Vom kunterbunten Treiben in die komplette Stille: Auf über 1.800 m kann man inmitten vieler Dreitausender zollfrei shoppen, Mountainbike-Strecken in jedem Schwierigkeitsgrad genießen und unendlich viel Outdoor-Trubel inhalieren. Wir haben den Entdeckermodus angeworfen und die noch wenig bekannten Ecken der Hochebene gesucht – und gefunden!

Piccolo Tibet (dt. Klein-Tibet), so wird Livigno liebevoll genannt. Die Gemeinde war bis in die 1950er-Jahre nur im Sommer erreichbar und die restlichen 6 Monate von der Außenwelt abgeschnitten. Dank des mautpflichtigen Munt-la-Schera-Tunnels kann man Livigno jetzt ganzjährig von der Schweizer Seite aus mit dem Auto erreichen, bis auf ein paar Tage im Winter geht das alternativ auch über den Passo di Foscagno von Italien aus. Diese spezielle, abgeschiedene Lage hat ihren ganz besonderen Charme, deshalb strömen viele Outdoor-Sportler das ganze Jahr über auf die Hochebene des kleinen Ortes mit gerade mal 6.500 Einwohnern. Außer aktiven Familien trifft man hier vermehrt auf Profisportler beim Höhentraining, Wanderer, Mountainbiker, Kletterer und Rabattjäger im Einkaufsrausch entlang der Fußgängerzone Livignos. Denn seiner Abgelegenheit verdankt Livigno auch, dass viele Waren hier zollfrei verkauft werden dürfen.

Fernab des Trubels

An der Bergstation des Mottollino-Bikeparks auf 2.400 m Höhe herrscht Volksfeststimmung. Sobald sich eine Gondel öffnet, schwirrt eine neue Ladung Fullface-Downhill-Piloten wie Fliegen um einen herum. Doch nicht nur Biker in Ritterrüstung sind hier unterwegs. Immer wieder biegen Fahrer ohne große Schutzausrüstung auf den „Take it Easy“-Trail ein. Livigno hat seit dem Downhill-Weltcup 2005 viel Arbeit in ein breit gefächertes Mountainbike-Angebot gesteckt: Mittlerweile kann man auf der Mottolino-Seite des Tals aus über 13 Trails wählen, vom Flow-Trail bis zur World-Cup-Downhillstrecke.

Nach ein paar Abfahrten im Bikepark nehmen wir dieses Mal die Querung in südliche Richtung über die neue E-MTB-Route in das kleine Seitental Val delle Mine, die auch mit dem normalen Mountainbike gut fahrbar ist. Nach nur wenigen Minuten ist es vorbei mit dem „Höher, Schneller, Weiter“ und dem lauten Trubel. Wir rollen in absoluter Stille auf Naturtrails, passieren kleine Bäche, Wasserfälle und Berghütten – immer mit atemberaubendem Gebirgspanorama. An dem Agriturismo Alpe Mine genießen wir deftiges traditionelles Essen: Polenta mit Spätzli und Haxen sowie einen köstlichen, von der Hüttenwirtin selbst gemachten Kuchen. Der Espresso darf zur Abrundung natürlich nicht fehlen. Gleich gegenüber des Refugio führt ein weiterer Naturtrail entlang eines Bergbachs wieder zurück in die Talebene von Livigno.

Wer es hochalpin mag, kann im Bikebergsteigerstil seinen Weg Tritt für Tritt und Schritt für Schritt über den Lago del Monte hoch auf den Monte Breva mit seinen 3.104 m bahnen. Auf dem Gipfel ist das Panorama einzigartig! Man blickt auf den einzigen Viertausender der Ostalpen, überzogen mit majestätischen Gletschern – den Piz Bernina (4.049 m). Zurück ins Tal geht es über 1.000 anspruchsvolle Tiefenmeter auf demselben Weg. Bikepark-Feeling sucht man hier vergebens, und das ist in diesem Moment auch gut so. Schroffes Gestein, hohe Felsstufen Schotter und feine Wiesentrails zeichnen den Weg.

