Ein Blick auf Konzepte, die sich über die Kluft zwischen Mountainbikes und Rennrädern hinwegsetzen.
Jahr für Jahr wird die Kluft zwischen Mountainbikes und Rennrädern schmaler. Durch die scheinbar endlose Zahl an Konzepten, die irgendwo zwischen beiden Kategorien liegen, füllt sich dieser eigentlich trennende Abstand mehr und mehr mit spannenden und teils auch revolutionären Bikes. Gravel, Endurance und Cross Adventure sind die besten Beispiele für Rennräder, die um die Vielseitigkeit eines Mountainbikes erweitert wurden und zu den besten Konzepten ihrer Nische machen. Das OPEN U.P., das beim Design & Innovation Award Gold holte, verbindet die Vorteile beider Welten und erschafft daraus etwas Neues, das mehr ist als die pure Summe seiner Teile: eine Offenbarung, die neue Wege erschließt. Außerdem konnten wir feststellen, dass inzwischen ein reger Ideenaustausch über viele verschiedene Kanäle stattfindet.

Die Geschichte des Rennrades ist lang und glorreich und der Majestät der Grand Tours kann man sich kaum entziehen, wenn es um die Geschichte des Fahrradfahrens geht. Die härtesten Rennen der Welt wurden von harten Kerlen bestritten, die sich wochenlang Urlaub von ihrem normalen Job nehmen mussten, um mit ihren Fixies die Berge zu überqueren. Seit dieser Zeit hat sich die „schmale“ Fraktion der Bike-Industrie gerade in den Bereichen Design und Innovation stark verändert und Bikes hervor gebracht, die unvergleichbar schneller, leichter und bequemer sind. Seit der langen Zeit, in der es Rennräder gibt, hat vor allem eine erst unlängst aufgekommene Erfindung für einen großen Sprung nach vorne gesorgt: Carbon. Der amerikanische Hersteller Kestrel brachte 1986 den ersten Carbonrahmen raus, es dauerte allerdings zwei weitere Jahrzehnte, bis der teure Werksstoff auch bei den Mountainbikes angekommen war. Die Notwendigkeit, eine höhere Stabilität bei geringerem Gewicht zu erreichen, sorgte dafür, dass die Mountainbike-Industrie sich von Rennrädern inspirieren ließ.

Aber so langsam dreht sich der Wind. Das Aufkommen internationaler Mountainbike-Rennen hat für einen starken Drive dieser Industrie gesorgt – auch wenn es, verglichen mit der Rennrad-Szene, immer noch gemäßigt zugeht. Die Strecken sind inzwischen wahre Herausforderungen und sorgen für ein schnelles Aussieben von Konzepten, die mit den Entwicklungen in unserem Sport nicht Schritt halten können. Dies führt wiederum zu einem Rückfluss aus der dreckigen Welt des Mountainbikens in die sonst eher aufgeräumte Welt der Rennräder.
Mountainbiker schwelgen zum Beispiel gerne in Erinnerungen an die Zeit, als es noch Felgenbremsen gab. Bei Rennrädern ist diese „gute Zeit“ alles andere als vergangen und die Einführung von Scheibenbremsen wird eher misstrauisch beäugt. Scheibenbremsen bieten eine erwiesenermaßen stärkere und gleichmäßigere Bremsleistung als Felgenbremsen, trotzdem hält die Diskussion an, ob sie im Rennradbereich wirklich sinnvoll sind. Ist es eine gute Sache, in einem vollgestopften Fahrerfeld auf Knopfdruck halten zu können? Ist es sicher? Die UCI hat sich ebenfalls keine große Mühe gegeben, diese Änderung anzunehmen. Sie äußerte Bedenken hinsichtlich der Sturzsicherheit, möglicher Radwechsel, der Wartungsneutralität und eventueller Überhitzung. Trotzdem kam es 2015 zu einer Aufhebung der Sperre für Scheibenbremsen im Straßenrennsport. Dieses Jahr wird es darum gehen, die Akzeptanz für dieser Technik zu verbessern.

