Mensch gegen Hybrid: Racing mit dem Elektro-Biest
Fühle ich mich schuldig oder bin ich bloß überwältigt von meiner überraschenden Begeisterung? Es fällt mir schwer, meine Gefühle auseinanderzuhalten, während ich etwas tue, das meiner Philosophie als Mountainbiker völlig widerstrebt. Ich bin auf dem Weg vom Fahrerlager zur ersten Stage eines Enduro-Rennens, und zwar allein. Mein einziger Gefährte ist das ruhige, sanfte Surren des Bosch-Motors, der mich auf meinem aufgemotzten Haibike XDURO AllMtn RC den Hügel hochtreibt.
„Das ist nicht Mountainbiken“, sagt eine von Fitness getriebene Stimme in meinem Kopf. „Aber es ist ganz schön easy“, entgegnet eine andere. Wenn ich an den anderen Fahrern auf ihren konventionell mit Beinkraft betriebenen Rädern vorbeirausche, spüre ich ihre bösen Blicke in meinem Rücken. Für dieses Experiment habe ich meine Top-Ten-Gesamtplatzierung aufgegeben, um die Frage zu klären: Welche Chance hat man bei einem normalen Enduro-Rennen auf einem elektrisch unterstützten Bike gegen menschliche Pedalkraft?
[emaillocker id=”115610″]Zwar habe ich das Bike ein wenig getunt, damit es dem Handling meines Racebikes so ähnlich wie möglich kommt, aber ich sage euch, das hier ist was komplett anderes. Wie schwer 22,5 kg tatsächlich sind kann man daran sehen, dass mein billiger Montageständer mehrfach unter der Last den Dienst quittiert hat. Ich frage mich, wie zur Hölle ich es schaffen soll, dieses Ding auf den technischeren Stages auf ordentliches Tempo zu bringen und was wohl passieren wird, wenn ich die Geschwindigkeitsgrenze des Motors von 25 km/h erreiche. Dann werde ich das Bike aus eigener Kraft treten müssen. Verdammt, das kann spannend werden!
Die Blicke, die man so auf sich zieht, wenn man mit einem E-Mountainbike bei einem normalen Rennen ankommt, sind schon etwas merkwürdig, besonders in Großbritannien, wo es keine E-Bike-Kategorie gibt. Ich fühle mich wie so ein alter Typ, dessen Frau ein wunderschönes Model ist – keiner versteht, warum gerade du sie abbekommen hast, aber insgeheim würden sie alle gern mal mit auf eine Spritztour nehmen. Ebenfalls eine neue Erfahrung für mich: Ein Ladegerät mit zu einem Rennen zu nehmen und den ganzen Tag den Stromverbrauch im Auge behalten zu müssen. Am ersten Tag des Trainings vergesse ich mich und übertreibe es ein bisschen mit dem Turbo-Modus (der stärkste Modus der Tretunterstützung), was beinahe damit endet, dass ich zig Meilen vom Fahrerlager entfernt ohne Saft zurückfahren muss – im Turbo-Modus sinkt die Reichweite rapide. Wohl oder übel weiche ich also vernünftigerweise auf den Eco-Modus aus.
Wenn ich an Fahrern vorbeikomme, die ich kenne, mache ich langsamer, damit wir uns unterhalten können. Sie alle fragen mich, was es mit meinem ungewöhnlichen Bike auf sich hat, während sie in der sengenden Sonne schwitzen und ich frisch und munter bin. Es ist verblüffend, wie interessiert die meisten sind. „Und wie ist es so auf den Stages?“, ist die häufigste Frage. Von der großen Zahl an Leuten, mit denen ich an diesem Wochenende über mein elektrisches Gefährt gesprochen habe, hat sich nur einer negativ geäußert – das überrascht mich am meisten. Kann es sein, dass die Leute allmählich anfangen, sich für E-Mountainbikes zu begeistern?
