Am besten erklärt sich das anhand einer Marke, die bei vielen Industrie-Spielchen nicht mitmacht, aber dafür ihr eigenes Spiel spielt: Kein anderer Bike-Hersteller verbindet Tradition und Fortschritt so gut wie das Bocholter Familienunternehmen ROSE. Wer das bislang nicht glaubt, wird nach diesem Artikel schlauer sein.

Innovationen sind laut Wikipedia Ideen und Erfindungen, die in neuen Produkten, Dienstleistungen oder Verfahren umgesetzt werden und eine erfolgreiche tatsächliche Anwendung finden. Vergleicht man die nackten Zahlen eines aktuellen ROSE UNCLE JIMBO, GRANITE CHIEF oder ROOT MILLER mit Mitbewerbern, findet man nur marginale Unterschiede – wie bei den Modellen der meisten Hersteller. Was macht ROSE dann so besonders?

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Ein Fahrradladen mit Nähmaschinen

Fakt ist: Heutzutage gibt es kaum noch schlechte Bikes. Dafür aber falsche Beratung, unzureichende Qualität, schlechten Service und für den Laien schwer verständliches Marketing. Will man die Innovationskraft der Bocholter verstehen, muss man in ihre Geschichte eintauchen. Die beginnt vor über hundert Jahren, als Heinrich Rose 1907 ein Fahrradgeschäft in der Nähe der deutsch-niederländischen Grenze aufmacht. 25 Jahre später verkauft sein Sohn Heinrich jr. in seinem eigenen winzigen Eckladen im Sommer Fahrradrahmen der Marke Edelrose und Ersatzteile, in der Off-Season nimmt er Nähmaschinen und sogenannte Hollandöfen mit ins Programm, um den Laden am Leben zu halten.

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Am Puls der Zeit – Sportmarketing und Versandhandel

Ab den 1970ern führen nach dem Tod des Firmengründers seine Söhne das Geschäft weiter und nehmen eine entscheidende Neuerung vor: Erwin Rose, der das Unternehmen bis heute leitet, baut eine Radsportabteilung auf. Damit hat er den Finger am Puls der Zeit, denn war Radsport zu Zeiten seines Vaters noch keine große Sache, wird er nun zu einer ernsthaften Angelegenheit.

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Auch ROSE selbst wird immer größer, entwickelt ab 1979 erst Stahl- und Aluminiumrahmen und später auch Carbonrahmen in Japan und plant ab den frühen 1980ern erste überregionale Werbeaktionen – mithilfe eines Schwarz-Weiß-Kopierers. So werden in guter, alter Handarbeit die Angebotszettel vervielfältigt und an auswärtige Kunden verteilt. Das Konzept ist so erfolgreich, dass sich daraus 1982 der damals richtungsweisende Katalog entwickelt, der den Kundenstamm des kleinen Unternehmens beträchtlich erweitert: 64 schwarz-weiße Seiten bündeln in zahlreichen Tabellen alle denkbaren Bike-Infos und veranlassen Generationen von Fahrradfahrern, vom perfekt auf die eigenen Bedürfnisse angepassten Bike zu träumen. Die Texte werden zu Beginn noch von Erwin Rose selbst auf der Schreibmaschine verfasst. Jahre später sollte der Katalog einen Umfang von fast 1.000 Seiten und eine Auflage von 750.000 Exemplaren haben. Beliebt macht sich ROSE in der Branche damit nicht, den meisten anderen Händlern ist das Prinzip des Versandhandels noch suspekt.

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Von Bocholt in die Welt – ohne Flugzeug und Energy-Drink

Um sich darüber Gedanken zu machen, fehlt Erwin Rose aber die Zeit. Er weitet gerade das Sortiment seines Direktvertriebs aus und importiert als einer der ersten Europäer hochwertige Rennräder aus dem Ausland, zum Beispiel Nishiki aus Japan und De Rosa aus Italien. Wenn mit den japanischen Herstellern kommuniziert werden muss, fährt Erwin Rose zur nächstgelegenen Sparkassenfiliale, weil die über einen Fernschreiber verfügt. Konstruktionszeichnungen wandern per Luftpost hin und her. So knüpft der Firmenchef bereits in den 80er-Jahren wichtige Kontakte zu asiatischen Produzenten, von denen die Firma heute noch profitiert.