Geht es um die Laufradgröße, hat sich die Mountainbike-Szene im Laufe der letzten Dekade mit einer Vielzahl von Standards fast selbst in den Wahnsinn getrieben. An 29ern schieden sich die Geister, 27,5 war anfangs für jeden ein rotes Tuch und für die Plus-Size Räder hatte eigentlich keiner mehr die Nerven. Aber Veränderung bringt neue Chancen. Und auch bei den Rennrädern wachsen die Reifen. Vor nicht allzu langer Zeit waren 18-20 mm die Norm, inzwischen fahren selbst die Jungs der Tour de France mit 25 mm Pneus und ziehen auf holprigen Strecken auch mal 30 mm auf. Akribische Tests haben gezeigt, dass der Rollwiederstand bei gleichem Druck abnimmt, je breiter die Reifen sind. Es können niedrigere Drücke gefahren werden, sodass die Reifen mehr Unebenheiten der Straße schlucken können, anstatt sie an den Fahrer weiter zu geben. Hier geht es zwar eher um das Konzept, trotzdem hatten Mountainbiker zuerst dickere Reifen!

Und was ist mit Komfort? Natürlich soll Rennradfahren nicht komfortabel sein, es geht schließlich um Schmerz, Leiden und darum, alles für den Gewinn von Millisekunden zu opfern! Oder? Auch wenn wir kaum Luftdämpfer mit Zug- und Druckstufeneinstellungen an Bikes der großen Touren sehen werden, scheint sich diese Einstellung gewandelt zu haben. Der IsoSpeed Entkuppler beim neuen Trek Madone hebt den Komfort bei Rennrädern auf ein ganz neues Level, indem er physische und psychische Ermüdung verringert, ohne dafür Vortrieb zu opfern. Mountainbiker, die Hardtails und Fullys fahren, wissen, dass ein Plus an Komfort auch mit einem Plus an Geschwindigkeit einhergeht. Die Straße ist kein seidenes Band, sondern eine lebende, atmende Materie voller Makel und Eigenheiten; die kompromisslose Steifigkeit von Rennrädern ist einer Nachgiebigkeit gewichen, weil wir gelernt haben, dass Komfort und Geschwindigkeit miteinander verbunden sind.

Noch ein Produkt, das Mountainbiken revolutioniert hat und nun den Übergang findet, ist die absenkbare Sattelstütze. Zwar nicht für Rennräder, sicher aber bei Gravel-Bikes. Cody Kaiser, US-amerikanischer Cyclocross-Star und Mitglied der Design & Innovation Award Experten Jury ist davon begeistert und meint: „für Entdeckungstouren ein absolutes Muss. Ich meine, man knallt einen Schotterweg runter und alles ist rutschig und wild, warum sollte man da nicht den Sattel runter machen? Genau wie beim Mountainbike ist hier ein tieferer Schwerpunkt von Vorteil, um aggressiver fahren zu können.“ Die absenkbaren Sattelstützen bei den Gravel-Bikes haben einen geringeren Hub, die XCP von Specialized beispielsweise hat 35 mm. Aber es reicht, um bei kniffligen Abfahrten etwas tiefer zu kommen, ohne die notwendige Höhe zum effizienten Treten zu opfern. Das zusätzliche Gewicht, dass die Stützen mitbringen, wird sie aus den wettbewerbsorientierten Disziplinen fern halten, aber vielleicht führt die Möglichkeit, den Sattel bei alpinen Abfahrten etwas niedriger zu fahren, zu spannenden neuen Events. Die enthusiastischsten Nutzer der neuen Stützen werden vermutlich die Anhänger des neuesten Trends der Enduro/Gravel Road Crossover wie dem SuperEnduro B-Road oder der Grinduro sein. Rennrad- und Mountainbikefahrer kommen vor einer beeindruckenden Kulisse mit dem einfachen Wunsch zusammen, Fahrrad zu fahren.

Wo es einst nur einen einseitigen Einfluss von Innovationen gab, existiert nun ein Austausch in beide Richtungen. Die Mountainbikes haben sich weiterentwickelt, neu definiert und können ihren Brüdern auf dem Asphalt etwas zurück geben. Wenn es um pure Geschwindigkeit und ein geringes Gewicht geht, hat die finanzstarke Welt der Rennräder die Nase vorn. Aber mit Rädern wie dem OPEN U.P., die beide Welten verbinden, sind wir uns näher als jemals zuvor.
Weitere Infos zum Design & Innovation Award 2016 findet ihr auf der Website.
Words: Catherine Smith Photos: Christoph Bayer / Diverse
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