In der Bike-Branche hält man sich mit markanten Slogans und auffälligen Darstellungen neuer Produkte eigentlich nicht zurück. Doch die zwei Dutzend Franko-Kanadier von Faction Bike Studio sind praktisch unsichtbar – obwohl sie gerade die Bikes erschaffen, die wir in fünf Jahren feiern werden! Wer sind diese namenlosen Macher?

Wir befinden uns mitten in einem Bike-Boom und am Fahrradmarkt geht es richtig ab: Die Hersteller arbeiten unter Hochdruck an innovativen Produkten, erschließen sich teilweise völlig neue Zielgruppen und kämpfen gleichzeitig um Lieferfähigkeit. So viel Wachstum auf einmal ist für die Marken eine enorme Herausforderung – und für Entwicklungsdienstleister wie Faction Bike Studio ein perfekter Anlass, die Ärmel hochzukrempeln und mit anzupacken. Doch wie sieht deren Service für die Hersteller eigentlich aus? Wie wichtig ist er für das fertige Fahrrad? Wir haben mit den Jungs und Mädels von Faction gesprochen, um herauszufinden, wie diese fast unsichtbare Crew seit zehn Jahren die Zukunft unserer Fahrräder gestaltet.

Ab in die Zukunft! Faction Bike Studio erschafft gemeinsam mit den Herstellern unsere Bikes von morgen – und ist dabei fast unsichtbar.

Die Bikes von übermorgen

Faction Bike Studio lebt in der Zukunft. Zwischen zwei und fünf Jahren in der Zukunft, um genau zu sein. Das ist der zeitliche Versatz, mit dem die Projekte letztendlich auf den Markt kommen werden, an denen die Kanadier heute arbeiten. Firmenchef Erick Auger leitete lange die Forschung und Entwicklung sowie das Marketing bei Devinci, bevor er 2010 zusammen mit Industriedesigner Martin Portelance sein eigenes Unternehmen Faction Bike Studio gründete. Im nunmehr elften Jahr blickt er mit Faction auf über 300 abgeschlossene Projekte zurück und betreut mit seinem Team in Granby, im französischsprachigen Osten Kanadas, derzeit etwa 80 Fahrradhersteller. Darunter ist auch eine eurer absoluten Lieblingsmarken, wie wir aus unserer jährlichen Leserumfrage mit 28.500 Teilnehmern wissen. Doch wie sieht die Arbeit von Faction genau aus? Und was ist eigentlich der Unterschied zwischen Marke, Entwickler und Produzent eines Fahrrads?

“Wir schlagen unseren Kunden eine Menge Ideen vor.” So fasst das Team von Faction selbst flapsig zusammen, was es wochentags so treibt. Tatsächlich sind die Leistungen des Entwicklungsdienstleisters vielfältig und je nach Kundenbedarf stark unterschiedlich. Grundsätzlich bietet Faction MTB-Marken einen maßgeschneiderten Service auf der kompletten Linie an, also von der ersten Skizze eines neuen Rahmens bis hin zum Marketing. In welchen Bereichen die Zusammenarbeit im Einzelfall liegt, hängt vom Kunden ab. Ein Hersteller, der frisch in den Fahrradmarkt einsteigt, hat bestimmt andere Bedürfnisse als eine arrivierte Marke, die ein bewährtes Produkt in achter Generation nochmals verfeinern möchte.

In einem gut zwanzigköpfigen Team arbeitet Faction in Granby in Quebec an den Bikes für die Rider der Zukunft.

Die stillen Experten an der Seite der Bikemarken

An dieser Stelle müssen wir eines klarstellen: Fahrradmarken erschaffen ihre Bikes in den meisten Fällen nicht ganz alleine, sondern arbeiten dafür mit professionellen Partnern zusammen. Die meisten Rahmen werden von beauftragten Produzenten in Asien hergestellt. Doch nicht erst bei der Serienfertigung mit Schweißgerät oder Carbon-Backofen holen sich viele Hersteller Zuarbeit von Drittanbietern, sondern oft auch schon dann, wenn die allerersten Ideen zu einem neuen Bike ausgebrütet und geboren werden. Entwicklungsdienstleister wie Faction Bike Studio begleiten Hersteller bereits bei der Marktanalyse, Design und Konzeption eines Bikes. Diese Zusammenarbeit dauert oft mehrere Jahre, ehe das Rad tatsächlich in Serie gefertigt wird und zu euch kommt.