  Abseits des Bikeparks warten atemberaubende Naturtrails.

Auch so geht Urlaub – Livignos Facetten

Wer es weniger schweißtreibend haben möchte und trotzdem die Abgeschiedenheit sucht, der kann in einem weiteren Seitental den Pass Chaschauna auf 2.694 m erklimmen. Von dort aus führt der Trail am Grenzkamm zwischen Italien und der Schweiz entlang über eine Mondlandschaft und schmalen, zum Teil verwinkelte Trails, wieder zurück in das Val Federia – eines der ursprünglichsten Täler Livignios mit nahezu unberührter Landschaft. Dort lädt die Sonnenterasse der Alpe Federia zum Verweilen ein. Nach einer leckeren Stärkung geht es zurück nach Livigno. Diese Tour ist natürlich auch mit dem herkömmlichen Mountainbike machbar, man braucht dann allerdings einen ganzen Tag. Da die Tour auf dem E-MTB schon am frühen Nachmittag zu Ende ist, kann man sich die Zeit bis zum Sonnenuntergang im modernen Aquagranda vertreiben. Man kann sich ein abwechslungsreiches Wellnessprogramm gönnen, das Adrenalin auf den verschiedenen Rutschen noch mal durch die Adern schießen lassen oder im Fitness- und Poolbereich eine weitere Trainingseinheit einlegen. Es sind aber auch Familien willkommen: Für die Kleinen gibt es ein spezielles Baby- und Kinderbecken. Wem das zu viel Trubel ist, der kann auch ein paar Paddelschläge auf dem Stand-Up-Paddle über den Stausee in Livigno machen.

Die neue Westseite Livignos

Livigno erfindet sich immer wieder neu – nachdem die Downhill-Gemeinde ihren Spielplatz im Bikepark Mottolino nutzt, setzt Livigno zuletzt mit dem Neubau der Gondelbahn Carosello 3000 und den frisch geshapten Trails speziell auf Einsteiger, Familien und Enduro-Biker. Für alle, die Livignos Westseite komplett auf dem Bike erkunden wollen, ist die Tagestour „Tutti Frutti“ wie gemacht. Man bewältigt auf 10 Trails eine Distanz von 45 km und 3.500 Tiefenmetern. Viele Wege und Trails in diesem Gebiet werden von Wanderern und Mountainbikern gemeinsam genutzt, deshalb werden Highspeed-Downhillbiker auch bewusst an den Mottolino-Bikepark auf der gegenüberliegenden Talseite verwiesen.

  Laut und leise zugleich – Livigno ist ein Ort voller Gegensätze.

Next Level: Heli-Biking!

Ab Herbst 2018 bietet Livigno auch Helikopter-Biking an. Das Know-how dafür kommt von den zahlreichen Heli-Ski-Angeboten im Winter. Statt stundenlang bergauf zu schwitzen oder in einer stickigen Gondel zu sitzen, geht es innerhalb kürzester Zeit mit grandioser Aussicht den Berg hinauf. Mit dem Heli erreicht man ruckzuck entlegene Regionen und erlebt auch bergauf einen echten Adrenalinrausch. Natürlich ist es ökologisch eine eher zweifelhafte Methode, sich zum Trailstart chauffieren zu lassen, aber es ist garantiert umweltschonender, als im Urlaubsflieger nach Malle zu tingeln. Und wen das schlechte Gewissen zu sehr plagt, der kann seinen erhöhten CO2-Verbrauch auf einigen Websites durch das Unterstützen von Umweltprojekten tilgen.

