Ein Wochenende mit dem Cannondale Overmountain-Team
Wer über das Gelände der Enduro World Series läuft, merkt schnell, dass der Sport weit gekommen ist seit seinen Anfängen. Die waren ja noch eher geprägt vom Flair verrosteter Wohnwagen und fadenscheiniger Zelte. Mittlerweile hat sich das Bild aber gehörig geändert: Überall flattern bunte Fahnen im Wind und der Blick in den Himmel ist zugebaut von riesigem, aufblasbaren Merchandise. Wo früher abgerockte Vans standen, strahlen nun auf Hochglanz polierte Sattelschlepper, die zum Bersten mit Ersatzteilen und den neuesten Parts gefüllt sind. Die Zeit der Lagerfeuer und Liegestühle ist vorbei und die Ära der Whirlpools und durchgestylten Teamoutfits voller Logos ist angebrochen. Enduro ist erwachsen geworden – und professionell. Aber ist der Sport durch die Dominanz der großen Teams zu ernst und business-mäßig geworden? Ist der Spirit der Anfangstage verloren gegangen? Fahren die Bike-Legenden noch immer aus denselben Gründen wie zu Beginn oder dreht sich jetzt alles um Karriere, Geld und Ruhm? Ich sollte es herausfinden!
Wie so viele andere habe ich mich schon immer gefragt, wie sich ein Leben als Pro Rider wohl anfühlen würde – frei von den Ablenkungen und Verstrickungen des Alltags und des Drucks, auch noch irgendwie für meinen Lebensunterhalt aufkommen zu müssen. Wie wäre es, sich einfach nur darauf zu konzentrieren, der beste Biker zu sein, der ich sein könnte? Und wie wäre es wohl, auf einem Rennen anzukommen, ohne mir darüber Sorgen zu machen, ob die Reifen noch durchhalten, warum mein Dämpfer eigentlich nicht richtig funktioniert und wo ich um Himmels willen jetzt noch etwas zu essen auftreiben kann? Dieses eine Wochenende musste ich mir um nichts von alldem Gedanken machen. Denn ich war dabei, in die Fußstapfen des amtierenden EWS-Champions Jerome Clementz zu treten und herauszufinden, wie es sich anfühlt, wenn das gesamte Cannondale Overmountain Factory Team hinter einem steht. Ich sollte nicht nur als Teil des Teams antreten – ich würde dabei sogar noch auf Jeromes eigenem Bike sitzen. Und das auch noch bei der Enduro World Series in La Thulie !
Wie alles begann
Wie ihr vermutlich wisst, hat sich Jerome Clementz die Schulter ausgerenkt, als er in Frankreich während eines Endurorennens auf Sicht gestürzt ist. Nur weil er mit dem Pedal an einem Stein hängengeblieben ist, muss er nun den Großteil der Saison aussetzen. Unfälle sind ein unvermeidbarer Teil des Sports, besonders wenn man wie Jerome Rennen auf höchstem Niveau fährt. Manchmal kann man nach einem Sturz einfach wieder aufstehen, den Dreck abklopfen und wieder aufs Bike. Manchmal zwingt einen der Körper aber auch, wie in Jeromes Fall, dem Sattel ein wenig länger fernzubleiben. Während sich der amtierende Champion also von seiner Verletzung erholt, muss sein Racebike in der Ecke stehen bleiben.
Glücklicherweise hatte Cannondales Team-Manager Daniel Hespeler eine Idee, die im Motocross bereits erprobt wurde: Was würde passieren, wenn man einen ganz normalen Freizeitbiker mit der passenden Ausrüstung versorgt und auf Jeromes 27.5 Cannondale Jekyll setzt? Der Glückspilz bekäme Ratschläge, Hilfestellungen und Tipps von Jerome selbst und würde die selbe Unterstützung von Cannondale und den Mechanikern bekommen wie der Rest des Teams. Für dieses Experiment suchte Cannondale Overmountain also einen Freiwilligen, der an einem der anspruchsvollsten Rennen der Saison teilnehmen würde, der vierten Runde der EWS in La Thuile. Und dieser Freiwillige, dieses Sonntagskind auf Jeromes perfekt ausgewogenen und abgestimmten Bike, sollte ausgerechnet ich sein … Das würde spannend werden – so viel zumindest war sicher.
