Nein, ein Endurobike ist nicht das perfekte Do-It-All-Bike für jedermann! Zu schwer, zu viel Federweg, zu unhandlich, zu indirekt. Oftmals ist weniger mehr und genau hier kommen die 9 Bikes dieses Vergleichstests ins Spiel.
Warum weniger Federweg oft mehr ist
Wenn du jedes Wochenende bei einem Endurorennen an den Start gehst, am liebsten die krassesten Steinfelder herunterhämmerst und der Bikepark dein zweites Zuhause ist, dann werden diese Bikes dich womöglich nur geringfügig interessieren. Wenn für dich zum Biken aber mehr gehört, als nur bergab zu heizen, deine Hometrails keine Downhill-Worldcup-Strecken sind und du gerne auch einmal längere Touren unternimmst, dann ist dieser Test für dich gemacht!
Worauf kommt es beim perfekten Trailbike an?
Das perfekte Trailbike muss mehr besitzen als eine durchdachte Ausstattung. Es muss scheinbar kontroverse Fahreigenschaften in sich vereinen. Es sollte leichtfüßig bergauf klettern, bergab hart im Nehmen sein und vor allem auch auf weniger anspruchsvollen Trails für jede Menge Fahrspaß sorgen. Trotz eines geringen Gesamtgewichts sind Defekte ein No-Go – besonders, wenn man mit dem Bike auf langen Abenteuern unterwegs ist. An langen Tagen im Sattel zählt Komfort, bei einer schnellen Runde auf den Hometrails hingegen sorgt ein direktes und explosives Handling für deutlich mehr Fahrspaß.
Qualität statt Quantität – das gilt vor allem für den Federweg
Gerade wenn man nur wenig Federweg zur Verfügung hat, ist entscheidend, dass dieser effektiv genutzt wird. Sackt das Rad zu schnell weg oder gibt es bereits bei kleinen Schlägen zu viel Federweg frei, fehlen ihm im anspruchsvollen Terrain Reserven. Entscheidend ist hier die Kennlinie des Hinterbaus bzw. die Dämpfung an Front und Heck. Allein die Millimeterzahl des Federwegs gibt wenig Aufschluss darüber, wie straff oder satt sich das Rad fährt. In diesem Test verfügte das SCOTT Genius 910 nominell über den meisten Federweg (140 mm in Front/130 mm am Heck) und doch fühlte es sich deutlich straffer an als viele Räder mit 10–20 mm weniger Federweg. Ist der Hinterbau gut konstruiert, saugt das Rad selbst kleine Unebenheiten auf, ohne bei härteren Schlägen direkt an sein Limit zu stoßen. Räder, die hier brillierten, waren das FOCUS Spine, das Rocky Mountain Thunderbolt oder das MERDIA ONE-TWENTY. Mit massig Traktion fährt man mit ihnen bergauf, hat bergab trotz lediglich 120 mm Federweg enorme Reserven und erhält genau das richtige Maß an Feedback. Wahre Bergab-Raketen waren das Evil The Following und das brandneue Trek Fuel EX. Mit diesen Bikes ist man auch auf den härtesten Trails nicht unterequippt und kann problemlos auch mit seinen Kumpels zu einem Enduro-Ride starten.
1-fach is here to stay!
Nach wie vor haben speziell in Deutschland einige Biker große Zweifel an der Tourentauglichkeit von 1×11-Antrieben. Wir sagen ganz klar: Diese Angst ist unbegründet. Zwar ist die Bandbreite nicht so groß wie bei 2- oder gar 3-fach-Antrieben, mit dem richtigen Kettenblatt in Front sind jedoch selbst steilste Anstiege über längere Zeit kein Problem. Wer bereit ist, kleinere Abstriche im oberen Bereich des Gangsegments in Kauf zu nehmen, erhält dafür etliche Vorteile und will garantiert nicht mehr auf einen 1-fach-Antrieb verzichten. Mit den kürzlich vorgestellten 1×12-Antrieben gibt es gar keinen Grund mehr, nicht 1-fach zu fahren.
Die Kontaktpunkte entscheiden
Wer lange Zeit auf seinem Bike verbringt, der weiß, wie wichtig die korrekte Ergonomie der Kontaktpunkte ist. Kontaktpunkte zum Fahrer, das sind das Cockpit, der Sattel und die Pedale. Während die letzten Punkte sehr stark von individuellen Vorlieben abhängen, lässt sich beim Cockpit ganz klar eine Empfehlung aussprechen. In unserem Test erwiesen sich rund 50–60 mm lange Vorbauten und 740–760 mm breite Lenker bei diesen kurzhubigen Trailbikes als optimal. Am Canyon Nerve sorgte unter anderem ein zu langer Vorbau für ein nervöses Handling, während beim Trek Fuel EX ein nicht serienmäßiger 800-mm-Lenker das Rad unnötig behäbig machte.
