Racing scheint der einzige Weg zu einer Karriere im professionellen Mountainbiken zu sein. Doch ein Team sprengt diese Regel: Die Cannondale-Waves-Crew um Josh Bryceland stellt den Spaß auf zwei Rädern über jede Sekundenjagd! Aber wie kann ein Team ohne Racing-Ambitionen in einem leistungsorientierten Sport erfolgreich sein?

Josh Bryceland – vielen bekannt als „Ratboy“ oder kurz „Rat“ – ist ein Typ, den man eigentlich nicht vorstellen muss. Mit zahlreichen Siegen und Podiumsplätzen im Downhill-Weltcup hatte er jede Menge Erfolg im Rennsport. Doch nach einigen Jahren an der Spitze des Sports schockierte Ratboy viele mit der Ankündigung, dass er sich nach der Saison 2016 im Alter von nur 24 Jahren aus dem Weltcup-Racing zurückziehen werde. Die Nachricht hinterließ große Unsicherheit in der Bike-Szene. Was passiert, wenn einer der weltbesten Rennfahrer das Racing links liegen lässt und stattdessen plötzlich den Fokus auf den Spaß beim Biken legt?

Im letzten Jahr, in dem ich Downhill-Rennen fuhr, habe ich gemerkt, dass viele Privateers sehr gut gefahren sind, aber dafür so wenig zurückbekommen haben. Das gab mir zu denken. Ich wollte mehr mit meinen Freunden machen, die im Rennsport keinen Durchbruch hatten.

Es sollte zweieinhalb Jahre dauern, bis Joshs neuer Weg schließlich offiziell verkündet wurde: 2019 gründete er mit drei jungen britischen Fahrern ein Team, das sich nicht auf Racing und Erfolge konzentrierte, sondern den Spaß und eine gute Zeit in den Mittelpunkt stellte. Mit der Unterstützung von Cannondale und einer Reihe anderer Sponsoren war die Cannondale-Waves-Crew geboren!

Das jüngste Teammitglied, Sammy Cofano, ist erst 18 Jahre alt. Er fährt seit seinem 11. Lebensjahr mit Josh, was man seinem Fahrstil auch anmerkt. Sein Teamkollege Max Nerurkar bringt vom Skateboarden inspirierte Kreativität ins Team. Max lebt in Sheffield und lernte Josh durch die Clayspades-Digging-Crew aus Wharncliffe kennen. Sam Hockenhull, bekannt als Dave, vervollständigt das Team. „Ich habe Dave durch seinen älteren Bruder kennengelernt“, erzählt Josh. „Als wir anfingen, war er der kleine Bruder, der immer mitkam und das Mountainbiken erst für sich entdeckte. Es war der Wahnsinn, Dave von seinen Anfängen bis jetzt zuzuschauen! Er ist einer der Typen, die einfach alles sehr schnell lernen. Wenn er einen Fehler macht, lernt er daraus und macht es dann besser.“

Für mich stand der Rennsport mein Leben lang im Fokus – das ist alles, was ich bisher gemacht habe. Dass ich jetzt meine Kumpels supporten kann, und zwar nicht nur wegen irgendwelcher Resultate, ist ein echter Traum! Sie sind echte Persönlichkeiten und fahren verdammt gut. Und das ist genug.

Um herauszufinden, was das Cannondale-Waves-Team so einzigartig macht, sind wir in ihre Heimatstadt gefahren, um gemeinsam zu biken, zu chillen und uns inspirieren zu lassen. Buxton liegt nur eine Stunde von Manchesters geschäftigem Stadtzentrum entfernt und ist von den sanften Hügeln des Peak District umgeben. Nach einem ausgiebigen Frühstück mit der Waves-Crew geht es aus der Stadt heraus in die umliegenden Hügel. Kurze Zeit später stehen wir auf einem Bergrücken mit Blick auf die kleine Marktstadt neben einem zweistöckigen Steinturm namens Solomon’s Temple. Der Hang um uns herum ist mit grasbewachsenen Hügeln und Mulden durchzogen, die früher einmal Kalksteinbrüche markierten. Jetzt sorgen sie für perfekte Doubles und Bowls. Die Jungs legen ihre Rucksäcke ab und starten in die erste Session des Tages.


„Sessioning“

Der Akt, einen kurzen Abschnitt des Trails immer und immer wieder zu fahren, wobei jede Wiederholung mehr Kreativität und Variation bringt


Der Fokus der Crew: das Maximum aus den Spots zu Hause herausholen und dabei möglichst viel Spaß haben

Die Gründung des Cannondale-Waves-Teams war für viele eine kleine Revolution. Sein Ethos und seine Zielsetzung machten es von Anfang an einzigartig – noch nie zuvor hatte ein Team ohne Rennambitionen so viel Unterstützung und Aufmerksamkeit erhalten. Ich frage Rat, der gerade einen großen Double zwischen zwei Kalksteinhügeln ins Visier nimmt, nach den Anfängen. „Im ersten Jahr war es schwierig, Marken zu überzeugen“, antwortet er, „aber im Laufe der Saison konnten die Leute sehen, was wir machen, und da ist jede Unsicherheit verflogen. Die Marken sind begeistert von unserem Content und unserem Feedback, und die Unterstützung wächst!“ Wenn man den vier Jungs zusieht, wie sie sich gegenseitig pushen und aus dem natürlichen Double vor mir immer höher und höher herausspringen, vergisst man leicht, dass sie Teamkollegen sind – die Chemie zwischen ihnen fühlt sich an wie die einer Familie.

