Classified hat mit dem revolutionären Powershift-System bereits im Road- und Gravel-Bereich für Furore gesorgt. Jetzt wollen die Belgier mit der elektrischen 2-fach-Getriebenabe die klassische MTB-Schaltung revolutionieren und machen aus 1×12 einfach 1×22. Wir haben das innovative System ausgiebig getestet und verraten euch, ob es am MTB Sinn macht.

Classified hat sich über die letzten Jahre vor allem unter den Dropbar-Kollegen einen Namen gemacht. Die Belgier haben bereits vor einigen Jahren im Road- und Gravel-Segment ihr sogenanntes Powershift-System vorgestellt und mit ihrer elektrischen 2-fach-Getriebenabe den Umwerfer in die Antiquitätenkammer verbannt. Unser Schwestermagazin GRAN FONDO hat das System bereits ausgiebig getestet. Und das Gravel-Bike Ridley Kanzo Adventure – ausgestattet mit Classified Powershift – konnte sich im Adventure-Gravel-Vergleichstest sogar den Testsieg sichern. Jetzt will Classified aber auch im MTB-Segment angreifen und die herkömmliche MTB-Schaltung revolutionieren. Der Fokus liegt dabei jedoch auf Cross Country und leichtem Trail-Einsatz. Was aber nicht heißen soll, dass es an anderen MTBs nicht funktioniert oder keinen Sinn ergibt. Wir sind das Classified Powershift-System in einem MERIDA ONE-SIXTY gefahren, das uns eine gewohnte Testumgebung geboten hat.

Das Classified Powershift-System im Detail

Rein äußerlich sieht man auf den ersten Blick keinen großen Unterschied, und das Classified Powershift-System ist von einem Bike mit herkömmlicher Kettenschaltung kaum zu unterscheiden. Doch um was genau handelt es sich bei Classified Powershift und warum können sich laut den Entwicklern herkömmliche Kettenschaltungen warm anziehen?

Das Classified Powershift-System besteht aus einer speziellen elektrischen Classified Getriebenabe, einer Classified Kassette, der Classified Smart Thru Axle und dem Classified Ringshifter am Lenker. Kombiniert werden kann es mit 12-fach-Schaltgruppen von Shimano, SRAM oder TRP, um einen gesamten Antrieb zu realisieren. In unserem Fall war am Testbike eine TRP EVO 12-fach-Schaltgruppe mit dem Classified Powershift-System kombiniert.

Man gebe in den Topf: eine spezielle Getriebenabe, eine Kassette, eine Classified Smart Thru Axle und einen Classified Ringshifter. Heraus kommt das Classified Powershift-System.

Die Classified Powershift-Nabe

Wie Sie sehen, sehen Sie gar nicht mal so viel. Auf den ersten Blick ähnelt die Powershift-Nabe einer herkömmlichen Nabe und ist entweder mit Straight-Pull-Speichen oder – wie in unserem Fall – mit klassischen J-Bend-Speichen zu haben – den Namen haben diese Speichen dem um 90° gebogenen Speichenkopf zu verdanken. Der Großteil der Technik versteckt sich geschützt vor Umwelteinflüssen innerhalb der Nabe. Sie besteht aus zwei Bauteilen: dem Nabengehäuse und der Nabe selbst. In letzterer ist das elektronisch gesteuerte Getriebe integriert. Das Planetengetriebe, bei dem die Anordnung der Zahnräder an Planeten erinnert, die um eine Sonne kreisen, schaltet zwischen einer 1:1- und einer 0,7:1-Übersetzung hoch- und runter. In der 0,7:1-Untersetzung müssen die Kräfte über die Planetenzahnräder abgewälzt werden, was zur Folge hat, dass sich bei einer Kassettenumdrehung das Rad nur 0,682 mal dreht und man in einem „kleineren“ Gang fährt. Die Energie für den Schaltvorgang des Planetengetriebes wird von der eigenen Classified Smart Thru Axle-Steckachse geliefert.

Praktisch: Die Powershift-Nabe lässt sich ohne große Mühe vom Nabengehäuse trennen und einfach auf den zweiten Laufradsatz aufstecken. Vorausgesetzt man besitzt einen zweiten Laufradsatz mit Classified-Nabengehäuse. Ein Laufradsatz nur mit Nabengehäuse ist beim Händler erhältlich.

Im Inneren befindet sich ein Planetengetriebe, das entweder 1:1 oder 0,7:1-fach untersetzt.

