ordentlich Tuning-Potenzial ungenutzt.

Specialized Epic EVO Expert | 120/110 mm (v/h) | 29” | 11,18 kg | 6.499 € | Hersteller-Website

Bei den Reifen entscheiden sich die Amerikaner für hauseigene Modelle mit 29” x 2,3” und Control-Casing. Für mehr Pannenschutz am Hinterrad haben wir analog zum Tire-Insert im Cannondale auch einen im Specialized installiert – safety first. Vorne kommt der Ground Control-Reifen mit ausgeprägtem Profil und hinten der schnell rollende Fast Trak zum Einsatz. Sie sind auf Specializeds hauseigenen Roval Carbon-Felgen montiert. Auch beim Cockpit sind hauseigene Alu-Komponenten verbaut: ein 60-mm-Vorbau und ein 750 mm breiter Lenker mit wenig Rise.

Das Specialized Epic EVO ist mehr als ein aufgeblasenes XC-Bike! Mit ihm kann man es richtig krachen lassen und in Anliegern Reifen von der Felge ziehen.

Der Specialized Ground Control-Reifen ist ordentlich profiliert und bietet sowohl beim Bremsen als auch in Kurven viel Grip und Kontrolle.
Natürlich sind wir das Epic EVO ausschließlich in der Low-Position des Flip-Chips gefahren, schließlich sind wir das ENDURO Mag.
Aus dem Weg ruft man bergab ziemlich oft über den Trail. Denn dank ausreichend Bewegungsfreiheit (150-mm-Variostütze) kann man es ordentlich stehen lassen.
Eigentlich fahren wir Short-Travel-Bikes, um nicht mehr dauernd zum Lock-out-Hebel greifen zu müssen. Beim Specialized ist er auf langen Uphills aber Pflicht.
Die SRAM G2 packt mit vier Kolben ordentlich zu. Allerdings hätten wir uns auch am Hinterrad eine 180-mm-Scheibe gewünscht. Nicht für mehr Bremspower, sondern für mehr Hitzebeständigkeit.
Das teure X01-Schaltwerk kombiniert Specialized mit der schweren GX-Kassette.
Größe XS S M L XL
Sattelrohr 375 mm 400 mm 430 mm 470 mm 520 mm
Oberrohr 536 mm 567 mm 602 mm 629 mm 659 mm
Steuerrohr 95 mm 95 mm 100 mm 115 mm 135 mm
Lenkwinkel 66,5° 66,5° 66,5° 66,5° 66,5°
Sitzwinkel 74,5° 74,5° 74,5° 74,5° 74,5°
Kettenstrebe 438 mm 438 mm 438 mm 438 mm 438 mm
BB Drop 46 mm 36 mm 36 mm 36 mm 36 mm
Radstand 1.106 mm 1.132 mm 1.164 mm 1.194 mm 1.227 mm
Reach 380 mm 406 mm 436 mm 460 mm 485 mm
Stack 603 mm 593 mm 597 mm 611 mm 629 mm

Tuning-Tipp: 180-mm-Bremsscheibe am Heck | nach Verschleiß Kassette auf X01 upgraden

Das Cannondale Scalpel SE 1 im Detail

Die 1.500 € Preisdifferenz zwischen dem Scalpel SE 1 und dem Epic EVO Expert spiegeln sich nicht zwangsläufig in der Ausstattung des Cannondale. In puncto Fahrwerk setzen beide auf dieselben Komponenten. Bei den Laufrädern kombiniert Cannondale ebenso wie Specialized hauseigene Carbon-Felgen mit DT Swiss-Naben. Auf ihnen sind MAXXIS-Reifen in der EXO-Karkasse verbaut, die sonst meist bei Trail-Bikes zum Einsatz kommt. Eigentlich cool, aber der Ardent Race in Front und der noch flacher profilierte Recon Race am Heck bieten vor allem in Kurven und beim Bremsen wenig Traktion.