1990 ist ROSE so stark gewachsen, dass die Firma umziehen muss und nun 1.200 m² in der Innenstadt bevölkert – vier Jahre später wird auch dieses Geschäft zu klein. So geht es an den Stadtrand, wo bis heute Lager und Kommissionierung, Versand und Verwaltung der Marke sitzen. Auch die Montage der neuen Fahrräder findet hier statt. Aber 1994 ist nicht nur das Jahr des großen Umzugs, es ist auch das Jahr der ersten ROSE-Eigenmarke seit den Edelrose-Rahmen der 1930er, die exklusiv im Versand vertrieben wird. Sie heißt – wie der gleichnamige Energy-Drink-Hersteller – RED BULL, wobei sich Erwin Rose die Markenrechte als Erster in Deutschland schützen ließ. Das Wachstum ist nicht mehr aufzuhalten: Wiederholt müssen die Produktions- und Lagerhallen erweitert werden, um genügend Platz zu schaffen und immer wieder gibt es Angebote, die Firma aufzukaufen. „Das war so viel Geld, davon hätte ich mir locker ein Flugzeug kaufen können“, sagt Erwin Rose. „Aber das will ich gar nicht.“

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Die erste Bike-Boutique

Lieber zeigt das Familienunternehmen, dass es seine Händlerwurzeln nicht vergessen hat und verwirklicht 2005 mit der Bocholter BIKETOWN Erwin Roses Lebenstraum: Hier werden über 6.000 m² und vier lichtdurchflutete Stockwerke hinweg Klamotten, Komponenten und Accessoires ansprechend präsentiert – und man kann alles gleich ausprobieren. Zum Beispiel beim professionellen Vermessen der Füße für den perfekten Schuh oder der Sitzknochen für den perfekten Sattel. Umfassende Betreuung durch einen der 65 Mitarbeiter ist garantiert. Und wenn gerade keiner da ist? Stöbert man einfach, trinkt Gratiskaffee und wird per Pager benachrichtigt, sobald die nächste Fachkraft frei wird. Außerdem hat die hauseigene Werkstatt 30.000 Teile vorrätig, darunter bis zu 5.000 Extraartikel ab den 90er Jahren – die Chancen, dass das Bike gleich repariert werden kann, sind nach kurzer Voranmeldung ziemlich hoch. Selbst online bestellte Bikes können vor Ort abgeholt werden, wobei die Übergabe ähnlich zelebriert wird wie im Automobilbereich – Einführung, Accessoire-Schulung und Setup inklusive. Thorsten Heckrath-Rose sagt zum Konzept des Ladens: „Ich glaube, das Geheimnis eines erfolgreichen Unternehmens ist immer, über den Tellerrand hinauszuschauen.“ Daher standen für die ROSE BIKETOWN in Bocholt weniger Fahrradgeschäfte Modell als Autoshowrooms, Restaurants und auch ein Jeansladen in San Francisco. Die ROSE BIKETOWN wurde erst kürzlich umfassend modernisiert.

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Die alte neue Marke – ROSE

Vor sieben Jahren vollzieht sich dann der vermutlich größte Durchbruch und ein grundlegender Imagewechsel: Nachdem es immer schwieriger wurde, die Eigenmarke RED BULL vom gleichnamigen Energy-Drink abzugrenzen, entschließt man sich zu einer radikalen Maßnahme und gibt sie auf. Stattdessen wird die Fahrradmarke ROSE eingeführt, die wieder den Namen des Familienunternehmens in den Fokus rückt. Seitdem gibt es auch das neue ROSE-Logo und ein neues Design. Begonnen wird mit Mountainbikes, hier entsteht mit drei Ingenieuren eine komplett neue Rahmengeneration. Ab 2011 sind auch Trekkingbikes und Rennräder unter der Marke ROSE im Programm.

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Wer die Entwickler bei ROSE kennt, weiß, dass das Team mit Leidenschaft dabei ist und in den letzten Jahren hervorragende Arbeit geleistet hat. Dennoch ist die Entwicklung eher konservativ. In Bocholt macht man nicht jedes Spielchen und jeden Hype mit, sondern wartet lieber etwas ab und steigt dann voll ein. Das minimiert die Risiken und ist auch für den Endkunden besser: Ausgereifte, zuverlässige Bikes ohne Kinderkrankheiten – das entspricht der Firmenphilosophie und dem eigenen Qualitätsanspruch. Als Direktversender ist es zudem schwerer, neue Standards gleich durchzusetzen, schließlich hat man (abgesehen von den BIKETOWNs und Festivals) beim Versandhandel deutlich weniger Kundenkontakt als ein konventioneller Händler.