Natürlich machte ich mir so meine Gedanken, als das Event näher rückte. Vielleicht würde ja ein Wunder eintreten und mein komplettes Fahrkönnen transformieren? Vielleicht würde ich einfach eines Morgens aufwachen und wie von Zauberhand Jared plattmachen, krasser drauf sein als Martin Maes und Nico Lau mit meinen Skills alt aussehen lassen? Jap, diese Fragen müssen wir wohl nicht ernsthaft beantworten … Aber darum ging es ja auch nicht wirklich. Ich hatte die Chance, aus nächster Nähe das komplette Pro-Rider-Feeling mitzunehmen! Und wer da nicht mit beiden Händen zugreift, dem kann man ja wohl echt nicht mehr helfen. Auch wenn ich sicher keine Gefahr für die Favoriten des Rennens darstellen würde – ich war fest entschlossen, auf jeden noch so kleinen Rat von Jerome, Matteo, Ben und dem restlichen Team zu hören. Ich würde mir die Lungen aus dem Leib strampeln und mein Bestes daran setzen, mich auf dem Weg zum Ziel nicht allzu oft zu überschlagen und auf die Fresse zu legen.
Der Start meines herbeigefieberten Abenteuers war dann aber alles andere als vielversprechend. Nachdem ich in Schipohl beinahe meinen Anschlussflug verpasst hätte, musste ich feststellen, dass mein Gepäck nicht ganz so erfolgreich durch den Flughafen gehetzt war wie ich. Ich stand also bei der Ankunft ohne meinen Kram da, mein Koffer tourte noch irgendwo durch die Flughäfen dieser Welt. Meine gesamte Ausrüstung für die nächste Woche bestand also aus meinem Laptop und den Klamotten, die ich anhatte. Das konnte ja großartig werden.
Allerdings hätte ich mir darüber keinen Kopf machen brauchen: Sobald ich auf das Cannondale Overmountain Team traf, wurde ich von allen Seiten mit Equipment überschüttet – nicht nur von Cannondale selbst, sondern auch von Jeromes Partnern Marvic, Bliss und Julbo. Als ich wieder aus dem Hotel trat, war ich der wandelnde Inbegriff eines Factory-Bikers, von Kopf bis Fuß in brandneue Klamotten gehüllt und auf Hochglanz poliert. Immerhin sah ich jetzt schon einmal aus wie ein Profi – auch, wenn das mein eigentliches Problem nicht löste. Denn ich war höllisch nervös. Schließlich bin ich nur ein durchschnittlicher Freizeitbiker und ich wusste, dass das Rennen extrem tough werden würde. Trotzdem war ein Teil von mir auch einfach nur aufgeregt, wie sich die EWS wohl aus der Sicht eines Profis anfühlen würden. Kurz darauf lernte ich auch schon den Rest des Teams kennen: den Team-Manager Daniel, der alle Cannondale Race Teams betreut, die Road-Managerin Pauline, Jeromes Freundin und selbst eine verdammt schnelle Racerin, den Team-Mechaniker Matteo und natürlich Jerome Clementz und Ben Cruz, die beiden Fahrer. Kaum waren wir alle aufeinandergetroffen, fing auch schon das fröhliche Aufziehen und gegenseitige Foppen an – ein gutes Zeichen für das kommende Wochenende.
Den ersten Vormittag verbrachten Matteo und ich damit, das Bike auf mich einzustellen und dann ging es auch schon zu den Stages, um ein wenig zu trainieren. Jerome hatte mich vorgewarnt: Wenn man Vollgas gibt, besteht immer die Möglichkeit, zu stürzen. Deshalb riet er mir, nebenher immer auch nach geeigneten Sturzzonen Ausschau zu halten. Im Falle eines Falles kann man so wenigstens versuchen, weich zu landen. Ich war mir nicht ganz sicher, ob er mich mit dem Tipp verarschen wollte. Aber ich hatte auch wirklich keine gehobene Lust, das herauszufinden und sein kostbares Bike zu crashen.
So bestand meine erste Fahrt auch eigentlich nur aus Nervosität. Wenn ich auf das Jekyll runterblickte, schrie es mir von allen Ecken und Enden Jeromes Namen entgegen: Er stand auf den Bremsgriffen, dem Rahmen und dem Lenker – auf jeden Fall war das hier ein wirklich einzigartiges Gerät. Und das letzte, was ich tun wollte, war, es ins Geröll zu schießen und den Rahmen zu schrotten. Glücklicherweise muss Jerome so etwas geahnt haben. Denn abends nahm er mich zur Seite und erklärte mit Nachdruck: „Wenn du crashen willst, kannst du das gerne tun!“ Und das war gar kein so schlechtes (und außerdem ziemlich beruhigendes) Fazit für einen Tag, an dem ich nicht nur versucht habe, mit den epischen Stages von La Thuile klarzukommen, sondern auch mit einem der schnellsten Bikes der Rennstrecke, Jeromes Cannondale Jekyll 27.5.
