Nach dem ersten Vorabcheck des Canyon Strive CF wollten wir wissen: Wie kommt ein Normalsterblicher mit der von Fabien Barel race- und siegerprobten Geometrie zurecht? Außerdem waren wir nicht nur auf die Funktion des Shapeshifter-Konzepts gespannt, sondern auch auf seine Haltbarkeit im strengen walisischen Wetter. Unser Testfahrer und Elite-Racer Andrew Cooper hat versucht, das schnelle Gefährt an seine Grenzen zu bringen … Aber lest selbst!

After a proper thrashing, it's time to see how the Strive has performed
Nach einigen knackigen Testrunden ist es Zeit für ein erstes Fazit zum Canyon Strive CF.

Setup

Sicher, für einen Rennfahrer ist die Ausstattung des Strive CF 9.0 Race nahezu perfekt. Dennoch führte ich aufgrund persönlicher Vorlieben vor der ersten Ausfahrt ein paar kleine Änderungen durch. Da waren beispielsweise die Griffe: Scheinbar bin ich der Einzige, dessen Hände mit dem Profil der vielgepriesenen Ergons nicht gut zurechtkommen und so tauschte ich sie kurzerhand gegen ein Paar dünne Hope SL. In diesem Zuge stutzte ich auch den Renthal FatBar Carbon auf 750 mm, da ich mich in engen Kurven mit einem etwas schmaleren Lenker einfach wendiger fühle.

The Renthal bars have been trimmed down to 750mm
Der Renthal-Lenker wurde auf wendige 750 mm gekürzt.

Mit einem Gewicht von 76 kg und gesegnet mit einem aggressiven Fahrstil, empfand ich den RockShox Monarch Plus auf Anhieb perfekt, als er auf einen SAG von 25 % eingestellt war. Auffallend war jedoch die sehr starke Progression des Hinterbaus. Zwar spürt man keinerlei Losbrechmoment, was in erster Linie der Kompensation kleiner Schläge und Unebenheiten zugutekommt. Doch je mehr man vom Federweg nutzt, desto härter wird das Heck, um selbst gröbste Schläge bereitwillig zu schlucken. Die PIKE an der Front fahre ich gerne mit 17 % SAG und zwei der Bottomless Tokens. Für ein ausgewogenes Fahrverhalten stelle ich zudem die Lowspeed-Druckstufe auf 3 Klicks von zu nach offen ein.

Mit meiner Größe von 1,70 m bin ich genau an der Grenze zwischen den Rahmengrößen S und M. Ich entschied mich bewusst für den größeren Rahmen, da ich wissen wollte, wie sich ein derart langes Oberrohr im normalen Trailbetrieb anfühlen würde.
Anfangs hatte ich in Kurven ein etwas eigenartiges Gefühl – als würde ich nicht genügend Druck aufs Vorderrad bekommen. Das änderte sich aber schlagartig, als ich einen der verbauten Spacer entfernte, wodurch das Cockpit 0,5 cm weiter nach unten wanderte. Diese kleine Veränderung machte den entscheidenden Unterschied und ab da hatte ich mit fehlendem Grip am Vorderrad keinerlei Probleme mehr.

With the long top tube, attention to stem height is crucial
Durch das lange Oberrohr hat die Vorbauhöhe einen entscheidenden Einfluss auf das Fahrverhalten.

Anstieg

Alleine durch das geringe Gewicht von 12,7 kg sollte das Canyon Strive CF bergauf eine gute Figur machen, im Downhill-Modus bemerkte ich beim ersten Anstieg jedoch ein deutlich spürbares Wippen. Zudem befindet sich die Sitzposition zu weit hinter der Hinterradachse, was sich in erster Linie in der fehlenden Traktion am Vorderrad unangenehm bemerkbar macht. Das ändert sich umgehend, wenn man kurz den Shapeshifter-Hebel am Lenker bedient. Die Sitzposition wandert mittig über das Hinterrad, die Front erhält mehr Grip und das ganze Bike bleibt auch im steilen Gelände stets gut kontrollierbar. Da sich der SAG auf 15 % reduziert, wird der Hinterbau zusätzlich straffer und das Wippen wird damit deutlich reduziert. Der Shapeshifter verwandelt das Strive CF in Sekundenschnelle von einem Abfahrtsmonster in eine XC-Waffe. Dabei funktioniert das Konzept so gut, dass man meint, man hätte es mit zwei komplett unterschiedlichen Bikes zu tun. Canyon schafft es, sich mit diesem System deutlich von der Konkurrenz abzuheben und ich kann für mich behaupten, dass ich noch nie ein derart vielseitiges Bike gefahren bin.