Die Classified-Kassette

Bauartbedingt kann auf die Nabe keine herkömmliche Kassette montiert werden, denn das Planetengetriebe benötigt etwas mehr Platz als ein normaler Freilauf. Die eigens entwickelten 11-, 12- und 13-fach-Kassetten aus Stahl gibt es in vielen unterschiedlichen Abstufungen. Wobei die 11- und 13-fach-Versionen den Road- und Gravel-Schaltungen vorbehalten sind und bei Mountainbikes die 12-fach-Kassetten zum Einsatz kommen. An unserem MERIDA ONE-SIXTY-Testbike war eine 12-fach-Kassette mit 11–40 Zähnen verbaut, die in Kombination mit der Powershift-Nabe auf ein Übersetzungsverhältnis von 530 % kommt. Im Vergleich zu herkömmlichen Kassetten von SRAM mit 520 % und Shimano mit 510 % hat Classified leicht die Nase vorne und bietet zudem noch eine geringere Gangabstufung durch die 24 Gänge. Die Schritte zwischen den Gängen sind kleiner und die Wahrscheinlichkeit, den perfekt passenden Gang zu treffen, höher.

Mit einer Bandbreite von 530 % kann die eigens entwickelte Classified-Kassette locker mit der Konkurrenz von Shimano und SRAM mithalten.

Der Classified Ringshifter

Mit dem Classified Ringshifter wird durch Hoch- und Runterbewegen des Shifters zwischen den zwei Übersetzungen der Hinterradnabe gewechselt. Er sitzt unauffällig links am Lenker und überzeugt mit guter Haptik. Der integrierte Akku hält ca. 1 Jahr und lässt sich über ein magnetisches Kabel wieder aufladen.

Mit dem Ringshifter am Lenker wechselt man zwischen den zwei Übersetzungsstufen.

Die Classified Smart Thru Axle

Die Classified Smart Thru Axle ist das Bindeglied zwischen der Remote am Lenker und der Powershift-Nabe am Hinterrad. Sie lässt sich wie eine normale Steckachse einfach raus- und reinschrauben. Der Empfänger trägt nach außen hin etwas auf und ist gleichzeitig der Hebel zum Lösen der Steckachse. Der Funkempfänger der Steckachse empfängt drahtlos das Schaltsignal von der Remote, und der Schaltvorgang wird elektronisch per kontaktloser Energieübertragung über eine Induktionsspule umgesetzt. Die Achse kann über einen Micro-USB-Anschluss aufgeladen werden und soll laut Hersteller etwa 10.000 Schaltvorgänge oder 4 Monate halten und muss also nur sehr selten geladen werden. Sowohl die Remote als auch die Steckachse verfügen über LEDs, die beim Schalten aufleuchten – die Farbe zeigt dabei den Ladezustand der Batterie an. Über eine ANT+ Schnittstelle kann man auch GPS-Computer verbinden und sich die Getriebeübersetzung oder den Akku-Stand anzeigen lassen.

Die Steckachse wird wie das herkömmliche Pendant einfach in den Rahmen geschraubt und fixiert das Hinterrad.

Kann ich das Classified Powershift-System an meinem Mountainbike fahren?

In Sachen Kompatibilität muss man einige Dinge beachten. Einfach bestellen und dranschrauben ist nicht. Aber hier hat Classified allen Übereifrigen einen Riegel vorgeschoben, denn das Powershift-System ist nur über den Händler zu bekommen. Über die Webseite von Classified findet ihr passende Partner-Händler in eurer Nähe.

Schaltgruppen

Schaltgruppen lassen sich sowohl elektronisch als auch mechanisch verbauen. Die Powershift-Nabe und -Kassetten sind mit Shimano, SRAM und TRP 12-fach-Schaltwerken kompatibel.

Kurbeln und Kettenblätter

Die Kurbeln sind beliebig wählbar. Auf der Webseite von Classified gibt es eine Tabelle mit einer Übersicht zu allen gängigen und zulässigen Kassetten/Kettenblatt-Kombinationen. Classified empfiehlt aber ein Kettenblatt mit mindestens 30 Zähnen.

Rahmen

Das Classified Powershift-System ist aktuell nur für Bikes mit 12×148-mm-Hinterbau geeignet, was auf die meisten modernen Bikes zutrifft. Eine Ausnahme wäre z. B. Pivot mit Superboost-Hinterbau-Maß von 157 mm.

Preislich ist das Classified Powershift System nicht ganz günstig und fängt mit 1.449 € an. Es gibt verschiedene Stufen, in denen ihr das Classified Powershift-System erwerben könnt:

  • Powershift-Set mit Classified-Laufradsatz
  • Powershift-Set mit ausgewähltem Laufradpartner wie z. B. Hunt
  • Powershift-Set für eigene Custom-Laufräder

Natürlich gibt es auch die Möglichkeit, direkt ein Bike zu kaufen, in dem das Classified-System bereits verbaut ist, wie etwa das Deviate Highlander 2 Trail-Bike.

