Chris Ball ist der perfekte Ansprechpartner, wenn es um das Thema Racing auf internationalem Niveau geht. Er ist der Mann, dessen Visionen und Weitblick eine erfolgreiche internationale Rennserie definiert und den Sport geprägt haben.

Bei der Frage, in welche Richtung sich das internationale Racing entwickelt, hat Chris Ball, Director der Enduro World Series, definitiv das Ruder in der Hand. Zum ersten Mal sprachen wir mit ihm vor mehr als drei Jahren, als die EWS kaum mehr als eine Idee war. Mittlerweile ist es ihm und seinem Team gelungen, das professionelle Racing auf ein neues Level zu heben und so einen Sport und gar eine neue Renn-Kultur zu definieren.

Von Anfang setzte die Enduro World Series auf eine Art Gemeinschaftsgefühl, indem sie es normalen Fahrern ermöglichte, zusammen mit ihren Race-Idolen an den Start zu gehen – doch ist das noch immer der Fall? Manche sagen, die EWS habe sich weit von den Erwartungen normaler Fahrer entfernt, indem sie immer mehr das Level der Top-Athleten gepusht habe. Wir sprachen mit Chris, um mehr über den Status quo zu erfahren und herauszufinden, wohin die Reise in Zukunft führen könnte.

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ENDURO: Zu Beginn kämpfte Enduro Racing als Sport darum, seine Identität zu finden. Ich denke, man kann guten Gewissens sagen, dass die EWS diese Identität definiert hat. Ist sie so, wie ihr sie euch vorgestellt habt?

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Chris: Ja, ich glaube, das ist sie. Ich erinnere mich daran, als wir uns das erste Mal trafen und du mich fragtest, was unsere Ziele seien. Zu der Zeit war das schlicht und einfach, die Disziplin zu definieren. Ich denke, das haben wir erreicht. Was uns aber wirklich verblüfft hat ist, wie stark das Interesse an unserem Sport gewachsen ist. Und zu der Frage, ob die Identität des Enduro Racings heute das ist, was wir uns am Anfang vorgestellt haben: Ja, ich denke, das ist so. Eine Sache, die ein paar Leute wohl überrascht hat, ist der Aspekt der physischen Herausforderung. Wir wurden mit Fragen konfrontiert, ob die Serie noch genug Spaß mache, aber mal ehrlich: Wenn man 50 der besten Racer der Welt an die Startlinie stellt, dann wird es nun mal ein ernsthaftes Rennen. Ich hoffe und denke aber, dass wir den Community-Aspekt so weit wie möglich erhalten konnten.

Wir versuchen, eine gute Mischung zu wahren und haben deshalb das ganze Jahr über mit Lovern und Hatern zu tun. Solange wir von beiden aber gleich viel haben, ist es okay.

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ENDURO: Das EWS-Team gehört definitiv zu den Opinion Leadern, wenn es darum geht, in welche Richtung sich Enduro Racing entwickelt. Denkst du als erfahrener und versierter Ex-Downhillfahrer, dass sich Enduro-Racing in Richtung Downhill mit Bikes mit weniger Federweg entwickelt?

Chris: Haha, das ist lustig! Viele Leute sagen, dass ich es zu sehr in Richtung dieser physischen Seite dränge. Ich besitze kein DH-Bike, schon seit Jahren nicht mehr. Mir macht der physische Aspekt des Fahrens Spaß, und auch, dass man alles hinter sich lassen kann und in einem Gelände fahren, das mit Downhillbikes einfach nicht zugänglich ist. Wir wollen Events in Hoch- und Südalpenregionen integrieren, wo die Superenduro und Tribe-Events ihre Wurzeln haben – das ist natürlich ein alpiner Sport und es geht vorzugsweise bergab. Kommt man in Gegenden wie Schottland, Irland oder in bestimmte Teile der USA, tritt schon allein wegen der Topographie der physische Aspekt mehr in Vordergrund, was meiner Meinung nach auch ziemlich wichtig ist. Letztendlich geht es um die Balance unter den Rennen und es ist immer eine strategische Abwägung zwischen Spaß und der Ernsthaftigkeit des Racings.

