Hello America! | Teil #11 Roanoke – Teil 2
In zwei verschiedenen Ländern, 6.600 km von ihrer Heimat entfernt – wir haben zwei Jungs gefunden, die sprichwörtlich ihr Leben getauscht haben: einer in Amerika, der andere in Deutschland. Wie fühlt sich Radfahren in der jeweils neuen Welt an? Wer findet die besten Trails? Wer das beste Bier? Nehmt teil an ihren Geschichten und folgt ihren Abenteuern auf den Trails der neuen Welten.
Amerikaner sind maßlos verwöhnt, wenn es um gute Bike-Destinationen geht. In den USA findet sich quasi ein Epizentrum der Mountainbike-Kultur neben dem anderen und es werden immer mehr. Wir Deutschen leben im Vergleich dazu wie in der Steinzeit: Ich kenne kaum einen Ort, an dem man als Mountainbiker herzlich Willkommen ist und gute Bike-Trails legal befahren darf. Vielleicht ist es an der Zeit, dass Deutschland sich mal ein Beispiel am großen Bruder auf der anderen Seite des Atlantiks nimmt.
Roanoke in Virginia an der Ostküste der USA wäre eine verdammt gute Vorlage. Im ersten Teil meiner Reise-Geschichte habe ich beschreiben, wie ich per Zufall auf diesen Rohdiamanten in den Blue Ridge Mountains gestoßen bin. Im zweiten Teil will ich von Roanokes facettenreichem Trailangebot erzählen. Vor allem aber interessiert mich, wie es einer Stadt im amerikanischen Nirgendwo gelungen ist, mehr und vor allem bessere Trails zu entwickeln, als ich sie jemals in Deutschland fahren konnte. Und wieso Roanoke trotzdem noch immer zu einem Geheimtipp in den Appalachen zählt, obwohl es das Potenzial hätte, zu Amerikas „next big mountain bike city“ an der Ostküste aufzusteigen.
Organized Chaos
Unser erster Spot-Check für ENDURO wird Realität. Wir brauchen einen Pick-up, da ohne Shutteln das harte Trailprogramm und die Fotoshootings mit all den Fahrern und Bikes undenkbar sind. Ein Dodge RAM 1500 mit 5,7 l Hubraum – der beste Job ever! Doch bevor es losgeht, muss erst noch Freund und Fotograf Max vom Airport abgeholt werden. Über die Interstate 81 cruisen wir durchs Shenandoah Valley in den Südwesten Virginias. Highway fahren in den USA ist anders: Amerikaner schwärmen von der deutschen Autobahn und den schnellen Autos, mir aber fehlen der Stress und andauernde Überholterror aus meinem Heimatland kein bisschen. Vielleicht bin ich zu alt oder einfach zu neugierig, aber hier in den USA hat man Zeit, die Landschaft zu bestaunen und deutlich entspannter zu reisen.
Die Interstate 81 bietet nicht nur eine idyllische Country-Side, sondern ist unter Bikern an der Ostküste fast schon legendär. Rechts und links in den Tälern der Appalachen liegen uralte Bikespots wie Massanutten, Sherando Lake und Snowshoe in West Virginia: knochenharte Trails, übersät mit den erodierten Überresten des einst wohl höchsten Felsengebirges auf diesem Planeten. Im Herbst versinkt die ganze Region in den rot-gelben Farben des Indian Summers und das fallende Laub verwandelt die anspruchsvollen Trails und Rock Gardens in fahrtechnische Horrorshows. East Coast gnar at it’s best!
Unser Ziel ist Salem bei Roanoke, einer der alteingesessen Bikeshops der Region – „Just The Right Gear“. Der Name ist Programm: Boutiqueshop, „Rider owned“, mit kompetenten Mitarbeitern. Wir sind stoked, das neue Yeti SB5c als Leihbike für Max in Empfang zu nehmen, doch die edle Dame lässt etwas auf sich warten. Mein Masterplan gerät ins Wanken – kein Rad für den Fotografen! Easy … nur ein kleines Missverständnis, in der Zwischenzeit wird uns ein Santa Cruz Bronson überlassen. Auch keine schlechte Wahl.
