Es wäre einfach zu sagen, die RockShox Lyrik wäre nur eine PIKE mit ein bisschen mehr Federweg. Doch statt einer größeren PIKE soll es sich bei der neuen Lyrik vielmehr um eine Mini-BoXXer handeln. Was das konkret bedeutet? In diesem Artikel findest du die Antwort!

Im Hintergrund: Alpe d’Huez, Geburtsort der Megavalanche. Im Vordergrund: ENDURO-Gründer Robin Schmitt und SRAM-Athlet Bryan Regnier beim Testen der RockShox Lyrik – für dieses Terrain wurde die Gabel gemacht.
Im Hintergrund: Alpe d’Huez, Geburtsort der Megavalanche. Im Vordergrund: ENDURO-Gründer Robin Schmitt und SRAM-Athlet Bryan Regnier beim Testen der RockShox Lyrik – für dieses Terrain wurde die Gabel gemacht.

Bereits im Jahre 2011, als die Lyrik RC2 DH vorgestellt wurde, war sich RockShox sicher: Wir brauchen etwas, das auf knallharten Strecken wie (ja, damals gab es die Enduro World Series noch nicht) der Megavalanche oder dem Mountain of Hell DH-Marathon brillieren kann. Damals hießen die Eckdaten: 26″, 170 mm Federweg, 35-mm-Standrohre, 20-mm-Steckachse und Mission Control DH-Dämpfungseinheit – kurzum: In die damalige Lyrik floss einiges an DH-Technologie der BoXXer mit ein.

Wir hatten bereits die exklusive Möglichkeit, die neue RockShox Lyrik RCT3 Solo Air mit 180 mm Federweg in den französischen Alpen während des Crankworx Europe-Festivals an einem Liteville 601 zu testen.
Wir hatten bereits die exklusive Möglichkeit, die neue RockShox Lyrik RCT3 Solo Air mit 180 mm Federweg in den französischen Alpen während des Crankworx Europe-Festivals an einem Liteville 601 zu testen.

Nun ja, Zeiten ändern sich, zumindest teilweise: Aus Rennen wie der Megavalanche wurde die Enduro World Series, bei der es mittlerweile um viel Geld und kleinste Zeitdifferenzen geht – in einem immer dichter werdenden Starterfeld. Bei den Eckdaten der neuen Lyrik heißt das: Aus 26″ wurde 27,5″ bzw. 29″, 180 mm Federweg und eine 15-mm-Steckachse. Doch ganz so einfach ist die Rechnung nicht. Beginnen wir mit der Frage, die die meisten von euch viel brennender interessieren dürfte:

Links: das neue, asymmetrische Lyrik-Casting. Rechts: das Casting der PIKE.
Links: das neue, asymmetrische Lyrik-Casting. Rechts: das Casting der PIKE.

Was sind die Unterschiede zur PIKE?

Die 180 mm Federweg der Lyrik sind schon eine Ansage. Die Lyrik verfügt wie die PIKE über 35-mm-Standrohre, bringt aber aufgrund der stabileren Chassiskonstruktion 2.005 g auf die Waage (im Vergleich dazu wiegt eine 160-mm-PIKE 1.850 g und eine 170-mm-FOX 36 1.995 g).

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Sie besitzt die bereits aus der PIKE bekannte Charger-Dämpferkartusche, jedoch mit einer überarbeiteten Negativfeder im linken Gabelholm, um das Ansprechverhalten noch weiter zu verbessern. Dafür sollen auch die neuen SKF-Dichtungen mit deutlich weniger Reibung bei besserer Abdichtung Sorge tragen.