ENDURO: Seit 2013, so wird argumentiert, werden die Rennen länger, härter und technisch anspruchsvoller. Steckt dahinter die Entwicklung der Sportler, sind es die immer besseren Bikes oder ist es etwas ganz anderes?

Chris: Ich glaube, es handelt sich um eine Kombination aus verschiedenen Dingen. Wir hören das öfter, dass wir angeblich versuchen, den Sport immer härter zu machen – das ist aber nicht der Fall und war jedenfalls nie unsere Absicht. Klar, wir haben mitunter Fehler gemacht, wenn der Eifer, die besten Trails zu integrieren, dazu führte, dass wir zu viele Stages in ein Rennen gepackt haben. Die Fahrer haben aber auch mittlerweile viel mehr Kondition als je zuvor. Es ist faszinierend, zu sehen, wie sich ihr Körperbau und ihre Physiologie verändern, sowohl bei den Männern als auch bei den Frauen. Schaut euch einige der Fahrer an, die aus dem Downhill kommen und wie anders sie jetzt aussehen! Es ist also eine Kombination aus vielen verschiedenen Dingen, aus der Begeisterung der Streckendesigner, der Kondition der Fahrer und außerdem sind natürlich die Bikes mittlerweile der Wahnsinn!

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ENDURO: Findest du, dass DH-Stages wie in Neuseeland und Stage 2 im Tweed Valley durch langsamere und technischere Stages ersetzt werden sollten?

Chris: Wir lernen viel durch die Intensität, die das Racing jetzt hat, und auch durch die Geschwindigkeit, die für die Fahrer möglich ist. Die DH-Strecke in Neuseeland war ein Fehler, das war einfach zu viel, es gab im Vorfeld solche Befürchtungen und die haben sich bewahrheitet. Wir sind noch jung und wir versuchen, viele verschiedene Dinge auszuprobieren. Wir lernen noch, was wirklich passt.

ENDURO: Wir erleben gerade einen Wandel bei den Endurobikes hin zu größeren Federwegen um 180 mm (z. B. die neue Lyrik). Ist es gut für den Sport, wenn Stages immer härter und krasser werden?

Chris: Das ist eine normale Entwicklung in der Industrie, mal ganz abgesehen vom Enduro-Racing. Ich denke aber, wir haben sie gepusht und einige Entwicklungen vorangetrieben. Die Technik ermöglicht es uns, dort zu fahren, wo es mit einem Trailbike kaum möglich ist und wo man mit einem Downhillbike erst gar nicht hinkommt. Das ist also sicherlich ein Aspekt, und die EWS hat definitiv die Faktoren Zuverlässigkeit und Gewicht massiv gepusht. Die Bikes sind nun leicht, robust, effizient und schnell.

Was die Entwicklung angeht: Wir haben immer versucht, mit der Industrie zusammenzuarbeiten, aus den Fehlern von 4X oder was auch immer zu lernen. Der Charakter unseres Sports und die Unterstützung der Teams bestehen, weil wir versuchen, auf Bikes zu racen, die du und ich auch fahren können – das ist die Grundlage. Kürzlich sprach ich mit den Jungs von RockShox und fragte, wofür sie die Lyrik entwickelt haben – um sehen zu können, wie das zur EWS passt. Aber sie drehten den Spieß um und sagten: „Wir wüssten gerne, wo ihr hinwollt, damit wir die Technik entsprechend entwickeln können.“ Oh Mann, es ist echt verrückt, wie schnell sich das so entwickelt hat. Alles passiert so schnell.

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ENDURO Zum Thema Gefahr: Der Unfall in Crested Butte war tragisch und nicht vermeidbar, aber es gibt mehr und schwerere Verletzungen bei den Rennen und in den Top 10 gibt es ständige Wechsel bei den Platzierungen aufgrund von Verletzungsausfällen. Ist allmählich der Punkt erreicht, wo das Terrain zu schwierig ist für die Geschwindigkeiten, die die Racer fahren müssen, um eine Chance im Wettkampf zu haben?