Pandapas Pond
Wir sind bereits in Verzug, wollen endlich auf die Bikes und den ersten Spot außerhalb von Roanoke auskundschaften. Die Jungs von der Virginia Tech Uni (VT) warten in Blacksburg schon ungeduldig auf die Deutschen mit Verspätung. Sie wollen uns dringend ihre Hometrails zeigen, die von etlichen Jahrgängen an VT-Absolventen in die Blue Ridge Mountains gebaut wurden. Wir shutteln also mit gut 100 km/h auf dem Highway. Mit etwas Nationalstolz bemerke ich ein brandneues YT Industries TUES auf dem Pick-up, dank Cam Zink kommt der deutsche Direkt-Versender nun auch auf dem US-Markt an. Und zwar verdammt gut, das Label ist hier mittlerweile bestens bekannt.
Unpassend, aber typisch für den schwülen Süden: Ein milchiger Dunstschleier zieht am Himmel auf, diffuses Streulicht. Unter dem Blätterdach sinken die Aussichten auf gute Bilder im Minutentakt. Dabei hätte Pandapas Pond spannende Shots absolut verdient. Die Rede ist von einer Unzahl dramatisch guter Trails, mehr als 30 Meilen umfassend und alles „handbuilt in Murica“. Manche schön steil, mit Wurzelstufen, faustgroßen Steinbrocken und multipler Linienwahl. Dann wieder geht es durch grüne Rhododendron-Tunnel auf organisch-erdigem Untergrund – schnell und ohne Frage selten gut.
Uns fehlt die Zeit, um diesen Teil der Trails rund um Blacksburg an diesem Tag genauer zu erkunden, aber der Spot allein ist schon eine Reise wert. Wir shoppen schnell noch Burgerfleisch und Jalapeños und fahren in der Dämmerung weiter zu Brett mit seinem hauseigenem Pumptrack im Back-Yard. Die „Blacksburg Crew“ hat ihren Spaß bei der abendlichen Jump-Session – ich starte das BBQ, dazu gibt es meinen hausgemachten schwäbischen Kartoffel-Gurkensalat als Dankeschön für die amerikanische Gastfreundschaft. Wie immer darf das After-Ride-Craft-Bier nicht fehlen und wir testen uns durch einige lokale Spezialitäten. Yummy!
The Cove – Share the Trail!
Später fahren wir durch die Nacht, ich falle fast um vor Müdigkeit. Unsere Unterkunft für die nächsten Tage ist das Wilderness Adventure Camp „Eagle Landing“ bei Newcastle, einem kleinen Farmer-Nest im Jefferson National Forest. Die urigen Holzhütten des Camps liegen im Dunkeln, einzig ein warmer Feuerschein macht Hoffnung. Sean, der Camp-Manager, begrüßt uns herzlich und lädt uns direkt auf ein weiteres Bier ein. Klischee, mag sein, aber wir sitzen so was von authentisch mit den Outdoor-Guides am Lagerfeuer – unter sternenklarem Himmel. Back-Packing, Kayaking, Klettern, Fischen und Mountainbiken sind hier die Themen, meist für Kinder aus der Big City in den Sommerferien. Nach ein paar weiteren Bieren fallen alle „erschöpft“ in die Betten. Der Wecker ist gestellt.
Carvin’s Cove steht am nächsten Morgen auf dem Programm. Die Trails rund um das fotogene Trinkwasser-Reservoir sind bestens kartografiert und werden von den Locals mit Support der Stadt stetig ausgebaut. „Machine built“ und nachhaltig aufrechterhaltbar – perfekt gestriegelt und meist ohne böse Überraschungen. Hier waren Profis am Werk, so viel Flow kann kein Zufall sein. Echter Gnar findet sich nur auf wenigen Trails, aber das ist auch nicht das Ziel. Das kommunale Trailnetz soll für Biker, Reiter und Fußgänger gleichermaßen attraktiv sein. „Share the Trail“ lautet das Motto! Trifft man vereinzelt auf Zwei- oder Vierbeiner, wird freundlich gegrüßt und Rücksicht genommen. Nicht anders als in Deutschland auch, aber ohne überholte Zwei-Meter-Regelung wie in BaWü …
Auf satte 50 Meilen kommt das vom örtlichen IMBA Chapter (International Mountain Bike Association) maßgeblich geprägte Trailnetz. Die IMBA USA macht es sich seit Langem zur Aufgabe, die hohe Kunst des Trailbaus zu vermitteln, sprich: wie man gute MTB-Strecken naturverträglich anlegt und erhält. Zudem erzeugt die Non-Profit-Organisation Druck auf Kommunal- und Parkverwaltungen und verschafft damit Mountainbikern und ihren Belangen Gehör auf politischer Ebene. Die erste Lobbygruppe, die ich richtig sympathisch finde.