Links die SKF-Dichtung, welche im Casting Platz findet. Rechts die SKF-Dichtung der Charger-Einheit.
Links die SKF-Dichtung, welche im Casting Platz findet. Rechts die SKF-Dichtung der Charger-Einheit.
Nicht nur die Staubdichtungen am Casting kommen von SKF, auch im Inneren der Charger-Einheit werden sie verbaut.
Nicht nur die Staubdichtungen am Casting kommen von SKF, auch im Inneren der Charger-Einheit werden sie verbaut.
Die neuen Bottomless Tokens: links für Dual Position Air und rechts für die Solo Air Lyrik.
Die neuen Bottomless Tokens: links für Dual Position Air und rechts für die Solo Air Lyrik.

Neu ist an der Lyrik, dass das ebenso geniale wie simple System zur Anpassung der Progression über sogenannte Bottomless Tokens nun bei beiden Versionen, also sowohl bei der Solo Air als auch bei der Dual Position Air, verfügbar sein wird. Bisher war diese Abstimmung Solo Air-Kunden vorbehalten.

Die Rebound-Einheit lässt sich über unterschiedliche Shim-Stacks von RockShox anpassen.
Die Rebound-Einheit lässt sich über unterschiedliche Shim-Stacks von RockShox anpassen.

Wer das letzte Quäntchen an Performance aus seiner Federung herausholen möchte, kann – wie bei der BoXXer auch – das Verhalten der Zugstufe über unterschiedliche Shims anpassen. Dies kommt insbesondere sehr leichten oder schweren Fahrern zugute. Die Anpassung erfolgt beim Service.

Die Laufradmontage bei normalen Naben ist etwas umständlich, da die Führung fehlt. Doch die Verwendung der Torque Cap-Naben ist jedem zu empfehlen: mehr Steifigkeit und Präzision.
Die Laufradmontage bei normalen Naben ist etwas umständlich, da die Führung fehlt. Doch die Verwendung der Torque Cap-Naben ist jedem zu empfehlen: mehr Steifigkeit und Präzision.

Ein wichtiges und neues Feature an der Lyrik ist die Auslegung der Ausfallenden für Torque Caps, die man bereits von der RockShox RS-1 kennt.

Eine deutlich größere Auflage- bzw. Kontaktfläche zwischen der Nabe und den Ausfallenden der Gabel soll die Steifigkeit erhöhen und die Lenkpräzision verbessern.
Eine deutlich größere Auflage- bzw. Kontaktfläche zwischen der Nabe und den Ausfallenden der Gabel soll die Steifigkeit erhöhen und die Lenkpräzision verbessern.
CWX Europe Les 2 Alpes

Mittels mitgelieferter Adapterkappen bleibt die Lyrik aber mit allen herkömmlichen Nabenstandards kompatibel. Die neue Lyrik wird für 27,5″-, 27,5+- und 29″-Laufräder und sowohl für den 15×100- als auch den breiteren Boost 110-Nabenstandard angeboten. Die Laufradmodelle SRAM Rise 60, Roam 30, Roam 40 und Rail 40 sind mit den neuen Endkappen (Torque Caps) kompatibel.

Die neue Lyrik Solo Air ist als 29″-Modell in zwei Varianten (150 mm/160 mm Federweg) und als 27,5″-Modell in drei Federwegsvarianten (160 mm/ 170 mm/180 mm) verfügbar. Sie alle kosten 1.075 €. Die Dual Position-Ausführung gibt es für 29″-Laufräder nur mit 160 mm Federweg, während die 27,5″-Variante mit 160 oder 180 mm Federweg erhältlich sein wird. Kostenpunkt: 1.158 €.

Im Übrigen sind alle Boost-Versionen der 29″-Ausführung mit 27,5+-Laufrädern kompatibel.

PIKE rüstet auf

Von der Entwicklung der Lyrik profitiert nun auch die PIKE. So wird sie im Modelljahr 2016 ebenfalls mit den neuen Torque Caps kompatibel und nun auch in der Dual Position Air-Ausführung über Tokens anpassbar sein – eine in unseren Augen geniale Entwicklung.

Und was ist mit 26″?

