
Kaum ein Tech-Thema sorgt dieses Jahr für mehr Gesprächsstoff als die Getriebeschaltung mit Riemenantrieb im Downhill World Cup. Was bis 2024 noch als mutiger Vorstoß einzelner kleiner Teams gesehen wurde, hat sich in nur einer Saison zu einem ernstzunehmenden Trend entwickelt. Angekurbelt von GATES, die mit ihrer Carbon Drive-Technologie in Kombination mit einem Pinion-Getriebe nicht weniger als die Zukunft des Antriebs neu definieren wollen. Unterstrichen von einer deutlichen Nachricht: Wer als Erstes einen UCI Downhill World Cup mit einem GATES-Riemenantrieb gewinnt, rollt mit 100.000 € Preisgeld davon. Eine ordentliche Summe im DH-Rennzirkus. Unter anderem damit hat der Riemenantrieb und sein dazugehöriges Getriebe nun die große Bühne betreten und sorgt für ordentlich Gesprächsstoff.



Mit Atherton Racing und Intense Factory Racing haben nun zwei große und erfolgreiche Teams offiziell auf Getriebeschaltungen umgerüstet. Insgesamt vier Teams setzen im diesjährigen Worldcup auf das riemengetriebene Konzept. So starten ehemalige Weltmeister:innen sowie Gewinner:innen von Weltcups und Nationalen Meisterschaften wie Harriet Harnden, Charlie Hatton und Reece Wilson mit dem System von GATES und Pinion. Noch hat kein Bike mit Riemenantrieb einen Downhill World Cup gewonnen. Aber die Frage scheint nicht mehr zu sein, ob das passiert – sondern wann.


Aber Racing mal zur Seite geschoben. Uns geht es um mehr: Wir wollen wissen, was wirklich hinter dem Hype steckt. Ist das Ganze nur ein cleverer Marketing-Stunt – oder eine technisch überlegene Lösung, die mit der nötigen Entwicklung bald an vielen unserer Bikes zu finden sein wird? Um das herauszufinden, sind wir kurzerhand nach Wales geflogen, haben Charlie und die Atherton-Familie besucht, uns die Entwicklung ihres neuen Atherton A.200.G angeschaut, mit Produktmanagern und Ingenieuren gesprochen und selbst ein Bein über das faszinierende Bike geschwungen. Um uns die entscheidende Frage zu beantworten: Macht die Getriebeschaltung mit Riemen auch an Trail- und Enduro-Bikes und abseits der Worldcup-Strecken Sinn – für euch, für uns, für die breite Masse?



Welche Vor- und Nachteile bringt eine Getriebeschaltung?
Fangen wir vorne an: Eine Getriebeschaltung lässt sich in Verbindung mit einem Riemen oder einer Kette realisieren. Hier fokussieren wir uns hier auf die Methode mit einem GATES-Riemen, die sich aber in der grundlegenden Funktion nicht von der Kombination mit einer Kette unterscheidet. Die größte Hürde ist die Integration des Getriebes im Rahmen – und damit ändert sich natürlich sehr viel an einem Bike. Denn anders als bei der klassischen Kettenschaltung mit Schaltwerk und Kassette wandert das gesamte Übersetzungsmanagement in einen zentralisierten, im Rahmen integrierten Getriebekasten. Die Frage ist also nicht nur: Riemen oder Kette? Sondern vielmehr: Getriebe oder Schaltwerk? Doch was sind die Vor- bzw. Nachteile der Systeme?


Ein oft genanntes Argument gegen Getriebe ist das höhere Systemgewicht, was je nach Ausführung ca. 1,5–2 kg ausmachen kann, im Vergleich zum System mit einer herkömmlichen Schaltgruppe. Doch im World Cup zeigt sich ein ganz anderer Trend: Viele Teams montieren gezielt Zusatzgewichte am Tretlagerbereich, um das Fahrverhalten zu verbessern. Das tiefe, zentrale Gewicht sorgt für ein sattes, stabileres Bike – ein Effekt, den ein integriertes Getriebe wie von Pinion konstruktiv gleich mitbringt. Statt schwerer Kassette und Schaltwerk als ungefederten Masse, verlagert sich das Gewicht tief und zentral in den Rahmen – genau dahin, wo es am wenigsten stört und fahrdynamisch sogar Vorteile bringt.

