Als ich die Fernbedienung weglege, bin ich immer noch komplett aufgewühlt. Gerade hab ich mir einen der neuen Mountainbike-Filme reingezogen und der war wieder einmal vollgepackt mit fetter Action und atemberaubender Natur. Das Adrenalin pumpt durch meine Adern und ich denke: „Ja, verdammt! Ich hab Bock rauszugehen und ein paar geile Trails zu heizen!“ Doch dann holt mich die Erkenntnis wie ein Schlag ins Gesicht zurück in die Realität: Meine Hometrails sind scheiße!

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Ist es euch auch schon mal schwergefallen, die Motivation aufzubringen, jeden Tag von neuem dieselben Trails zu fahren? Langweilen euch eure Hometrails? Wünscht ihr euch stattdessen, diese scheinbar endlosen alpinen Singletrails zu fahren, die man in den Videos ständig sieht, und mit uneingeschränktem Liftzugang den ganzen Tag Tiefenmeter zu vernichten? Auch wir hatten dieses Gefühl – doch dann haben wir unsere Hometrails aus einem anderen Blickwinkel betrachtet.

Open your mind

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Denkt mal an eure heimischen Trails: Wie oft fahrt ihr dieselbe Runde, mit derselben Zeit zur Verfügung, mit denselben Leuten und auf demselben Bike, unter denselben Bedingungen? Ist es nicht an der Zeit, das Ganze mal ein wenig aufzumischen? Wir haben uns an unseren letzten Trip nach Finale Ligure erinnert und uns gefragt, warum wir dort soviel Spaß hatten. Sicher, die Trails sind großartig und die ganze Location ist fantastisch, aber was es am schönsten gemacht hat, war die soziale Komponente. Mit der Crew auf der Piazza flanieren, einen Espresso schlürfen, und Zeit haben, über Belanglosigkeiten zu quatschen (und über die Party am Abend davor!) – das ist der perfekte Start für einen großartigen Tag auf dem Bike!

Relax mal wieder!

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Für die meisten von uns ist die Zeit zum Biken knapp bemessen und kostbar, immer begrenzt durch Zeit, in der wir andere Dinge tun müssen. Dadurch kann es passieren, dass es beim Fahren hektisch, beinahe stressig wird, und das nimmt dem Ganzen den Spaß. Kommt euch das bekannt vor? Dann ist es an der Zeit, etwas zu unternehmen und einen Gang runterzuschalten. Werdet mal kreativ und denkt abseits des Bikes – warum nicht mal den Tag mit einem Espresso-Stopp beginnen? Wie in Finale! Manchmal ist es besser, die reine Fahrzeit ein wenig zu verkürzen, aber dafür die Tour als Ganzes intensiver zu erleben. Qualität statt Quantität, weniger ist mehr!

Ghetto Racing

Die soziale Komponente ist essenziell, wenn man Spaß haben will. Klar drehe ich auch ab und zu gerne alleine eine Runde durch die heimischen Wälder. Aber wenn ich an die besten Tage auf dem Bike denke, dann fallen mir zuerst die ein, an denen ich mit einem Haufen Kumpels unterwegs war, an denen wir alles nicht so ernst genommen und einander überholt, Linien geschnitten und eine Menge anderen Quatsch gemacht haben. Wenn ihr zu viel Zeit allein auf dem Bike verbringt, dann schnappt euch mal ein paar Freunde und organisiert ein Mini-Rennen mit anschließendem Barbecue, nichts Kompliziertes oder zu Verbissenes, alles ganz entspannt. Zeitnahme via Smartphone und dann Vollgas über die Trails, angefeuert vom frenetischen Geschrei der Fans am Streckenrand. Der Sieger zahlt das Bier und erntet im Gegenzug Ruhm und Ehre – bis zum nächsten Rennen.

Push the limit

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Als ich das letztes Mal gemacht habe, fand der Tag ein perfektes Ende mit einer letzten Runde „foot out flat out“-Geheize, bei dem wir im Train den Trail runtergejagt sind und uns gegenseitig ans Limit gepusht haben. Es hat sich toll angefühlt, Fahrer, die eigentlich schneller sind, zu jagen und an meine Grenzen – und darüber hinaus – zu gehen. Dem Trail, von dem ich geschworen hätte, dass ich dort jeden Stein und jede Wurzel in- und auswendig kenne, hat das definitiv einen neuen Reiz verliehen.

No dig no ride!