Doch nicht, dass ihr jetzt schockiert fragt: “Wie bitte? Mein Bike wurde von ganz anderen Firmen erschaffen?!” Eure Lieblingsmarke ist immer noch zu Recht eure Lieblingsmarke, mit ihrem ganz eigenen Style und Charakter. Dass Entwicklungsbüros Hersteller unterstützen, ist für uns Rider am Ende sehr gut! Stellt euch eine junge Hinterhofschmiede vor, die keine eigenen Räumlichkeiten und Anlagen besitzt, um ihr neuartiges Rahmendesign professionell zu testen. Durch einen externen Dienstleister wie Faction erhält auch solch ein kleiner Hersteller Zugang zu Forschung und Entwicklung und kann seine Fahrräder zur Serienreife entwickeln. So schaffen es auch kleine Boutiquen, mit einem ausgereiften Bike auf den Markt zu treten, euch damit zu begeistern und es mit den etablierten Marken aufzunehmen! Dabei darf man diesen Support von Entwicklungsdienstleistern wie Faction Bike Studio nicht etwa mit Whitelabel-Produkten verwechseln, die bei schnelllebigen Konsumgütern verbreitet sind: in Asien bestellt, Logo drauf geklatscht, schlau vermarktet und ab in den Verkauf.

Wo sind die Ideen zu eurem Fahrrad entstanden? Manche davon vielleicht in Granby in Kanada!

Auch für große Hersteller sind Entwicklungsdienstleister wichtig. Manche Marken bringen jährlich so viele neue Rahmenmodelle auf den Markt, dass die Kapazitäten ihrer eigenen Ingenieure für die finale Ausgestaltung schlicht nicht ausreichen. Daher arbeiten sie mit Entwicklern zusammen, um ihre Ideen auszuarbeiten und sie rechtzeitig zur neuen Saison als vollendete Bikes zu euch zu bringen.

Oder aber ein Hersteller begibt sich auf technologisches Neuland, wie zuletzt bei vielen Brands im E-Mountainbike-Bereich. Selbst etablierte Hersteller können beim Vordringen in neue Fachgebiete vom Spezialwissen der Dienstleister profitieren. Diese haben sich oftmals bereits mit dem Trend auseinandergesetzt und Anforderungen und Nischen identifiziert. Durch deren Erkenntnisse finden die Hersteller schneller heraus, welches Konzept Erfolg verspricht und welches nicht – und ob dieses auch zu ihnen als Marke passt. Dienstleister wie Faction sind für Fahrradmarken also immer dann wichtig, wenn ihre eigenen Kapazitäten nicht ausreichen, um all ihre Ideen auf den Markt zu bringen.

Bevor ein Bike so über die Trails fliegt, ist einiges an Entwicklungsarbeit und Testing notwendig. Faction bietet den Herstellern dabei Unterstützung.

Von der Skizze bis zur Vermarktung

Eine zentrale Leistung von Faction liegt in der Forschung und Entwicklung. Wie progressiv soll der Hinterbau beim Einfedern arbeiten? Wie steif muss der Rahmen an welcher Stelle sein, um die gewünschten Eigenschaften zu erzeugen? Und welchen Einfluss hat das auf die übrige Konstruktion? Bei Fragen wie diesen werben die Kanadier mit der Erfahrung und dem technologischen Know-How des eigenen Expertenteams, das zum Beispiel Finite-Elemente-Analysen durchführen oder auch echte Bauteile im Testlabor an ihre Belastungsgrenzen treiben kann. Die Ergebnisse daraus können die Entwicklung eines Designs verbessern, beschleunigen – oder eine Produktidee überhaupt erst möglich machen.

Das Team von Faction an einem Prototypen.

Produktdesign

Eng verwandt mit technologischen Lösungen ist das Design eines Produkts. Auch hier arbeitet Faction bei Bedarf mit seinen Kunden zusammen. Passt mit der geplanten Dämpferaufnahme noch eine Flasche ans Rad? Und ist das meiner Zielgruppe wichtig? Entscheidend für den Erfolg einer Marke ist immer auch, dass sie ein klares Bild von sich selbst und der eigenen Identität besitzt, dazu passende Produkte entwickelt und ihre entsprechende Zielgruppe präzise anspricht.