Sobald ich auf Jeromes Bike stieg, machte mich das für die anderen Fahrer automatisch interessanter. Ich musste sogar für ein paar fake-Jerome-Bilder posen und ein Autogramm geben! So richtig als Profi fühlte ich mich aber in dem Moment, als ich das Bike abends zurück in die Pits schob und für den nächsten Morgen fertig machen wollte. Sofort schnappte Matteo es mir unter dem Hintern weg und fing an, daran rumzuwerkeln. Weil ich mich ziemlich schuldig fühlte, jemand anderen all meine Arbeit machen zu lassen, hing ich noch ein bisschen bei ihm rum ─ nur für den Fall, dass ich mich nützlich machen könnte. Aber keine Chance, Matteo ließ sich nicht ins Werk pfuschen.
Und auch hier stellte sich einmal mehr heraus, dass meine Panik umsonst war: Irgendwann gestand ich Matteo vorsichtig, dass ich beim Fahren gehört hatte, wie ein großer Stein an meinem Bike entlangschrammte. Als er dann auch gleich mit geübtem Blick einen Riss an der Kettenführung entdeckte, liefen meine Hirnwindungen schon heiß, weil ich keine Ahnung hatte, wie ich das bezahlen sollte. Aber als wäre nichts passiert, meinte er bloß: „Kein Ding, ist bis morgen wieder alles fertig!“ Nach der Komplett-Inspektion des Bikes konnte ich beim besten Willen nicht mehr vorgeben, etwas zu tun zu haben und ging deswegen zurück ins Apartment, während Matteo noch die verbrannten Stellen abschliff, die mein übereifriges Bremsen auf den Rotoren hinterlassen hatte.
Trotz meiner wiederholten Versuche, irgendetwas kaputtzumachen, hielt Matteo das Cannondale Jekyll die ganze Zeit über top in Schuss. Nicht ein einziges Mal hörte ich es Geräusche machen, die ein Bike lieber nicht machen sollte und jeden Morgen sah es erneut aus, als käme es frisch aus der Fabrik und war auch noch perfekt eingestellt. Das war natürlich einer der unschlagbaren Vorteile dieser Ausnahme-Erfahrung: Jeden Abend trottete ich ins Pit und überreichte eine matschige, nasse Maschine und jeden Morgen erhielt ich wie von Zauberhand ein Bike, das die Anstrengungen des Vortags noch nicht einmal mehr erahnen ließ.
Jeromes Bike
Wie fühlt es sich also an, das Race-Bike eines Weltmeisters zu fahren? Es war Zeit, genau das herauszufinden. Der 750 mm breite Lenker war etwas schmaler, als ich es gewohnt bin und die Federwegsverstellung per Grip-Shift verwirrte mich heillos. Meine ersten Minuten auf dem Bike können also bestenfalls als „steif“ bezeichnet werden. Aber als ich langsam mit dem Bike vertraut wurde, begann alles, Sinn zu machen: Wenn man Vortrieb braucht, reicht ein kurzer Dreh am Grip-Shift ─ Motocross-Style! ─ und der Federweg verringert sich auf 95 mm und schluckt kaum noch Energie. Sobald es zur Sache geht, genügt wieder ein kurzer Dreh und sofort stehen wieder die vollen 160 mm Federweg zur Verfügung, um meine teils kreative Linienwahl zu retten.
Keine Ahnung, ob das der psychologische Effekt ist, wenn man auf einem Bike sitzt, das so viele Rennen gewonnen hat – aber das Jekyll fühlte sich schnell an, wirklich verdammt schnell. Der Fox Dyad Dämpfer bietet nahezu das Ansprechen eines Stahlfeder-Dämpfers und dem Bike schien nie der Federweg auszugehen. Man steht angenehm hoch im Federweg und kann sich sicher sein, dass jederzeit Federweg zur Verfügung steht, wenn man ihn braucht. Am Anfang hing ich noch extrem in den Bremsen und fühlte mich unglaublich steif in Kurven. Sobald ich das Bike aber einfach laufen ließ, machte das 27.5 Jekyll seinem Namen alle Ehre und schoss rasant nach vorn. Die Federung ist so ausgewogen, dass sie mühelos und kaum spürbar auf alle Unebenheiten reagiert. Als ich mich endlich traute, mehr Gas zu geben, fand ich mich schnell in Situationen wieder, in denen ich direkt auf einen Stein zusteuerte. Doch statt wie erwartet einen starken Kick vom Hinterbau zu spüren, spürte ich nie mehr als einen sanften Schlag am Heck, sodass ich mir sofort daran machen konnte, die nächste Linie zu verhauen. Neben der herausragenden Performance des Dämpfers ist auch bemerkenswert, wie leise der steife Rahmen seine Arbeit verrichtet.