The shape shifter really works when it comes to climbing
Im Anstieg spielt der Shapeshifter seine Trümpfe aus.

Abfahrt

Das neue Canyon Strive CF wurde als reinrassiges Racebike mit großen Ambitionen konzipiert – und schon jetzt kann man sagen, dass die hohen Erwartungen keinesfalls enttäuscht werden. Das lange Oberrohr war zwar anfänglich etwas gewöhnungsbedürftig, da man ständig von dem Gefühl geplagt wird, man müsse das Gewicht mehr nach vorne verlagern. Doch genau diese, von Canyon „Race“ getaufte Geometrie vermittelt dem Fahrer in nahezu allen Situationen ein schier unendliches Vertrauen. Dass trotz allem die Wendigkeit des Strive CF nicht in Mitleidenschaft gezogen wird, verdankt es seinen extrem kurzen Kettenstreben.

Ziel der Canyon-Ingenieure war es nicht, das Rad neu zu erfinden, sondern vielmehr die richtige Kinematik mit einer sinnvollen Progressionskurve zu generieren. Sie setzten daher auf eine vielfach bewährte Horst Link-Konstruktion mit geschickt gewählten Drehpunkten und erschufen so ein ausgewogenes, aber dennoch schluckfreudiges Fahrwerk. In Verbindung mit den perfekt harmonierenden Federelementen ergibt sich ein herrlich direktes und akkurates Fahrgefühl, das durch den steifen Carbonrahmen noch zusätzlich verstärkt wird. Das Canyon Strive CF macht einen schnell – wahrscheinlich sogar schneller, als man bisher unterwegs war. Aber es fühlt sich keinesfalls an wie ein reines Renngerät, sondern vermittelt stets ungetrübten Fahrspaß auf jeder Art von Strecke.

The Strive is happy hitting the jumps
Das Canyon Strive CF nimmt jeden Kicker dankend an.

Durch die erstklassige Funktion des Shapeshifters mussten die Designer wesentlich weniger Augenmerk auf eine stabile Plattform legen, da die Verstellung der Geometrie dies bereits mitbringt. Das kaum wahrnehmbare Restwippen, das allein der extremen Feinfühligkeit des Hinterbaus im XC-Modus geschuldet ist, nimmt man dabei gerne in Kauf. Im Downhill-Modus sorgt die Geometrieverstellung dann für eine starke Endprogression, die stets so viel Federweg freigibt, wie nötig ist, um auch gröbste Brocken wirkungsvoll zu schlucken. Ob souverän oder verspielt, ob flowig oder exzessiv, das Strive CF kann einfach alles.

The Strive is an agile and capable performer.
Auf dem Trail präsentiert sich das Strive CF wendig und potent.

Auf weniger steilen, künstlich angelegten Trails fuhr ich das Strive CF meist im XC-Modus. Der dadurch straffere Hinterbau gab mir ein direkteres Fahrgefühl und damit eine bessere Rückmeldung über die Beschaffenheit des Untergrunds. Zudem kommt der steilere Lenkwinkel der Wendigkeit in engen Kurven zugute. Insgesamt wirkt das Bike im XC-Modus zwar nicht so ausgeglichen und etwas gewöhnungsbedürftig. Es bleibt aber dennoch souverän, selbst wenn das Gelände etwas ruppiger wird.

Dass das Strive CF 9.0 den Namenszusatz „Race“ nicht zu Unrecht trägt, konnte ich vergangene Saison in der Senior-Wertung der hart umkämpften UKGE-Rennserie erfahren, wo ich mit ihm auf einem 3. Platz in der Gesamtwertung landete. Mit diesem Bike fühlte ich mich auf sämtlichen Strecken zu Hause, egal ob auf flachen Waldböden, engen und lehmigen Abschnitten oder flowigen Kunsttrails.

Cornering is sharp and accurate
In Kurven bleibt man mit dem Canyon stets auf Kurs.