Das vom BMX beeinflusste Jibbing und Sessioning wird immer beliebter. Es ist eine Rebellion und das Gegenteil von Strava-Runs und gezieltem Training …

Der nächste Spot führt uns vom kargen Hang in den Wald. Die nackten Bäume erzeugen eine etwas unheimliche Atmosphäre, während sich der Nebel durch ihre skelettartigen Äste drückt, bevor er von den Strahlen der Frühlingssonne weggebrannt wird. Der Boden wechselt von Gras zu dickem Lehm. Ein kleiner Hip-Jump führt in einen großen Hang vor einem weiteren linken Hip-Jump, der hoch genommen werden kann, bevor man in einer tiefen 180°-Kurve landet. Der Streckenabschnitt ist nicht länger als 30 m, bietet aber unzählige Möglichkeiten und verschiedene Optionen bei der Linienwahl. Das Sessioning und Jibbing ist eine andere Art des Mountainbikens, die stark von der Skate- und BMX-Szene beeinflusst ist. Es öffnet den Sport für alle, die nicht unbedingt Rennen fahren wollen, und stellt den Spaß voll in den Fokus. Als würde er meine Gedanken lesen, stellt Rat fest: „Ich glaube, je facettenreicher Mountainbiken ist, desto besser. Dann können sich mehr Leute auf einen Teil davon einlassen!“

Ein Team zu gründen, das auf Persönlichkeit und nicht auf Rennergebnissen basiert, sorgt für frischen Wind in einem Sport, in dem vielerorts das Leistungsdenken dominiert. Jedes neue Produkt verspricht einem, dass man damit noch schneller wird, und es scheint, als ob dabei manchmal der Spaß verloren geht, der uns irgendwann mal alle süchtig gemacht hat. Da das Leben der Profis über soziale Medien so leicht zugänglich ist, ist es kein Wunder, dass junge Fahrer stark von der Rennszene beeinflusst werden. „Es scheint, als gäbe es eine Menge Kids, die sich mehr darauf konzentrieren, gesponsert zu werden, als einfach nur biken zu gehen!“, erklärt Rat. „Bleib einfach so weit wie möglich du selbst und denk nicht, dass du einen Sponsor brauchst, um etwas geschehen zu lassen. Es gibt so viele gute Fahrer, die sich nicht mal drum kümmern, gesponsert zu werden. Konzentrier dich auf das Mountainbiken und tu es aus den richtigen Gründen!“

Aus den richtigen Gründen legen Josh und die restliche Waves-Crew auch viel Wert auf Nachhaltigkeit. Die Jungs kümmern sich um die Natur, lassen nie Abfall zurück und nehmen Rücksicht auf andere Waldnutzer. Und diese Einstellung beschränkt sich nicht nur auf ihre lokalen Trails! Das Team hat bereits Pläne geschmiedet, um die MTB-Industrie von innen heraus umweltfreundlicher zu machen. „Das Erstaunliche an einem Unternehmen wie Cannondale ist, dass die Chance zur Veränderung riesig ist“, meint Josh. „In einem großen Unternehmen hat selbst eine kleine Verbesserung eine große Wirkung. Wir sind die positive Stimme in seinem Ohr!“

Es gibt nichts Besseres, als mit der Crew abzuhängen und ein paar Clips zu drehen

Es geht darum, wie wir reisen und wie wir als Team Dinge konsumieren: Wir reisen im Van, wann immer wir können, wir fliegen nicht. Wir leben zu viert im Camper, kochen im Van und all das. Wir sind nicht perfekt, aber wir tun, was möglich ist.

Es ist schön zu hören, wie das Team die Initiative ergreift, um Veränderungen herbeizuführen. Doch obwohl es leicht ist, sich mitreißen zu lassen von Unternehmen, die behaupten, zu 100 % nachhaltig und umweltfreundlich zu sein, bleibt Rat realistisch: „Ich würde nicht so weit gehen und sagen, dass wir vollständig umweltfreundlich sind, aber wir machen ständig große Schritte in Richtung Nachhaltigkeit.“

Auf der Heimfahrt denke ich noch lange darüber nach, wie ansteckend die Begeisterung der Cannondale-Waves-Crew ist. Es ist leicht, dem Traum vom professionellen Racen zu verfallen, aber ehe man nur noch Sekunden nachjagt, sollte man darüber nachdenken, warum man überhaupt mit dem Mountainbiken angefangen hat. Das Cannondale-Waves-Team ebnet gerade den Weg dafür, dass Spaß auch im professionellen Mountainbiken wieder an erster Stelle steht.


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