Cannondale Scalpel SE1 | 120/120 mm (v/h) | 29” | 11,58 kg | 4.999 € | Hersteller-Website

Angetrieben wird das Scalpel SE von einer Shimano XT-Gruppe in Kombination mit den hauseigenen, leichten HollowGram-Kurbeln aus Aluminium. Zum Stoppen dient eine Zweikolben-XT mit 180-mm- und 160-mm-Scheiben. Für mehr Temperaturstabilität auf langen Abfahrten empfehlen wir eine 180er-Scheibe am Heck. Die DownLow-Variostütze liefert in den Größen M und L lediglich 125 mm Hub, in S sogar nur 100 mm. Typisch Cross-Country, aber dennoch cool sind die ESI Chunky-Griffe, die direkt auf den Cannondale Carbon-Lenker geklebt wurden und viel Dämpfung bieten. Ebenfalls dabei ist der Cannondale Wheel-Sensor am Vorderrad, der Fahrdaten sammelt und mit den meisten Geräten wie Garmin oder Wahoo kompatibel ist.

Das Cannondale Stash-Kit hat alle Tools, die wir auch mitnehmen würden. Im Falle einer Panne ist alles parat!

Multitool, Tire-Plug, CO2 und eine große Wasserflasche finden am bzw. im Flaschenhalter des Scalpel SE Platz.
Verglichen mit dem Vorderreifen am Specialized hat der Ardent Race vor allem beim Bremsen und in Kurven kaum Grip. Der geringere Rollwiderstand lässt sich besonders am Vorderrad vernachlässigen.
Nahe der Hinterachse sind die Kettenstreben flach und breit. Dort können sie beim Einfedern flexen und ersetzen das schwere Horst-Link-Kugellager.
Das lange Sitzrohr paart Cannondale mit einer Variostütze mit lediglich 125 mm Hub (Größe L). Bergab schränkt das die Bewegungsfreiheit unnötig ein.
Den Shimano XT-Antrieb kombiniert Cannondale mit der leichten hauseigenen HollowGram Alu-Kurbel.
Cannondale hat uns das Scalpel mit einem Tire-Insert am Hinterrad geschickt. Er ist zwar nicht Teil der Serienausstattung, aber besonders auf steinigen Trails sinnvoll.
Größe S M L XL
Sattelrohr 430 mm 440 mm 480 mm 520 mm
Oberrohr 580 mm 602 mm 625 mm 648 mm
Steuerrohr 95 mm 105 mm 115 mm 125 mm
Lenkwinkel 67,0° 67,0° 67,0° 67,0°
Sitzwinkel 74,0° 74,0° 74,0° 74,0°
Kettenstrebe 436 mm 436 mm 436 mm 436 mm
BB Drop 32 mm 32 mm 33 mm 33 mm
Radstand 1.125 mm 1.148 mm 1.172 mm 1.196 mm
Reach 410 mm 430 mm 450 mm 470 mm
Stack 592 mm 602 mm 611 mm 621 mm

Tuning-Tipp: Vorderreifen hinten montieren und vorne ein gröberes Profil | längere Variostütze bei ausreichender Schrittlänge | 180-mm-Bremsscheibe am Heck

Können aufgeblasene Cross-Country-Bikes mit 120 mm auf dem Trail so richtig abgehen? Die Antwort ist JA, aber nicht alle. Mit einem unserer Test-Bikes haben wir im Anlieger allerdings schier die Reifen von der Felge gezogen. Auf der nächsten Seite erfahrt ihr, mit welchem.