Marketing

Der vielleicht spannendste Service von Faction geschieht jedoch lange bevor überhaupt ein Bauteil konstruiert wird: Nämlich beim Marketing! Klingt simpel? Immer wieder beobachten wir selbst, dass Marketing in der Bike-Branche vor allem als Vermarktung verstanden wird, also als Kommunikation in Richtung der Kundinnen und Kunden, um mehr der eigenen Produkte abzusetzen. Doch echtes Marketing funktioniert in beide Richtungen. Welche Bedürfnisse wird eine Zielgruppe in zwei, drei oder fünf Jahren denn überhaupt haben? Und welches Produkt wird dann relevant für sie sein? Für Hersteller ist es verführerisch, Neuentwicklungen vor allem auf eigene Überzeugungen und Ansichten zu stützen. Doch nur wer sich auch diese schwierigen Fragen stellt, der kann auf dem Markt langfristig von Bedeutung bleiben.

Welche Bedürfnisse werden Rider in drei Jahren haben? Marketing bedeutet mehr als nur Vermarktung der eigenen Produkte.

Aus demselben Grund ist es übrigens auch für uns als Magazin so wichtig, dass sich über alle unsere Magazine hinweg mehr als 50.000 von euch die Zeit für unsere jährlichen Leserumfragen nehmen! Erst dadurch können wir und alle in der Branche einschätzen, was unsere eigene Zielgruppe wirklich braucht – und mit welcher Einschätzung wir vielleicht auf dem Holzweg sind.

Prototypen

Ein weiterer Service von Faction ist das sogenannte Rapid Prototyping. In nur sechs Wochen erschaffen die Kanadier aus geraden Alu-Rohren und 3D-gedruckten Muffen Prototypen von Rahmen, die auch wirklich fahrbar sind. So können neue Geometrien oder eine spezielle Hinterbaukinematik direkt auf dem Trail erprobt und beurteilt werden. Hersteller haben damit die Möglichkeit, auch gewagte Ideen bei überschaubarem Risiko auszutesten und zu validieren.

Gerade Rohre und 3D-gedruckte oder gefräste Muffen ermöglichen rasche Tests neuer Ideen draußen auf dem Trail.
Sieht fertig aus, kann fahren – und ist doch nur ein Prototyp: Dieses Rad werdet ihr so nie im Laden sehen.

Was die Hersteller für eine erfolgreiche Zusammenarbeit mit Faction vor allem brauchen, ist eine klare Vorstellung von ihrer Zielgruppe und ihrer eigenen Markenidentität. Denn nicht jede Brand kann mit jedem Produkt Erfolg haben. Wie sehr würden die eingefleischten Bikepark-Dudes unter euch wohl das neue Downhill-Bike eines Herstellers feiern, der bislang eigentlich nur grazile XC-Bikes baut? Das Produkt muss zur Markenidentität passen und glaubwürdig sein. Daran kann auch Faction nichts ändern. Gleichzeitig findet sich selbst in der heiß umkämpften Bike-Branche immer noch Platz für gute neue Ideen und Marken, solange sie einen Nerv treffen und eine Zielgruppe voll ansprechen. In diesem Kontext bietet Faction auch Markenberatung an.

Das Logo, das ihr nie sehen werdet: Am fertigen Bike wird hier stattdessen das Emblem des Herstellers prangen.
Stein auf Stein: Faction unterstützt Hersteller von der ersten Skizze bis hin zum fertigen Bike.

Das Angebot von Faction ist also vergleichbar mit dem von externen Experten in der Wirtschaft: Die Entwicklungsdienstleister bieten Spezialwissen, Marktkenntnis, einen Riecher für Trends und alle nötigen Tools, um Herstellern bei der Umsetzung unter die Arme zu greifen. Ihr mittel- und langfristiges Ziel ist dabei, den Fahrradhersteller in tatsächlich jedem einzelnen Schritt zu unterstützen. Dabei stülpt das Team von Faction seinen Kunden aber nicht einfach ein gleiches Konzept über, nach dem Motto: “Macht das so, das ist gut!” Vielmehr braucht es für eine erfolgreiche Zusammenarbeit eine klare Markenidentität und Individualität. Was sind die Stärken, die die Marke bereits mitbringt und für die sie auch in Zukunft stehen will? Erst so entstehen Bikes, die technologisch den nächsten Schritt machen und uns gleichzeitig durch ihren authentischen Charakter begeistern. Auch wenn die Kinematik eines Bikes, die kluge Detaillösung oder seine Formensprache vielleicht in Zusammenarbeit mit Faction entstanden ist, so prangt auf seinem Unterrohr am Ende noch zu Recht das Logo des Herstellers. Nur diese Individualität begeistert uns Rider – und bringt den Herstellern und damit auch Faction Erfolg.

Am Ende ist es euer Bike! Individualität und Marken-DNA spielen für Faction bei der Zusammenarbeit mit Herstellern eine entscheidende Rolle.