Im Downhill-Racing zählt jede Linie, jede Sekunde – und jedes Tretmanöver birgt Risiken. Wer während der Fahrt schalten will, muss mit einer klassischen Kettenschaltung nun mal pedalieren. Das ist riskant, vor allem wenn man eigentlich nur einen besseren Gang für die nächste Passage braucht. Denn beim Treten mit dem Pedal eingehängt sind die meisten von uns schon mal, und das Risiko, über den Lenker hinaus zu fliegen, wollen wir alle so gering wie möglich halten. Getriebesysteme lösen dieses Problem elegant: Schalten im Stand, bei Vollgas und vor allem ohne Kurbelrotation – alles ist möglich. Im Downhill-Racing eröffnet das völlig neue taktische Optionen: Denn es muss nicht bereits beim Trackwalk geplant werden, in welchen Sektionen man „umsonst“ treten kann, nur um den passenden Gang einzulegen. Zudem kann das neue Pinion Smart.Shift-Getriebe auch unter Last die Gänge wechseln, was lange nicht möglich war und ein großes Problem darstellt. Dafür wartet das elektronisch gesteuerte Getriebe allerdings den Moment ab, bei dem die geringste Last auf der Kurbel liegt, um den Gang zu wechseln, was gut funktioniert, allerdings nicht so reibungslos vonstatten geht, wie z.B. bei einem Transmission-Schaltwerk von SRAM.
Ein weiterer großer Stolperstein vieler früherer Getriebesysteme war die schiere Kraft, die man zum Schalten gebraucht hat. Weil herkömmliche Schalthebel diese nur schwer übertragen konnten, wurde oft auf eine Grip-Shifter – wie man ihn von vielen Kinderrädern kennt – gesetzt. Das birgt aber natürlich einiges an Nachteile, wenn man sich auf Trails am Lenker festhalten muss. Doch auch diese Hürde hat Pinion mit ihrer Smart.Shift-Technologie inzwischen beseitigt und durch elektronisches Schalten kann wieder auf einen herkömmlichen Schalthebel gesetzt werden.


Mit einem GATES-Riemen in Kombination mit einem Pinion Smart.Shift-Getriebe – wie es alle vier Downhill-Teams fahren – stehen bis zu 600 % Übersetzungsbandbreite zur Verfügung. Das ist mehr als bei jeder herkömmlichen 12-fach-Schaltung. Zudem gibt es kein exponiertes Schaltwerk, das bei einem Einschlag abreißen kann. Und auch kein filigranes Kettenblatt, das sich bei einem Felskontakt verbiegt. Aber: Auch das Getriebe ist nicht unfehlbar. Ein ordentlicher Aufsetzer kann das Getriebegehäuse oder interne Teile zerstören, was dann das gesamte Getriebe lahmlegt, während bei einem herkömmlichen System im Zweifel in wenigen Minuten ein neues Schaltwerk montiert ist. Selbstverständlich können bei Stürzen auch weiterhin Teile abbrechen oder ganze Riemen reißen, wie es uns schon an E-MTBs passiert ist. Auch die Schalthebel – oft in speziellen Konstruktionen – sind nicht immer so robust wie ihre konventionellen Pendants und auch hier haben wir bereits Defekte gesehen. Zudem sind Ersatzteile und Reparaturen bei Getrieben meist deutlich aufwendiger und teurer. Hier entscheidet die Qualität der Umsetzung und das Engineering im Detail.



