Die Marke Deviate macht ihrem Namen alle Ehre – ihr erstes Bike namens Guide weicht mit Sicherheit vom generellen Kurs ab. Mit einer Pinion-Getriebeschaltung, dem High-Pivot-Hinterbau und einem komplexen Cane-Creek-Fahrwerk ist es kein Enduro von der Stange. Sieht so der Heilige Gral von Individualisten aus?

Deviate Guide | 160/160 mm (v/h) | 15,16 kg | 5.699 €

Die größte Besonderheit des Deviate Guide sticht sofort ins Auge: sein High-Pivot-Hinterbau. Dieses Konzept ist nicht grundlegend neu, erlebt aber gerade eine kleine Renaissance und sorgt vor allem im Downhill für Furore. Hierbei wird der Hauptdrehpunkt des Hinterbaus sehr weit nach oben verlagert, wodurch eine rückläufige Radhebungskurve erzeugt wird. Das heißt, das Hinterrad weicht im ersten Teil des Federwegs nach hinten aus und soll somit den Hinterbau feinfühliger arbeiten lassen. Um Kettenlängung und Pedalrückschlag zu vermeiden, wird die Kette über eine Umlenkrolle entlang der oberen Strebe geführt. Doch damit noch nicht genug – maximale Einzigartigkeit erlangt das Deviate Guide mit der zusätzlichen Integration einer Pinion-Getriebeschaltung. Sie sitzt zentral und tief im Rahmen und spart dank der fehlenden Kassette und des Schaltwerks Gewicht und somit ungefederte Masse am Hinterrad. Auch abgerissene Schaltwerke oder verbogene Schaltaugen gehören bei diesem Bike der Vergangenheit an.

Das Deviate Guide im Detail

Das Deviate Guide ist aktuell in drei Ausstattungsvarianten zu haben, die sich jedoch nur bei der Reifen-, Laufrad und Fahrwerksauswahl unterscheiden. Unser Bike kam direkt von der EUROBIKE und ist ein Mix aus zwei Varianten sowie Teilen, die so nicht verbaut werden. Allen drei Modellen ist jedoch eins gemeinsam: die Pinion C1.12-Schaltung. Sie ist aus der neuen C-Linie mit leichtem Magnesium-Body und verfügt über 12 gleichmäßig abgestufte Gänge und eine Bandbreite von mächtigen 600 %. Die Bedienung am Lenker erfolgt über den neuen, griffigeren DS2-Drehgriff. Er wurde zusammen mit Ergon entwickelt und ist dank der seitlichen Leitungsabgänge nun deutlich besser integrierbar.

Federgabel Cane Creek Helm Air160 mm
Dämpfer Cane Creek DB Air CS 160 mm
Bremsen Shimano XT 180/180
Schaltung Pinion C1.12
Sattelstütze 9point8 Fall Line 150 mm
Lenker Renthal Fatbar Carbon 35 800 mm
Vorbau Renthal Apex 35 33 mm
Laufradsatz Stans ZTR Arch MK3
Reifen MAXXIS Highroller II 2,4″
Gewicht 15,16 kg
Preis ab £ 5.699

Am Limit
Das Sitzrohr ist wie der Rest des Rahmens super schick – nur leider etwas lang geraten. Da es das Guide nur in Gr. M oder L gibt, geht hier unter 1,70 m Körpergröße nichts.
Grip-Shift
Mit dem neuen DS2-Drehgriff lassen sich die 12 Gänge der Pinion C1.12 sogar im Stand schalten – nur leider nicht unter Last.
Das Zentrum der Macht
Der Hinterbau arbeitet dank hohem Drehpunkt hervorragend feinfühlig. Die Geräuschkulisse aufgrund der notwendigen Kettenumlenkung ist jedoch nicht zu ignorieren.
Nicht auf Augenhöhe
Die Cane Creek Helm-Gabel kann leider nicht mit der hervorragenden Performance des Hinterbaus mithalten und bietet in steilen, ruppigen Passagen etwas zu wenig Support im mittleren Federwegsbereich.
Optimale Gewichtsverteilung
Tief und zentral im Rahmen sitzt die neue Pinion C1.12 mit leichtem Magnesiumgehäuse. Das bringt Stabilität und spart ungefederte Masse am Hinterrad.