In Roanoke steckt noch mehr dahinter: Kein Baumstamm, keine Erosionsrinne „stört“ den Fahrspaß an der Cove. Trailpflege deluxe! Wer kümmert sich um dieses umfangreiche Wegenetz so fürsorglich? Renee Powers weiß die Antwort. Die Outdoor-Recreation-Spezialistin ist im Auftrag der Stadt zuständig für Roanokes Biketrails und berichtet von einer sagenhaften Symbiose zwischen Hikern, Bikern und Horseback Ridern: Viele Reiter führen Motorsägen mit sich und eliminieren störendes Totholz sofort. Biker setzen Trails instand, bauen neue Teilstrecken und vernetzen damit die Cove Stück für Stück. Und die zahlenmäßig starken Wandergruppen treiben immer neue Großprojekte in die Tiefen der Blue Ridge Mountains voran. So profitiert jeder voneinander anstatt sich gegenseitig zu bekriegen. Respekt ist das Schlüsselwort.
American Craft Pride
Wir treffen Roanokes Rider Szene an der Upper Cove – auf dem Old Gauntlet, einer knapp einen Kilometer langen Jump-Line, die jeden guten Bikepark neidisch machen könnte. Der OG bietet Anlieger-Kombos, Tables und Gaps mit teils ordentlichen Ausmaßen. Heftige Regenschauer setzen ein, kurz darauf wieder Sonne und in Minuten trocknet der Megaspot ab. Professionell gebaut, mit schweren Maschinen und fast 1.000 Arbeitsstunden etlicher Freiwilliger der „Blue Ridge Gravity“-Crew. Finanziellen Support gab es anfangs von der Stadt, später vonseiten der bikenden Community in Roanoke. Extrem stolz ist man hier auf das, was einst in der Illegalität begonnen hat und über Jahre von den Local Ridern aus dem Boden gestampft worden ist.
Die Session wird bunter, fette Parkbikes und Enduros tauchen auf, dazwischen Hardtails, Dirtjumper und 29er – erlaubt ist, was Spaß macht. Alles sehr entspannt und freundlich, ohne Stress und Angeberei. Die Linienwahl wird diskutiert und die Jungs nehmen sich gegenseitig auf den Arm: „The only Double you do is at Wendy’s!“ „What, are you trying to say I am fat?” Das kenne ich aus Deutschland … guter Spaß unter Trailbuddys!
Am Abend trifft man sich in Roanokes lokaler Vorzeige-Brauerei. Wenig fotogen stellt sich die kleine, im Umbau befindliche Parkway Brewery dar, dafür ur-amerikanisch mit Bluegrass-Countryband und handgebrauten Craft-Beers. „Get Bend“ India Pale Ale (IPA) ist unser Favorit – lecker Starkbier! Zwischen blankpolierten Braukesseln und Abfüllanlage sitzen die Leute an deutschen Biertischen, es gibt keine TV’s und niemand wischt hier übers Smartphone. „It’s all about community and good beers“, verrät uns Keno, der stolze Firmengründer, dessen Partner und Braumeister in good ol’ Germany die hohe Kunst des Bierbrauens studiert hat. Wir glauben es gern, denn das IPA in unserem Pitcher schmeckt einfach verdammt gut.
North Mountain – Dragon’s Back
Etablierte Trailheads zu shredden ist eine feine Sache. Aber das echte Abenteuer, so sagt man uns, findet sich in Roanokes Back-Country, in den Tiefen der Blue Ridge Mountains. Hunderte Meilen alter Ridge- und Scouttrails soll es da draußen geben – selbst vielen Einheimischen immer noch unbekannt. Nutzbares Kartenmaterial gibt es jedoch kaum, man muss sich auf lokale Guideanbieter wie Roanoke Mountain Adventures stützen oder mit den Locals losziehen. Manche Trails stammen noch aus der Zeit des Bürgerkriegs (1861–1865) oder wurden bereits von den indigenen Völkern Nordamerikas angelegt. Ich fühle mich wie in einem Karl-May-Schinken, Kindheitsträume von Cowboys und Indianern werden wach. Ich wollte schon immer auf der Seite der Indianer sein.