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In einer Kurve musste ich allerdings mit ganzer Kraft in die Bremsen greifen, weil mein Kumpel mitten auf dem Trail stehen geblieben war. „Wieso halten wir an?“, grummelte ich. Da deutete er mit einer Kopfbewegung zu einem umgefallenen Baum, den ich übersehen hatte und der quer über dem Trail lag. Genau die richtige Höhe, um mich vom Bike zu reißen! Wir haben zwar unsere Bikes drunter durchgeschoben und sind weitergefahren, aber der Zwischenfall brachte mich zum Grübeln. Wann hatte ich zuletzt 10 min meiner Fahrzeit investiert, um z. B. Pfützen zu beseitigen oder einen durchgerockten Anlieger zu reparieren? Wenn ihr das nächste Mal eure übliche Runde fahrt, dann haltet doch mal dort an, wo der Trail richtig fertig aussieht, und verpasst ihm eine kleine Schönheits-OP. Das tut nicht nur dem Trail gut und macht ihn langlebiger, sondern wird euch auch jedes Mal zum Schmunzeln bringen, wenn ihr wieder die Stelle entlangfahrt.

Let’s go camping

Klar, wir wohnen nur eine halbe Stunde von unseren Hometrails entfernt, doch wer sagt, dass man nach einer Tagestour nach Hause fahren muss? Mit einem Gefühl von Abenteuer machten wir uns vor ein paar Wochen auf den Weg nach oben, um unser Lager aufzuschlagen. Die Berge sind hier zum Glück nicht so hoch, deshalb dauerte es nicht lange, bis wir mit einem Panoramablick auf den warmen Lichterschein der Stadt unter uns belohnt wurden. Obwohl wir alle die Gegend gut kennen, überkam uns beim Aufbauen der Zelte das Gefühl, auf einer langen Expedition zu sein. Nachdem wir im Freien etwas gegessen hatten, war es Zeit, schlafen zu gehen. Wer sagt, dass man nur in den Alpen campen kann?

Und jetzt naht wieder unerbittlich der Winter, die Blätter fallen von den Bäumen, die Nächte werden länger, die verfügbare Zeit zum Biken bei Tageslicht wird kürzer und es wird noch schwieriger, den inneren Schweinehund zu überwinden. Zu kalt, zu dunkel, zu nass – papperlapapp! Der Winter ist die perfekte Zeit, um rauszugehen und Spaß zu haben. Also kramt eure Lampen raus, ab auf die schlammigen Trails und viel Spaß beim Driften! Es war Jahre her, dass ich das letzte Mal nachts biken war und ich war schockiert, wie sehr sich das Gelände veränderte. Ich entdeckte Linien, die tagsüber gar nicht existierten, und heizte mit einem Speed über den Trail, den ich eigentlich nur aus Video-Spielen kenne. Nach einer Runde High Fives machten sich die meisten dann auf den Weg nach Hause, doch für manche hatte die Nacht gerade erst begonnen.

Be Creative!

Wir beim ENDURO Mountainbike Magazine haben natürlich das Glück, dass ein kontinuierlicher Strom an aufregenden neuen Bikes für Berichte und Tests durch unsere Tür fließt, wodurch wir jederzeit variieren können. Ihr seid wahrscheinlich nicht mit dem Privileg gesegnet, euch vor jeder Fahrt ein Bike aussuchen zu können – oder doch? Trommelt doch mal all eure Kumpels zusammen und veranstaltet einen Bike-Tausch. Je extremer, desto besser, wenig Federweg, viel Federweg oder auch gar kein Federweg … was auch immer ihr in die Finger kriegt, es wird euren Trailride garantiert unvergesslich und euch vielleicht sogar zu einem vielseitigeren Fahrer machen!

Sicher, eure Trails zu Hause gehören vielleicht nicht zu den besten der Welt oder werden auf Dauer etwas monton. Aber wenn ihr euch ihnen von einem anderen Blickwinkel nähert, könnt ihr darauf mit Sicherheit jede Menge (neuen) Spaß haben. Mountainbiken definiert sich eben nicht nur über die Trails, die man fährt, sondern durch die Erfahrungen und Erlebnisse, die man gemeinsam mit Freunden darauf macht. Mountainbiken ist mehr als nur ein Sport, es ist eine Lebenseinstellung. Deshalb gilt fürs Leben wie fürs Biken: Akzeptiert die Dinge manchmal, wie sie sind, und macht das Beste daraus anstatt euch darüber zu ärgern. Schon kleinste Veränderungen können Großes bewirken und ihr habt alle Möglichkeiten direkt vor eurer Haustür – es ist an der Zeit, sich neu in seine Hometrails zu verlieben!

Text: Ross Bell Fotos: Christoph Bayer / Ross Bell / Trevor Worsey


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