Das Fahrwerk unseres Testbikes kommt aus dem Hause Cane Creek und verwaltet sowohl vorn als auch hinten 160 mm Federweg. Auch der Rest der Ausstattung verfügt über Rang und Namen – Stan’s ZTR Arch MK3-Laufräder bringen die Kraft über MAXXIS HighRoller II-Reifen auf den Boden, verzögert wird mit Shimanos XT-Bremsen und der Kontakt zum Bike erfolgt über ein Renthal-Cockpit sowie einen Fabric Scoop Radius Pro-Sattel, dessen Carbonstreben in einer 9point8 Fall Line-Sattelstütze stecken. Das gesamte Paket kommt auf 15,16 kg und ist ab £ 5.699 zu erwerben – angesichts der Pinion-Schaltung und respektablen Ausstattung beides keine schlechten Werte. Doch nun endlich ab auf den Trail!

Die Geometrie des Deviate Guide

Größe M L
Sattelrohr 467 mm 495 mm
Oberrohr 611 mm 639 mm
Steuerrohr 115 mm 127 mm
Lenkwinkel 65,8° 65,8°
Sitzwinkel 75° 75°
Kettenstrebe 440 mm 440 mm
BB Drop 9 mm 9 mm
Radstand 1203 mm 1233 mm
Reach 450 mm 475 mm
Stack 602 mm 613 mm

Das Deviate Guide auf dem Trail

Unsere erste Erkenntnis erhielten wir bereits beim Setup: Das Deviate Guide ist definitiv kein Bike für Anfänger. Hier ist vom Einbau der Laufräder bis zum Dämpfer- und Gabel-Setup so ziemlich alles komplex und erfordert mehr Zeit, Erfahrung und Übung als sonst. Nach dem Setup ging’s endlich los. Der Sitzwinkel ist angenehm steil, der Reach mit 450 mm für einen Rahmen in Größe M perfekt und trotz recht tiefer Front sitzt man hervorragend integriert (wir haben aber recht bald einen Lenker mit mehr Rise montiert). Lediglich das Sitzrohr könnte etwas kürzer ausfallen … zumal das Guide nur in den Größen M und L erhältlich ist.

Der Climb Switch des Cane Creek DB Air CS-Dämpfers funktioniert hervorragend, er stellt das ohnehin recht antriebsneutrale Bike hinten komplett ruhig, liefert aber dennoch ausreichende Komfort- und Traktionsreserven. Die gleichmäßige Gangabstufung der Pinion ist hervorragend, die Gänge lassen sich im Stand schalten und sind extrem schnell eingelegt. Doch leider offenbaren sich hier auch die negativen Seiten des Getriebes. Während man sich an den Schaltgriff selbst recht schnell gewöhnt, ist Schalten unter Last nicht möglich. Die große Bandbreite von 600 % ist leider auch vollends nötig, da der Kraftverlust – unterstützt durch die Umlenk- und die Spannrolle des High-Pivot-Systems – deutlich spürbar ist. Auch die Geräuschkulisse ist aufgrund dieser beiden Rollen nicht zu unterschätzen und bei 20 km/h ungefähr vergleichbar mit einem satten Freilaufgeräusch. Ein Riemenantrieb würde hier wahrscheinlich viel helfen. Die rückwärtige Radhebungskurve ist im Uphill am Anfang sehr ungewohnt und zehrt zusätzlich an den Kräften, da man das Hinterrad immer zur falschen Zeit entlastet. Zusätzlich liegen die Einrastpunkte vom Pinion-internen Freilauf sehr weit auseinander und sind beim Anfahren bzw. in technischen Uphill-Passagen sehr störend. Auch wenn man einige Faktoren durch Lernen negieren kann, bleiben der spürbare Widerstand des gesamten Antriebs, die geringen Einrastpunkte sowie die Geräuschkulisse in der Ebene und wir waren jedes Mal ziemlich froh, endlich am Traileinstieg angekommen zu sein. Dafür gibt es aber auch noch einen anderen Grund.

