DI.A 2015 Breakout Sessions | A Man’s World – Frauen, wo seid ihr?
War ja klar: die erste Breakout Session von einer Autorin behandelt ein frauenspezifisches Thema – als ob Frauenthemen die einzige Domäne wäre, in der Frauen im Mountainbike-Sport mitreden können. Die Frage, wie mehr Frauen an den Sport herangeführt werden können, beantwortet sich damit fast schon von selbst. Aber fangen wir von vorne an:
Wenn es um Frauen und Enduro geht, herrscht Einigkeit in der Szene: es gibt viel zu wenige. Jeder kennt die Floskel von Sportlerinnen, Medien-Vertretern und Herstellern: „Wir wollen mehr Frauen für den Sport begeistern“. Warum eigentlich? Mädels, Hand aufs Herz, wir Exoten leben in einem Schlaraffenland: wir fallen auf wie bunte Hunde, wo wir auch hinkommen, sind uns Hilfsbereitschaft und Sonderbehandlung gewiss. Kein Platten, den wir selbst flicken müssten, kein Gabelservice, für den uns jemand den vollen Preis abknöpfen würde. Im Rennsport schaffen wir es dank kleiner Konkurrenz in kürzester Zeit an die Spitze der Gesamtwertung, nicht selten gibt es – zumindest bei kleineren Rennen – ohnehin nicht mehr Teilnehmerinnen als Podiumsplätze. Last but not least sind wir rund um die Uhr umgeben von sportlichen und leicht zu beeindruckenden Männern, die ihr Herz schon verschenken wenn Frau nur ihre Schaltung selbst einstellen kann. Warum also sollten wir daran etwas ändern wollen?
Die Antwort ist einfach: es gibt Kehrseiten. Zu einer Minderheit im eigenen Sport zu gehören kann in anderen Situationen frustrieren. Auf dem Podium erhältst du als Sachpreis nicht Werkzeug sondern Porzellan? Ein Fremder verstellt ungefragt den Rebound deiner Gabel, in dem Glauben dir einen Gefallen zu tun? Du schlägst ein Magazin auf, und siehst dein eigenes Geschlecht ausschließlich leichtbekleidet in Werbeanzeigen? Du gehörst zu den zehn schnellsten deiner Disziplin weltweit und findest trotzdem keinen Sponsor? Du traust dich nicht auf eine Shuttle-Tour, weil du Angst hast, belächelt zu werden? Jede Bikerin kennt solche oder ähnliche Situationen. Schuld daran ist nicht eine chauvinistische Männerwelt, sondern einfach die Tatsache, dass es immer noch viel weniger Frauen als Männer auf Bikes gibt. Auch wenn der Frauenanteil stetig wächst, Männer prägen das Bild unseres Sports. Ein solcher Einheitsbrei ist nicht nur langweilig, sondern auch Nährboden für Vorurteile. Deshalb brauchen wir mehr Frauen. Aber wie können wir mehr von ihnen für das Mountainbiken begeistern?
Die Hersteller haben sich dieser Frage bereits angenommen, verständlich, es geht um viel Geld. Frauen sind eine schlummernde Zielgruppe, ein Schatz, der nur gehoben werden muss. Während die Gruppe der bereits bikenden Männer bereits groß ist und deshalb mit ständig neuen technischen Innovationen unterhalten werden muss, besitzen ein Großteil der Frauen da draußen noch nicht einmal ein Bike. “Zielgruppenerweiterung” lautet das Stichwort, das findige Marketing-Experten beflügelt.
Ein Weg, um mehr Frauen für den Sport zu begeistern, führt für viele Hersteller über frauenspezifische Produkte. So, wie es Klamottenlinien für Frauen und Männer gibt, werden auch Bikes und Accessoires auf Geschmack und Anforderungen von Frauen hin entwickelt und vermarktet. Gerade im Bereich der Bikewear ist dies ein überfälliger Schritt, denn die wenigsten Frauen haben Interesse daran, ihren Sport als Männer verkleidet auszuüben.
Aber wie sieht es mit Lady Bikes aus? Ist ein Fahrrad nicht viel mehr ein Funktionsgegenstand als ein Style-Objekt? Unterscheidet sich die Ergonomie einer Frau derart von der eines zierlichen Mannes, sodass diese ein Ladybike benötigt? Natürlich nicht. Ein frauenspezifisches Bike macht soviel Sinn wie eine frauenspezifische Schubkarre. Und dennoch haben sie ihre Berechtigung, wenn es darum geht, mehr Frauen an den Sport heranzuführen. Hinter ladyspezifischen Produktlinien verbergen sich zwar keine bahnbrechenden technischen Innovationen, aber es wird signalisiert: wir interessieren uns für euch! Hier geht es nicht nur um dicke Eier und nerdigen Tech-Talk, hier gibt es Dinge, die dem Großteil der Frauen auch gefallen. Für viele Frauen sinkt so die Hemmschwelle für einen Erstkontakt mit einer auf den ersten Blick ausschließlich von Männern dominierten Parallelwelt. Und davon profitieren nicht nur die Hersteller, sondern auch wir Bikerinnen – denn je mehr es von uns gibt, umso ernster werden wir genommen.