Zuverlässigkeit

Die SRAM Guide RSC ist eine hervorragende Bremse. Anfangs war sie zwar etwas laut, aber nach einer kurzen Einfahrphase war das nervige Quietschen verschwunden und seither arbeitet sie absolut einwandfrei. Für ein perfektes Setup können sowohl Griffweite als auch Druckpunkt separat eingestellt werden.
Der SRAM Rail 50-Laufradsatz an sich ist für den Einsatzzweck des Bikes leicht und steif genug, auch wenn die Felgen für meinen Begriff etwas zu weich und daher anfällig für Verformungen sind. Vielfach Bewährtes gibt es mit SRAMs X01 auch beim Antrieb, allerdings hätte mir die Verwendung durchgehender Zughüllen deutlich besser gefallen als die offene Verlegung im Rahmen-Inneren. Hier gab es immer mal wieder Anlass zum Erneuern der Schaltzüge, da mit der Zeit Schmutz eindringt, was die Schaltperformance negativ beeinflusst.

Non-continuous cables mean that corrosion is an issue
Bei nicht durchgängig verlegten Zügen muss man stets mit Korrosion rechnen.

Dank ihrer hohen Qualität laufen die verbauten Enduro-Lager nach wie vor sauber und ohne jegliches Spiel, auch wenn sie an manchen Stellen etwas unterdimensioniert wirken. Der Rahmen sieht nach wie vor tadellos aus, von ein paar Schleifspuren von den Schuhen und einigen kleineren, sturzbedingten Lackschäden einmal abgesehen. Der Verzicht auf eine Farblackierung und die saubere unidirektionale Verarbeitung der Carbonfasern machen den Rahmen für Verschleißerscheinungen erfreulich unanfällig.

Das Herzstück des Bikes ist der Shapeshifter. Er stellt eine echte Innovation dar und macht das Canyon Strive CF zu einem der besten Allrounder, die es derzeit für Geld zu kaufen gibt. Leider war seine Funktion in unserem Fall noch etwas fehlerbehaftet: Das kleine Bauteil, das sich hinter dieser Technologie verbirgt, arbeitet mit wenig Volumen, dafür aber mit einem sehr hohen Druck von bis zu 18 bar. Um diesen Druck zu erreichen, wird mit dem Bike ein Adapter für die Dämpferpumpe geliefert, damit beim Entfernen des Schlauchs nicht der Großteil des Drucks wieder entweicht. Deshalb hatte ich gleich zwei Ausfälle des Systems zu beklagen. In beiden Fällen war es nicht mehr möglich, vollständig in den XC-Modus zu wechseln.
Bei Canyon war man jedes Mal sehr bemüht, das Problem schnell zu lösen. Während beim ersten Fall das Bike noch nach Koblenz geschickt werden musste, um das Teil zu wechseln, schickte man mir beim zweiten Ausfall ein Ersatzteil, das ich selbst verbauen konnte. Hierfür war zwar kein Spezialwerkzeug vonnöten, aber dennoch war die Prozedur nicht ganz banal und vor allem zeitaufwendig.

The Strive is the perfect race day weapon
An Renntagen ist das Strive CF das Mittel der Wahl.

Eventuelle Änderungen

Da man wegen des langen Oberrohrs häufig am Sattel hängenbleibt beim Versuch, das Gewicht über das Hinterrad zu verlagern, wäre eine Sattelstütze mit 150 mm Verstellweg sicher nicht schlecht.
Ebenso würde ich zu gerne eine FOX FLOAT 36 mit 170 mm und einen FLOAT X mit EVOL-Luftkammer testen. Die 170er-Gabel würde den Lenkwinkel um weitere 0,5° abflachen und dem Bike so zu mehr Laufruhe verhelfen. Zudem würde ich mir von der Gabel ein besseres Dämpfungsverhalten erwarten. Glücklicherweise bietet Canyon das Strive CF als Topvariante in eben dieser Ausstattung an, was meine Kaufentscheidung, wenn ich denn eine hätte, durchaus beeinflussen würde.

We will keep on thrashing the Strive through a Welsh winter
Das Strive wird sich nun im strengen walisischen Winter beweisen müssen.

Erstes Fazit zum Strive CF 9.0 Race

Mit dem Strive CF hat Canyon das derzeit wohl vielseitigste Bike auf den Markt gebracht – und obwohl der Shapeshifter sich noch kleinere Schwächen leistet, liegen die Vorteile des Konzepts deutlich auf der Hand. Zum positiven Gesamteindruck tragen zudem die hochwertige Verarbeitungsqualität sowie die aggressive Optik und das exzellente Fahrverhalten bei. Mit dem Strive CF 9.0 Race erhält man ein echtes Allround-Bike, auch wenn es seine Race-Gene nie ganz verleugnen kann. Aber das muss ja nicht unbedingt schlecht sein …

Hier könnt ihr Coops Dautestfazit zum Canyon Strive CF 9.0 Race lesen.

Text: Andrew Cooper Fotos: Isac Paddock


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