Cross-Country, braap! Epic EVO und Scalpel SE im Battle

Bereits beim ersten Aufsitzen machen beide Bikes klar, dass sie aufgepumpte Cross-Country- und keine Short-Travel-Trail-Bikes sind. Trotz relativ kurzer Vorbauten ist die Sitzposition sowohl am Cannondale als auch am Specialized sportlich gestreckt, mit viel Druck auf der Front. Dabei sorgt das Scalpel SE mit dem Riserbar und einem ordentlichen Spacerturm unterm Vorbau auf langen Tagesausflügen für weniger Rückenschmerzen. In der Ebene lassen sich beide Bikes verdammt zügig beschleunigen, halten dank der flach profilierten Mittelstollen am Hinterrad gut die Geschwindigkeit und sind gleichauf. Erst wenn es steiler wird, kann sich das direktere Scalpel SE absetzen. Bei maximalem Druck aus der Wade wippt zwar auch der Hinterbau des Cannondale, er ist aber deutlich effizienter als der Hinterbau des Specialized. Hier merkt man, dass das Epic EVO grundsätzlich auf den Einsatz des Brain-Systems mit automatischem Lock-out ausgelegt ist. Denn trotz angepasster Kinematik geht der Dämpfer mit jeder Pedalumdrehung in die Knie und schaukelt sich leicht auf. Hier hilft nur der Griff zum Lock-out-Hebel. Geht es technisch bergauf, liefert das Epic EVO dann aber weniger Traktion als das Scalpel SE, das fast jedes Hindernis mit Leichtigkeit erklimmt.

Frisch gepflückte Trail-Snacks sind besser als jedes Energy-Gel.
Im Unterschied zu den Racern gönnen wir uns vor dem Traileinstieg erst mal eine Pause. Und senken natürlich unsere Variostützen ab.

Geht es in den Downhill, zeigen sich größere Unterschiede in der Fahrposition. Das Cannondale Scalpel platziert seinen Fahrer trotz hoher Front eher auf statt im Bike. Schuld daran ist sicherlich auch die Variostütze mit wenig Hub, wodurch der Sattel bei vielen Fahrmanövern stört. Auch nach vorne ist die Bewegungsfreiheit des kompakteren Bikes eingeschränkt. Anders macht es das Epic EVO, das seinen Fahrer ähnlich wie ein Trail-Bike tiefer im Rad positioniert und deutlich mehr Bewegungsfreiraum bietet. In Sachen Fahrwerk sind sich beide Räder dafür sehr ähnlich und bieten statt Komfort krassen Gegenhalt. So ist es ein Leichtes, beide Bikes in die Luft zu ziehen oder durch Pushen richtig viel Speed zu generieren. Dafür reichen beide Wurzeln und Bremswellen an den Fahrer weiter. Auf der Bremse und in Kurven zeigt sich das unterschiedliche Grip-Niveau: Während das Epic EVO seinen Fahrer anfleht, mit Vollgas in den Anlieger zu schneiden und die Reifen unter lautem Braaap mal so richtig zu testen, lässt es das Scalpel SE etwas gemütlicher angehen. Vor allem am Vorderrad könnte ein ausgeprägteres Profil mehr Kontrolle liefern. Hinzu kommt die unausgewogene Lastverteilung: Durch den kurzen Reach, gepaart mit dem 80 mm langen Vorbau, zieht das Scalpel SE seinen Fahrer weit übers Vorderrad. Mit dem Epic EVO ist man bergab nicht nur schneller unterwegs, man hat dabei auch noch mehr Spaß. Dennoch sind beide Bikes wie gemacht für flache, flowige Strecken und lassen auf ihnen jedes Trail-Bike weit hinter sich.

Fliegste quer, siehste mehr: Auch in der Luft fühlen sich die Bikes wohl, das Specialized ist aber der größere Trail-Rowdy.

Auch ohne Stoppuhr ist klar, dass das Cannondale Scalpel SE bergauf das schnellere und komfortablere Bike ist und dabei auch mehr Spaß macht. Doch das macht das Epic EVO bergab wieder wett! Wir sind bis dato noch kein Cross-Country-Bike gefahren, das bergab so aggressiv gepusht und über den Trail geprügelt werden kann. Somit hat das Specialized Epic EVO als Trail- bzw. Down-Country-Bike die Nase vorn, während wir für lange Tagesausflüge gerne zum Scalpel SE 1 greifen.

Egal ob Cannondale oder Specialized, Bier gibt’s für beide.

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Text: Fotos: Robin Schmitt