Aber Produkte sind nur ein Schritt auf dem Weg. Was bei den speziellen Produktlinien aus dem Blick zu geraten droht, ist die Tatsache, dass die meisten Frauen eben nicht zu einer Vorliebe für Technik und Innovationen erzogen worden sind. Sie finden zum Bikesport daher nicht über diesen Weg, sondern weil sie Abwechslung, Abenteuer, Zugehörigkeit, Action und Erfüllung im Naturerlebnis suchen – auf welchem Bike ist für viele dabei zunächst zweitrangig. Aus diesem Grund boomen Camps und Fahrtechnikkurse für Frauen: hier zieht nicht der Erwerb eines Produktes an, sondern das Erleben einer guten Zeit unter Gleichgesinnten. Ihr Erfolgsgeheimnis ist das Versprechen, diesen tollen Sport ausleben zu können, ohne die Gefahr mal wieder die einzige seiner Gattung zu sein.
In diesem Versprechen liegt daher auch der Schlüssel, mehr Frauen für das Mountainbiken zu gewinnen: „Ihr seid nicht alleine!“ – das muss noch viel deutlicher werden. Es gibt da draußen unzählige faszinierende wie inspirierende Frauen, die den Sport leben und vorantreiben, unfassbare Spitzenleistungen erzielen, bedingungslos ihre Leidenschaft für das Biken ausleben, die Industrie lenken oder einfach nur Spaß an der gleichen Feierabend-Runde haben wie wir.
Diese Frauen müssen noch viel sichtbarer auftreten und werden. Das ist ein Appell an alle Bikerinnen, selbstbewusst für die eigene Passion einzustehen, sich nicht zu verstecken sondern zu zeigen was man kann – seid Vorbilder! Das ist aber auch der Apell an Medien, Hersteller und Leistungssport, Frauen nicht als „Zusatz“ darzustellen, als Anhängsel, den man gerade noch so mitspielen lässt. Männer sind der Normal-; Frauen der Sonderfall? Frauen in Ladybike-Werbung ja, in der normalen aber nicht? Diese Engstirnigkeit bekommt bereits Risse. Wenn auf den ersten Blick in ein Magazin oder ein Rennteam deutlich wird, dass Frauen wie Männer biken weil sie Mountainbiken lieben – dann werden auch immer mehr Frauen unseren Sport entdecken und uns mit ihren Talenten und neuem Wind bereichern.
Wir haben Insider nach ihrer Meinung zu dem Thema befragt:
Anna Weiß, Chefredaktuerin “Kurvenreich”, World of MTB Magazin:
“Obwohl outdoor-begeisterte Frauen dieselbe Motivation (Naturerlebnis, Fitness, Ausgleich zum Alltag…) angeben wie Männer und diese Bedürfnisse durch den Mountainbike-Sport ideal befriedigen könnten, bleiben gerade diese Benefits im Tech- und Szenetalk auf der Strecke. Es muss also ganz klar ersichtlich gemacht werden, warum sich die relativ hohe Anfangs-Investition lohnt. Der Frauenanteil wird aber ohnehin wachsen, weil schon jetzt viel mehr Sportlerinnen da draussen und auch in den Medien präsent sind und dadurch weitere Frauen mit dem Sport in Berührung kommen.”
Elena Forchielli, Beti Allride, Mountain Bike Skills Clinic:
“Mehrwert und Beliebtheit von frauenspezifischen Kursen sind offensichtlich. Es gibt kaum mehr eine Schule oder einen Verein, der nicht frauenspezifische Angebote bereit hält. Darin spiegelt sich eine wachsenden Nachfrage wieder. Das Spannendste daran: die weibliche Community unter Bikern hat eine kritische Masse erreicht und fängt an, zu fordern! Das wird vor allem in den eng gestrickten Kreisen deutlich, die Frauen beim Biken bilden. Für Frauen ist Biken community; eine Beschäftigung, die Menschen zusammen bringt. Und jede Frau, die das Biken neu entdeckt, wird 5 ihrer Freundinnen mitbringen.”
Text: Hannah Röther Fotos: Daniel Dunn, Christoph Bayer, LIV PR, Tom Bause, Devon Balet, Nathan Hughes
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