Egal für was man sich in Livigno entscheidet, auf dieser einzigartigen Hochebene in Italien finden alle Outdoor-Begeisterten ihr ganz persönliches Urlaubs-Highlight. Wollt ihr lieber im Bikepark shredden oder Naturtrails surfen? Bleibt ihr auf der Hochebene oder entdeckt ihr die Seitentäler Italiens und der Schweiz? Sucht ihr das volle Outdoor-Erlebnis oder wollt ihr nach dem zollfreien Shopping in der Wellness-Oase entspannen? Oder vielleicht alles zusammen? In Livigno habt ihr die Wahl.


Infos über Livigno

Lage

Die Hochebene Livigno befindet sich zwischen Italien und der Schweiz und ist 40 km vom schweizerischen St. Moritz entfernt. Sie ist eine der höchsten Hochebenen Europas, liegt auf 1.816 m und hat ca. 6.500 Einwohner. Bekannt wurde sie vor allem durch den Wintertourismus, mittlerweile zieht die Region aber auch immer mehr Sommerurlauber an.

Anreise

Nach Livigno führt von der Schweiz aus der mautpflichtigen Tunnel Munt la Schera, von Italien aus (bis auf ein paar Tage im Winter) der Passo di Foscagno. Je nach Schneelage startet die Sommersaison Anfang Juni und endet in der letzten Septemberwoche. Gerade im Hochsommer ist die Temperatur in Livigno mit 20–25 °C sehr angenehm.

Entfernungen

Livigno ist 180 km von Innsbruck entfernt, 288 km von Verona, 211 km von Friedrichshafen und 218 km von Zürich.

Shops/Bikeverleih/Service

Über den ganzen Ort verstreut findet man Bike-Verleihstationen von den unterschiedlichsten Herstellern. An der Mottolino-Gondelbahn gibt es mit Dr. Rent eine Verleihstation mit Shop direkt im Bikepark.

Ticketpreise

Mit dem Bikepass Livigno kann man den Mottolino-Bikepark und den Carosello 300 Mountain Park nutzen. Der Tagespreis liegt bei 38 € für Erwachsene und 27 € für Kinder bis 12 Jahre. Günstiger wird es, wenn man nur einen Bikepark am Tag nutzt. Weitere Infos gibt es unter www.mottolino.com oder www.carosello3000.com.

Bus-Shuttle

Außer dem roten Bernina-Express verkehren auch Linienbusse und Großraumtaxis zwischen dem Engadin (CH) und Valtellina (IT), um die Höhenmeter der Passüberschreitungen zu verringern.

Guiding

Die MTB-Guides Livigno bietet in ihrem Wochenprogramm Fahrtechnikkurse für jedes Level und geführte Touren auf dem Mountainbike oder E-Mountainbike an. Treffpunkt ist täglich am Bike Skill Center in Livigno.

Bike Skill Center

Im zentrumsnahen Bike Skill Center sind Groß und Klein willkommen! Außer einem Pumptrack gibt es verschiedene Hindernisse wie Tables, Northshores und Anlieger, um die Fahrtechnik zu verbessern. Das Training wird angeleitet von einem MTB-Guide.

GPS

Wer z. B: die Tutti Frutti-Tagestour selbst bestreiten möchte, kann sich zuvor die GPS-Daten auf www.carosello3000.com downloaden. Weitere GPS-Tracks gibt’s unter www.livigno.eu.

Unterkunft

Spezielle Bike-Hotels oder Apartments bieten eine sichere Bike-Garage, eine Werkzeugbank, eine Bike-Waschanlage und einen 24-Stunden-Wäscheservice an. Wer zu Beginn oder am Ende der Saison in diesen Partnerhotels ein Zimmern nimmt, bekommt sogar das Liftticket kostenlos dazu. Eine Hotel- und Apartmentliste gibt es unter www.livigno.eu

Allgemeine Infos

Unter www.livigno.eu findet ihr alle weiteren Informationen.

Dieser Artikel ist aus ENDURO Ausgabe #035

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Text: Fotos: Dirk Wagener aka. Digger