Der Bikekonfigurator – Fortschritt aus Tradition

Doch auch im neuen Millennium liegen die Stärken von ROSE noch immer in denselben Bereichen wie zu Beginn der Firma. Schon vor hundert Jahren kauften die Kunden primär neue Rahmen und dazu passende Einzelteile. Auch, wenn der Ausdruck „custom made“ noch nicht erfunden war, regierte das Prinzip des eigens für den Kunden angefertigten Bikes schon damals das Selbstverständnis der Bocholter. Seit 2009 wird das durch den Konfigurator unterstrichen: Hier gibt es keine Räder von der Stange, sondern es kann sich jeder nach seinen speziellen Wünschen und Anforderungen sein Traumbike zusammenstellen und online als Fotomontage schon einmal anschauen. Um das zu ermöglichen, verfügt ROSE über drei Fotostudios in Bocholt, um das gesamte Sortiment abzulichten. Durch den zusätzlichen Arbeitsaufwand beim Tausch der Komponenten entstehen keine Extrakosten für den Kunden, jedes Fahrrad wird exakt nach den Bestellungswünschen von Hand in den Werken in Bocholt aufgebaut und mehr oder weniger fahrfertig versandt.

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Online meets stationären Handel – BIKETOWN München

Letztes Jahr wurde in München eine neue BIKETOWN als multimedialer Konzeptstore eröffnet. In der bayerischen Hauptstadt haben riesige Touch-Screens und Tablets die langen Aufpreis- und Teilelisten der früheren Kataloge abgelöst. Alle Teile kann man hier in 3D anschauen und individuell konfigurieren, produziert wird weiterhin in Bocholt. In der Entwicklung vom Bocholter zum Münchner Standort lässt sich bereits eine Tendenz erkennen, die ROSE auch in den nächsten Jahren forcieren will. Es soll eine noch stärkere Verknüpfung von online und offline stattfinden. Schließlich sagt Thorsten Heckrath-Rose: „Wir sind nicht nur online, wir sind auch stationär, wir sind auch Einzelhändler – ganz bewusst.“ Überzeugen will die Firma online und offline aber auf die gleiche Weise: indem sie ein gutes Produkt verkauft und den Service in den Mittelpunkt stellt.

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Tradition fortführen – killt den Versandkatalog!

Tradition wird im Familienunternehmen nach wie vor groß geschrieben. Deshalb gehört der Versandkatalog nach über 30 Jahren nun der Geschichte an. Was das mit Tradition zu tun hat? Nun ja, Zeiten ändern sich und damit wandelt sich auch die Wahl der richtigen Maßnahmen. Genauso wie RED BULL der besseren Eigenmarke ROSE weichen musste, so muss der Versandkatalog weichen. Schließlich wurde der Katalog damals nicht ins Leben gerufen, weil man unbedingt etwas drucken wollte. Sondern, weil man mehr Menschen gezielter erreichen wollte. Nun gibt es dafür die Webseite. Aus dem Versandkatalog mit dem Hauptsortiment wurden spezifische Broschüren mit den Bike-Modellreihen. Außerdem bietet das neue Kundenmagazin CYCLE STORIES neben Produktvorstellungen auch praxisnahe Service-Themen, Fahrtechnik-Tipps und einen Blick hinter die Kulissen der Firma.

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Innovation durch Realismus

Und jetzt? Nachdem aus 30 m² Verkaufsfläche 32.000 m² Betriebsfläche geworden sind? Nachdem aus dem kleinsten Laden Bocholts ein in vierzehn Ländern agierendes Unternehmen geworden ist? Wo soll die Reise hingehen? Darauf kann und will man sich bei ROSE nicht so genau festlegen. Wahrscheinlich wird es in der Zukunft u. a. verstärkt um E-Bikes gehen, um mehr Komfort und Allroundfähigkeiten bei Rennrädern und für die Kunden um eine noch stärkere Verknüpfung von online und offline. Vor allem ist und bleibt ROSE aber ein Familienunternehmen. Die dahinterstehende Philosophie fasst Erwin Rose so zusammen: „Meine Vorstellung unserer Marke ist, dass wir bei unserem Konzept bleiben und trotz Direktversand kein Massenhersteller werden. Die Priorität liegt beim Qualitätsstandard und unser Kapital liegt nicht auf der Bank, sondern in den qualifizierten Mitarbeitern.“

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Bei ROSE arbeiten Realisten, Leute, die ihr Geschäft und ihre Arbeit verstehen – sie wissen, worauf es ankommt. Und das ist auch unser Eindruck: Ein gutes Unternehmen braucht nicht in jeder Position passionierte Bike-Freaks, sondern zuverlässige Profis und Spezialisten im jeweiligen Fachgebiet. Während sich einige Hersteller in den aberwitzigsten Details für die Tech-Freaks verlieren, sieht man in Bocholt das große Ganze.

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Man will nicht nur einen größeren Teil des Kuchens (wie jeder Hersteller), sondern man will den Kuchen größer machen – indem man neue Leute fürs Biken begeistert und ein breites Publikum anspricht. Und das tut man bei ROSE nicht durch Kommunikation der kleinsten technischen Details, mit denen viele Amateure ohnehin nichts anfangen können. Sondern durch Service, Qualität und innovative Konzepte.

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Text: Cornelia Thoellden Fotos: Klaus Kneist / Christoph Bayer


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