Auch wenn es die neue Lyrik nicht als 26″-Variante geben wird, hat man bei RockShox dennoch an die 26″-Fans gedacht und so ist das Innenleben der neuen Lyrik RCT3 als Upgrade-Kit für ältere Modelle der beliebten Gabel zu einem Preis von 344 € zu haben. Nach dem Upgrade verfügt eine derart umgerüstete Gabel über 170 mm Federweg.

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Für wen ist die Lyrik gemacht?

Das ist eine gute Frage! Ganz ehrlich: Die Lyrik hat uns nicht in Staunen und Aufregung versetzt. Warum? Weil sie nicht schimmernd Gold oder sonst irgendwie auffällig war? Vielleicht.
Aber vielmehr deshalb, weil der Einsatzbereich unserer Meinung nach doch recht speziell ist. Das erklärt sich am besten anhand unseres Testbikes: dem Liteville 601.

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190 mm Federweg am Heck, 180 mm an der Front. Zudem eine Geometrie, die sich mehr nach Kompromiss als nach einem klaren Einsatzbereich anfühlt. Kurzum: ein Bike, das man außerhalb von schroffem Alpenterrain oder Bikeparks eher selten sieht. Mit der Lyrik will RockShox die Lücke zwischen der PIKE und der BoXXer schließen und spricht damit die Fahrer an, die eine steifere und langhubigere Endurogabel oder eine leichte Gabel für ihr Parkbike oder ihren Freerider suchen.

Robin Schmitt auf dem Venosc-Trail in Les 2 Alpes.
Robin Schmitt auf dem Venosc-Trail in Les 2 Alpes.

Wie schlägt sich die Gabel in der Praxis?

Nach den ersten 5.000 Tiefenmetern auf schroffem, alpinen Terrain und unzähligen tiefen Bremswellen im Bikepark Les 2 Alpes ziehen wir unser erstes Resümee: Die neue Lyrik funktioniert. Und zwar verdammt gut. Mit plüschig sensiblem Ansprechverhalten saugt sie Unebenheiten willig auf und bleibt auch im steilen Gelände recht hoch im Federweg. Beeindruckend: Selbst tiefe Bremswellen mit High-Speed lassen die Gabel unbeeindruckt.

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So stellt sie schnell den Federweg wieder bereit und fühlt sich keinesfalls überfordert an. Aufgrund der sehr staubigen Trailbedingungen entschieden wir uns, mit Hutchinson Toro Spike-Reifen zu fahren. In dieser Kombination hatten wir sehr guten Grip, besonders auch in Schräghängen. Das offene, nur mittelmäßig abgestützte Profil verminderte jedoch die Spurtreue.

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Bei einem SAG von 30 % bietet die Gabel noch gute Reserven in Form von einem knappen Zentimeter an Restfederweg – den wir nur bei großen Drops oder verrückten Steinfeldern voll nutzten.

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Insgesamt ist die Gabel in der 180-mm-Federwegsvariante ziemlich progressiv, selbst ohne Token! Anfangs fuhren wir die Lyrik ohne Token (Luftvolumenspacer) und mit 68 PSI (bei einem Fahrergewicht von 75 kg), verbauten testweise jedoch einen Token und fuhren mit 58 PSI. Das Resultat: Etwas höhere Sensibilität, größere Schluckfreudigkeit und im mittleren Federwegsbereich fühlte sich die Lyrik zudem etwas definierter an. In einem Langzeittest werden wir weitere Setup-Versionen – vor allem auf unseren vertrauten Hometrails – ausloten. Letzten Endes ist es gut zu wissen, dass jeder die Kennlinie via Bottomless Tokens (sowohl bei der Solo Air als auch der Dual Position Air) an seine persönlichen Präferenzen anpassen kann.