Aufbruch in aller Herrgottsfrühe. Die Locals warnen uns vor Bären, die um diese Zeit unterwegs sind: Schädel, groß wie Pizzaschachteln, aber meist wenig interessiert an uns lärmenden Menschen. Mein Bären-Spray liegt in D.C., die Schlagzeilen sehe ich bereits vor mir: „Germans Eaten by Black Bears!“ Hike & Bike nennt sich das, was wir hier gerade machen – Schieben wie auf einem Alpenpass, nur deutlich schwüler. Der Schweiß rinnt in Strömen, doch der Gradtrail soll es wert sein. Zwar verweigern Eichen und Unterholz hartnäckig den Blick auf die Täler und Bergketten in der Ferne, aber wir können die Dimensionen rund um Roanoke so langsam erahnen.
Nach gut einer Stunde sind wir am höchsten Punkt angekommen und der Dragon’s Back Trail mit viel Fels und schnellen, flowigen Passagen wartet auf uns. Ein Ritt auf dem Rücken des Drachen. Kein flurbereinigter Benchcut-Trail, sondern „off-camber“, schmal und in vielen Teilen anspruchsvoll und technisch. Old-School-Gnar, so wie ich es von den Alpen kenne. Das ist meine liebste Definition von Mountainbiken: ehrlich, wild und atemberaubend. Was wir an diesem Morgen erleben, bestätigt meine ursprüngliche Wahrnehmung: Roanoke ist ein echter Rohdiamant, ungeschliffen und wertvoll. Vermutlich einer der größten, die ich je ausgebuddelt habe. Den Berggöttern sei Dank – und allen Beteiligten ebenso!
Ken, einer unserer Begleiter an diesem sonnigen Morgen, kommt aus Asheville, North Carolina, und kennt die Bikeszene in den Appalachen seit Jahrzehnten: „Roanoke is the place to be, believe me!“ Nirgends gibt es so viele gute Trails und nur so wenige wissen davon. Wie kann es sein, dass so ein spektakulärer Spot noch weitgehend unbekannt ist? Die East Coast leidet unter einem generellen Wahrnehmungsdefizit. Nur wenige Spots sind landesweit bekannt. Medien und Industrie richten ihre Aufmerksamkeit seit jeher stark auf den Westen der USA. Kalifornien, Colorado, der pazifische Nordwesten und die Wüstenstaaten bekommen einfach mehr Beachtung, dort schlägt das Herz des amerikanischen Mountainbikens. Der Vorteil ist, dass viele der „vergessenen“ Trails an der Ostküste nicht überlaufen sind und man stundenlang keiner Menschenseele in der Wildnis begegnet. Der Nachteil besteht darin, dass viele Trailnetze mangels Interesse und Unterhalt allmählich verloren gehen und lokale Gemeinden keinen Nutzen im Ausbau weiterer Strecken sehen.
Daher ist es gut und wichtig, dass weitsichtige Gemeinden wie Roanoke erkennen, welches Potenzial Mountainbiken als Outdoor-Tourismusfaktor bietet und mit gutem Beispiel vorangehen. Wer sich mit lokalen Fahrern und Trail-Organisationen gemeinsam um den Erhalt, den Ausbau und die Vermarktung des Trail-Angebots kümmert, wird die Aufmerksamkeit der Bike-Community erhalten. Denn Mountainbiken ist schon lange keine Trendsportart mehr, sondern wird auch in Zukunft weiter wachsen. Wir brauchen auf lange Sicht einfach mehr gute Trails und bikefreundliche Gemeinden. Nicht nur in den USA, sondern vor allem auch in Deutschland, wo man leider immer noch weit hinterher hinkt. Doch die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt.
Weitere Infos zu Roanoke:
Blue Ridge Gravity | Bikeshop “Just the Right Gear” | Wilderness Adventure Camp “Eagle Landing” | Roanoke Mountain Adventures | Roanoke Outside Bike | IMBA Chapter Roanoke | Parkway Brewery
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Text: Steffen Gronegger Bilder: Max Leitner Photography, Steffen Gronegger
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