Chris: Nein, und ich sage das, weil ich hier auf meine Weltcup-Erfahrung zurückgreifen kann. Es ist häufig so, dass die schwersten Verletzungen auf den einfachsten Abschnitten des Trails passieren. Das ist generell im Sport so, der Anteil an Verletzungen auf blau markierten Skipisten ist höher als der auf roten und schwarzen. Es sagt sich leicht: „Es gibt mehr Verletzungen, also sind die Trails zu schwer.“ Aber es ist auch ein bisschen zu kurz gedacht. Was wirklich entscheidend ist, ist die Intensität und der Umfang des Racings. Die Top-Fahrer racen in einer Saison mehr als ein Worldcup-Downhiller in zehn Jahren. Wenn man sich die Rennzeit in Whistler anschaut, dann sieht man, dass die Gesamtzeit, die die Spitzenathleten hier gegen die Uhr fahren, verdammt lang ist – vor allem gemessen an der unglaublichen Intensität des gesamten Rennens. Es gibt also eine Menge Dinge, über die wir uns Gedanken machen sollten, aber ich glaube nicht, dass die technische Schwierigkeit der Trails dazu gehört.

ENDURO: Okay, zurück zu positiven Dingen: Was war dein Höhepunkt der Serie 2015?

Chris: Es gab so viel Positives. Der Sieg von Greg in Irland, das war einfach ein magischer Moment! Da war diese Gänsehaut, dieses Gefühl, wie man es von ganz großen, emotionalen Sportevents kennt – ich denke, das lässt sich kaum toppen!

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ENDURO: Ja, das war ziemlich groß! Das Event in Irland hat gezeigt, wie viel die Zuschauer bei so einem Rennen ausmachen können. Vielleicht solltet ihr vor anderen Events ein paar irische Fans einsammeln und sie mit Fallschirmen über den anderen Locations abwerfen!

CHRIS: Haha, ja, verrückte Bananen-Fallschirmjäger!

ENDURO:Nach zwei Jahren, in denen die Top 10 von einer Handvoll Fahrer dominiert wurde, gab es dieses Jahr bei den Männern drastische Veränderungen. Hattet ihr das erwartet?

CHRIS: Ich fand es sehr spannend, wie sich die Top 10 verändern, wie viele Leute darum kämpfen und wie verschieden sie mit den unterschiedlichen Rennen zurechtkommen. Der Speed der Fahrer ist nur wenig schneller geworden, aber die Abstände zwischen ihnen sind jetzt geringer. Ich glaube nicht, dass sie schneller fahren, aber ich denke, sie machen weniger Fehler. Auch die Entwicklung im technologischen Bereich war wirklich erstaunlich dieses Jahr! Die Hersteller brauchen immer eine Weile, um hinterherzukommen, und nun sehen wir die Entwicklung, die durch die ersten Jahre ausgelöst wurde.

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ENDURO: Es scheint, als ob ihr die internationale Rennszene bestimmt – was ist mit den nationalen Serien, denkt ihr über andere Projekte nach?

Chris: Das ist etwas, worüber wir oft sprechen und was wir in Angriff nehmen müssen, um klarer zu filtern, wer bei der EWS starten kann. Das Problem war bisher, dass wir Sorge hatten, uns zu viel vorzunehmen, und deshalb den Sport organisch wachsen lassen wollten. Wir haben die Entwicklung mit der World Series von der Spitze her angeführt, aber wie passen die nationalen Serien dazu? Kurz gesagt: Ja, das ist etwas, was wir uns parallel zum Wachstum des Sports überlegen – aber nicht, bevor alle dafür bereit sind. Und zugegeben, davon sind wir noch ein gutes Stück entfernt.

Das Niveau der Rennen wird weiterhin professioneller und die Amateure werden auf den Rängen immer weiter nach unten gedrängt – so wird sich die Enduro World Series bald mit einem ernsthaften Problem konfrontiert sehen. Der Enduro-Rennsport hat stets von seinem starken Fundament gelebt, bestehend aus dem Gemeinschaftsgefühl, der Möglichkeit für jeden, daran teilzunehmen, und dem Spaß. Aber ist das noch möglich, wenn das Niveau weiter steigt? Wir sind sehr gespannt, was die Saison 2016 für Entwicklungen und Überraschungen bereithält.

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Weitere Informationen zu den EWS erhaltet ihr auf der Enduro World Series-Website.

Text & Fotos: Trevor Worsey


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