Doch auch der Kontakt zum Untergrund prägt das Fahrverhalten. Wer bei den Reifen Gewicht spart, spart an Grip. Wer zu viel investiert, macht das Rad träge und behäbig. Für den Allround-Einsatz zählt ein gelungener Kompromiss, wie ihn beispielsweise der Schwalbe Nobby Nic 2,4″ oder der Continental Mountain King 2,2″ liefern. Wer mehr Fokus auf die Abfahrtsperformance legt, greift zu einem stärker profilierten Vorderreifen.
Die Bikes im Härtetest
Mit insgesamt neun Bikes im Gepäck sind wir ins wunderschöne Sexten in Südtirol gereist, um die Räder in der alpinen Kulisse auf die Probe zu stellen. Sexten, das ist auch der Ausgangspunkt des sogenannten Stoneman-Trails – eines extremen Bike-Erlebnisses mit 115 km Länge und rund 4.000 Höhenmetern. Stundenlang geht es hier bergauf und dann auf atemberaubenden Singletrails im schroffen Gelände bergab. Genau das, wofür diese Bikes konzipiert wurden.
Doch nicht jeder kann und will sich stundenlang quälen und darum haben wir die Bikes auch auf schnellen, flowigen Trails beurteilt. Am Ende gab es einen klaren Gewinner.
Bike | Federweg | Gewicht | Preis |
---|---|---|---|
Canyon Nerve AL 9.9 LTD | 120 / 110 mm | 12,63 kg | 3.899 € |
Evil The Following X1 | 130 / 120 mm | 13,27 kg | 5.399 € |
Focus Spine C Factory | 120 / 120 mm | 12,13 kg | 4.999 € |
Merida ONE-TWENTY 8000 | 130 / 120 mm | 12,40 kg | 5.149 € |
Norco OPTIC C7.2 | 140/130 mm | 12,65 kg | 4.699 € |
Rocky Mountain Thunderbolt BC Edition | 130 / 120 mm | 12,35 kg | 6.900 € |
SCOTT Genius 910 | 140 / 130 / 90 mm | 13,00 kg | 4.999 € |
Specialized Camber Comp Carbon 29 | 120 / 120 mm | 13,05 kg | 3.999 € |
Trek FUEL EX 9.8 29 | 130 / 120 mm | 13,59 kg | 4.999 € |
Tops
Flops
Das beste Trailbike für alpine Abenteuer und Spaß auf den Hometrails
Das beste Allroundbike und damit der Testsieger in diesem Vergleichstest ist das FOCUS Spine C Factory. Kein anderes Rad ist so vielseitig, kombiniert Komfort, agiles Handling und Laufruhe besser und macht obendrein noch so viel Spaß. Mit einem Preis von 4.999 € ist es zwar nicht das günstigste Rad im Vergleich, aber das mit dem besten Preis-Leistungs-Verhältnis und lässt so die Konkurrenz weit hinter sich. Ebenfalls absolut überzeugende Fahreigenschaften bietet das Rocky Mountain Thunderbolt BC Edition. Seine in Nuancen bessere Ausstattung rechtfertigt jedoch den saftigen Aufpreis von 1.500 € im Vergleich zum FOCUS keineswegs. Fahrer, deren Hauptaugenmerk auf der Abfahrt liegt, greifen zum brandneuen Trek Top Fuel EX oder zum Evil The Following. Beide Bikes verlangen nach Highspeed und stehen waschechten Endurobikes in fast nichts nach – sie klettern allerdings auch so. Das genaue Gegenteil sind das Canyon Nerve AL 9.9 LTD und das SCOTT Genius 910. Beide Räder klettern hervorragend, können aber bergab nicht mit der Konkurrenz mithalten. Die sehr guten Fahreigenschaften des Specialized Camber Comp Carbon 29 werden von der günstigen Ausstattung ausgebremst. Das MERIDA ONE-TWENTY 8000 und das Norco Optic C7.2 performen beide bergauf wie bergab auf sehr hohen Niveau, erreichen aber nicht die Klasse des FOCUS Spine C Factory.
Alle Bikes im Test: Canyon Nerve AL 9.9 LTD | Evil The Following X1 | FOCUS Spine C Factory | MERIDA ONE-TWENTY 8000 | Norco OPTIC C7.2 | Rocky Mountain Thunderbolt BC Edition | SCOTT Genius 910 | Specialized Camber Comp Carbon 29 | Trek FUEL EX 9.8 29
Hat dir dieser Artikel gefallen? Dann würde es uns sehr freuen, wenn auch du uns als Supporter mit einem monatlichen Beitrag unterstützt. Als ENDURO-Supporter sicherst du dem hochwertigen Bike-Journalismus eine nachhaltige Zukunft und sorgst dafür, das die Mountainbike-Welt auch weiter ein kostenloses und unabhängiges Leitmedium hat. Jetzt Supporter werden!
Text: Fotos: Christoph Bayer, Noah Haxel