Das Atherton A.200.G im Detail und im ersten Test
Ein großes Hindernis auf dem Weg in den World Cup war die technische Umsetzung: Wer konnte in so kurzer Zeit überhaupt ein funktionierendes Bike mit GATES-Riemenantrieb und -Getriebe entwickeln? Denn das System benötigt einiges an Platz und beeinflusst damit stark die Hinterbaukonstruktion. Umso beeindruckender ist es, dass das Team rund um Atherton Racing von der ersten Idee bis zum fahrfertigen Bike gerade einmal drei Monate benötigt hat. Der klare Vorteil: Die eigene Fertigungstechnologie – durch die auch die verkäuflichen Modelle entstehen – und ein flexibles und motiviertes Entwicklungsteam.
Denn Atherton A.200.G setzt wie alle A-Modelle auf das Additive-Fertigungsverfahren, bei dem 3D gedruckte Titan-Muffen mit Carbonrohren verklebt werden. Eine besondere Herausforderung war vor allem die schiere Größe der Titan-Muffe, welche das Pinion Smart.Shift Getriebe beherbergt. Denn ein so großes Teil wird für kein anderes Atherton Bike gedruckt. Zudem musste der DW-Link Hinterbau komplett überarbeitet werden und das A.200.G setzt nun auf ein Mid-High-Pivot-System, anstelle des 6-Bar-DW-Links des klassischen A.200. Je nach Setup kann das Pinion-Getriebe dann mit 6, 9 oder 12 Gängen gefahren werden.

Während unseres Besuchs im DYFI Bike Park haben wir die exklusive Chance bekommen, ein paar Runden auf einem der A.200.G-Prototypen zu drehen, um einen ersten Eindruck des Systems zu bekommen. Schon auf den ersten Metern wurde dann klar, wie gravierend der Unterschied zu Bikes mit herkömmlichen Antrieben ist. Der tief positionierte Schwerpunkt in Verbindung mit dem extrem leichten, nahezu schwebenden Hinterrad verändert die Balance spürbar – und fordert etwas Umgewöhnung. Denn bei Wurzelpassagen oder Steinfeldern erwartet der Körper das typische Impulsverhalten vom Heck – doch das bleibt weitgehend aus. Stattdessen zeigt sich das Hinterrad außergewöhnlich gut kontrolliert, dämpft Schläge gekonnt und bleibt dabei konstant in Bodenkontakt. Das Resultat: ein extrem sattes Fahrverhalten, das Vertrauen schafft und sich besonders bei hohen Geschwindigkeiten bemerkbar macht. Aber auch in schnellen, dynamischen Kurven spielt das System seine Stärken konsequent aus. Der präzise Hauptrahmen in Kombination mit dem ruhigen Heck erlaubt eine saubere Linienwahl – egal ob enge Anlieger oder weite Off-Camber-Passagen. Auch große Sprünge oder stylische Flugeinlagen sind kein Problem, erfordern aber etwas mehr Input. Sobald das Bike aber mal in der Luft ist, liegt es äußerst stabil und vermittelt maximale Kontrolle.
Auch das Schalten fordert eine Umstellung. Die Fingerkraft zum Schalten ist – im Vergleich zu einer herkömmlichen Schaltung – zwar etwas höher, aber nicht störend und Schaltvorgänge unter Last sind möglich – jedoch nicht völlig reibungslos. Dafür entfaltet die Option, auch ohne Pedalieren zu schalten, ihr volles Potenzial in der Praxis: Mitten im Anlieger, bei verblockten Passagen oder auf schnellen Kompressionen lässt sich der Gangwechsel präzise und verzögerungsfrei initiieren. Praktisch, sicher und mit zunehmender Eingewöhnung stellt sich hier schnell Routine ein. Das Bike selbst ist beinahe gespenstisch ruhig. Kein metallisches Schaltwerkklackern, keine Kettengeräusche – lediglich das Abrollen der Reifen und das leise Summen der Pinion-Einheit bei Schaltvorgängen sind zu hören. Wer die Stille einmal genossen hat, wird klassische Antriebssysteme fast schon als störend empfinden.