Die Torque Caps sorgen für ein Plus an Steifigkeit und Präzision.
Die Torque Caps sorgen für ein Plus an Steifigkeit und Präzision.
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In engen Kurven bietet die 180-mm-Federgabel sehr guten Support und sackt keinesfalls weg – we like! Lenkimpulse setzt die Lyrik sehr präzise um, auch wenn der Reifen keine optimale Spurtreue aufweist.

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Ist die PIKE die bessere Wahl?

Diese Frage stellte sich uns in Les 2 Alpes tatsächlich mehrmals, lässt sicher aber leider nicht so einfach beantworten. Zum einen, weil der direkte Vergleich auf den schroffen Strecken fehlte. Zum anderen, weil 180 mm Federweg eine ganze Menge sind. Wer einen aktiven Fahrstil hat und gerne mit dem Terrain spielt, wird mit einem 160-mm-Bike mit aggressiver Geometrie vermutlich mehr Spaß haben.

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Im Falle des Litevilles sind 190 mm am Heck und 180 mm an der Front echt viel, was man besonders bei aktiven Fahrmanövern, Kompressionen und Sprüngen merkt. Eine etwas aggressivere Geometrie würde in diesem Fall die Downhill- und Bikeparkperformance mehr erhöhen als ein Plus an Federweg.

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Das Fazit

Die Lyrik ist kein Gamechanger. Muss sie auch nicht sein. Dafür kommt die Gabel mit den bewährten Features und dem Look der vermutlich erfolgreichsten Endurogabel und bietet für einen speziellen Fahrertypus Vorteile: Mit einem super Ansprechverhalten, guten Reserven, einer höheren Steifigkeit und etwas Mehrgewicht ist sie die richtige Wahl für diejenigen, die eine langhubigere und steifere Endurogabel für schroffes Gelände suchen. Während für den normalen Trailbiker die PIKE vollkommen ausreicht, profitieren aggressive Fahrer von den Features der Lyrik. Ob Racer auf den harten Enduro World Series-Strecken tatsächlich zur 180-mm-Variante greifen, bleibt fraglich. Wahrscheinlicher wird es die 160- oder 170-mm-Version werden.

Good Times: Robin mit Bryan Regnier, Angie Hohenwarter und Jon Cancellier bei den ersten Testfahrten in den französischen Alpen.
Good Times: Robin mit Bryan Regnier, Angie Hohenwarter und Jon Cancellier bei den ersten Testfahrten in den französischen Alpen.

Wenn wir die Wahl hätten, dann würden wir definitiv zur PIKE greifen. Denn sie kommt im Modelljahr 2016 ebenfalls mit einem Großteil der Neuentwicklungen der Lyrik (Dichtungen und Torque Caps) und bietet noch immer eine super race- und trailtaugliche Performance in einem leichteren Gesamtpaket. Mit Spannung erwarten wir zudem die neue RockShox Yari, die mit einer überarbeiteten Motion-Control-Kartusche, 35-mm-Casting und einem günstigeren Preispunkt zur Volks-PIKE werden könnte. Ein Testsample werden wir voraussichtlich im September erhalten.

Mehr Infos: www.sram.com/rockshox/products/lyrik-rct3

Text: Robin Schmitt Bilder: Robin Schmitt, Sven Martin, Adrian Marcoux


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Über den Autor

Robin Schmitt

Robin ist einer der zwei Verlagsgründer und Visionär mit Macher-Genen. Während er jetzt – im strammen Arbeitsalltag – jede freie Sekunde auf dem Bike genießt, war er früher bei Enduro-Rennen und ein paar Downhill-Weltcups erfolgreich auf Sekundenjagd. Nebenbei praktiziert er Kung-Fu und Zen-Meditation, spielt Cello oder mit seinem Hund (der eigentlich seiner Freundin gehört!), bereist fremde Länder und testet noch immer zahlreiche Bikes selbst. Progressive Ideen, neue Projekte und große Herausforderungen – Robin liebt es, Potenziale zu entdecken und Trends auf den Grund zu gehen.