Classified Powershift auf dem Trail

Beim ersten Blick ist unser MERIDA ONE-SIXTY-Testbike mit Classified Powershift von einem Enduro mit herkömmlicher Kettenschaltung kaum zu unterscheiden. Das Cockpit wirkt trotz der zusätzlichen Remote clean, und die Nabe ähnelt stark einer normalen Nabe. Nur der Empfänger an der Steckachse lässt Rückschlüsse darauf zu, dass es sich um kein normales Mountainbike mit 1×12-Schaltgruppe handelt. Die Bedienung ist selbsterklärend und funktioniert größtenteils wie eine herkömmliche Kettenschaltung: Die 12 Gänge des Schaltwerks werden ganz normal über den Schalthebel auf der rechten Seite des Lenkers durchgeschaltet. Beim Classified Powershift-System gesellt sich zum altbekannten Betätigungsmuster die Bedienung des Ringshifters auf der linken Seite des Lenkers hinzu, wodurch die Nabe in ihren zwei Stufen verstellt wird. Die Remote ist während der Fahrt einfach zu erreichen und die Bedienung versteht sich von selbst: nach oben = schwerer und nach unten = leichter. Und das in Sekundenschnelle und direkt nach dem Betätigen der Remote. Die Schaltung in der Nabe hat über unseren gesamten Testzeitraum immer tadellos ihren Dienst verrichtet und funktioniert sogar unter Last noch sauber.

Startet man in den Uphill, fällt sofort die feinere Abstufung der Gänge im Vergleich zu einer herkömmlichen Schaltung auf. Dadurch erhöht sich die Chance, den optimalen Gang zu erwischen und ist gerade dann von Vorteil, wenn sich die Steigung oft verändert und man in seiner perfekten Kadenz unterwegs sein will – für ein Maximum an Effizienz. So eine feine Abstufung ist aber nicht unbedingt notwendig, wenn man die meiste Zeit auf Forstwegen mit gleichbleibender Steigung unterwegs ist und nicht die Bestzeit zum Gipfel erreichen will.

In Sachen Übersetzungsbandbreite liegt das Classified-System mit 530 % einen Hauch über den herkömmlichen Schaltungen fürs MTB von Shimano und SRAM. Im leichtesten Gang muss man, egal ob herkömmliche Kettenschaltung oder Classified Powershift, in etwa die gleiche Kraft aufbringen. In beiden Fällen erklimmt man je nach gewähltem Kettenblatt auch steile Rampen ohne Probleme. Allerdings ist beim Powershift-System etwas mehr Köpfchen gefragt: Statt der einen Möglichkeit die Gänge zu wechseln, hat man jetzt zwei Optionen: entweder über den herkömmlichen Shifter oder über die Classified-Nabe. Klingt vielleicht im ersten Moment banal, ist aber einfach eine Sache mehr, über die man nachdenken muss. Vor allem, wenn die Ressourcen unseres neuronalen Rechenzentrums schon damit beschäftigt sind, uns sicher durch das nahende Wurzelfeld oder den bevorstehenden Gegenanstieg zu bringen.

Seine Vorteile spielt das Classified Powershift-System auf flowigen Trails mit leichten Gegenanstiegen aus. Hier reicht es oft schon, nur links mit der Hinterradnabe die Übersetzung anzupassen, um in einen leichteren Gang zu kommen, und man meistert den Anstieg, ohne einen Gang über die Kettenschaltung zu wechseln. Der Gang wird blitzschnell eingelegt, ohne dass man treten muss. So läuft man nicht Gefahr, beim Pedalieren an Wurzeln oder Steinen hängen zu bleiben.

Macht das Classified-System am MTB Sinn?

Auch wenn das Classified-System das Road- und Gravel-Segment aufgemischt und den 2-fach-Umwerfer verbannt hat, sind die wirklichen Vorteile am Mountainbike gering. Die feinere Abstufung der Gänge, die marginal größere Übersetzungsbandbreite, der Wechsel der Übersetzung ohne Pedalieren – das alles bringt in der Praxis keine signifikanten Vorteile. Das System steht indes für noch mehr Komplexität am Bike: komplexere Technik, eigene Steckachse und Laufräder erforderlich, und noch mehr Akkus, die man aufladen muss. Die Kettenschaltung mit allen bekannten Nachteilen bleibt dennoch erhalten. Aber Touren- und Marathonfahrer, die auf langen Strecken unterwegs sind und denen der perfekt passende Gang sehr wichtig ist, könnten mit dem Classified-System glücklich werden.

Das Fazit zum Classified Powershift

In Sachen Funktion und Qualität gibt es am Classified Powershift-System nichts zu beanstanden, denn es funktioniert einfach tadellos. Die etwas größere Übersetzungsbandbreite, das pedalierlose Schalten und die feinere Gangabstufung sind coole Features, rechtfertigen aber nicht den relativ hohen Anschaffungspreis. Somit ist die Classified Powershift am Mountainbike nur für eine eingeschränkte Zielgruppe mit dem Fokus auf maximaler Effizienz und perfekter Kadenz ein wirklicher Benefit.

Tops

  • Schalten im Stand möglich
  • cleaner integrierter Look
  • feinere Abstufung der Gänge
  • qualitativ hochwertig

Flops

  • hoher Preis

Alle weiteren Infos findet ihr unter classified-cycling.cc


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Text: Mike Hunger Fotos: Mike Hunger