Für welche Art von MTBs macht eine Getriebeschaltung Sinn?
Trotz aller Vor- und Nachteile muss klar differenziert werden: Ob ein Riemen-Getriebesystem Sinn macht, hängt stark von seinem Einsatzzweck ab. Im Downhill-Racing entfalten sich die Stärken fast kompromisslos: gut positioniertes Gewicht und geringere ungefederte Masse, eine freie Gangwahl ohne riskante Tretmanöver und ein reduziertes Defektpotenzial.
Bei Enduro- und Trail-Bikes sieht das anders aus. Hier zählt nicht nur die Downhill-Performance, sondern auch die Effizienz und das zusätzliche Gewicht des Systems beim Pedalieren bergauf. Ein zentrales, schweres Getriebe kann sich hier schneller negativ bemerkbar machen – vor allem auf langen Touren oder in technischen Uphills. Zudem wird auf Trail- und Enduro-Bikes meist wesentlich konstanter getreten und es müssen mehr Gangwechsel unter Last erfolgen – welche teils nicht ganz so weich vonstattengehen – weil man im Uphill ungern aufhört zu treten. Auch der Platzbedarf im Rahmen spielt eine größere Rolle und nicht jedes Hinterbausystem eignet sich dafür, ein Getriebe aufzunehmen. Das konnten wir bereits bei der E-Mountainbike-Entwicklung sehen: Hersteller wie z. B. Santa Cruz sind von ihrem bekannten VPP-Hinterbau abgewichen, um einen Motor besser im Rahmen unterzubekommen. Zudem will heute niemand mehr ein Trail- oder Enduro-Bike ohne Flaschenhalter kaufen und auch Features wie integrierte Staufächer sind quasi Standard. All das erfordert aber auch seinen Platz im Rahmendreieck, der – vor allem bei kleineren Rahmengrößen – bereits schon sehr limitiert ist und durch ein Getriebe noch weiter eingeschränkt wird.


In Sachen Hinterbau-Kinematik kann durch ein Getriebe sowohl der Anti-Rise als auch der Anti-Squad präziser abgestimmt werden, da sich die Ritzelgröße nicht ändert und der Wert immer konstant bleibt. Das kann bei der Entwicklung von einem Trail- oder Enduro-Bike mit Getriebe-System aber auch wieder zum Nachteil werden, denn bei solchen Bikes werden sowohl Anti-Rise als auch Anti-Squad meist auf das jeweilige Szenario – also Uphill oder Downhill – und die dazugehörige Ritzel-Position angepasst. Mit einem Getriebe wäre das nicht mehr möglich.
Auch die steigenden Kosten und die wesentlich geringere Auswahl an Getriebelösungen muss berücksichtigt werden. Denn setzt man bei seiner Rahmen-Plattform auf eine Getriebelösung, müssen alle angebotenen Modelle damit ausgestattet werden. Damit verringert sich der Spielraum für unterschiedliche – sprich günstigere – Ausstattungsvarianten enorm und auch die momentane Ersatzteilbeschaffung ist erschwert. Andererseits bringt das System genau dort seine größten Vorteile, wo regelmäßiger Wartungsaufwand oder empfindliche Komponenten störend wirken. Kein verdrecktes Schaltwerk, kein verrosteter Antrieb, keine verbogenen Schaltaugen – das sind klare Pluspunkte für viele, die lieber fahren als schrauben. Doch reicht das aus, um sich im Massenmarkt zu etablieren?
Die entscheidende Frage bleibt offen: Wird die Getriebeschaltung mit Riemenantrieb vom Downhill World Cup ausgehend auch seinen Weg an Trail- und Enduro-Bikes finden – ähnlich wie die einst als Exoten abgestempelten High-Pivot-Modelle? Die Parallelen sind auffällig. Damals wie heute galten die Systeme zunächst als zu schwer, zu laut oder zu komplex. Heute rollen High-Pivot-Bikes sogar in leichten Trail-Konfigurationen durch den Wald, weil die stetige Weiterentwicklung viele dieser anfänglichen Probleme gelöst hat. Warum also nicht auch mit einem Getriebe?

Das Fazit zu Getriebeschaltungen
Die Getriebeschaltung mit Riemenantrieb ist mehr als ein kurzlebiger Trend – er zeigt klare Vorteile, besonders im Downhill-Einsatz. Mit zentraler Gewichtsverteilung, geringerer ungefederter Masse und cleverer Schaltlogik bietet das System klare Stärken. Doch für Trail- und Enduro-Bikes bleibt es eine Abwägung: Hohe Entwicklungskosten, mehr Gewicht und eine geringere Flexibilität für die Hersteller stehen dem Gewinn an Fahrdynamik, Robustheit und Servicefreundlichkeit gegenüber. Damit sich die Systeme etablieren können, muss stetig weiterentwickelt werden, aber genau diese Weiterentwicklung hat nun richtig Fahrt aufgenommen.
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Text & Fotos: Peter Walker