  Bergab offenbart sich die wahre Stärke des Deviate Guide.

Helm Troy Lee A2 | Brille 100% Speedcraft | Shirt Fox Captive Tech Tee | Shorts Fox Attack Short | Schuhe Five Ten Kestrel

Denn bergab offenbart sich die wahre Stärke des Deviate Guide. Der High-Pivot-Hinterbau arbeitet vorzüglich: Kleinste Unebenheiten werden sanft glattgebügelt und auch grobes Steingeballer oder fiese Landungen bringen ihn absolut nicht aus der Ruhe. Dank seines cleveren Designs kann der Hinterbau selbst beim Bremsen komplett aktiv arbeiten, was das Hinterrad gefühlt zu 100 % am Boden kleben lässt. Dennoch verfügt er stets über genügend Pop, damit man an jeder beliebigen Stelle abziehen kann. Kein Wunder, dass der Downhill-Zirkus darauf abfährt! Vorn kann die Cane Creek Helm-Gabel leider nicht mit der Performance mithalten und bietet in steilen, ruppigen Passagen etwas zu wenig Support im mittleren Federwegsbereich. Auch wenn sie insgesamt eine solide Gabel ist, hätten wir uns hier eine RockShox Lyrik oder eine FOX 36 GRIP2 mit 170 mm Federweg gewünscht. Deren noch bessere Performance wäre mit dem hervorragenden Hinterbau on par und würde zusätzlich die niedrige Front und den nicht allzu flachen Lenkwinkel verbessern. Momentan fühlt sich das Bike eher an wie ein Downhiller mit Trailbike-Front.

Der Rest der Ausstattung verhielt sich einwandfrei unauffällig, lediglich die Bremsen hätten für lange, alpine Abfahrten über 200er-Scheiben vorn und hinten verfügen können. Dank der Pinion ist der Schwerpunkt tief und zentral, was Laufruhe und Stabilität bringt – genau die beiden Stärken des Bikes, denn übermäßig agil oder spritzig ist es nicht. Das Guide ist dafür vom Handling sehr ausgewogen und kommt mit einer Vielzahl unterschiedlicher Fahrer und Trails zurecht, fühlt sich jedoch auf schnellen, groben Strecken am wohlsten.

Fazit

Das Deviate Guide ist definitiv ein Bike für Individualisten und kein schlechtes – der Heilige Gral ist es jedoch leider nicht. Die Verarbeitung des schicken Rahmens ist tadellos, der Spec ohne größere Defizite und die Hinterbau-Performance wirklich hervorragend. Leider lässt sich die Geräuschentwicklung durch die notwendige Kettenumlenkung nicht ignorieren. Die verbaute Pinion C1.12 ist eine hervorragende Schaltung fürs Touren-, Reise- oder Trekkingbike, an einem sportlichen Enduro- oder Trailbike allerdings nicht ideal. Wirkungsgrad, Einrastpunkte und Schaltverhalten sind einer modernen Kettenschaltung unterlegen.

Stärken

+ hervorragender Hinterbau
+ einzigartiges Konzept
+ schicke Integration

Schwächen

– Geräuschkulisse
– Wirkungsgrad des Antriebs
– Einrastpunkte des Pinion-Freilaufs


Mehr Infos findet ihr unter: deviatecycles.com

Dieser Artikel ist aus ENDURO Ausgabe #034

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Text: Fotos: Christoph Bayer