Trends durchschauen – oder lostreten

Ist ein aktueller Trend nicht nur ein Strohfeuer, sondern wirklich eine zukunftsweisende Weiterentwicklung unserer Bikes? Falls ja: Passt dieser Ansatz auch zur eigenen Marke? Und wie viele andere Hersteller haben sich dort bereits positioniert? Long-Travel-Bikes mit einem High-Pivot sind laut Faction so ein Beispiel für einen tückischen Trend, der Hersteller zu Fehlern verleiten kann. Um in dieser bereits sehr engen Bike-Nische noch punkten zu können, braucht eine Brand schon ein präzises Konzept und einen klaren Mehrwert im Vergleich zur Konkurrenz. Einfach nur ein weiteres High-Pivot-Bike zu bauen, weil es gerade im Trend liegt, wäre riskant. Doch nicht nur bei Nischenprodukten, sondern auch inmitten eindeutiger Entwicklungen – wie der hin zu größeren Laufrädern – sind Marken gefordert, ihren individuellen Ansatz zu begründen, anstatt einfach nur mitzumachen.

Ebenso kann es vorkommen, dass Faction einen Trend mit einer eigenen Entwicklung überhaupt erst lostritt, nämlich wenn eine Neuerung gleich von mehreren Marken gleichzeitig umgesetzt und auf den Markt gebracht wird. Und dazu müssen die sich untereinander noch nicht einmal abstimmen. Im Gegenteil: Wenn mehrere Brands zeitgleich an ähnlichen Konzepten arbeiten, herrscht seitens Faction Stillschweigen. Erst mit Markteintritt fällt der Vorhang. Und wenn eine Innovation dann gleich von mehreren Brands vorgestellt wird, verstärkt das deren Sichtbarkeit und Durchsetzungskraft.

Woher will Faction es wissen?

Die Kanadier investieren viel Energie, um Entwicklungen und Trends der Bike-Branche vorauszusehen. Doch wie blickt man in die Zukunft? Viele der Ideen von Faction stammen sicherlich aus den Diskussionen und Debatten, die nunmal entstehen, wenn man Bike-Nerds mit Ingenieurwissen in einen Raum steckt. Doch auch hier geht Faction systematisch vor: Um vielversprechende Neuentwicklungen am Markt frühzeitig zu erkennen, durchforstet das Team gezielt sämtliche Patente, die in der Branche neu angemeldet wurden – und zwar wöchentlich! Diesen Blick in die Zukunft gleichen die Entwicklungsdienstleister mit Daten und Erfahrungswerten ab, die sie von ihren Klienten und deren Endkunden erhalten. So entsteht das Wissen, welches das Team von Faction dann mit seinen Kunden teilt. Und wenn es gelingt, mit ihnen die Bikes der Zukunft zu entwickeln, dann ist das gleichzeitig ein Erfolg für die Marke und für Faction. Win/Win!

Bike-Nerds und Ingenieure auf der Suche nach dem heißen Scheiß von übermorgen: Faction Bike Studio bei der Arbeit.

Blick in die Zukunft

Was sind nun aber die heißesten Trends von morgen? Faction gibt uns zumindest zwei klare Antworten: Einerseits leichte E-Mountainbikes, die die Grenzen zwischen menschlichem und motorgestütztem Antrieb weiter verwischen werden. Und andererseits Weiterentwicklungen in der Micro Mobility, sprich Fahrräder und Konzepte wie Bike-Sharing für den urbanen Raum. Inmitten des aktuellen Bike-Booms blicken die Kanadier auf jeden Fall mit einem zuversichtlichen Grinsen in die Zukunft. Sie sind sich sicher, dass auch 2022 ein großes Jahr für die Fahrrad-Branche werden wird.

Faction Bike Studio will die Welt des Bikens auch in den kommenden Jahren am Drehen halten.

Die Entwicklungsdienstleister Faction Bike Studio sind unsichtbare Experten an der Seite der Fahrradhersteller. Die Kanadier bieten sämtliche Services beim Erschaffen der Bikes von übermorgen – von der Marktanalyse und ersten Skizzen über die Konstruktion bis hin zu Prototypen. Gemeinsam mit den Brands arbeitet Faction schon heute an den Fahrrädern und Innovationen, die in fünf Jahren die Bike-Branche aufmischen sollen. Wenn wir die dann 2026 fahren, wird Faction schon im Jahr 2031 unterwegs sein.


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Text: Moritz Geisreiter Fotos: Faction Bike Studio