Mir wurde klar, wie wichtig eine gute Fahrwerks-Einstellung ist und wie viel Einfluss sie auf die gesamte Performance des Bikes hat. Natürlich fuhr ich das Fahrwerk nicht so straff und schnell wie es Jerome bevorzugt – das hätte mit Sicherheit auch relativ schnell in einem ziemlich teuren Helikopterflug geendet. Aber immerhin fühlte ich mich bald wohl genug, erst kurz vor den Kurven zu bremsen, auch ohne Blick auf die Ladung abzuziehen und ein wenig mit der Traktionsgrenze in Spitzkehren herumzuspielen. Jeromes Bike bietet unglaublich viel Sicherheit und schafft so Vertrauen. Es fährt sich derart smooth, dass ich mich immer öfter dabei ertappe, Jeromes einzigartigen Stil zu kopieren den Matteo liebevoll „doing the turtle“, also “die Schildkröte machen”, nennt.
Wir alle sind Biker
Am Ende des Wochenendes war es an der Zeit, auf all die Erlebnisse der letzten Tage zurückzuschauen. Ich verstehe nun langsam, wie wichtig ein gut organisiertes Team bei einem Rennen ist. Es war großartig, morgens ohne den Stress aufzuwachen, der ein Rennen normalerweise begleitet: keine improvisierten Last-Minute-Reparaturen, keine logistischen Pannen und andere Verwirrungen. Dank dem Overmountain Team stand so etwas gar nicht zur Debatte: Alles war stets erledigt. Die Bikes waren perfekt, die Startnummern verteilt, die Startzeiten gesammelt und ich musste mich einfach nur darauf konzentrieren, zu essen, mich zu entspannen und die Atmosphäre in mich aufzusaugen.
Wenn man es an professionellen Racer-Standards misst, mag mein Erfolg auf der Strecke mittelmäßig gewesen sein – aber ich fuhr mit dieser Wahnsinns-Betreuung dennoch das beste Ergebnis ein, dass ich jemals bei einer EWS hatte.
Wenn ich auf die gesammelte Erfahrung zurückschaue, ist das Ergebnis allerdings wirklich zweitrangig. Denn schnell drehte sich mein kleines Abenteuer nicht mehr darum, bei der EWS mit diesem großartigen Bike und einem so fantastischen Mechaniker anzutreten. Es ging um mehr als das. Ich hatte die Chance gehabt, einen Blick darauf zu werfen, wie ein Factory-Team auf höchstem Level funktioniert – und ich hatte herausgefunden, dass der Enduro-Spirit noch immer ungebrochen stark war: Die Teilnehmer aus anderen Teams wurden nicht als Konkurrenz wahrgenommen, sondern als gemeinsame Kampfgenossen, denen man gerne aushilft. Das Cannondale Overmountain Team hatte mich unter seine Fittiche genommen und damit war ich Teil der Familie. Ben und Matteo hatten mich jeden Schritt des Weges mit Jokes, fettem Grinsen und aufmunternden Bemerkungen begleitet, Jerome und Pauline hatten mich mit wahnsinnig guten Tipps versorgt und Jerome hatte sogar den einzig wahren Haferbrei für mich gekocht. Und durch all das bekam ich einen wirklich interessanten Einblick in all die Energie, Anstrengung und das Herzblut, das in die Platzierung eines Bikers auf dem Siegertreppchen tatsächlich reinfließt.
Was mich am meisten beeindruckt hat, ist jedoch diese Einsicht: Auch Profis sind im Kern einfach nur Biker! Und dabei ist es völlig egal, ob du einer von den Typen bist, die im Schatten der Factory-Pits sitzen oder einer von denen, die versuchen, ihre Bikes irgendwie durch die Hecktür ihres halbverrosteten Wagens zu quetschen. Wir alle sind vereint durch unsere Liebe zum Sport. Und den Respekt der anderen verdient man sich nicht durch seine Ausrüstung oder die besten Sponsoren, sondern durch die Leistung auf dem Berg. Als ich anreiste, hatte ich Angst, Eliteallüren und Konkurrenzdenken auf der anderen Seite der Pits vorzufinden. Stattdessen traf ich auf Großzügigkeit, eine familiäre Atmosphäre und wahre Leidenschaft für den Sport. Wenn ihr also das nächste Mal um die Pits herumstapft und die Top-Pros in ihren abgesteckten Bereichen rumhängen seht, dann lasst euch vom Factory-Look nicht einschüchtern: Im Herzen sind auch diese Jungs einfach nur Biker. Genau wie du und ich.
Words: Trev Worsey | Photos: Jérémie Reuiller
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