Meine Platzierung wird nicht zählen, aber ich will trotzdem, dass sie mit meiner üblichen Kategorie vergleichbar ist. Schließlich bin ich immer noch entschieden wettkampforientiert und will in der Master-Klasse, in der ich sonst starte, gut abschneiden. Also beschließe ich, diese Sache als ein ganz normales Rennen zu betrachten. Im Training fahre ich alle Transfers zweimal, um die Stages komplett wiederholen zu können. Denn es ist klar, dass ich dieses schwergewichtige Monster unter keinen Umständen den Berg wieder hochschieben werde, um Teile der Strecke nochmal zu fahren. Die Bikepark-mäßigen Stages sind am schwierigsten, denn die meisten davon sind jenseits der eingestellten Höchstgeschwindigkeit des Motors, sodass ich gezwungen bin, sie komplett aus eigener Kraft zu treten – mit schweren DH-Reifen. Das ist eine ziemliche Strapaze, nach der meine Lunge keucht und das Herz heftig pumpt und sich so überstrapaziert anfühlt wie eine Bordellmatratze. In der Luft hat das Bike die spielerische Leichtigkeit eines Flusspferdbabys und beim Absprung muss ich mit aller Kraft ziehen, um es wirklich hoch genug zu kriegen. In engeren Kurven braucht das Mehrgewicht auch deutlich mehr Einsatz, um es herumzubekommen und in exakt dem Moment, in dem man mit dem Pedalieren aufhört, ist Schluss mit der Unterstützung – dann wird es harte Arbeit.
Gut, das klingt jetzt alles eher negativ und regelmäßige E-Mountainbike-Fahrer fragen sich wahrscheinlich, ob ich ihnen ihre Wahl madig machen möchte … Also, es lief bisher gar nicht soooo schlecht. Erstens waren die Transfers (egal wie steil) schon lachhaft einfach, ich kam überall buchstäblich mit links hoch und konnte, wenn nötig, mit rechts das Handy halten, ohne dass es mir die Lunge zerfetzte oder ich Schweißausbrüche bekam, das war toll! Nicht zu vergessen die langsameren, tretlastigeren Teile der Stages, auf denen es fast schon surreal war: Wenn man den Dreh vom Zusammenspiel der Gänge und der Trittfrequenz raushat, kann man durch die zäheren Abschnitte nur so durchschießen und sich dabei fühlen wie eine Offroad-Version von Lance Armstrong. Kurze, heftige Anstiege sind schlicht und einfach absurd – setz dich hin und tritt rein, und ehe du dich versiehst, bist du auf Höchstgeschwindigkeit und machst dabei ein Gesicht wie die Grinsekatze aus Alice im Wunderland. Doch das Bike kann außerdem noch mit einer Fähigkeit aufwarten, die mich völlig überrascht hat: Es macht sich unglaublich gut auf ruppigen, wurzeligen Downhill-Strecken. Eigentlich hatte ich erwartet, dass es auf solchem Terrain richtig mies abschneiden würde, doch man kann es durch die krassesten Wurzeln, Steine und Löcher jagen (meistens ohne zu treten) und es hält die Linie, als würde es auf Schienen fahren – das Gewicht und die edlen Upgrades haben sich hier als massives Plus in Sachen Traktion erwiesen.
Meine Platzierung ist letztlich exakt die gleiche wie sonst auch bei UKGE-Rennen, hinter und vor denselben Fahrern wie üblich. Der einzige Unterschied ist, dass ich auf den schnellen Abschnitten schlecht gefahren bin und gut auf denen, wo man viel treten musste – konträr zu meinen üblichen Fähigkeiten. Es war eine Wahnsinnserfahrung und ich werde sie nie vergessen, obwohl die Heimfahrt mit diesem Gefühl, als wäre ich gar kein Rennen gefahren, äußerst merkwürdig ist. Ich sitze in meinem Van und fühle mich taufrisch. Es ist, als hätte ich mich um das echte Fahrerlebnis betrogen, so sehr bin ich das Gefühl des Erschöpftseins gewohnt und die Befriedigung, wenn man ein hartes Rennwochenende hinter sich hat. Ob ich gern eins dieser Bikes hätte? Ja, zusätzlich zu meinem „richtigen“ Rad, aber nur, wenn viele meiner Buddys auch welche hätten.
Upgrades für das Monster
Bei traditionellen Endurorennen haben E-Bikes meiner Meinung nach wenig verloren. Bergauf zu fahren macht mit einem E-Mountainbike so viel Spaß und fordert einen zugleich, deshalb sollte man auch gezeitete Uphills in E-MTB-Rennen einschließen. Ein XC-Format mit mehreren Runden könnte ebenfalls gut funktionieren, vor allem wenn man extremere Sektionen für die Zuschauer einbaut.
[/emaillocker]Habt ihr nach Jim’s Erfahrungen auch Lust auf E-Mountainbikes bekommen? Dann werft doch einen Blick auf den großen E-Mountainbike Vergleichstest 2016 in der neue Ausgabe des E-MOUNTAINBIKE Magazine.
Text: Jim Buchanan Fotos: Isac Paddock
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